W&F 2017/1

Friedensmanifest

Schutz der Menschenrechte durch Prävention

Trägerkreis Internationale Münchner Friedenskonferenz

Das nachfolgende Manifest ist entstanden aus dem Kontext der Internationalen Münchner Friedenskonferenz – seit Jahren ein Ort zur Diskussion friedenspolitischer Perspektiven und Handlungskonzepte. Das Manifest greift politische, zivile und gewaltfreie Konzepte zur Konfliktbearbeitung und zum Schutz der Menschenrechte auf. Es bündelt Vorschläge und Konzepte aus der Friedensbewegung und diversen Organisationen. Das Manifest wurde 2016 bei einem Expertenhearing im Rahmen der Münchner Friedenskonferenz vorgestellt und diskutiert; dort vorgetragene Anregungen und Einwände wurden in der hier abgedruckten Fassung berücksichtigt.
W&F dokumentiert mit dem Abdruck des Manifestes exemplarisch, welche Themen und Handlungsvorschlage in der deutschen Friedensbewegung momentan diskutiert werden.

Menschen und Menschenrechte schützen und Konflikte zivil bearbeiten: Ja! Krieg: Nein!

Wir – die Personen und Gruppen, die das Papier unterstützen – akzeptieren die Verantwortung der Staaten wie der Zivilgesellschaft für den Schutz der Menschen vor Verbrechen wie Völkermord, Vertreibung, Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Krieg ist jedoch kein Mittel, um Konflikte zu lösen oder Menschenrechte zu schützen.

Die Militärinterventionen der letzten Jahrzehnte sind gescheitert, gemessen an den vorgegebenen Zielen wie Durchsetzung der Menschenrechte, Aufbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Sie haben die internationalen Beziehungen verschlechtert, Konflikte geschürt und den Extremismus gefördert. Flächenbrände sind dadurch entstanden und stürzen die betroffenen Regionen ins Elend. Millionen von Menschen verlieren Heimat und Existenzgrundlage.

Gebraucht wird ein grundsätzlich neuer Ansatz für die Verhinderung von Kriegen und den Schutz der Menschenrechte, der durch Regierungen, Zivilgesellschaft und internationale Einrichtungen unterstützt wird.

Ein tiefgründiges Umdenken ist notwendig: Weg von »Krieg als Mittel der Politik für eine Minderheit«, hin zum »Frieden als Lebensgrundlage für alle«. Sicherheit und Frieden wird nur erreicht, wenn die Verwirklichung der Menschenrechte und eine nachhaltige Entwicklung für Menschen und Umwelt angestrebt werden.

Die Antwort auf die Spirale der Gewalt ist die Vision der Entmilitarisierung der Politik und der allgemeinen und vollständigen Abrüstung.

Die folgenden Themen benennen relevante Politikbereiche:

Stärkung der UNO und der OSZE

Die Sicherheits- und Militärpolitik Deutschlands und der EU muss die Charta der UN in vollem Umfang respektieren. Das Friedensgebot des deutschen Grundgesetzes muss politische Leitlinie sein.

UNO und OSZE sind grundlegende Foren für zivile Konfliktbearbeitung zwischen den Staaten und sollten als solche umfassend akzeptiert und genutzt werden. Militäraktionen ohne Mandat des Sicherheitsrates stehen dazu im krassen Widerspruch!

Internationale Sicherheit ist im Geiste der UN-Charta nur als gemeinsame Sicherheit denkbar. Der Versuch, durch Aufrüstung eine Machtposition der Überlegenheit zu erreichen, ist das Grund­übel, das die Rüstungsspirale antreibt.

Gemeinsame Sicherheit, Rüstungskontrolle und Abrüstung gehören zusammen. Durch die Aufkündigung des ABM-Vertrages 2001 (Begrenzung der Zahl der Abwehrraketen) durch die USA wurde die Ära der Rüstungskontrolle faktisch beendet. Die Gefahr eines Atomkrieges ist wieder gewachsen. Ein neuer Rüstungswettlauf durch quantitative und qualitative Aufrüstung bei Angriffsraketen und Abwehrsystemen droht.

