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W&F 1986/3

Ghaddafi bombardiert Washington. Die Produktion von Feindbildern am Beispiel Libyen

von Karl-Günther Theobald

Der Angriff der USA auf Tripolis und Bengasi sollte auch mit Blick auf seine propagandistische Vorbereitung und Kommentierung untersucht werden. Dieser „Fall“ belegt exemplarisch die Produktion von Feindbildern und deren Funktionalität für machtpolitische Interessen.

Das es bei der Auseinandersetzung zwischen Libyen und den USA am wenigsten um das Problem des Terrorismus geht bzw. gehen kann, wird dabei deutlich werden. So ist bekannt, das Ghaddafi zu einem Anschlag auf die Amerikaner angestachelt werden sollte und daß in der US-Administration die Sorge bestand, Ghaddafi könne durch Zurückhaltung die Angriffspläne durchkreuzen.

Wörterbuch der freien Welt

Bei der Analyse des Feindbildes „Sozialisrnus“ (THEOBALD, 1985) wurden verschiedene Faktoren herausgearbeitet, die für den Aufbau von Feindbildern wesentlich sind: Es finden Vereinfachungen in Gegensatzpaare (gut-böse, Zivilisation-Terror) statt, wobei der Feind als negativer Gegenpol zur bürgerlichen „Wertegemeinschaft“ dargestellt wird, mit dem Appell an ein den „Zivilisierten“ gemeinsames Normensystem also schon diskreditiert wird.

Weiterhin fällt eine Betrachtungsweise auf, die historische Bezüge vernachlässigt, die Bewertung relativ unabhängig von Ereignissen, aber hochgradig abhängig von dem zu bewertenden Akteur vornimmt, wobei dieser undifferenziert betrachtet wird. Hieraus entstehen – neben dem „Gegenpol“ zwei weitere Strukturmerkmale, die sich nur vordergründig widersprechen: Der Feind gilt einerseits als brutal und tyrannisch, also stark („Tiger“), andererseits als minderwertig und fast lächerlich, also schwach („Papiertiger“).

Diese drei Strukturmerkmale dienen nicht nur zur Diskriminierung des Gegners, sondern auch zur Rechtfertigung der gegen ihn gerichteten Aggression. Sie treten in der antilibyschen Kampagne in einer Klarheit zutage, die eine Kommentierung beinahe als überflüssig erscheinen läßt.

Zu 1. – Gegenpol: Daß an dieser Stelle die Gleichsetzung von antilibyschen und antikommunistischen Kampagnen (auf deren Resultate, die Verankerung des Antikommunismus in der Bevölkerung, hier eindeutig zurückgegriffen wird) so leicht gelingt, beruht sicher nicht auf Zufall. Das libysche „Reich des Terrors“ (REAGAN, 16.4.) kann schließlich nicht mehr sein als eine Filiale des umfassenderen „Reich des Bösen“ (REAGAN über die UdSSR, Blätter, 6/83, S. 772). Und deshalb verwundert es niemanden, daß der Anlaß, nämlich der Bombenanschlag auf eine Diskothek,, in Berlin stattfand, wo „amerikanische Soldaten Schulter an Schulter (s.o.) mit ihren Verbündeten zur Wahrung der … Freiheit und des Friedens“ stehen (WÖRNER, 7.4.). Logischerweise kamen die Attentäter über Ost-Berlin, wo die (Vernachlässigbar: libyschen) Drahtzieher sitzen. Eine Diskothek (sowas hieß vor 15 Jahren noch Lasterhöhle und Teufelswerk) wird also zum Repräsentanten für das „Gefüge der ganzen zivilisierten Welt“ (BURT, 7.4.), gegen das der Anschlag gerichtet gewesen sei.

