W&F 1997/2

Für eine zivile Außenpolitik der EU

von Martina Fischer

Mit Maastricht II steht die EU an einer Wegscheide. Sie kann die Weichen stellen für die Errichtung einer »Europäischen Friedensordnung«, die sich als Etappe auf dem Weg zur internationalen Zivilgesellschaft versteht, als Ergebnis einer Politik, die sich im regionalen Verbund für deren Schaffung einsetzt. Der EU kommt, da sie den wirtschaftlich wohlhabenden Teil Europas repräsentiert, dabei eine besondere Verantwortung zu. Diese Vision macht jedoch ein radikales Umdenken nötig, denn sie steht in Abgrenzung zu der Vorstellung von einem Europa, das sich durch politische, ökonomische und militärische Stärke gegenüber anderen Mächten behaupten will und/oder Wirtschaftsinteressen und Einflußsphären notfalls mit militärischer Gewalt sichern muß.

Mit der Unterzeichnung des Maastricht-Vertrags haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union 1991 beschlossen, ihre Außenpolitik im Rahmen einer »Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik« (GASP) stärker miteinander abzustimmen. Als Ziele werden im Vertrag zuerst „die Wahrung der gemeinsamen Werte, der grundlegenden Interessen und der Unabhängigkeit“ sowie „die Stärkung der Sicherheit der Union und ihrer Mitgliedstaaten“ genannt. Erst nachfolgend ist von der Förderung von Frieden, Demokratie und Menschenrechten die Rede.

Bei der 1996 begonnenen Regierungskonferenz zur Revision des Maastricht-Vertrags nimmt die Gestaltung der GASP neben wirtschaftlichen Problemen breiten Raum ein. Im Mittelpunkt steht die Frage, mit welchen Mechanismen und Verfahren »Handlungsfähigkeit« der EU nach außen hergestellt werden kann und auf welche Weise sie ihre Beschlüsse fassen soll.1 Auf verschiedenen Ebenen der EU wurde außerdem darüber nachgedacht, wie der GASP mehr Profil hinsichtlich eines abgestimmten Vorgehens zur Vorbeugung und Eindämmung von Krisen verliehen werden kann und wie die Kapazitäten im Bereich der präventiven Diplomatie gestärkt werden können. Das EP hatte in einer Entschließung vom 14.6.1995 angeregt, ein »Zentrum zur Erforschung und aktiven Verhütung von Krisen« bei der Kommission einzurichten2 und die Etablierung eines »European Civil Peace Corps« (ECPC) auf europäischer Ebene befürwortet.3 Im Zuge der Regierungskonferenz hingegen wird in Abkehr von der Parlamentsempfehlung die Einrichtung einer »Planungs- und Analyseeinheit« auf Ratsebene erwogen.

Herstellung von »Effizienz« bestimmt als Anspruch das Geschehen bei der Regierungskonferenz. Die Zielsetzung, mehr Effizienz zu schaffen, ist an sich durchaus zu befürworten, jedoch betrifft sie zunächst nur die Form und nicht den Inhalt. Aus friedenspolitischer Perspektive ist das Plädoyer für Handlungsfähigkeit und Effizienz nur dann zu unterstützen, wenn es um eine zivile Gestaltung der Außenpolitik der EU geht, wenn auf die Einbeziehung militärischer Komponenten in die Gemeinschaftsaufgaben verzichtet wird und wenn die zur Schaffung von Effizienz anvisierten Strukturen gleichzeitig für einen Zuwachs an Trans-parenz und demokratischer Legitimation bürgen. Im Verlauf der Regierungskonferenz zeichnet sich ab, daß für die Gestaltung einer zivilen Außenpolitik von Maastricht II kaum etwas zu erwarten und daß im Hinblick auf »Demokratie« und »Transparenz« eher ein Verlust als ein Gewinn zu befürchten ist.

Tendenzen zur Militarisierung und Verluste an Demokratie und Transparenz

Auch wenn es weiterhin Widersprüche und Interessensunterschiede der Mitgliedstaaten gibt, so zeichnen sich doch deutliche Tendenzen zur Militarisierung der EU ab: Durch eine enge institutionelle Verbindung mit der EU soll der Europäische Rat die WEU mit militärischen Missionen beauftragen können. Die sogenannten Petersberg-Aufgaben, welche die Interventionsaufgaben der WEU bis hin zu Kampfeinsätzen zur Friedenserzwingung enthalten, sollen in Form eines Protokolls in den EU-Vertrag aufgenommen werden, und die WEU soll folglich ohne Mandat von UNO oder OSZE agieren können.

