W&F 2022/1

Gewalt gegen Frauen

Immer noch ist das Private nicht politisch

von Gisela Notz

In der übergroßen Mehrheit der Fälle erleben Frauen häusliche Gewalt durch Männer. Dies weist auf große strukturelle Probleme hin und kann nicht mit einer vermeintlichen »Devianz« einzelner Männer erklärt werden. In diesem Beitrag soll es vor allem um die Gewalt gegen Frauen, insbesondere in Partnerschaft und Familie, gehen und darum, warum das Private immer noch nicht politisch ist. Beleuchtet wird die Rolle der Frauen(haus)bewegung und ihr Einfluss auf das politische Handeln zur Ahndung dieser Taten. Abschließend geht es um mögliche Ansätze der Gewaltprävention, die über die verbale Aufgeschlossenheit gegenüber dem Thema hinaus gehen.

Direkte personale Gewalt gegen Frauen ist immer eingebettet in gesellschaftliche, strukturelle und kulturelle Machtverhältnisse. Sowohl kulturelle als auch strukturelle Gewalt können Formen personaler Gewalt beeinflussen, ziehen diese aber nicht automatisch nach sich. Personale Gewalt in Partnerschaft und Familie zeichnet sich daher oft durch ungleiche Machtverteilung zwischen den Ausübenden, meist Männern, und den Betroffenen, meist Frauen, aus.

Die häufigste Form von personaler Gewalt findet im häuslichen Bereich statt. Wobei es sich bei einem Großteil der Täter um den Ehemann bzw. männlichen Lebensgefährten des Opfers handelt. Häusliche Gewalt erleben Frauen jeden Alters, aller Einkommens- und Bildungsschichten sowie ethnischer Herkunft. Lesbische, bisexuelle Frauen, trans- oder intergeschlechtliche Personen sind aufgrund ihrer Mehrfachdiskriminierung oft verstärkt Gewalt ausgesetzt. Dass zwei Drittel aller Frauen in den Frauenhäusern Migrantinnen sind, hat vielerlei Gründe: Sie sind verhältnismäßig ärmer, haben oft keine eigenen sozialen Netzwerke, unterliegen ohnehin Diskriminierungen, z. B. auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt, und haben oft kein eigenständiges Aufenthaltsrecht. Besonders in Lagern (sogenannten »Sammelunterkünften«) sind sie einem hohem Gewaltrisiko ausgesetzt.

Auch häusliche und strukturelle Gewalt sind, vor allem wenn Frauen aufgrund der familistischen Systeme ökonomisch auf die Unterstützung von Männern angewiesen sind, eng miteinander verknüpft. Ebenso spielen kulturelle Aspekte sowohl bei einheimischen als auch bei Gewalttätern, die aus anderen Ländern kommen, eine Rolle, indem sie Taten als »kulturell legitimiert« erscheinen lassen. Laut der Statistik des Bundeskriminalamts (BKA) für das Jahr 2020 lag die Zahl der Fälle partnerschaftlicher Gewalt in der BRD bei 148.031, 80,5 % der Opfer waren Frauen. Jede vierte Frau im Alter von 16 bis 85 Jahren wird mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von körperlicher oder sexualisierter Gewalt (vgl. BAFzA). 139 Frauen wurden im selben Jahr durch (Ex-)Partner getötet. Das heißt, alle zweieinhalb Tage geschieht ein Femizid, ein Mord von Frauen oder Mädchen aufgrund ihres Geschlechts. Hinzu kommen 220 versuchte Femizide. Femizide werden häufig als Familiendrama, Ehrenmord, Trennungstötung, Eifersuchtsdrama etc. heruntergespielt. Das verharmlost, dass Männer »ihre« Frauen ermorden, weil sie glauben, das Recht dazu zu haben. Sie morden vor oder nach Trennungen, weil die Frauen schwanger sind, weil Frauen eigene berufliche Erfolge haben oder eigene Wege gehen wollen. Das Dunkelfeld ist bei allen Straftaten erheblich.

Häusliche Gewalt ist sowohl körperlich als auch seelisch deshalb besonders belastend, weil sie dort stattfindet, wo Frauen und Kindern Schutz und Geborgenheit versprochen wird, und weil sie von einem Mann ausgeht, dem Frauen aufgrund der gängigen Familien- und Paarideologie vertrauen. Um fortgesetzte gewalttätige Übergriffe zu verhindern, ist eine Frau oft gezwungen, sich den Bedürfnissen des Mannes anzupassen, sich seinen Forderungen unterzuordnen, ihren eigenen Lebensraum einzuengen und sogar aufgrund von Schuld- und Schamgefühlen vor sich selbst zu verleugnen. Viele Täter sind „ganz normale Männer“, auch sie kommen aus allen sozialen Schichten (Fiedler 2019), geben sich in der Öffentlichkeit freundlich und hilfsbereit und sind auf den ersten Blick nicht als gewalttätige Menschen erkennbar.

