W&F 2015/1

Garantinnen für nachhaltigen Frieden?

Afrikanische Friedensaktivistinnen in Liberia

von Rita Schäfer

Seit der Verabschiedung der Resolution 1325, »Frauen, Frieden und Sicherheit«, durch den UN-Sicherheitsrat im Oktober 2000 gewinnt die Anerkennung von Friedensstifterinnen international an Bedeutung. Sowohl in der friedenspolitischen Lobbyarbeit als auch in der Forschung werden Friedensstifterinnen allerdings oft idealisiert. Vielfach gilt schon die größere Präsenz von Frauen bei Friedensverhandlungen als Beitrag zu nachhaltigem Frieden. Diese Grundannahme wird jedoch kaum überprüft und hält in der Praxis oft nicht stand, wie dieser Beitrag am Beispiel Liberia zeigt.

Schon 1985, auf der internationalen Abschlusskonferenz der Weltfrauendekade (1975-1985) in der kenianischen Hauptstadt Nairobi, verlangten verschiedene afrikanische Frauenorganisationen ein Ende der Kriege auf ihrem Kontinent. Mit ihrer Forderung knüpften sie an das Motto der Weltfrauendekade an: »Frauen, Entwicklung und Frieden«. In dieser Zeit führten insbesondere im südlichen Afrika anti-koloniale Guerillagruppen gegen die dortigen Siedlerregime Unabhängigkeitskriege, die zugleich Stellvertreterkriege der Weltmächte im Kontext des Kalten Krieges waren. Dem Anliegen von Frauenrechtlerinnen aus bereits unabhängigen Staaten in West- und Ostafrika, die Gewalt zu beenden, kam damit besonderes Gewicht zu.

Wenige Jahre später mobilisierten sich – u.a. angesichts des grenzübergreifenden Krieges in Liberia und Sierra Leone – afrikanische Friedensaktivistinnen und bildeten neue Netzwerke. Internationale Bedeutung erhielt die 1994 in Dakar gegründete Federation of African Women Peace Networks, in der Aktivistinnen zur Vorbereitung der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 kooperierten. Die Aktionsplattform von Peking enthielt Forderungen zum Schutz von Frauen in Kriegen und Nachkriegsgesellschaften. Hierauf bauten afrikanische Frauenrechtlerinnen auf, die an der Formulierung der UN-Resolution 1325 mitarbeiteten. Im Jahr 2000 fand in der namibischen Hauptstadt Windhoek ein internationaler Workshop zu friedenspolitischen Fragen statt, der Afrikanerinnen und Vertreter_innen der Vereinten Nationen zusammenbrachte, die dort Kernpunkte der kurz darauf verabschiedeten UN-Resolution 1325 diskutierten. Die Mitwirkung von Frauen in Friedensprozessen zählt auch zu den Zielen der Frauendekade 2010-2020 der Afrikanischen Union. Allerdings bleibt die Umsetzung eine große Herausforderung, ordnen doch Staatschefs und Warlords zur Durchsetzung ihrer militärischen, machtpolitischen und ökonomischen Interessen in und nach gewaltsamen Konflikten auch weiterhin häufig geschlechtsspezifische Gewalt an.

Bürgerkrieg in Liberia 1989-2002

Liberia war die erste Republik Afrikas, sie wurde 1847 von freigelassenen Sklaven_innen vor allem aus Nordamerika gegründet. Die Americo-Liberianer_innen, die in der Haupt- und Hafenstadt Monrovia lebten, dominierten mit eigenen Patronagenetzen Politik und Wirtschaft. Sie pflegten einen kulturellen Überlegenheitsdünkel gegenüber den Ethnien im Landesinneren. In diesen kleinbäuerlichen Gesellschaften hatten alte Männer der landbesitzenden lokalen Elite das Sagen. Frauen- und Männergeheimorganisationen trugen u.a. mit kollektiven genitalen Mädchen- und Jungenbeschneidungen im Rahmen von Initiationszeremonien vielerorts zur Manifestation gesellschaftlicher Hierarchien und Geschlechterasymmetrien bei. Proteste der Landbewohner wegen der grassierenden Armut und des mangelhaften Gesundheits- und Bildungssektors wurden militärisch niedergeschlagen. 1980 putschte das Militär unter Hauptfeldwebel Samuel Doe, einem Mann aus dem Landesinneren. Er schuf dort neue Patronage- und Klientelnetzwerke; sein weit verzweigter Sicherheitsapparat terrorisierte vielerorts die Bevölkerung.

