W&F 2017/3

Glück als Ressource für Frieden

von Jochen Dallmer

Wie kann man sich nur um das eigene Glück kümmern in einer Welt voller Probleme und Konflikte? Der Artikel erläutert, dass Glück, wenn es denn ernst genommen wird, elementar mit dem guten Leben aller zu tun hat und die wichtigste Ressource für Frieden ist.

Glück ist in den letzten Jahren zu einem überaus populären Thema in allen Medien geworden. In kritischer Lesart ist dies Ausdruck der Individualisierung und Atomisierung der Gesellschaft, in der das Wohl des Einzelnen im Vordergrund steht und das Glücklichsein fast schon zum Zwang geworden ist. Wir leben in einer Erlebnisgesellschaft voller Narzisst*innen, denen lediglich ihr eigenes und möglichst unmittelbares Glück im Sinn steht (Cederström/Spicer 2016). Zugleich ist aber unstrittig, dass das Streben nach Glück des Menschen Ziel ist, wie es die Philosophie schon seit Jahrtausenden formuliert. Aus dieser Perspektive erscheint die aktuelle Aufmerksamkeit als ein Suchen in Zeiten von Unsicherheit und Wandel – und in positiver Lesart als ein (potentiell) emanzipativer Schritt, welcher bestehende Konzepte des guten Lebens, Traditionen und Strukturen herausfordert.

In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema wird mittels des Begriffs »subjektives Wohlbefinden« eine Definition von »Glück« geschaffen, die eine balancierte Beachtung der emotionalen und kognitiven Komponente umfasst: einerseits der Anzahl und Intensität der erlebten Glücksmomente, andererseits der Lebenszufriedenheit insgesamt. Es gibt also nicht »das« Glück, sondern es beruht letztlich auf Selbsteinschätzung, auf subjektiver Wahrnehmung. Wann und wie ich mich glücklich fühle, kann nur ich selbst fühlen, denken und sagen. Dabei ist das Individuum auf die eigenen Erfahrungen und Fähigkeiten angewiesen, das Wohlbefinden zu bestimmen, zugleich aber auch auf einen reflexiven Diskurs um die Frage, was »das Gute« sei. Letzteres wiederum trägt als gemeinsames gesellschaftliches Leitbild und die damit verbundenen Effekte von Anerkennung zum Glücklichsein bei. Eine entsprechende Ausrichtung der Motive für die Lebensgestaltung, sowohl individuell als auch auf gesellschaftlicher und politischer Ebene, fordert Annahmen über letztgültige Wertekataloge heraus.

Im Folgenden soll erörtert werden, wie sich das Streben nach subjektivem Wohlbefinden zum Thema Frieden verhält bzw. welche Ressource »Glück« für das Anliegen friedlicher Konfliktlösungen bietet.

Wohlbefinden als Friedensargument

In den vergangenen 30 Jahren hat sich mit dem Feld der so genannten »Glücksforschung« ein Bereich der Wissenschaft entwickelt, der, ausgehend von der Positiven Psychologie, mit empirischen Erhebungen neue Erkenntnisse bringt. So hat sich die Forschung zum subjektiven Wohlbefinden auch mit der Frage von Krieg und Frieden befasst. Beispielhaft dafür steht eines der bekanntesten Konzepte von Glück auf individueller Ebene, das Erleben von »flow«, welches als ein zentraler Glücksfaktor gilt, aber auch eine starke Ambivalenz aufweist (Csikszentmihalyi 1992). So berichten etwa Soldaten, dass sie Erlebnisse in Kampfeinsätzen als Erfahrungen von »flow« bewerten, kriegerische Handlungen also auch Glückserfahrungen bieten. Ähnlich problematisch sind Glückserlebnisse durch Gemeinschaftsgeist zu bewerten, wie sie etwa totalitäre Regime mit ihren autoritären Strukturen organisieren, oder die historischen Beispiele einer Kriegsbegeisterung weiter Bevölkerungsteile. Dieses Glückserlebnis beruht jedoch meistens auf einer Ausgangslage von Unglück, sei es eine wirtschaftliche Krise oder eingeschränkte individuelle Lebenszufriedenheit.