Für friedenspolitisch engagierte ZeitgenossInnen steht weiterhin die Frage im Raum: Wozu benötigt man Beschlüsse nach dem Muster der Petersberg-Erklärung? Sie werden weder zur Verteidigung ihrer Mitgliedstaaten noch zur Mitwirkung an Zwangsmaßnahmen der UN (ob man diese befürwortet oder nicht, sei dahingestellt) von der WEU oder der NATO benötigt. All diese Fälle sind längst in der UN-Charta oder in Bündnisverträgen geregelt. Die Vermutung liegt daher nahe: „Die Militärallianzen brauchen eine solche Generalvollmacht zur Kriegführung nur, wenn sie an den Vereinten Nationen vorbei aus eigenem Entschluß militärisch gegen Staaten einschreiten wollen, die keinem ihrer Mitglieder gegenüber eine Angriffshandlung begangen haben. Wollen sie das denn? Und mit welcher Begründung?“ (Mutz 1996: 101).

Dem im Maastricht-Vertrag postulierten Ziel, zur Wahrung von Frieden, Demokratie und Menschenrechten beizutragen, laufen zunächst die derzeitigen Umrüstungsbestrebungen in den EU-Mitgliedstaaten elementar zuwider: Die wenigen Initiativen zur Rüstungs- bzw. Exportkontrolle sind als zwiespältig zu bewerten; statt radikaler Abrüstung ist eine Weiterentwicklung atomarer Waffen und eine Perfektionierung konventioneller Rüstungstechnik für die Schlachtfelder der Zukunft zu beobachten; Systemen »kollektiver Sicherheit« (UNO und OSZE) wird bei gleichzeitiger Aufwertung von Systemen »kollektiver Verteidigung« wie der NATO, in deren Abhängigkeit die WEU agiert, eine Absage erteilt.

Weiterhin hat Militärlogik in den vergangenen Jahren auch im EU-offiziellen Diskurs insgesamt an Terrain gewonnen. Das betrifft auch die Ebene des Europäischen Parlaments (siehe dazu auch Fischer 1996). Nahezu alle Berichte und Entschließungen, die das EP seit Anfang der neunziger Jahre verabschiedete, enthalten Hinweise auf die angebliche Notwendigkeit, die EU gegen nichtmilitärische Risiken und Instabilitäten zu wappnen. Die Forderung von Friedensforschung und -bewegung nach Ausweitung des militärischen Sicherheitsbegriffs wurde also absorbiert und gegen diese selbst gekehrt.

Bilanz der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik

Die Bilanz der bisherigen GASP läßt den Schluß zu, daß zahlreiche Mitgliedstaaten der EU sich bislang primär auf die im Maastricht-Vertrag zuvorderst genannten gemeinschaftliche Ziele – Wahrung der „grundlegenden Interessen der Mitgliedstaaten“ und weniger auf die Sicherung von Frieden, Demokratie und Menschenrechten ausgerichtet haben. Das zeigte sich bei der fatalen, konfliktverschärfenden und an nationalen Einflußinteressen orientierten Allianzpolitik der westeuropäischen Regierungen im Umgang mit den kriegführenden Parteien im ehemaligen Jugoslawien, aber auch in einem ambivalenten Umgang der EU-Staaten mit den angrenzenden Regionen und der Gestaltung ihrer Beziehungen mit der dritten Welt (vgl. Fischer 1996: 12ff). Es ist zu befürchten, daß sich diese Tendenz mit Maastricht II sogar noch verstärken könnte. Damit würde die EU den gegenwärtigen internationalen Herausforderungen, nämlich zur Eindämmung der Krisen beizutragen, die sich weltweit und auch in unmittelbarer Umgebung der EU nach jahrzehntelanger Unterdrückung zunehmend in (Bürger-)Kriegen entladen.

Neben zwischenstaatliche Auseinandersetzungen treten vermehrt solche, in denen sich inner- und zwischenstaatliche Konflikte vermischen. Es steht die Frage im Raum, was seitens der EU getan werden kann, um Gewalteskalation und Menschenrechtsverletzungen vorzubeugen und Einhalt zu gebieten. Die Herausforderung besteht in der Verwirklichung einer »internationalen Zivilgesellschaft« im Sinne einer Weltgesellschaft, die nicht die Verteidigung bestehender Hierarchien, Privilegien und Wohlstandsgefälle betreibt, sondern im Sinne des Ausgleichs von Lebenschancen, von nachhaltiger Entwicklung und von nichtmilitärischen Formen der Konfliktbearbeitung gestaltet wird.