Das Private ist immer noch nicht politisch

Gewalt in der Partnerschaft oder im »sozialen Nahraum«, also in der viel gelobten Familie, ist trotz dieser Verhältnisse und trotz einiger gesetzlicher Änderungen nach wie vor nicht die Gewaltform, der die Öffentlichkeit oberste Priorität einräumt; obwohl sie die häufigste ist, bleibt sie oft verborgen. Familienpolitik stand im Jahr der Bundestagswahlen für alle Parteien im Fokus, nicht nur für die »neuen Rechten«. Davon, dass Familie auch Ort der Gewalt und Unterdrückung ist, wird jedoch bis heute kaum gesprochen. „Wenn Sie Gewalterfahrungen suchen, gleich ob als Opfer oder als Täter, gründen Sie am besten eine Familie“, ist das Fazit, das Kai Bussmann, Professor für Strafrecht an der Universität Halle-Wittenberg, zweifellos zynisch aus seinem Berufsleben zieht und das in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurde (Siegmund-Schultze 2010). Bussmann versichert: „Es gibt in unserer hochzivilisierten Gesellschaft keinen unsichereren Ort als die Familie.“ Die Gewaltkriminalität in Deutschland sei insgesamt rückläufig. Aus dem öffentlichen Raum sei sie jedoch erfolgreicher verdrängt worden als aus dem privaten Bereich. Vom „Schlachtfeld Familie“ sprechen Gewaltforscher*innen in den USA (Ebd.).

Dass überhaupt eine Debatte um Gewalt gegen Frauen und ihre Täter losgetreten wurde, ist ein Verdienst der Frauenbewegungen der 1970er-Jahre; bis dahin war sie ein Tabu. Die Frauen holten das Thema aus der Privatsphäre heraus, enttabuisierten es und gaben den betroffenen Frauen die Möglichkeit zur Artikulierung. Dazu gehörten auch die Kampagnen zur teilweise erfolgreichen Kriminalisierung von Vergewaltigung und anderen Formen sexualisierter Gewalt (Notz 2002, S. 133ff.) sowie die feministische Kritik an der Zwangsheterosexualität.

Die Frauen(haus)bewegung

In den sich in vielen Städten bildenden Frauengruppen wurde ein kollektiver Lernprozess darüber eingeleitet, dass ökonomische und soziale Benachteiligungen und Gewalt gegen Frauen kein persönliches Schicksal, sondern ein öffentliches Politikum seien, das es anzuprangern und zu verändern gelte. Frauen kämpften für das Selbstbestimmungsrecht bei Schwangerschaft, gegen Misshandlung und Gewalt gegenüber Frauen und Kindern und problematisierten die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung im Berufsleben und in der Familie. Die neu geschaffenen Frauenräume dienten nicht nur der individuellen Verbesserung der Situation der Betroffenen, sondern sie wurden als Orte und Zentren für feministische Gesellschaftsveränderung begriffen. Frauen sahen sich nicht in erster Linie als Opfer, sondern als handelnde Subjekte, denen es gelang, ihre Räume für nicht-akademische Schichten zu öffnen.

Die Frauenhausbewegung machte mit Blick auf die Rolle und die Beurteilung der Täter auch darauf aufmerksam, dass patriarchalische gesellschaftliche Verhältnisse keine Entschuldigung für gewalttätige Verhaltensweisen von Männern sein können und dass jeder Mann, auch wenn er in einer frauenverachtenden Umgebung lebt, als Individuum für sein eigenes Verhalten gegenüber Frauen verantwortlich ist.

Gewalt sollte nicht nur politisch bekämpft werden, sondern für von Partnergewalt betroffene Frauen und ihre Kinder sollte eine Alternative zu ihrer von Gewalt, Bedrohung und Demütigung geprägten Lebenssituation geschaffen werden. Frauen sollten Gewalt nicht mehr in den Familien aushalten müssen, sondern Beratungsstellen und Zufluchtsorte vorfinden, die sie davor schützen, nach Misshandlungen zurück zu den misshandelnden Partnern gehen zu müssen.