Die empirische Glücksforschung geht sehr nüchtern vor und unterteilt Glückserlebnisse nicht nach moralischen Maßstäben in höheres und niederes Glück, sondern ermittelt eine Gesamtbilanz der Glücksaspekte. Mit einer teilweise etwas gewagten Gegenüberstellung der Glücks- und Unglücksfaktoren von Krieg kam der Ökonom Bruno S. Frey (2011) zu dem wenig verwunderlichen Ergebnis, dass Krieg insgesamt deutlich mehr Unglück bringe als Glück. Andere Studien zeigten, dass glückliche Menschen sich eher für Frieden einsetzen (Diener 2007). Ausgehend von dem Primat des eigenen Wohlbefindens ist also Krieg insgesamt nicht wünschenswert. Dies klingt zunächst banal, ist aber als Grundlage für eine Friedensargumentation von hoher Relevanz.

Egoismus und das Glück der Anderen

Reicht es aber aus, nach dem eigenen Glück zu streben, um für Frieden zu votieren? In skeptischer Sicht auf das menschliche Sein ist es keine solide Grundlage, denn wenn jeder nach seinem eigenen Glück strebt, droht ein Kampf aller gegen alle, es entfesselt sich das Recht des Stärkeren. Entsprechend, so die Argumentation für alle starken Tugendkataloge, gilt es, das eigene Glücksstreben einzuschränken, um das größere und gemeinsame Gut zu ermöglichen, in diesem Fall Frieden. Jedoch: Im Tugendkanon klassischer Werke der Glücksphilosophie finden sich neben Freundschaft, Gerechtigkeit und Solidarität auch Mut und Tapferkeit. Immerhin ist Tapferkeit eine Tugend, die in militärischen Zusammenhängen ausgiebig angerufen und missbraucht wird.

Lösen wir die Idee eines fest gegebenen Katalogs der Tugenden (inkl. Friedenstugend) auf, so bleibt als finaler Bezugspunkt eines Moralkodex die Idee des guten Lebens. Als dessen Basis stehen wiederum die Idee und Wahrnehmung des eigenen Seins und des eigenen Wohlbefindens, der Rückbezug auf die eigene Leiblichkeit mit ihrer Verletzlichkeit und der Fähigkeit, Freude zu erfahren, das eigene Sein, das eigene Wohlergehen, das eigene Glück. Basis der Ethik ist das Lebenwollen der Menschen, so wie es im bekannten Spruchs Albert Schweizers heißt: Leben inmitten von Leben, das leben will. Dabei reicht aber die Idee des Lebenwollens über das eigene Leben hinaus. Da ist zum einen die persönliche Erfahrung, dass das eigene Leben von anderen Menschen und deren Wohlwollen abhängt. Dies gilt besonders in der Kindheit, aber auch in allen weiteren Lebensphasen. Durch die naturgegebene Abhängigkeit des Menschen ist eine Basis des Miteinanders verankert, welche sich als Veranlagung zur Kooperation genetisch etabliert hat. Zum anderen gilt die rationale Überlegung, dass das (gut) Leben wollen auch andere Menschen betrifft und einen guten Grund liefert, dies (gegenseitig) zu respektieren. Es ist als für alle Menschen gültig anzunehmen, dass sie gut leben und nicht unterdrückt werden wollen. Daraus ergibt sich die Aufgabe, Leid zu vermeiden, und umgekehrt, dass Gewalt etwas ist, das abzulehnen ist, das nicht gewollt sein kann. Dafür braucht es nicht einmal die individuelle Erfahrung von Gewalt, es reicht das Bewusstsein der eigenen Verletzlichkeit, welches jedem Menschen gegeben ist. Peter Stemmer (2013) verdeutlicht dies in seinem Konzept des »Unterdrückungsverbots«.

Hedonismus für den Frieden

Das Primat des guten Lebens als Leitbild für das kooperative Miteinander ist als »aufgeklärter Hedonismus« bezeichnet worden und wird z.B. von Bernulf Kanitscheider oder Michel Onfray vertreten. Sie verzichten explizit auf die Bezugnahme von höheren Gründen und Werten; als Bezugspunkt zählt nur das Leben im Diesseits. Die Idee der Opferung von Individuen für den Staat und das Gemeinwesen widerspricht daher der Idee des Hedonismus zutiefst. Vielmehr gebietet die Vermeidung von Leid implizit auch die Vermeidung von Krieg. „Mit Hilfe einer hedonistischen Ethik lässt sich kein Nazismus und kein Stalinismus hervorbringen, auch kein Christentum, sondern nur ein Aufrufen zur Anstrengung, zum Verzicht, zum Universalen, dem ganzen Arsenal des asketischen Ideals.“ (Onfray 1993, S. 187) Historisch sprachen sich entsprechend viele Hedonist*innen für den Pazifismus aus.