Die Atommächte müssen ihre im Atomwaffensperrvertrag festgelegte Verpflichtung zur Abrüstung umsetzen und ein Moratorium bei der Aufstellung von ABM Systemen vereinbaren. Global Zero – die Perspektive einer Welt ohne Atomwaffen – gehört in der NATO, in der EU und in der UNO wieder auf die Tagesordnung.

Der KSE-Prozess (konventionelle Stabilität in Europa) hatte das Ziel, zu einer deutlichen Reduzierung der Streitkräfte in Europa zu kommen. Das ist heute wieder hochaktuell.

Es sind verbindliche Normen und Regelwerke zur Verhinderung von Cyberkriegen zu entwerfen.

Instrumente für Prävention, Krisenmanagement und Schutz der Menschenrechte sind in den Strukturen der OSZE angelegt, werden aber nur unzureichend genutzt. Neue Instrumente der Früherkennung und der Bewältigung von Krisen sind zu fördern und auszubauen.

Die Agenda 2030 der Vereinten Nationen ist ein wichtiges internationales Dokument für kohärentes und präventives Handeln für soziale, ökologische, nachhaltige und friedliche Wege der Entwicklung. Notwendig ist die Umsetzung der Agenda in Regierungshandeln mit verbindlichen und für die Partizipation der Zivilgesellschaft transparenten Strukturen. Für die erforderliche finanzielle Ausstattung und die Koordination muss durch die öffentliche Hand gesorgt werden.

Präventive Politik und Diplomatie

Nur wenn in der Politik der Gedanke der präventiven zivilen Bearbeitung von Konflikten Vorrang erhält vor ökonomischen und machtpolitischen Interessen, wachsen die Chancen für den Schutz der Menschen und ihrer Rechte.

In der deutschen Politik müsste dafür ein friedenspolitisches Denken Platz greifen, das ressortübergreifend in der Krisenprävention ein wichtiges Werkzeug für den Schutz der Menschenrechte sieht.

Konflikte können frühzeitig erkannt und bearbeitet werden. Dafür notwendig ist die Erforschung von Ursachen für Kriege und Konflikte, außerdem Forschung und Fortbildung, um ganzheitliche Konzepte der Frühwarnung zu entwickeln und zu institutionalisieren. So können auch neue Konzepte für präventive Strategien erarbeitet, politisch diskutiert und umgesetzt werden.

Einzelstaatliche Instrumente für die Unterstützung von Verhandlungslösungen gilt es auszubauen, politisch aufzuwerten und finanziell angemessen auszustatten.

Dabei müssen Frauen in Friedensverhandlungen und Planungen für den Wiederaufbau gleichberechtigt beteiligt werden, wie es die Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrates fordert.

Präventive Wirtschaftspolitik

In der herkömmlichen Politik wird das Konzept der »Schutzverantwortung« meist in Bezug auf »gescheiterte Staaten« diskutiert, die nicht mehr in der Lage seien, ihre Bevölkerung vor Verbrechen zu schützen. Das Scheitern von Staaten ist aber nicht nur durch unbewältigte innere Konflikte bedingt, sondern auch durch die strukturelle Gewalt einer globalisierten Ökonomie. Danach müssen sich die »Entwicklungsländer« den Interessen der transnationalen Konzerne und des reichen Nordens unterordnen.

Exemplarisch sei hier die Politik der EU für die Subventionierung von Agrar­exporten genannt. Billige Agrarexporte nach Afrika und andere Länder des Südens zerstören die Existenzgrundlage der Menschen in der örtlichen Landwirtschaft.

Geschäftspraktiken multinationaler Agrarunternehmen, wie etwa Landkauf und Monopolisierung von Saatgut, gefährden die Ernährungssouveränität der Entwicklungsländer.

Die so genannten Freihandelsabkommen wie TTIP, CETA und TISA dienen vor allem den mächtigen Wirtschafts­unternehmen der Industrienationen und werden die Armut in der Welt vertiefen und damit das Risiko für Massenflucht auf ein bisher nicht gekanntes Ausmaß erhöhen.

Stattdessen sollte die Förderung und Entwicklung regionaler Versorgungssysteme Vorrang haben. Dafür müssen ethisch akzeptable Regelwerke für den Welthandel unter Beteiligung der Zivilgesellschaft erarbeitet werden. Entsprechend muss die Außenwirtschaftspolitik für mehr Gerechtigkeit in den Wirtschaftsbeziehungen neu konzipiert und in den Zusammenhang mit Kriegsverhütung und Schutz der Menschenrechte gestellt werden.

