W&F 1993/4

Friedenswissenschaft an den Hochschulen

Perspektiven durch die neue Studienreform?

von Christiane Lammers

Seit 1990 wird über eine Studienreform in der Bundesrepublik diskutiert. Dieser Prozeß sollte sich besonders an einem vom Kanzler einberufenen Bildungsgipfel im Herbst 1993 kristallisieren. Dieses Arbeitstreffen der von der angestrebten Reform verschieden betroffenen Interessengruppen wurde mehrmals verschoben. Die Dissonanzen scheinen doch zu groß, um zu einem gemeinsamen Diskussionsprozeß zu kommen. So kann zur Zeit nur anhand der einzelnen vorliegenden Arbeitspapiere die Frage diskutiert werden, ob eine Reform der Hochschulen zu einer weitergehenden Etablierung der Friedenswissenschaft an den Hochschulen führen kann.

Die Situation der Friedenswissenschaft an den Hochschulen stellt sich derzeit wie folgt dar: Neben den beiden großen Friedensforschungseinrichtungen in der Bundesrepublik, der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) und des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH), die beide Stiftungen des Öffentlichen Rechts sind, gibt es zahlreiche andere Einrichtungen, die mit unterschiedlichem Status und unterschiedlichen inhaltlichen Ausrichtungen an den Universitäten im Bereich Friedens- und Konfliktforschung arbeiten. Zu differenzieren ist zwischen 1. den Instituten (z.B. Institut für Entwicklung und Frieden, Duisburg; Institut für Migrationsforschung und interkulturelle Studien, Osnabrück; Institut für Friedenssicherrungsrecht und humanitäres Völkerrecht, Bochum; Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung), 2. Arbeits-, Dokumentations- und Forschungsstellen und 3. den Forschungsgruppen und -projekten. Ihnen gemein ist, daß sie in der Regel weitreichend von Drittmitteln wie z.B. Stiftungsgeldern abhängig sind. Unterschiedlich ist ihre Integration in die Hochschulen, so daß i.d.R. bei den Instituten und auch bei der zweitgenannten Gruppe über die Anbindung an InhaberInnen von Hochstühlen (im wahrsten Sinne des Wortes oftmals eine abhängige Verbindung) zumindest ein gewisser Grad an stabiler Institutionalisierung erreicht worden ist (vergl. Handbuch Friedenswissenschaft, ExpertInnen, Institutionen, Hochschulangebote, Literatur; hrsg. v. C.Lammers, K. Battke, C. Hauswedell).

Nicht erreicht wurde, daß die Friedenswissenschaften einen gesicherten Status innerhalb der Lehre haben. D.h. es gibt bisher keinen Studiengang Friedenswissenschaft, es gibt keine eigenständigen Curricula etc.. Ebenso ist nur in wenigen Ausnahmen ein interdisziplinäres Arbeiten möglich, daß den Anforderungen, die der Themenkomplex Frieden stellt, gerecht würde. Am weitgehendsten ist eine fachübergreifende Forschung und Lehre noch in den durch Drittmittel finanzierten Projekten möglich (z.B. Forschungsprojekt „Naturwissenschaftliche und interdisziplinäre Aspekte der Sicherheitspolitik“, TH Darmstadt, Inst. f. Kernphysik). In der Konsequenz heißt das, daß gerade die heutigen Universitätsstrukturen eine den gesellschaftlichen Problemen entsprechende Forschung zu verhindern scheinen.

Nicht zuletzt aus dieser Beobachtung heraus stellt sich die Frage, ob zum einen bei den nun für die Studienreform vorliegenden Vorschlägen die Notwendigkeit einer Integration des Themenkomplexes Frieden in die Hochschulinhalte gesehen wird; und zum anderen, ob hierfür auch die entsprechenden Strukturveränderungen ins Auge gefaßt wurden.

„Die jüngsten weltpolitischen Entwicklungen, die Vereinigung Deutschlands, der schrittweise Zusammenschluß Europas über den Binnenmarkt, die Wirtschafts- und Währungsunion zur politischen Union, die Befreiung und Demokratisierung Ost- und Südosteuropas bestimmen auch die Ziele und Schwerpunkte der Hochschulpolitik in den nächsten Jahren…“ (Hochschulrektorenkonferenz, Konzept zur Entwicklung der Hochschulen in Deutschland, Dokumente zur Hochschulreform 75/1992, S. 5) Dies ist eine der wenigen aufzufindenden Ausführungen, die tatsächlich etwas über die inhaltlichen Rahmenbedingungen und die Aufgaben der Hochschulen in den künftigen Jahren aussagt.