Wenn man ernsthaft nach Handlungsoptionen sucht, wie die EU zur Prävention und Eindämmung von Gewalt beitragen kann, so muß man den engen Blickwinkel auf die GASP, die uns als offizielles Konstrukt mit Maastricht I im Rahmen einer fragwürdigen »Säulenstruktur« vorgegeben wurde, überwinden. Alle drei Säulen der EU-Politik haben außenpolitische Implikationen, nicht nur die GASP, sondern auch die Innen- und Justizpolitik sowie die Agrar- und Außenhandelspolitik. Unabdingbare Voraussetzung für konfliktpräventive und zivile Außenpolitik ist eine stärkere Verbindung der bisher voneinander getrennten Säulen in den Außenbeziehungen.

Friedenspolitische Herausforderungen für die EU

Um Gewalt und Krieg im Umgang mit zwischen- und innerstaatlichen Konflikten in der Welt vorzubeugen, bedarf es in erster Linie der Bewältigung ihrer Ursachen. Konfliktursachen bilden häufig Armut und Mangel an Entwicklungsperspektiven und soziale Ungleichheit. Erst in zweiter Linie kommen meist im Verlauf von Eskalationsprozessen und konfliktverschärfend kulturelle, religiöse und ethnische Konfliktpotentiale ins Spiel. Darüber hinaus gibt es Anzeichen dafür, daß in vielen Teilen der Welt Gewalt auch aus der Dynamik der westlichen industriellen Metropolen entspringt, von denen ein Anpassungsdruck ausgeht, der die Menschen überfordert und in Kämpfe zur Wahrung ihrer Identität treibt (vgl. dazu ausführlicher Siegelberg 1994).

Wenn man ernsthaft an einer Überwindung von Konfliktursachen interessiert ist, kommt man um eine Neukonzeption von Entwicklungspolitik und von Außenhandelspolitik nicht umhin. Diese Politikbereiche aber sind gar nicht Gegenstand der Regierungskonferenz der EU – allen Forderungen entwicklungspolitischer NGOs zum Trotz. Diese forderten immer wieder erfolglos, dieses Politikfeld in die Agenda für Maastricht II mit aufzunehmen und Artikel 113 auf den Handel mit Waren und Dienstleistungen auszudehnen. Als Voraussetzung dafür, daß eine für die Dritte Welt günstigere Handelspolitik auf den Weg gebracht werden kann, erachten sie die Bereitschaft der EU-Mitgliedstaaten, den zunehmenden Verarmungsprozessen im Zuge globaler Liberalisierung der Märkte auf Betreiben transnationaler Unternehmen politisch entgegenzuwirken.

Konfliktprävention durch die gerechte Gestaltung von Handelsbeziehungen

Der effektivste Beitrag zur Konfliktprävention und Eindämmung würde von den westlichen Industriestaaten und damit auch von Staatenorganisationen wie der EU dadurch geleistet werden, daß durch die gerechtere Gestaltung von Handelsbeziehungen einerseits sowie durch aktive Hilfemaßnahmen in den konfliktträchtigen Regionen andererseits wirkliche Entwicklungsprozesse angeschoben werden, welche Voraussetzungen für Prozesse gesellschaftlicher Zivilisierung (Demokratisierung, politische Partizipation, soziale Gerechtigkeit, ökologisches Wirtschaften) schaffen. Es ist also auch danach zu fragen, wie die von den industriellen Metropolen ausgehende Dynamik „dahingehend beeinflußt werden kann, daß sie friedensverträgliche Züge annimmt und die Grundbedürfnisse nach Überleben, Wohlfahrt, Gerechtigkeit, Identität und Ausgleich mit der Natur achtet“ (Birckenbach u.a. 1994: 16).

Die EU müßte folglich eine »internationale Strukturpolitik« betreiben, die Chancen für gesellschaftliche Fortentwicklung und soziale Sicherung eröffnet und sich für eine Reform der globalen ökonomischen und finanzpolitischen Institutionen, aber auch des UN-Systems einsetzt. Es geht nicht einfach um eine Vervielfachung der Ausgaben für die Fortsetzung bisheriger Entwicklungshilfeleistungen, sondern um eine Veränderung des Wirtschaftens im Norden selbst auf der Grundlage von Selbstbeschränkung und um die Konzipierung eines ökonomisch-technologischen Anschubs bei gleichzeitiger Einmischung und Druck auf neokoloniale Eliten in den Ländern des Südens.