Mit den 1975 zunächst in Köln und Berlin und dann auch in anderen Städten nach harten Kämpfen eröffneten autonomen Frauenhäusern sollten Zufluchtsräume geschaffen werden, in denen betroffene Frauen Trauer, Zorn und Wut artikulieren konnten sowie Schutz und Hilfestellung bekamen, um über neue Lebensformen außerhalb der Kleinfamilie nachzudenken. Aus den autonomen Projekten wurden Einrichtungen, die in den Kommunen und Landkreisen wegen ihrer kompetenten und engagierten Arbeit mehr und mehr geschätzt wurden. Leider spiegelt sich diese Wertschätzung in den seltensten Fällen in der Finanzierung wider. Das anhaltende Ringen um finanzielle Ressourcen für die Arbeit bindet die Kräfte der aktiven Frauen und raubt ihnen Ressourcen. Allein in der Bundesrepublik suchen jährlich 34.000 Frauen und Kinder in 360 Frauenhäusern und 25 Zufluchtswohnungen mit 6.800 Plätzen Schutz (Statista 2021).

Trotz steigender Zahl von Hilfsbedürftigen ist die Zahl der Frauenhäuser aufgrund finanzieller Notlagen rückläufig. Im Jahr 2004 existierten noch 400 Frauenhäuser in Deutschland. Auch heute sind die Frauenhäuser überfüllt und unterfinanziert. Für Frauen, die sofortige Hilfe benötigen, gibt es keinen Platz. Das ist vor allem deshalb ein Skandal, weil zahlreiche Studien einen Anstieg von häuslicher Gewalt in der Corona-Pandemie bestätigen.

Was tut die Politik?

Es ist ein Verdienst der Frauen(haus)bewegung, dass politische Gremien das Thema »Gewalt gegen Frauen und Kinder« aufgreifen mussten. Einige Maßnahmen und Gesetzesänderungen zugunsten der Opfer von Gewalt folgten. Wie viele der Taten systematisch nicht erfasst werden konnten und aber auch nicht sollten, spiegelt idealtypisch der Fortgang der Beratungen zur Vergewaltigung in der Ehe. Zunächst fehlte überhaupt erst einmal die konzeptionelle Einsicht in das Vorliegen einer strafbaren Tat. Es dauerte bis zum 1. Juli 1997, als nach heftigen emotionsgeladenen Debatten im Deutschen Bundestag und gegen die Stimmen der CDU/CSU Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt wurde und seither wie jede andere Vergewaltigung als Verbrechen gilt. Bis dahin war das Selbstbestimmungsrecht der Frau in der Ehe mit dem Jawort am Standesamt außer Kraft gesetzt. Das war eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers: Als Vergewaltiger wurde in der Bundesrepublik nur bestraft, wer sein Opfer mit Gewalt zum „außerehelichen Beischlaf“ zwang. „Mit uns nie“, hatte der CSU-Politiker Edmund Stoiber noch 1990 bei den Koalitionsverhandlungen erklärt, als FDP-Politiker vorschlugen, die Vergewaltigung in der Ehe zu bestrafen (Steinke 2017). Der Trauschein wirkte wie ein Freibrief und half, Straftaten nicht wie solche zu bewerten und zu verurteilen. Die Täter waren systemisch geschützt. Leider belegen auch heutige Dunkelfeldstudien, dass ein Großteil der Sexualstraftaten in der Ehe weiterhin nicht zur Anzeige kommt. Entgegen dem geltenden Straf- und Zivilrechts findet sich noch immer die Behauptung, Vergewaltigung in der Ehe könne es gar nicht geben, da eine ständige sexuelle Bereitschaft Bestandteil des Ehevertrags sei (Deutscher Bundestag 2008, S. 8).

Internationale Frauenverbände setzen sich seit Jahrzehnten für einen besseren Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt ein. Deutschland hat sich mit 44 weiteren Staaten mit der Unterzeichnung der Istanbul-Konvention des Europarates im Jahr 2011 dazu verpflichtet, Frauen vor Gewalt durch den Partner zu schützen und häusliche Gewalt zu bekämpfen.

Mit dem Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen hatte die Bundesregierung im Dezember 1999 ein Konzept für alle Ebenen der Gewaltbekämpfung vorgelegt (BMFSF 1999). Sie wollte deutlich machen, dass es um strukturelle Veränderungen gehen muss, nicht mehr wie bisher um vereinzelte, punktuelle Maßnahmen, die die Komplexität des Gewaltgeschehens außer Acht lassen. Einige gesetzgeberische Maßnahmen – das betrifft z. B. häusliche und sexuelle Gewalt sowie Frauenhandel – sind bereits verbessert worden. Das Gewaltschutzgesetz (GewSchG) vom Januar 2002 enthält eine Anspruchsgrundlage für die – zumindest zeitweise – Überlassung einer gemeinsam genutzten Wohnung, wenn die verletzte Person mit dem Täter einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt führt. Das einschlägige Verfahrens- und Vollstreckungsrecht wurde so überarbeitet, dass die betroffenen Opfer schnell und einfach zu ihrem Recht kommen können. Auch dieses Gesetz wäre ohne den Kampf der Frauenbewegung nicht verabschiedet worden. Für diese war es von Anfang an paradox, dass es die Misshandelten waren, die ihre Wohnung aufgeben sollten, um Schutz vor ihren Peinigern zu finden.