Einen weiteren Begründungszusammenhang, der sich aber schon auf der Schwelle befindet zur ansonsten rein von den ökonomischen Erfordernissen geprägten Argumentation, ist folgender: „Der Standort Deutschland muß auch in den Bereichen Bildung und Ausbildung sowie Wissenschaft und Forschung gesichert werden, damit die gestiegenen Anforderungen im wiedervereinigten Deutschland und im zusammenwachsenden Europa erfüllt und wichtige Zukunftsaufgaben nicht zuletzt im Hinblick auf den sich verschärfenden weltweiten Wettbewerb gelöst werden können. Dabei stellt sich die Aufgabe, Hochschule und Forschung im Zusammenhang mit dem gesamten Bildungs- und Qualifizierungssystem daraufhin zu überprüfen, wie durch strukturverbessernde Maßnahmen und Beseitigung finanzieller Engpässe Funktionsdefizite überwunden werden können und absehbaren Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft besser entsprochen wird.“ 1 Auf den Punkt bringt es letztendlich das Bundesministerium für Forschung und Technologie: „Der Stand der Forschung und der technologischen Leistungsfähigkeit ist eine wesentliche Grundlage der industriellen Zukunft unseres Landes. Er schafft Handlungswissen und Freiräume zum Erhalt und zur Gestaltung unserer Lebensumwelt. Ergebnisse der Wissenschaft sind darüber hinaus bedeutende Kulturwissenschaften. Die Entfaltungsmöglichkeiten, den Reichtum und die Freiheit der Forschung zu gewährleisten und auszubauen ist daher ein wesentliches Ziel der Bundesregierung. Die Herausforderung der Vollendung der deutschen Einheit, ein dramatisch verändertes internationales Umfeld, die Sicherung natürlicher Lebensgrundlagen und nicht zuletzt Sorgen um den Wirtschaftsstandort Deutschland erhöhen die Notwendigkeit, Chancen von Forschung und Technologie zu nutzen.“ 2 Zu diesen Zielvorstellungen paßt dann auch, daß den Geisteswissenschaften in dem Bundesbericht an quantitativem Umfang etwas weniger Platz gewidmet wird als der Wehrforschung und -technik.

Daß keine qualitativen, d.h. inhaltlichen Prämissen für die zukünftige Bildungspolitik in Deutschland gesetzt werden, sondern es allein um die Frage geht, wie können wir den StudentInnenmassen »Herr« werden, zeigt dann auch sehr schnell die lange Liste der Reformvorschläge. Hier geht es in allen Papieren um Regelstudienzeiten, erfolgs- und qualitätsorientierte Mittelzuweisung an Hochschulen, um Effizienzsteigerung, verstärkten Ausbau der Fachhochschulen gegenüber den Universitäten; Weiterentwicklung des Dualen Ausbildungssystems etc.. Im Originaltext lauten die Vorschläge z.B. unter der Überschrift „Qualitativer Ausbau und verbesserte Nutzung der Universitäten in den alten Ländern“ wie folgt:

  • „Konsolidierung und strukturelle Arrondierung in Anlehnung an die durch die Zielzahl von 1977 gegebene Größenordnung; in diesem Rahmen sind auch quantitative Veränderungen möglich.
  • Bei Fortschreibung der Zielzahl von 1977 Sicherung der angestrebten qualitativen und regionalen Aufgabenverteilung zwischen Universitäten und Fachhochschulen.
  • Duchführung von Sanierungen, Modernisierungen an vorhandenen Gebäuden und Ersatzinvestitionen. Verbesserung der Grundausstattung für Lehre und Forschung; Ergänzung und Modernisierung der apparativen Ausstattung.
  • Behebung personeller Engpässe zur Vermeidung von Zulassungsbeschränkungen in Fächern, in denen die Zahl der Bewerber die der vorhandenen Studienplätze übersteigt, der absehbaren Arbeitsmarktentwicklung entspricht und dieser Bedarf nicht durch den entsprechenden Ausbau der Fachhochschulen befriedigt werden kann.
  • Effektivere Nutzung der vohandenen räumlichen Kapazitäten.
  • Ausweitung der Nutzungsmöglichkeiten der Bibliotheken und anderer Infrastruktureinrichtungen, insbesondere Verlängerung der Öffnungszeiten.
  • Breitbandvernetzung im Hochschulbereich und Nutzung des Netzes zu forschungsgerechten Gebühren.“ 3 Wer auf einen Bezug der Maßnahmen auf die versteckt enthaltenen o.g. inhaltlichen Prämissen hofft, z. B. daß die als Schlagwörter fungierenden Begriffe »Interdisziplinarität« und »Vernetzte Handlungsfelder«4 sich in den sehr differenziert dargestellten Reformvorstellungen wiederfindet, hat umsonst gewartet. Hier wird zukunftsträchtige Politik gemacht, die ganz pragmatisch zum einen auf die leeren Kassen des Bundes und der Länder abzielt und zum anderen den nicht mehr weg zu diskutierenden Überfüllungen der Hochschulen Rechnung trägt.

Nach dem Bildungsgipfel, um im Bild des Kanzlers zu bleiben, kann es also nur noch bergab gehen.

Literatur

Lektüre, die alternative Reformvorschläge enthalten, sind: Torsten Bultmann, Zwischen Humboldt und Standort Deutschland. Die Hochschulpolitik am Wendepunkt. Forum Wissenschaft, Studien Bd. 25, Marburg 1993; und Freie Konferenz der StudentInnenschaften an Fachhochschulen (Hg.), Grundlagenpapier des Arbeitskreis Bildungsgipfel, 1993.

Anmerkungen

1) »Eckwertepapier« der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Vorbereitung des vorgesehenen bildungspolitischen Spitzengesprächs 1993, S. 1. Zurück

2) Deutscher Bundestag 12. Wahlperiode, Unterrichtung durch die Bundesregierung, Bundesbericht Forschung, <%-2>Drucksache 12/5500, 21.07.1993, S. 1.<%0> Zurück

3) Zit. n. »Eckwertepapier« s.o., S. 16. Zurück

4) Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft/Der Bundesminister für Forschung und Technologie: Grundsatzpapier zur Bildungs- und Forschungpolitik, Bonn Februar 1993, S.5. Zurück

Christiane Lammers, Redaktion W & F

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1993/4 Friedenswissenschaften, Seite