Mit Instrumenten einer solchen internationalen Strukturpolitik kann nicht nur Armutskonflikten vorgebeugt, sondern auch auf eine Deeskalation bereits gewaltsam eskalierter Konflikte hingewirkt werden – etwa mit positiven Anreizen, die den Frieden für die Konfliktparteien attraktiver machen als den Krieg, in Form von wirtschaftspolitischen Hilfen. Die Wirkung solcher positiver Anreize muß sorgfältig gegen die Auswirkungen von negativen Sanktionen wie Boykotten und Embargos abgewogen werden. Instrumente internationaler Strukturpolitik können überdies zur Konsolidierung eines dauerhaften Friedens beitragen: Handelsbegünstigungen, Entschuldungsmaßnahmen oder materielle Wiederaufbauhilfen können zur Ankurbelung der Wirtschaft und zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen und so neue Verteilungskämpfe um knappe Ressourcen vermeiden helfen. Die Finanzierung von Projekten zur Verständigung verfeindeter Gruppen kann Voraussetzungen dafür schaffen, daß Verständigungs- und Versöhnungsprozesse in zerrissenen Gesellschaften in Gang kommen.

Unterstützungsprogramme, wie sie die EU in den vergangenen Jahren für Osteuropa, die GUS oder die Mittelmeerregion initiiert hat, enthalten dafür ausbaufähige Ansätze. Das Hilfsprogramm PHARE umfaßt Zuschüsse für demokratische und wirtschaftliche Reformen, technische- und Infrastrukturhilfe für Industrie, Finanzsektor, Landwirtschaft und Umweltschutz in den Mittel- und Osteuropäischen Ländern.4 Im Rahmen des »Stabilitätspakts«5, den die EU mit den mittel- und osteuropäischen Staaten einging, wurde die Bestimmung der Mittel teilweise ausgeweitet. Zum einen sollen sie die Voraussetzungen für den EU-Beitritt schaffen. Zum anderen werden konkrete Projekte gefördert, welche die Ziele des Paktes (friedliche Streitbeilegung) umsetzen sollen. 200 Mio. ECU wurden dafür zunächst von der EU bereitgestellt. Die vom ständigen Rat der OSZE 1995 ausgearbeiteten Leitlinien und Beschlüsse widmen sich vor allem dem Ausbau des Instruments der regionalen »runden Tische« zur Behandlung von Meinungsverschiedenheiten und Konflikten.

Das PHARE-Programm wurde bislang von der EU-Kommission koordiniert. Auf eine Initiative des EP hin wurde mit PHARE ein Programm zur Förderung demokratischer Strukturen verknüpft, das auch regierungsunabhängige Organisationen in jenen Ländern einbezieht.6 Das PHARE-Programm und auch die im Rahmen des TACIS-Programms (Technical Assistance for the CIS) für die GUS geleistete »Entwicklungshilfe« bilden einen Schritt in die richtige Richtung, weil sie die Gesellschaftswelt mit einbeziehen. Sie enthalten konstruktive Ansätze im Sinne der Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen und können damit als Bausteine konfliktpräventiver Politik bewertet werden, wenngleich die dafür bereitgestellten Mittel gemessen am Bedarf einfach nicht ausreichend sind.

Auch das zur Förderung der an die EU angrenzenden Regionen im Mittelmeerraum initiierte MEDA-Projekt enthält – bei aller damit verbundenen Ambivalenz (vgl. dazu Telkämper 1994, 1996 und Falk 1995) – ausbaufähige Ansätze; gleichwohl hängt der Erfolg einer »Europa-Mittelmeer-Partnerschaft« entscheidend davon ab, ob die EU sich auf die Durchsetzung einer »Freihandelszone« beschränkt, welche die eigenen Absatzinteressen bedient, oder ob sie langfristig Kooperationsprojekte initiiert, deren Wirkungsbereich in den Mittelmeerdrittländern selbst liegt und dort nachhaltige Entwicklung in Gang zu setzen vermag.

Das wiederum setzt voraus, daß die wirklichen Ursachen für Armut und Konflikte zur Kenntnis genommen werden. Die seit 1972 betriebene Mittelmeerpolitik der EU hat in den vergangenen Jahren selbst zur Verschuldung und (durch massive EU-Exporte subventionierter Lebensmittel bei gleichzeitigen Einfuhrbeschränkungen für Nahrungsmittel und Textilien) zur wachsenden Abhängigkeit, anstatt zur Selbstversorgung der nordafrikanischen Staaten beigetragen.