Ab Ende 1989 eroberten Kämpfer der neu gegründeten National Patriotic Front of Liberia (NPLF) unter Charles Taylor einzelne Landesteile. Über illegale Kautschuk-, Holz- und Erzgeschäfte mit französischen und chinesischen Konzernen, Verwicklung in den internationalen Drogenhandel, Geldwäsche und den Zugang zu den Diamantenminen im Nachbarland Sierra Leone finanzierte Taylor seine Kampfgruppen. Die NPLF rekrutierte desillusionierte Jugendliche. Davon waren je nach Kategorisierung des Kampfstatus zwischen zwei und zehn Prozent Frauen und Mädchen.

Gegen Taylor kämpfte die liberianische Armee, deren Oberbefehlshaber Doe bereits im September 1990 ermordet wurde. Im Lauf der Kriegsjahre formierten sich immer neue Kampfgruppen, zudem spalteten sich Milizen von Guerillaeinheiten ab und bildeten temporäre Allianzen mit flexiblen Namen. Auch in den verschiedenen Milizen wirkten Frauen und Mädchen mit; ähnlich wie bei der NPLF variieren die Angaben zu ihrem Anteil. Alle an Macht und Ressourcenkontrolle interessierten Guerillachefs ordneten sexualisierte Gewalt als Kampftaktik an. Truppen der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS sollten Anfang der 1990er Jahre für ein Ende der Gewalt sorgen, trugen aber nicht zur Deeskalation bei. 1997 wurden umstrittene Parlaments- und Präsidentschaftswahlen abgehalten, daraus ging Taylor siegreich hervor. Unter neuen Vorzeichen wurde der Krieg noch bis 2002/2003 fortgesetzt.

Erfolgreiche Friedensaktivistinnen?

Die 2002 gegründete internationale Kontaktgruppe zu Liberia, an der ECOWAS, die Afrikanische Union, die Vereinten Nationen und die Europäische Union beteiligt waren, bemühte sich um einen Friedensschluss. Am 18. August 2003 vereinbarten Vertreter der Konfliktparteien das Friedensabkommen von Accra. Es legte der einzurichtenden Übergangsregierung eine Generalamnestie für alle Kriegsakteure nahe und empfahl anstatt der Strafverfolgung die Einrichtung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission. Am Friedensabkommen waren Politiker, Milizchefs und einige Friedensaktivistinnen des Mano River Women’s Peace Network (MARWOPNET) beteiligt. Das war ein Zusammenschluss von Friedensaktivistinnen aus Liberia, Sierra Leone und Guinea; die Repräsentantinnen aus Monrovia waren vor allem gebildete Americo-Liberianerinnen. Während des Krieges hatten sie über vergleichsweise privilegierte Überlebensmöglichkeiten verfügt, die Liberianerinnen aus dem Landesinneren oder Flüchtlingsfrauen in den Nachbarländern nicht beanspruchen konnten.

Neben MARWOPNET bemühten sich in Accra Vertreterinnen des Women in Peace Building Network (WIPNET) um Frieden, sie waren aber nicht offiziell zu den Verhandlungen eingeladen. WIPNET war die 2002 gegründete Frauenabteilung innerhalb des 1998 von Männern gebildeten und dominierten West African Network for Peace Building (WANEP). WIPNET-Vertreterinnen, die verschiedenen Ethnien aus dem Landesinneren Liberias angehörten und aus Liberia nach Ghana geflohen waren, wollten durch informelle Gespräche mit den Warlords auf einen Friedensschluss hinwirken. Diese verweigerten aber jeglichen Dialog und unterstellten den Frauen, sie seien von Männern geschickt worden. Selbst die männlichen WANEP-Vorsitzenden hatten ihren eigenen Mitstreiterinnen wiederholt klar gemacht, sie seien nur der Frauenflügel einer übergreifenden Friedensorganisation, in der Männer das Sagen hätten. Als Reaktion kündigten WIPNET-Frauen in Liberia einen Sex-Streik gegen ihre Ehemänner und Partner an, die ebenfalls in Friedensgruppen aktiv waren.

Gleichzeitig drohten WIPNET-Demonstrantinnen in Accra, sich öffentlich zu entkleiden, was die Männlichkeit der Kriegsherren bloßgestellt hätte und einem Fluch gleichgekommen wäre. In einem Unterpunkt des Friedensvertrags verpflichteten sich die Kriegsgegner daher, den Bedürfnissen von Frauen, Kindern, Alten und Kriegsversehrten zu entsprechen. Es gab aber keine Strategie, wie Geschlechtergerechtigkeit in der Politik und Gesellschaft verwirklicht werden sollte. Außerdem hatten die Kriegsherren eine Generalamnestie durchgesetzt, so dass kein Vergewaltiger für seine Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen werden konnte.