Zu 2. – „Tiger“: Die Brutalität dieses Anschlages gehört schon zur Charakterisierung des „Tigers“, der im Falle Libyen durch den „tollwütigen Hund“ Ghaddafi und dessen „kriminelles Tun“ (REAGAN, 15. bzw. 16.4.) idealtypisch personalisiert wird. Seine kriminelle Energie richtet sich nicht nur gegen die „freie Welt“, sondern auch „durch Subversion und Aggression gegen die Nachbarstaaten in Afrika“ und gegen die eigenen Landsleute, die sich „schämen“ und „davor ekeln“, daß dieser „Tyrann“ sie, ein „anständiges Volk“, in Verruf bringt. (Diese Trennung in unterjochten Volk und diktatorische Herrscher findet sich bei Feindbildern sehr häufig. In Tripolis und Bengasi waren die meisten Opfer Zivilisten!) Er betreibt eine „rücksichtslose Politik der Einschüchterung“ des Westens (Ghaddafi bombardiert Washington?) und setzt seinen „unerbittlichen Terror“ fort (alle Zitate von REAGAN, 16.4.).

Zu 3. – „Papiertiger“: Zur Entmenschlichung des inzwischen fein säuberlich von seinem Volk getrennten Ghaddafi bedarf es noch des Nachweises seiner Minderwertigkeit. Man will schließlich dem „Wüstensohn“ einen „Denkzettel“ verpassen (Konkret 5/86, S. 10), der Unmensch braucht Nachhilfen. Die zivilisierte Welt ist sich einig, daß dieser „unerfreuliche Zeitgenosse“ (FR-Kommentar, 10.4.), dessen „schreierische Ankündigungen“ für unsere Ohren „unerträglich“ klingen, kein „Unschuldslamm“ sein kann (FR-Kommentar, 14.4.). Dies wird konstatiert, nicht etwa begründet. Schließlich handelt es sich nicht nur um einen tollwütigen, sondern auch um einen „verrückten Hund“ (REAGAN, 11.4.), der, nimmt man seinen Anspruch ernst, nicht Hund, sondern Mensch zu sein, „genug auf dem Kerbholz“ hat, um einen Angriff gegen ihn zu legitimieren. Damit muß man „nicht bis zur Beweisvorlage zögern.“ (KISSINGER, 11.4.)

Wie nun mit diesem Monstrum umgehen?

Führt man die verwendeten Metaphern konsequent weiter, so muß man den „tollwütigen Hund“ erschlagen, die „Geißel des Terrorismus“ (REAGAN, 17.4.) wie einst die Pest austilgen und der „Hydra des Terrorismus“ (KOHL, Konkret 5/86, S. 10) die Köpfe abschlagen (sind hier schon die anderen Köpfe in Syrien, Iran, Kuba, Nicaragua antizipiert oder ergeben sie sich eher zufällig aus dem Bild?). Nach Reagans Interpretation (11.4.) hat Ghaddafi den USA den Krieg erklärte), folglich müssen diese „zurückschlagen“ (REAGAN, 11.4.), denn „Selbstverteidigung ist nicht nur unser Recht, sie ist unsere Pflicht“ (REAGAN, 16.4.). Zudem handelt es sich bei dem Angriff auf Libyen um eine „vorbeugende Aktion“ (16.4.), da nie vorgelegte – Beweise für weitere geplante Anschlägen vorlagen.

Durch die zögerliche Haltung Europas fühlen sich die USA natürlich „alleingelassen“ (KISSINGER, 11.4.), und US-Botschafter R. BURT nennt es eine „engherzige Haltung“ (10.4.), die, wie sich dann herausstellt Planung eines Angriffs (auf die Bevölkerung zweier Städte) nicht vorbehaltlos zu unterstützen.

Daß diese emotionalisierende und im Grunde faktenverschleiernde Sprache bei den Rezipienten eine Wirkung zeitigen kann, läßt sich sehr verkürzt durch drei Punkte begründen:

- Erstens bieten die gesellschaftlichen Normen, auf die immer wieder eingegangen wurde, dem Einzelnen Sicherheit für sein soziales Handeln, sie ermöglichen es, die Folgen des eigenen Tuns einzuschätzen und sind daher hochgradig konsensfähig.