Betrachtet man die Entwicklungspolitik der EU insgesamt, so wird ein weiteres Problem deutlich: Die Investition in die »Stabilisierung« der angrenzenden Regionen erfolgt keineswegs zusätzlich zu den bisherigen Aufwendungen in diesem Bereich, sondern zu Lasten der Finanzmittel, die für die übrigen bedürftigen Regionen benötigt werden. Für die finanzielle und technische Unterstützung Mittel- und Osteuropas wurden für den Zeitraum bis 1999 etwa 7 Mrd. Ecu veranschlagt, für den Mittelmeerraum 5,5 Mrd.: „Bei einem Haushaltsvolumen von insgesamt 18 Mrd. Ecu bleiben gerade mal 5,5 Mrd. Ecu für die restliche Welt, in der der Mercosur zukünftig vielleicht die gewichtigste Rolle spielen könnte“ (Meyer 1995: 4).

Die EU wurde damit der im Maastricht-Vertrag enthaltenen Verpflichtung, eine „nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung (…) insbesondere der am meisten benachteiligten Entwicklungsländer“ zu fördern und Frieden und Sicherheit weltweit zu sichern, nicht gerecht. Vielmehr konstatiert die entwicklungspolitische Organisation Oxfam zu Recht, die Konzentration seitens der EU auf die angrenzenden Regionen habe so disproportionale Ausmaße angenommen, daß sie die EU von der Entwicklung einer globalen Außenpolitik abgehalten habe. Man habe es außerdem versäumt, diese auf die Prävention und Beseitigung von Konfliktursachen auszurichten. Das habe dann die von der EU selbst beklagte mangelnde »Kohärenz« zwischen Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfsmaßnahmen nach sich gezogen (vgl. Oxfem 1996: 7).

Diese Erkenntnis und die Überzeugung, daß nach neuen Ansätzen zur Bearbeitung von Konfliktursachen gesucht werden müssen, setzt sich zumindest bei MitarbeiterInnen der EU-Kommission inzwischen immer mehr durch. Hoffnungsvoll stimmen neuere Initiativen der Kommision in Somalia (vgl. Paffenholz 1997). Nach dem Scheitern der internationalen Politik in Somalia bemühte sich die EU-Kommission um einen Ansatz, der friedenspolitische und entwicklungspolitische Maßnahmen miteinander verbindet: Sicherung von Grundbedürfnissen aller Bevölkerungsgruppen gilt als Voraussetzung für den Friedensprozeß; Existenzsicherung von Ex-Kombattanten, vor allem die Schaffung von Alternativen für Milizionäre und arbeitslose Jugendliche, deren Perspektivlosigkeit eine ständige Bedrohung für die Zivilgesellschaft darstellt, bilden wichtige Bestandteile des Engagements des »Somalia-Units« der Kommission.

Aufbau zivilgellschaftlicher Strukturen in Konfliktregionen fördern

Der massive Ausbau von Ansätzen, die gesellschaftliche Akteure als Träger von Entwicklungsprozessen miteinbeziehen und Lernprozesse zur Demokratisierung begünstigen können, wäre eine der wichtigsten Handlungsoptionen für eine zivile Außenpolitik der EU. Die bisherigen Unterstützungsprogramme für Osteuropa und die GUS oder auch für die Mittelmeerregion müssen fortgesetzt und ausgebaut werden, sie dürfen aber nicht durch Einsparungen von Hilfen für besonders benachteiligte Weltregionen im südlichen Afrika, Asien und Lateinamerika finanziert werden. Der Stabilitätspakt und die daran geknüpften Hilfsprogramme müßten vielmehr auf Afrika erweitert werden.

Die EU müßte sich außerdem mit Nachdruck für den Ausbau eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems im Rahmen der OSZE engagieren. Das bedeutet, die OSZE finanziell, konzeptionell und personell deutlich zu stärken, anstatt in Konkurrenz zu ihr zu treten.

Die Maßnahmen, welche die OSZE bei der Prävention und Deeskalation von Konflikten in Osteuropa und der GUS-Region (etwa im Baltikum und in Moldavien, vgl. dazu jeweils die Beiträge von Birckenbach und von Troebst in »Wissenschaft & Frieden« 1/97) aufzuweisen hat, sind ein Schritt in die richtige Richtung und daran ist anzuknüpfen. Wenn gewaltsame Eskalation verhindert werden soll, sind Verfahren der Vermittlung durch dritte Parteien verstärkt zum Einsatz zu bringen sowie zivilgesellschaftliche Strukturen in Konfliktregionen zu stärken und Verknüpfungen mit NGOs und sozialen Bewegungen herzustellen.