Deutsche Außenwirtschaftspolitik und Entwicklungszusammenarbeit muss auf die Entwicklung nachhaltiger und eigenständiger industrieller Strukturen der »Entwicklungsländer« abzielen. Das bedeutet die Bewertung der Praktiken der transnationalen Konzerne unter friedenspolitischen Gesichtspunkten und die Begrenzung ihrer Macht durch einzelstaatliche Gesetze und internationale Vereinbarungen.

Statt der Orientierung auf militärisch unterstützten Zugriff auf begrenzte Rohstoffe ist eine Umsteuerung hin zu einer nachhaltigen und fairen Wirtschaftsweise erforderlich.

Der Finanzsektor muss einfache Finanzdienstleistungen für alle bereitstellen, die zur Entwicklung von gerechten und nachhaltigen Gesellschaften beitragen. Finanzdienste sollen grundsätzlich die reale Wirtschaft unterstützen und gemeinwohlorientiert sein. Die Aktivitäten des international tätigen Finanzkapitals müssen durch ein internationales Forum reguliert und beaufsichtigt werden. Ein wichtiger Schritt ist die Einführung einer Finanztransaktionssteuer.

Rüstungsexporte stoppen – Waffenhandel verhindern

Auch deutsche Rüstungsexporte tragen zur Militarisierung von Konflikten bei. Militärisch ausgetragene Territorial-, Verteilungs- und Machtkonflikte zerstören wirtschaftliche, staatliche und soziale Strukturen. Kriege verschlingen ungeheure Mittel, kosten unzähligen Menschen das Leben und führen zu Verarmung und neuen Konflikten. Produktion und Anschaffung von Waffen entzieht den Haushalten Unsummen, die für notwendige Aufgaben fehlen.

Schutzverantwortung durch Prävention bedeutet: Keine weiteren Rüstungsexporte genehmigen, keine Bürgschaften für den Export von Rüstungsgütern bewilligen, ausgemusterte Waffen der Bundeswehr nicht verkaufen, sondern verschrotten. In den Artikel 26, Absatz 2 des Grundgesetzes soll ein grundsätzliches Verbot von Rüstungsexporten aufgenommen werden, das fordert die breit getragene Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel«.

Darüber hinaus sollte Deutschland in der EU und in den internationalen Organisationen Initiativen ergreifen und unterstützen, die auf Eindämmung und Verhinderung des internationalen legalen wie illegalen Handels mit Waffen und Rüstungsgütern zielen, z. B. in der UN-Konferenz zur Begrenzung des Waffenhandels.

Zivile und gewaltfreie Handlungsmöglichkeiten unterstützen und entwickeln

Notwendig ist die Entwicklung und gesellschaftliche Verankerung einer Kultur des Friedens. Dazu bedarf es vor allem der Einübung von individuellem Gewaltverzicht, von Dialog- und Kommunikationsverhalten sowie gewaltfreier Methoden des Zivilen Ungehorsams.

Konzepte für zivile Konfliktbearbeitung im gesellschaftlichen und innerstaatlichen Bereich sind vorhanden, viele Erfahrungen wurden gesammelt. Es ist notwendig, neue und zivile Wege zum Schutz von Zivilbevölkerung und ihrer Menschenrechte zu erproben.

Dazu gehört auch das zivile Peace­keeping, das in unterschiedlichen Kontexten erfolgreich umgesetzt wurde. Gruppen von ausgebildeten gewaltfreien Friedensfachkräften können in Konflikten unbewaffnet und unabhängig von Regierungsinteressen auftreten, beobachten, vermitteln und Konflikte entschärfen. Sie können sowohl zur Frühwarnung vor Krisen als auch zur Überwachung von Vereinbarungen beitragen. Frühwarnsysteme (»Monitoring«) können z.B. über das Konfliktverhütungszen­trum der OSZE in Wien vernetzt werden.

Ziviles Peacekeeping bietet sich auch als ergänzendes Instrument für die Vereinten Nationen an. Dafür müssen Konzepte erarbeitet und Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.

