W&F 2012/1

Für ein selbstbestimmtes Afghanistan

Internationale Konferenz, 4.12.2012, Bonn

von Lucas Wirl

Mehr als 350 Friedensbewegte und KriegsgegnerInnen aus 17 Ländern diskutierten am 4.12.2011, einen Tag vor der internationalen Afghanistankonferenz der Regierungen, über ein selbstbestimmtes Afghanistan und über alternative, nicht-militärische Friedenslösungen. Das Treffen auf Einladung des »Protestbündnisses gegen Petersberg II« und des »No to War No to Nato Network«, an dem über 80 europäische Exil-AfghanInnen sowie einige afghanische OppositionspolitikerInnen teilnahmen, bot eine wichtige Chance zum international-afghanischen Dialog. Zum ersten Mal seit Beginn des Krieges in Afghanistan wurde eine Plattform geschaffen, die einen breiten Meinungs- und Informationsaustausch zuließ.

Die Feststellung, dass nur ein Abzug der ausländischen Truppen zu einem selbstbestimmten, demokratischen und emanzipatorischen Afghanistan führt, durchzog die gesamte Konferenz. Die von allen Teilnehmenden geteilten gemeinsamen Nenner waren die Ablehnung des Krieges, die Erkenntnis, dass die westliche Afghanistanpolitik gescheitert ist, sowie eine umfassende Kritik der einen Tag später stattfindenden Afghanistankonferenz der Regierungen. Jeremy Corbyn, Abgeordneter der britischen Labour Party, formulierte die grundlegende Kritik: „Nach der politischen Aufteilung Afrikas auf der Berliner Konferenz von 1884 wird erneut unter Ausschluss der regionalen Kräfte über die Zukunft eines Landes entschieden. Das ist moderner Kolonialismus.“

Einen der exklusiven Politik der Herrschenden genau entgegengesetzten Ansatz verfolgte die internationale Konferenz der Friedensbewegung: Hier entfaltete sich ein breiter Dialog, bei dem alle willkommen sind, die zur Diskussion über einen Friedensprozess in Afghanistan bereit sind. „Eine Fortsetzung des Dialogs zwischen europäischen und afghanischen Friedensbewegten ist dringend erforderlich, um diesen zu intensivieren und um gemeinsame Positionen für Frieden in Afghanistan weiter zu entwickeln“, sagte Reiner Braun, einer der Veranstalter der Konferenz, im Abschlussplenum. Der von den Veranstaltern unterbreitete Vorschlag, im Herbst 2012 eine europäisch-afghanische Friedenskonferenz abzuhalten, wurde mit großer Zustimmung aufgenommen.

Einem echten, ehrlichen Friedensprozess stehen die Militarisierung der Politik und Gesellschaft und damit die Unterordnung des Zivilen unter das Militärische insgesamt sowie ökonomische Interessen im Wege. Während die nordirische Friedensnobelpreisträgerin, Mairead Maguire, Gewaltfreiheit, Kompromissfähigkeit und Geduld als Voraussetzungen für Frieden bezeichnete, hob die afghanische Oppositionspolitikerin Malalai Joya hervor, dass die westlichen Staaten mit dem Krieg in Afghanistan ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen in Afghanistan verfolgten, anstatt den Bedürfnissen der afghanischen Bevölkerung nachzukommen. „Anstelle von geplanten industriellen Großprojekten zur Ausbeutung unserer Ressourcen, bei deren Bau nur westliche Firmen profitieren, müssen westliche Gelder für die Bildung der afghanischen Bevölkerung eingesetzt werden. Nur durch Bildung für die breite Bevölkerung kann sich ein selbstbestimmtes Afghanistan entwickeln. Daran haben der Westen und die korrupte Karsai-Regierung jedoch kein Interesse“, so Joya. Der US-Amerikaner Joseph Gerson berichtete über den Beginn eines Umdenkens in den USA, das vom Militarismus weg führt. Er informierte, dass „sich durch die ökonomische Krise und die offensichtlichen Irrwege der Politik zum ersten Mal seit Vietnam breite Teile der Gesellschaft gegen den Krieg in Afghanistan zu stellen beginnen“.

Die internationale Konferenz der Friedensbewegung war durch die intensiven Diskussionen mit afghanischen und internationalen Friedensbewegten und KriegsgegnerInnen ein großer Erfolg. Eine der vielen jungen Konferenzteilnehmerinnen sagte, es freue sie, einen Kontakt zu Afghaninnen und Afghanen aufgebaut und viel über die Kultur und politischen Einstellungen der afghanischen Bevölkerung gelernt zu haben.

Lucas Wirl

An der Vorbereitung der Afghanistankonferenz waren die W&F-Herausgebergruppen IALANA und NaturwissenschaftlerInnen-Initiative beteiligt. Kontaktadresse für Informationen zur europäisch-afghanischen Konferenz im Herbst 2012: kongress@ialana.de.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2012/1 Schafft Recht Frieden?, Seite 49