Eine wichtige Voraussetzung für effektive Präventionsmaßnahmen wären Institutionen zur frühzeitigen Erkennung von Konflikten, die eine genaue Analyse der Ursachen und der Rolle der beteiligten Akteure liefern und darüber hinaus friedensorientierte gesellschaftliche Gruppen und Akteure ausmachen, die der Eskalation entgegenwirken, Versöhnungsprozesse in Gang setzen und daher Unterstützung verdienen. Die Einrichtung eines Konfliktverhütungszentrums auf EU-Ebene, das die Zusammenstellung von Informationen und die Erarbeitung von Vorschlägen zur Gewaltprävention und zur zivilen Konfliktbearbeitung vornimmt, wäre – sofern es sich mit den entsprechenden Aktivitäten der OSZE bzw. der in ihrem Umfeld wirkenden NGOs koordinieren würde – im Prinzip zu begrüßen. Ein solches Zentrum müßte allerdings, wie es das EP 1995 in einer Entschließung gefordert hat, bei der Kommission angesiedelt werden und nicht beim Generalsekretariat des Rats. Die jetzt anvisierte »Planungs- und Analyse-Einheit« auf Rats-Ebene wird den eigentlichen, oben skizzierten Anforderungen nicht gerecht: Die Einbindung der zivilgesellschaftlichen Ebene, wie sie bei der Kommission gegeben wäre, muß zwangsläufig entfallen.

Angesichts der sich abzeichnenden, wenig optimistisch stimmenden Ergebnisse der Regierungskonferenz ist die gesellschaftliche Ebene erst recht gefordert, auch über die Etablierung alternativer Foren für zivile Konfliktbearbeitung nachzudenken. Erstrebenswert wäre die Verknüpfung der Aktivitäten von NGOs, die auf europäischer Ebene tätig sind, mit einer zu schaffenden OSZE-Stiftung, wie sie von Norbert Ropers schon vor Jahren angeregt und von Dieter Bricke der außenpolitisch zuständigen Generaldirektion IA der EU-Kommission bereits 1995 vorgeschlagen wurde.7 So würde die Durchführung von Maßnahmen zur Gewaltprävention, ziviler Konfliktbearbeitung und -Nachsorge durch private Träger im Rahmen einer gesamteuropäischen Stiftung ermöglicht. Die Aufgabe einer solchen Stiftung bestünde im Aufbau und Unterhalt einer Vermittlungsstelle für Friedensfachkräfte, die in den Landessprachen von Konfliktbeteiligten, in Mediationstechniken und in Völkerrechtsfragen speziell geschult und auf freiwilliger Basis in Konfliktregionen eingesetzt werden.

Auch das von EP-Abgeordneten angeregte Projekt zur Etablierung eines »European Civil Peace Korps« könnte mit diesem Stiftungsprojekt verbunden werden. Die Initiative war seinerzeit vom grünen Europa-Abgeordneten Alexander Langer angeregt worden und ist entsprechend einer Empfehlung des Koordinators des »International Peace Training« – Programms in Schlaining konzeptionell weiterentwickelt worden (vgl. Truger 1996). Es ist beabsichtigt, das ECPC als ein offizielles Gremium auf EU-Ebene zu verankern und dieses aus dem Gemeinschaftshaushalt und seitens der Mitgliedstaaten zu finanzieren. Es soll unter dem Mandat der UNO oder der OSZE zum Einsatz kommen und auf keinen Fall der WEU unterstellt werden.

Im EU-offiziellen Sicherheitsdiskurs wird das ECPC leider immer wieder unter der Rubrik einer Ergänzung der militärischen »Verteidigung« subsumiert. Von der Reflexionsgruppe etwa wird es in die Aufzählung militärischer Sicherheitspolitik-Kapazitäten, zwischen den Ausbau von »Joint-Task-Forces« und »Rüstungszusammenarbeit« eingebettet. Auch auf Parlamentsebene wird es immer wieder als Komponente einer »Verteidigungspolitik« diskutiert. Im auswärtigen Ausschuß brachte im Dezember 1996 der Abgeordnete Depuis sogar den Vorschlag ein, man möge Rat und Kommission beauftragen, die Aufstellung eines »European Peace Corps« zu prüfen, das sowohl zivile als auch militärische Elemente kombinieren und in Zusammenarbeit mit der WEU für »peace-keeping« und »peace-making«-Operationen im Rahmen der »Petersberg-Aufgaben« eingesetzt werden solle. Die ursprüngliche Intention derjenigen, welche die Idee des ECPC aufgebracht und dieses für umfassende Aufgaben des »peace-building« – also zur Stärkung des Aufbaus zivilgesellschaftlicher Strukturen, von Konfliktmanagement-Kapazitäten und Versöhnungsprozessen – konzipiert hatten, ist offensichtlich von einigen Parlamentariern gründlich mißverstanden oder bewußt ignoriert worden.