In Liberia betonten WIPNET-Aktivistinnen nach dem Friedensschluss ihre mütterliche Fähigkeit, die Kindersoldaten zur Waffenabgabe zu bewegen. Mit dieser Rollenzuweisung enthob WIPNET männliche Ex-Kombattanten und Ex-Kommandanten ihrer Verantwortung für Gewaltverbrechen. Die Problematik der Kämpferinnen, die sowohl Täterinnen als auch Opfer brutaler Gewalt waren, sowie die sozio-ökonomische Marginalisierung zahlloser vergewaltigter Zivilistinnen blieben unberücksichtigt. Damit näherten sich die WIPNET-Vertreterinnen tendenziell den neuen politischen Machthabern an, die den Status quo – also die Dominanz weniger Männer in allen Machtbereichen – wiederherstellen wollten und Frauen die moralische Erneuerung des Landes aufschulterten.

Zwar sollte die politische Repräsentanz von Frauen gefördert werden, und die Leiterinnen traditioneller Frauengeheimorganisationen sollten sich vor Wahlen nicht mehr von korrupten Politikern kaufen lassen, z.B. mit großzügigen Geschenken in Form von Reis. Dennoch äußerte sich WIPNET nicht zur genitalen Beschneidung und anderen Formen der geschlechtsspezifischen Gewalt oder zur Ungleichheit in ländlichen Gesellschaften. WIPNET löste sich einige Monate nach der Verabschiedung des Friedensabkommens von Accra auf: Der Frieden war erreicht und persönliche Konflikte, die bereits zuvor geschwelt hatten, brachen nun deutlich auf.

Während der Kriegswirren hatte WIPNET die Mass Action for Peace in Monrovia organisiert – tagelange Sit-ins an wichtigen Plätzen und Straßen der Stadt, um Präsident Taylor zur Beendigung der Gewalt aufzufordern. Diese friedlichen Proteste verschafften WIPNET-Vertreterinnen wie Leymah Gbowee nach dem Krieg internationales Ansehen, 2011 wurde sie zusammen mit Ellen Johnson-Sirleaf für ihr Engagement mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

WIPNET hatte sich in der Friedensarbeit um den interreligiösen Dialog bemüht; das Erstarken dieser Organisation von christlichen und nicht christianisierten Frauen aus dem Landesinneren war jedoch nicht konfliktfrei. So fühlten sich vor allem Leiterinnen der bereits im Februar 1994 gegründete Liberian Women’s Initiative (LWI) von den wohlhabenden, christlichen Americo-Liberianerinnen brüskiert und kamen deshalb nicht zu den WIPNET-Massenprotesten in Monrovia. Auch beteiligten sich nur wenige Frauen der moslemischen Minderheit – Händlerfamilien in Monrovia, die im Lauf der Jahrhunderte aus dem Sahelgebiet eingewandert waren – an den WIPNET-Massenprotesten. Demgegenüber hatten Juristinnen der Association of Female Lawyers of Liberia, Lehrerinnen des Forum for African Women Educationalist und Entwicklungsexpertinnen der Women’s Development Association – allesamt aus der americo-liberianischen Bildungselite Monrovias – sich in den 1990er Jahren für den Friedensprozess eingesetzt, alltagspraktische Hilfe für Gewaltopfer und Einkommens- bzw. Bildungsprogramme für Flüchtlingsfrauen in Monrovia geboten. Allerdings standen sie teilweise bestimmten Fraktionen innerhalb der verfeindeten Gruppierungen, wie der NPLF, nahe, was Spannungen zwischen den Frauen zur Folge hatte und ihre übergreifende Zusammenarbeit erschwerte. Diese multiplen Differenzen zwischen den verschiedenen Organisationen, die soziale Gegensätze in der liberianischen Gesellschaft spiegelten, begrenzten auch nach dem offiziellen Friedensschluss 2003 die Möglichkeiten von Frauen, am Aufbau geschlechtergerechter und demokratischer Strukturen mitzuwirken.

Nachkriegsentwicklungen

Die Finanzexpertin Ellen Johnson-Sirleaf wurde am 16. Januar 2006 als erste Präsidentin Liberias und als erste Staatschefin Afrikas vereidigt. Bislang ist es ihr nicht gelungen, Intransparenz und Bereicherung in staatlichen Gremien zu überwinden. Fatal ist die Vernachlässigung des Gesundheitssektors im Landesinneren. Eine unbekannte Zahl der Kinder und Erwachsenen ist HIV-positiv, erhält aber keine Medikamente. Die Misere des liberianischen Gesundheitssektors wurde bei der Ebola-Epidemie 2014 besonders deutlich.