- Zweitens bietet die Entschlossenheit gegen einen, der „es verdient“ (Tiger) und „nichts wert ist“ (Papiertiger) die Möglichkeit zur Identifikation und damit zur Ableitung von Aggressionen, die auf ganz anderem Felde, nämlich im eigenen sozialen Gefüge, begründet liegen (wobei die Angst vor Vergeltung diese Identifikation abschwächt: Die Zustimmung zum US-Angriff steigt mit der Entfernung vom Kriegsschauplatz).

Schließlich ist die Öffentlichkeit bei außenpolitischen Ereignissen, die ja nicht erlebt werden, in sehr hohem Maße angewiesen auf die Vorgabe von Interpretationsmustern durch „Experten“, um die Ereignisse überhaupt einschätzen zu können.

Logik der veröffentlichten Meinung

Vor allem diese Abhängigkeit von Interpretationsmustern ermöglicht nun, auf der Grundlage des oben gezeigten Sprachgebrauchs (der ja auch schon Interpretation ist), die Manipulation der Öffentlichkeit durch die scheinlogische Verknüpfung nicht zusammengehörender Themen und durch Konzentration auf Nebenfragen zu betreiben Ich möchte hier drei Punkte herausgreifen.

Kurz vor und erst recht nach dem Anschlag auf die Berliner Diskothek wurde „Terrorismus“ zum alles bestimmenden Thema in den Medien und bei Politikern, was nicht durch vermehrte Anschläge o. ä. zu begründen ist. Die selbstverständliche Distanzierung vom Terrorismus und dessen Ablehnung wurde dabei immer mit Berichten und Kommentaren verknüpft, in denen es auch um Libyen und Ghaddafi ging. Genau auf diese Weise werden Assoziationen produziert. Ziemlich bald war der Punkt erreicht, an dem die Distanzierung bzw. Ablehnung die Person Ghaddafis betraf. Selbst in der Friedensbewegung besteht weitgehend Konsens, daß Ghaddafi nicht ganz zurechnungsfähig, unerfreulich, en Störenfried ist. Warum, mit welcher Begründung? Richtig ist, daß er Befreiungsbewegungen von El Salvador bis Palästina unterstützt, daß er die Jugend in den arabischen Ländern zum Eintreten für das Selbstbestimmungsrecht ihrer Staaten agitiert. Ein Terroranschlag wurde ihm allerdings nie nachgewiesen, höchstens nach REAGANs Logik: Er ist für jeden Anschlag gegen amerikanische Bürger verantwortlich(16.4.).

In Berlin wird ein Amerikaner getötet. Er wird mit militärischen Ehren beigesetzt. Der FR-Kommentator äußert Verständnis 1985 starben 23 US-Bürger durch Attentate, die Zahl der durch Schußwaffen in den USA Getöteten geht in die Tausende; man möge nicht mir das als Zynismus auslegen – für die „blinde Wut“ der USA auf Libyen, obwohl ein Zusammenhang nicht nachgewiesen ist (14.4.). Höchstens ein impliziter Beweis wird geliefert: Weil die USA am 24.3., bei einem Manöver, das der „Freiheit der Meere“ diente, Libyen provoziert und bombardiert haben, scheint es angeblich logisch, daß dies ein Akt der Vergeltung war.

Selbst wenn dies stimmte, gäbe es nur einen Grund, die unverhältnismäßige Aggression zu verstehen: Die USA werden als Weltpolizist akzeptiert. Sie dürfen in dieser Rolle eigenständig überall in der Welt das Seerecht durchsetzen und aus beliebigem Anlaß jedes Land angreifen. Unabhängig davon, daß sich Libyen nach der „Bestrafung“ gar nicht mehr als unschuldig herausstellen darf, impliziert die Teilnahme an der Diskussion über die Schuld Libyens in diesen Tagen leider notwendigerweise eine Rechtfertigung des US-Angriffs für den Fall, daß Libyen tatsächlich an dem Anschlag beteiligt gewesen wäre.

Schließlich wäre noch auf die Nachbereitung des US-Angriffes einzugehen. Während er in den USA – mediengerecht für 19 Uhr Ortszeit getimt – eine Welle des Patriotismus auslöste, nicht über die Zustimmung zur Contra-Hilfe bewirkte, wurde das Ziel des offenen westlichen Schulterschlusses verfehlt, nicht zuletzt aufgrund massiver Demonstrationen der Friedensbewegung.