Internationale Organisationen, wie die Nonviolent Peace Force oder Peace Brigades International, brauchen mehr Unterstützung aus der Zivilgesellschaft, so dass sie unabhängig von staatlichen und ökonomischen Interessen agieren können. Sie können auf gesellschaftlicher Ebene eingreifen, wo Staaten und zwischenstaatliche Einrichtungen keine Legitimation (Souveränitätsprinzip), keine Glaubwürdigkeit und keine Instrumente haben.

Der Zivile Friedensdienst (ZFD) fordert von der Bundesregierung eine deutliche Aufstockung der Finanzmittel für den Haushaltstitel »Ziviler Friedensdienst«.

Je mehr Menschen sich für gewaltfreie Konfliktbearbeitung qualifizieren, umso besser können demokratische Prozesse und friedliche Konflikttransformation unterstützt werden.

In diesen Zusammenhang gehört auch die Einführung eines Zivilsteuergesetzes: Kein Steuer-Zwang zur Mitfinanzierung der Militärausgaben.

Sicherheitskräfte der Vereinten Nationen

Derzeit kann auch ein umfassendes und politisch umgesetztes Konzept der Schutzverantwortung nicht ausschließen, dass es zu bewaffneten Konflikten kommt, in welchen Völkermord oder gravierende Verbrechen drohen oder stattfinden. Es sind Situationen denkbar, in welchen politische und zivile Mittel versagt haben oder nicht mehr zur Anwendung kommen, staatliche Strukturen nicht vorhanden sind und kriminelle Vereinigungen oder Regierungen Verbrechen gegen die Bevölkerung begehen.

Ein Konzept für neutrale, am Völkerrecht und an Polizeiaufgaben orientierte Sicherheitskräfte unter Kommando der UNO sollte ausgearbeitet werden. Diese Sicherheitskräfte sollen in Fällen von bevorstehendem Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit – ausschließlich – zum Schutz der unmittelbar betroffenen Menschen eingesetzt werden. Die Konstruktion eines solchen Polizeikonzeptes muss ausschließen, dass nationale Verbände für nationale oder imperiale Ziele sowie für Kriegshandlungen eingesetzt werden: durch ein neutrales Kommando, durch den Einsatz ausschließlich auf Beschluss des Sicherheitsrates oder der Generalversammlung der UN, durch multinationale Zusammensetzung der Verbände, durch verbindliche Orientierung auf Völker- und Menschenrecht, durch entsprechende Ausbildung, Logistik und Bewaffnung und durch entsprechende Definition von Einsatzkriterien und Richtlinien.

Die Sicherheitskräfte können mit einem konkreten Auftrag in konkreten Krisen- oder Gefährdungslagen eingreifen. Sie haben keine weiteren Polizeiaufgaben zu übernehmen. Sie sind defensiv ausgerichtet, leicht bewaffnet und am Schutz gefährdeter Menschen orientiert und sollen, entsprechend den Polizeiaufgaben, Verbrechen verhindern. Für ihr Handeln gelten allgemeine zivile Rechtsnormen, keine Kriegs- oder Sonderrechte.

Die Erfahrungen von neutralen Staaten wie Österreich oder Schweden mit Blauhelmeinsätzen können hier ausgewertet und einbezogen werden. Eine Umschulung von Bundeswehr-Soldat*innen für diese Aufgaben soll gefördert werden.

Die Erarbeitung eines solchen Polizeikonzeptes ist eine Herausforderung für Zivilgesellschaft und Parteien; auch die Friedensbewegung sollte hier kritisch-konstruktiv mitwirken. Das Konzept soll Einsätzen von NATO und nationalen Armeen die Legitimation zu Interventionen entziehen und die Bedenken vieler Menschen aufgreifen, die in manchen Situationen einen bewaffneten Schutz von Menschenleben für erforderlich halten.

Eine derartige Einrichtung sollte den Status einer sich entwickelnden Übergangslösung haben. Entmilitarisierung und Abrüstung, die Entwicklung der zivilen Instrumente und die Umsetzung der präventiven Maßnahmen sollen den Einsatz dieser (bewaffneten) Sicherheitskräfte überflüssig machen!

Dieser Text spiegelt den Diskussionsstand vom 10. Januar 2017 wider. Es ist geplant, eine Unterstützerliste zusammenzustellen, um sie dem Manifest anzufügen. ­Kontakt über office@friedenskonferenz.info.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2017/1 Facetten des Pazifismus, Seite 35–37