Inzwischen sind mehr als zwei Jahrzehnte ins Land gegangen. Die seit dem 8. Dezember 2021 regierende Familienministerin Anne Spiegel (Bündnis90/Die Grünen) will »Gewalt gegen Frauen« zu einem großen Schwerpunkt ihrer Arbeit machen. Die neue rot-gelb-grüne Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag verpflichtet, die weitere Umsetzung der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen und ihren Kindern voranzutreiben. Gemeinsam mit Ländern und Kommunen sollen mehr Plätze in Frauenhäusern geschaffen werden.

Die verbale Aufgeschlossenheit reicht nicht

Die Hoffnung der westdeutschen Frauen(haus)bewegungen, es lasse sich ein Geschlechterverhältnis ohne Besitzansprüche, ohne überkommene Rollenvorstellungen und ohne Gewalt in den »privaten« Beziehungen herstellen, hat sich bis heute nicht erfüllt.

Seit Beginn der Maßnahmen zur Beschränkung der Ausbreitung von Covid-19 warnen Beratungsstellen, Frauenhäuser und Frauenorganisationen vor den Auswirkungen der Isolation und fehlenden Kommunikations- und Schutzmöglichkeiten für Frauen und Kinder im häuslichen Gewaltraum. Tatsächlich hat die Corona-Krise das Gewaltproblem noch einmal verschärft. Das wird meist auf enorme Herausforderungen durch den Zwang in der Familie zu bleiben, Stresssituationen durch Homeoffice und die geschlossenen Betreuungs- und Kommunikationsstrukturen zurückgeführt, die besonders Familien in belasteten Lebenslagen treffen würden.

Die verbale Aufgeschlossenheit gegenüber dem Problem »Gewalt gegen Frauen« reicht nicht. Es geht um die Institutionalisierung eines wirksamen Kampfes dagegen. Dabei muss auch die Familie als struktureller Tatort in den Blick genommen werden, die durch die fundamentalen Abhängigkeitsverhältnisse entlang der hierarchisch angelegten Geschlechter- und Generationenverhältnisse männliche Dominanz und Machtmissbrauch fördert und gewalttätige Übergriffe zulässt (Notz 2015). Es gilt, Lebensformen zu propagieren und zu fördern, in denen niemand ausgebeutet, unterdrückt, oder seinen eigenen Interessen widersprechend behandelt wird.

Literatur

Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA): Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen. hilfetelefon.de.

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSF) (1999): Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, Berlin.

Deutscher Bundestag (2008): Wissenschaftliche Dienste: Vergewaltigung in der Ehe. Strafrechtliche Beurteilung im europäischen Vergleich, Berlin,WD 7 – 307/07.

Fiedler, L. (2019): „Papa ist ein ganz Lieber, nur manchmal wird er zum Monster“. DIE ZEIT, 25.11.2019.

Notz, G. (2015): Kritik des Familismus. Theorie und soziale Realität eines ideologischen Gemäldes, Stuttgart: Schmetterling.

Notz, G. (2002): „Ich kann mit dir machen, was ich will. Du gehörst mir“. Widerspenstige Frauen sollten zu allen Zeiten „gezähmt“ werden. In: Nagelschmidt, I. u.a. (Hrsg.): Menschenrechte sind auch Frauenrechte. Leipzig: Universitätsverlag, S. 133-154.

Siegmund-Schultze, N. (2010): Häusliche Gewalt. Schlachtfeld Familie. Süddeutsche Zeitung, 19.05.2010.

Steinke, R. (2017): Als Vergewaltigung in der Ehe noch straffrei war. Süddeutsche Zeitung, 04.07.2017.

Gisela Notz, Dr. phil., Sozialwissenschaftlerin und Historikerin, lebt und arbeitet freiberuflich in Berlin-Kreuzberg. Sie ist Autorin zahlreicher Veröffentlichungen, Mitglied der Redaktion von Lunapark21 und des Beirats des BdWi.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2022/1 Täter*innen, Seite 22–24