Für mehrere zehntausend Jugendliche und junge Männer gab es nach dem Krieg kaum legale Einkommensperspektiven. Marodierende Jugendbanden sorgten vielerorts für Unruhe; die Demobilisierungs- und Reintegrationsprogramme boten der Gewaltökonomie und dem Einsatz von geschlechtsspezifischer Gewalt als Machtinstrument keinen Einhalt. Der offizielle Friedensschluss brachte also nur einen relativen Frieden. Latente Konfliktpotenziale ergeben sich aus der schwierigen Versorgungslage, ethnischen Spannungen, massiver Ungleichheit in Landbesitz, Einkommen, Bildung und Berufen und daraus resultierenden Armutsproblemen.

Seit dem Kriegsende werden die Leiter_innen lokaler Männer- und Frauengeheimbünde von zahlreichen internationalen Organisationen als Friedensinstanzen hofiert, zumal sie postulieren, sie würden die soziale Ordnung wiederherstellen. Allerdings schließen die mit internationalen Fördergeldern etablierten elitären Privilegiensysteme vor allem junge, arme Männer und Frauen aus rangniedrigen Familien systematisch aus. Die Lebensrealität zahlloser Frauen und Mädchen bleibt weiterhin von Unterdrückung, Ausbeutung und ehelicher Gewalt geprägt. Viele werden zwangsverheiratet und von wieder erstarkten Geheimbundleiterinnen der genitalen Beschneidung unterzogen. Mehrfach traumatisierte und marginalisierte Frauen sind besonders von der hohen Müttersterblichkeit betroffen, denn die Gesundheitszentren sind nur rudimentär ausgestattet. Auch Polizei und Justiz sind für viele Frauen unerreichbar bzw. wegen der Korruption unbezahlbar; häufig können die Frauen nicht Lesen oder Schreiben und kennen ihre Rechte nicht.

Das Ministerium für Gender und Entwicklung, das den nationalen Aktionsplan zur UN-Resolution 1325, den nationalen Aktionsplan gegen geschlechtsspezifische Gewalt sowie entsprechende Gesetze zum Gewaltschutz und gegen genitale Beschneidung umsetzen soll, setzt diese Vorgaben kaum um. Etliche Richter bagatellisieren sexuelle Gewalt und sprechen Angeklagte gegen Zahlung geringer Geldbeträge frei. Liberianische Rechtsexpertinnen gehen davon aus, dass ein nachhaltiger Friede nur möglich ist, wenn die geschlechtsspezifische Gewalt bestraft wird. Dazu wäre Liberia auch mit Blick auf die Ratifizierung internationaler Abkommen und Vereinbarungen der Afrikanischen Union verpflichtet. Die UN-Blauhelmpolizistinnen, die in friedenspolitischen Publikationen zu Symbolfiguren frauenfreundlicher Friedensmissionen erkoren werden, beschränken ihre Einsätze auf einige Stadtteile der Hauptstadt Monrovia, die von Gewalt geprägten Wohnviertel und die ländlichen Provinzen erreichen sie nicht.

Umso wichtiger ist eine Veränderung gewaltgeprägter Maskulinitätskonstrukte, die aus dem Krieg übernommen wurden – noch immer und trotz der traumatischen Folgen gelten Vergewaltigungen als Ausdruck von Virilität. Zwar hatte sich Johnson-Sirleaf dafür eingesetzt, den Frauenanteil im Parlament zu erhöhen, doch selbst wenn die Politikerinnen geschlechtsspezifische Gewalt zum Politikum machen würden, können sich frühere Kriegsherren, die teilweise mitregieren, eigene kriminelle Klientelstrukturen fortsetzen oder neue aufbauen und dabei sexuelle Gewalt als Machtmittel einsetzen, auf ihre Immunität berufen. Straflosigkeit bleibt also auf allen Ebenen ein Strukturproblem.

Fazit

Das Fallbeispiel Liberia lässt Zweifel daran aufkommen, ob die in der UN-Resolution 1325 vorgegebene Partizipation von Frauen in Friedensprozessen ausreicht für die Gewaltüberwindung in Nachkriegsgesellschaften. Wichtig wäre die Kooperation staatlicher und nicht-staatlicher Akteure_innen, um die vor und im Krieg etablierten Gewaltstrukturen zu überwinden. Dabei sollte geschlechtsspezifische Gewalt als ein Element weitreichender Gewaltmuster angegangen werden, denen nur durch umfassende Präventionsansätze und Strafverfolgung gegengesteuert werden kann.

Dr. Rita Schäfer ist freiberufliche Wissenschaftlerin und Autorin der Publikationen »Frauen und Kriege in Afrika. Ein Beitrag zur Gender-Forschung« (Frankfurt, 2008); »Gender and Transitional Justice« (Berlin, 2014); zusammen mit Eva Range »The political use of homophobia« (Berlin, 2014).

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2015/1 Afrika, Seite 34–36