Um sicherzustellen, daß das ECPC als friedenspolitisches Instrument etabliert werden kann, wird man eine Konstruktion finden müssen, die enge Verbindungen und Mitbestimmung von NGOs und Friedensbewegungen über die Ausbildungs- und Einsatzmodalitäten zuläßt. In enger Verbindung mit diesen gesellschaftlichen Akteuren und mit einem OSZE-Mandat versehen, könnte mit dem ECPC ein sinnvolles Instrument für zivile Konfliktbearbeitung geschaffen werden. Aus der Grünen Fraktion im EP heraus wurde kürzlich auch die Idee aufgegriffen, Ausbildung, Rekrutierung und Einsatzentscheidung für das ECPC der schon erwähnten, neu zu gründenden »OSZE-Stiftung für zivile Konfliktbearbeitung« zu überantworten.

Die EU ist für die Finanzierung derartiger Ansätze natürlich in Anspruch zu nehmen. Mit Appellen an die Staatenorganisation allein ist es aber nicht getan. Schließlich bleiben die EU-Bürgerinnen und Bürger gefordert, die politischen Entscheidungsträger auch auf nationaler Ebene zu einer Umschichtung der Ausgaben für Rüstung zugunsten von Institutionen ziviler Einmischung zu drängen. Für die Konzeption einer zivilen Außenpolitik der EU sind die wichtigsten Voraussetzungen: Der Verzicht auf offensivfähige Militärapparate, eine Politik der Selbstbeschränkung im militärischen Bereich und massive Abrüstungsschritte. Durch Einbeziehung europäischer Atomwaffenarsenale in Abrüstungsverhandlungen, gemeinsame Festlegungen zur Rüstungskontrolle, gemeinsame Programme der Umstellung auf zivile Fertigung, Verzicht auf Rüstungsexporte und Verzicht auf überflüssige Beschaffungsvorhaben wie den Eurofighter könnte die EU einen sinnvollen Beitrag zur Prävention leisten. Nur durch den Abzug der Mittel aus dem militärischen Bereich können Maßnahmen für »zivile Konfliktbearbeitung« in nennenswertem Umfang finanziert und Glaubwürdigkeit überhaupt beansprucht werden. Solange die OSZE nur über ein Tausendstel des NATO- Budgets verfügt und die UNO ein Jahr lang mit den Ressourcen auskommen muß, die die Armeen der Welt an einem Tag verpulvern, behalten Maßnahmen ziviler Konfliktbearbeitung weiterhin den Charakter des berühmten Tropfens auf den heißen Stein.

Literatur

Birckenbach, Hanne-Margret u. a. (1994), Im Brennpunkt: Nichtmilitärische Konfliktbearbeitung, in: Dies. u. a. (Hg.), Jahrbuch Frieden 1995, München, S. 9-16.

Falk, Rainer (1995): Ein Euro-Mediteraner Wirtschaftsraum? Neue Strategie für die Südflanke. in: WEED, Informationsbrief für Weltwirtschaft und Entwicklung, Sonderdienst Nr. 2, Januar, S. 1-3.

Fischer, Martina (1996): Bausteine für eine zivile Außenpolitik der Europäischen Union: Die Bilanz der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und mögliche Perspektiven: Gewaltprävention, konstruktive Konfliktbearbeitung und internationale Strukturpolitik als Beitrag zur „internationalen Zivilgesellschaft“. Gutachten anläßlich der Regierungskonferenz zur Revision des Maastricht-Vertrags im Auftrag des Arbeitskreises „Außen- und Sicherheitspolitik“ der Grünen Fraktion im Europäischen Parlament, Brüssel (i. E.)

Meyer, Sabine (1995): EU-Außenpolitik nach Essen: Geopolitische Hierarchisierung, in: WEED, Informationsbrief für Weltwirtschaft und Entwicklung, Sonderdienst Nr. 2, Januar, S. 4.

Mutz, Reinhard (1996): Friedenssicherung in Europa, in: Schuster, Joachim / Weiner, Klaus-Peter: Maastricht neu verhandeln, Köln, S. 96-109.

Oxfam United Kingdom and Ireland (1996): A Global Foreign Policy for Europe. An Oxfam briefing for the 1996 European Union Inter-Governmental Conference, London/Oxford.

Paffenholz, Thania (1997): Friedenspolitische Ansätze der Europäischen Union in Somalia, in: Friedensforum, Jan./Feb., S. 16.

Rummel, Reinhardt (1996): Common Foreign and Security Policy and Conflict Prevention, published by Saferworld/International Alert, London, May.