Als »hedonistische Intersubjektivität« bezeichnet Onfray diesen Ansatz eines hedonistischen Gesellschaftsvertrages (Onfray 2008, S. 125f.). Höffe nennt dies »hedonistischen Utilitarismus«, bei dem es eben auf alle Betroffenen ankomme, so wie es von John Stuart Mill auch bei der Entwicklung der Freiheitsidee ursprünglich gemeint war (Höffe 2007, S. 107). In der globalisierten Welt schließt das auch jene ein, die wir nicht direkt als Gegenüber wahrnehmen, die aber mit uns mittels Wirtschaft und Politik verbunden sind, letztendlich also alle: „Weil sein Leben vom Wohlergehen der umgreifenden Gesellschaft abhängt, etwa von deren materieller, sozialer und kultureller Infrastruktur, erweitere man die Quasi-Tugend, jetzt besser Solidarität genannt, auf diesen größeren Lebensraum. Im Zeitalter der Globalisierung erhält sie sogar eine globale Dimension; sie wird zur kosmopolitischen Solidarität.“ (Höffe 2007, S. 179-80)

Eine solcher Hedonismus lässt sich ebenso mit dem Begriff eines »aufgeklärten Egoismus« beschreiben, der sich der Gegenseitigkeit des Wohlergehens bewusst ist. Hierzu zählt auch die zunehmend Anerkennung findende Erkenntnis, dass das subjektive Wohlbefinden nicht rein individualistisch ist, sondern auf Miteinander und Kooperation beruht (Ahuvia et al. 2015). Dies gilt für das Überleben, noch mehr aber für Elemente des guten Lebens, ganz zentral etwa im Bereich der Entwicklung von Kultur und Lebenskunst (man denke etwa an die elaborierte Kooperation eines Orchesters). Die Kooperation besteht aus freien Stücken auf Grundlage der Überzeugung, das das gewählte Miteinander dem gegenseitigen Vorteil dient, wie es sich im theoretischen Rahmen des »Kontraktualismus« wiederfindet (Stemmer 2013). Es steht also Interesse gegen Interesse (oder man könnte auch sagen Glückskonzept gegen Glückskonzept), und es muss sich zeigen, wie eine einvernehmliche Regelung – im Idealfall eine »win-win«-Lösung – aussehen kann. Philosophisch findet sich dies in der Diskursethik wieder, welche etwa vom im Mai diesen Jahres verstorbenen Philosophen Karl-Otto Apel beschrieben wurde.

Das Glück ist politisch

Wie kann die Aufmerksamkeit nun vom egozentrischen Glück der Selbstoptimierungsratgeber hin zu einem reflektierten Glück des aufgeklärten Hedonismus verlagert werden? Es gilt zunächst, den emanzipativen Aspekt des Glücksstrebens zu stärken und sich nicht mit einfachen Antworten und Rezepten zufriedenzugeben. Dazu gehört ein aufgeklärtes Verständnis des eigenen Wohlbefindens, etwa die stärkere Beschäftigung mit der eigenen Leiblichkeit, ebenso wie die Idee und Erfahrung der Gegenseitigkeit des Glücks. Dafür ist es notwendig, die philosophischen Betrachtungen vom Sollen und Wollen zu stärken und über jene Ansätze psychologischer Resilienz hinauszugehen, die das Glücksstreben der Individuen im bestehenden System stärken wollen, ohne dessen immanente Widersprüche zu erkennen. (Beispiele für solche »Glückssackgassen« sind der Glückscoach in Unternehmen, Stärkentrainings in Schulen, etc.). Glück ist zwar eine subjektive Kategorie, aber ein gemeinsames Gut und daher ein politisches Anliegen. Es bedarf einer Stärkung der diskursiven Elemente, d.h. die Frage nach dem guten Leben ist gemeinsam zu behandeln.

