W&F 1997/2

Gernika und die deutsche Schuld

von Juan Gutierrez

Vor 60 Jahren, am 26. April 1937, bombardierten Flugzeuge des faschistischen Deutschlands, der Legion Condor, die nordspanische Stadt Gernika. Fast Dreiviertel der Häuser wurden zerstört, über 1.000 Einwohner – alles Zivilisten – starben. Gernika war seit Jahrhunderten Symbol der Basken und »ihrer Freiheiten«, ihr politisch-kulturelles Zentrum. Mit der Bombardierung dieses Identitätssymbols meinten Franco und Hitler einen wichtigen Zug zu machen zur Terrorisierung und Unterwerfung des Feindes. Daß es sich dabei um ein geplantes Massaker handelte, beweist die Tatsache, daß drei Tage nach Gernika dieselben Flugzeuge die benachbarte Großstadt Bilbao bombardierten, diesmal mit Flugblättern: „Was Deinen Nachbarn geschah, wird Dir morgen geschehen, wenn Du Dich nicht ergibst.“

Doch die Rechnung Francos und Hitlers ging nicht auf. Schon am Tage nach der Bombardierung berichtete »The Times« und mit ihr die Weltpresse ausführlich über den Terrorangriff. Seitdem weiß man, daß man Symbolorte nicht bombardieren darf. Als die USA den ersten Abwurf der A-Bombe planten, stand auf der Zielliste Kyoto, eine heilige Stadt Japans. Experten warnten: „So etwas geht nicht, das weiß man seit Gernika.“ Die Wahl fiel auf die Stadt Hiroshima, die damals keinen Symbolwert hatte.

Da ihre Rechnung nicht aufging, griffen Franco und Hitler zur Lüge. „Gernika ist von den flüchtenden Basken und Republikanern in Brand gesteckt worden“, war die aufgezwungene Version der Sieger während ihrer vierzigjährigen Herrschaft in Spanien. Den überlebenden Zeugen blieb nur Raum für eine »Kultur des Schweigens«. Und doch war es ein spanischer Künstler, der weltweit dauerhaft an Gernika erinnerte: Pablo Picasso mit seinem Guernica-Bild, das entstand, nachdem er kurz vorher eine Art Comic mit dem Titel „Lüge und Größenwahn Francos“ gezeichnet hatte.

Deutschland hat den Nationalsozialismus überwunden und Spanien die Diktatur Francos. Beide sind heute demokratische Staaten, die in der EU zusammenarbeiten. Gernika ist zu einem weltweiten Symbol des Friedens geworden. Trotzdem wurde die Vergangenheit Gernikas in der Bundesrepublik Deutschland lange geleugnet. Die offizielle Politik und Historiker der BRD sahen jahrzehntelang in den Aussagen der deutschen Piloten und den angeblichen Plänen ihrer Kommandeure die einzige Wahrheitsquelle. Danach war das Massaker in Gernika lediglich der »Nebeneffekt« einer normalen Kriegshandlung.

Erst 1987 – 50 Jahre nach dem Massaker – erklärte ein Mitglied des Deutschen Bundestages in Gernika: „Heute stehe ich hier als Deutsche, beschämt … die Bomben der Legion Condor töteten viele, viele Menschen, ein großes Verbrechen wurde hier begangen.“ Es war Petra Kelly, die bald darauf im Bundestag den Antrag auf eine Geste der Versöhnung stellte und vorschlug, ein Friedensforschungszentrum in Gernika zu finanzieren. Ein Antrag, der vergangenheits- und zukunftsbezogen war.

Das Zentrum, für das sich Petra Kelly eingesetzt hat, heißt Gernika Gogoratuz und entstand ohne irgendeine deutsche Hilfe. Über eine Forschungsgruppe sammelte es Lebensberichte von Zeugen und gab das Buch »Kollektives Gedächtnis der Bombardierung Gernikas« heraus. Dadurch erhielten die Überlebenden eine Stimme, und es entstanden Kontakte, die es Gernika Gogoratuz ermöglichten, das erste Treffen der Überlebenden zum 60. Jahrestag der Bombardierung am 27. April 1997 in ihrem Auftrag einzuberufen.

Der Deutsche Bundestag hat im November 1988 – nach der Initiative Petra Kellys – beschlossen, in Gernika als »Geste der Versöhnung« ein »angemessenes Projekt« zu finanzieren. Ein Beschluß, dessen Realisierung immer wieder blockiert und vertagt wurde. Im Oktober 1996 wurde schließlich im deutschen Parlament beschlossen, bis 1999 drei Millionen DM für die Teilfinanzierung einer Sporthalle in Gernika zur Verfügung zu stellen.

Wenn der Wahrheit ausgewichen wird – und dieses Empfinden hatten nicht nur die Überlebenden von Gernika, ist jede Reparationsleistung viel zu viel für den Geber und viel zu wenig für den Empfänger. In diesem Sinne hat das, was die Überlebenden von Deutschland erwarten, mehr mit Würde als mit der Tasche zu tun. Deshalb wandte sich Gernika Gogoturez mit einem Brief und dem Buch »Kollektive Erinnerungen« im Februar an den deutschen Bundespräsidenten. Dr. Roman Herzog griff den Vorschlag des Forschungszentrums auf. Beim Treffen der Überlebenden ließ er durch den deutschen Botschafter in Madrid einen Brief überreichen, in dem er klare Worte findet zur deutschen Schuld bei der Bombardierung, Trauer zeigt über das damit verursachte unsägliche Leiden und die Hand reicht mit der Bitte um Versöhnung.

Damit ist die geschichtliche Wahrheit nicht mehr hinter einem offiziellen Schweigen ausgesperrt. In der Vergangenheit liegt kein Hindernis mehr, für ein zukunftsorientiertes Friedensengagement. Diesem Friedensengagement diente auch die erste Jahresversammlung eines internationalen Netzwerkes zur Förderung von versöhnungsorientierten Prozessen, die einen Tag nach dem Treffen der Überlebenden von Gernika Gogoratuz einberufen wurde.

Organisationen und Personen aus 59 Ländern, darunter viele Deutsche, haben sich im »Netzwerk Gernika« – so der einstimmig beschlossene Name – zusammengeschlossen, um eine zukunfts- und versöhnungsorientierte Arbeit aufzubauen.

Gernika, baskische Schreibweise von Guernica.

Prof. Dr. Juan Gutierrez ist Leiter des Forschungszentrums Gernika Gogoratuz.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1997/2 Quo vadis Europa, Seite