Siegelberg, Jens (1994): Ethnizität als Kriegsursache: Realität oder Mythos?, in: Birckenbach, Hanne-Margret u.a. (Hg.), Jahrbuch Frieden 1995, München, S. 29-41.

Telkämper, Wilfried (1995): Süderweiterung um jeden Preis? Die „Mittelmeerpolitik“ der Europäischen Union, Thesenpapier, Freiburg, November.

Telkämper, Wilfried (1996): Stellungnahme für den Entwicklungsausschuß zum Bericht Dury/Maij-Weggen bezüglich der Regierungskonferenz, 13.03.1996.

Truger, Arno (1996): The concept of a European Civilan Peace Corps, Policy Paper v. 01.07.1996 (draft EP).

Weiner, Klaus Peter (1994): Gemeinschaftskunde. Die Europäische Union zwischen Schadensaufnahme und Rekonstruktion, in: Blätter für Deutsche und Internationale Politik, Heft 4, S. 462-468.

Eine Liste mit weiteren Angaben zur Literatur sowie zu Dokumenten und Materialien zur GASP kann bei der Redaktion angefordert werden.

Anmerkungen

1) Allgemein wird von den Regierungen der Mitgliedstaaten ein Mangel an Planungskapazität der EU bezogen auf die GASP konstatiert, weil bislang außenpolitische Fragen in unterschiedlichen Gremien der Kommission, des Rates, dem Ausschuß der ständigen Vertreter der nationalen Regierungen bei der EU, des politischen Komitees und des Ratspräsidenten diskutiert werden. Zurück

2) EP: A4-0135/95: Entschließung zur Gründung eines Zentrums der EU zur Erforschung und aktiven Verhütung von Krisen, 14.6.1995. Zurück

3) Mit der Annahme des Boulanges/Martín Reports am 17. Mai 1995 hatte sich das EP erstmalig für die Etablierung eines solchen »European Civil Peace Corps« (ECPC) ausgesprochen. Zurück

4) PHARE (Polish Hungarian Assistance for Recovery Economies) wurde 1989 von den 24 OECD-Staaten beschlossen. Es war ursprünglich nur auf Polen und Ungarn bezogen und wurde schließlich auf alle Staaten Mittel- und Osteuropas und auch auf die Gebiete des ehemaligen Jugoslawiens ausgedehnt. Zurück

5) Der „Stabilitätspakt“ geht zurück auf einen Vorschlag des französischen Premierministers Balladur. Er wurde unter dem Eindruck des Versagens bei der Prävention im ehemaligen Jugoslawien von EU-Beamten weiterentwickelt und im November 1993 als „gemeinsame Aktion“ der EU angenommen. Als Leitlinien wurden formuliert: Stabilität, Stärkung von Demokratisierungsprozessen, Ausbau der regionalen Kooperation in Mittel- und Osteuropa, Regelung von Minderheitenfragen, Gewährleistung der Unverletzlichkeit von Grenzen. An der Eröffnungskonferenz über den Stabilitätspakt im Mai 1994 nahmen Vertreter der 52 OSZE-Staaten und von internationalen Organisationen teil. Die EU schreibt sich darin die Rolle eines Moderators zu und agiert dabei in enger Absprache mit OSZE und Europarat. Bei der Abschlußkonferenz im März 1995 in Paris wurde der Pakt angenommen, und die OSZE wurde mit der Aufgabe betraut, seine Durchführung zu verfolgen. Vgl. dazu ausführlich Ehrhart (1996). Zurück

6) Für 1995 wurden 8 Mio ECU für 50 Makro- und 100 Mikro-Projekte bereitgestellt. Im Rahmen der Mikro-Projekte können NGOs direkt unterstützt werden. Dazu im Detail Rummel (1996), S. 23. Das PHARE-Rahmenprogramm für 1996 war schließlich mit 1 Mrd ECU ausgestattet. Zurück

7) Diese Stiftung sollte sich – so lautet der Vorschlag – aus Spenden, Mitteln der Mitgliedstaaten und zusätzlich auch aus Mitteln der „Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung“ und aus dem Regionalfonds der Europäischen Union finanzieren. Die Stiftung soll von international anerkannten Persönlichkeiten der Friedenspolitik, gewählten Vertretern europäischer Menschenrechtsorganisationen bzw. Friedensdiensten und aus Mitgliedern des Forums für Sicherheitskooperation der OSZE getragen werden. Zurück

Dr. Martina Fischer ist Politologin und hat sich in verschiedenen Einrichtungen der Friedens- und Konfliktforschung mit westeuropäischer Sicherheitspolitik beschäftigt.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1997/2 Quo vadis Europa, Seite