Erreicht wurde aber eine weitere Gewöhnung an das militärische Denken: Große Karten mit dem Angriffsplan wurden erläutert und diskutiert, die militärischen Möglichkeiten „schlauer Bomben“ und „chirurgischer Schläge“ kühl und sachlich erwogen (FAZ, 18.4.), die geplante Ermordung eines Staatsoberhaupts zum „Ziel“ beim „Präventivschlag“ heruntergespielt (ebd.) und auf einen innenpolitischen Putsch spekuliert (SHULTZ, 19.4.). Zu dieser Gewöhnung gehört auch, daß die Inhalte wohldosiert dargereicht werden: So suggeriert der Begriff „chirurgische Schläge“ die Begrenzbarkeit militärischer Operationen, ihre Kleinheit und Normalität. Dazu passen die Aussagen führender Politiker, daß eine Kriegsgefahr nie bestanden habe (die Aktivierung der Pershing II – s.u. – wurde dabei natürlich nicht erwähnt).

Geißel oder Geisel der „zivilisierten“ Menschheit

Gegen Ghaddafi wurde vorgegangen wie gegen eine Geißel – mit dem Ziel der Ausrottung. Daß dies für die USA nur ein Anfang war (REAGAN, 17.4.) zeigt allerdings, daß das Wort Geisel besser paßt. Diese wird mißhandelt, sobald es nötig ist. Nötig ist vor allem eine Ablenkung: von einer neuen Runde des Wettrüstens, diesmal im Weltraum; von der Torpedierung des „Geistes von Genf“ durch die USA; von den sowjetischen Abrüstungsinitiativen.

P. S. Da hier offensichtlich „Terrorismus“ nur als Vorwand diente, habe ich bewußt darauf verzichtet, den Begriff zu definieren und dazu Stellung zu beziehen. Deswegen unterbleibt auch die (diskussionswürdige) Qualifizierung der US-Aggression als „Staatsterrorismus“, ebenso die Erkundung von „Ursachen des Terrorismus“. Die Terrorismusproblematik sollte einer gesonderten Erörterung vorbehalten bleiben.

Anmerkungen

(1) Es sei der Phantasie jedes Einzelnen überlassen, ob er sich auf die Spekulation über einen vorgetäuschten Anschlag – etwa als Parallele zum Tomkin-Zwischenfall, der dann als Anlaß zur US-Aggression gegen Nord-Vietnam diente – einläßt.

(2) Man fühlt sich hier erschreckend oft an das Vokabular aus dem „Wörterbuch des Unmenschen“ erinnert.

(3) Wenn es stimmt, daß das Etikett „Terrorismus“ nur an Vergleichbares verliehen wird, dann bleibt festzustellen, daß sich REAGAN hier auf einen Argumentationsstrang einläßt, den die BRD im Zusammenhang mit der RAF, die für sich den Status des Kriegsgefangenenstatus forderte, immer strikt ablehnte.

Literatur

FR – Frankfurter Rundschau, überregionale Tageszeitung. Alle Zitate, die nur mit Datum angegeben sind stammen aus der entsprechenden Ausgabe der FR von 1986.
FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung
Die WELT – überregionale Tageszeitung Newsweek – Wochenzeitschrift, USA
Konkret – Monatszeitschrift für Politik und Kultur
Blätter für deutsche und internationale Politik – Monatszeitschrift
Militärpolitik Dokumentation – Vierteljahreszeitschrift
Theobald, K.-G. – Autoritarismus – ein Hirngespinst für Friedensengagement? Unveröff. Diplomarbeit, Marburg, 1985

Karl Günther Theobald ist Diplompsychologe und arbeitet in dem Forschungsprojekt „Weltraumrüstung – naturwissenschaftlich-technische und sozialwissenschaftliche Aspekte, Teilprojekt Feindbilder“ des. Arbeitskreises Marburger Wissenschaftler für Friedens- und Abrüstungsforschung.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1986/3 1986-3/4, Seite