In den letzten Jahren haben sich erste konkrete Ansätze entwickelt, um gesellschaftliche Entwicklung über bestehende Wirtschaftsindikatoren hinaus zu messen, von Bhutans Konzept des »Bruttosozialglücks« bis hin zu Indikatorensets, wie dem Index für Lebensqualität in Deutschland. Zwei Beispielfelder seien hier genannt:

1. Studien zu Ungleichheit zeigen, dass gleichere Gesellschaften mehr individuelle Zufriedenheit und weniger gesellschaftliche Spannungen mit sich bringen (Wilkinson/Pickett 2010). Dies hat große Relevanz für zahlreiche innergesellschaftliche Konfliktfelder. Entsprechend wurde der Regierung des Libanon empfohlen, einen Glücksindex zu erstellen, um zur Konfliktreduktion beizutragen (Yones 1998).

2. In Hinsicht auf die Herausforderung einer ökologisch nachhaltigen Entwicklung ist der Bezug zu Glück ein wertvoller Beitrag zur Entwicklung von Konzepten einer Postwachstumsgesellschaft, anknüpfend etwa an die oben genannten alternativen Indikatorensets. Was den materiellen Wohlstand angeht, welcher zum subjektiven Wohlbefinden beiträgt, zeigt sich eine Art Sättigungspunkt. Wohlstand ist also nur bedingt mit Wohlbefinden gekoppelt (vgl. Skidelsky 2013). Dieser Ansatz birgt eine Perspektive in Hinsicht auf steigende Konfliktpotentiale um zunehmend beanspruchte natürliche Ressourcen.

Glücksbausteine als Friedensressourcen

Es ist just die Subjektivität des persönlichen Wohlbefindens, welche die friedliche Konfliktregelung erfordert und begründet. Damit die unterschiedlichen Vorstellungen vom guten Leben in bestmöglichen gesellschaftlichen Vereinbarungen berücksichtigt werden können, braucht es einen Rahmen für den Diskurs, nämlich Frieden. Frieden ist die Grundlage für ein glückliches Leben, so wie umgekehrt das Streben nach Glück die Grundlage für Frieden ist. Sie sind nicht zu trennen. „Wie es niemanden gibt, der sich nicht freuen wollte, gibt es auch niemanden, der keinen Frieden haben will.“ (Aurelius Augustinus, zitiert nach Hoffmann 2006, S. 355).

Glücklichsein bedarf vor allem des Freiraums, um Glück zu (er)leben. Glücklichsein ist die beste Prävention gegen Aggression und Gewalt, gegen den aktuell wieder aufkommenden »autoritären Charakter«, welcher sich aus der subtilen Unterdrückung des eigenen Glücks in einer Leistungs- und Wettbewerbsgesellschaft nährt. Nach dem Glück zu streben ist das legitime Ziel des Menschen; es ist verbunden mit Emanzipation und Aufklärung und daher die wichtigste Ressource für Frieden.

Literatur

Ahuvia, A.; Thin, N.; Haybron, D. M.; Biswas-Diener, R.; Ricard, M.; Timsit, J. (2015): Happiness – An interactionist perspective. International Journal of Wellbeing, Vol. 5, Nr. 1, S. 1-18.

Apel, K.O. (1990): Diskurs und Verantwortung – Das Problem des Übergangs zur postkonventionellen Moral. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Cederström, C.; Spicer, A. (2016): Das Wellness-Syndrom – Die Glücksdoktrin und der perfekte Mensch. Berlin: Edition Taimat.

Csikszentmihalyi, M. (1992): Flow – Das Geheimnis des Glücks. Stuttgart: Klett-Cotta.

Diener, E.; Tov, W. (2007): Subjective Well-Being and Peace. Journal of Social Issues, Nr. 63, S. 421-440.

Frey, B.S. (2011): Peace, war, and happiness – Bruder Klaus as wellbeing facilitator. International Journal of Wellbeing, Vol 1, Nr. 2, S. 226-234.

Hoffmann, S. (2006): Aurelius Augustinus – Glück als Friede. Einführung. In: Spaeman, R.; Schweidler, W. (Hrsg.) (2006): Ethik. Lehr- und Lesebuch. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 354-357.

Höffe, O. (2007): Lebenskunst und Moral – Oder: Macht Tugend glücklich? München: Hirzel.

Kanitscheider, B. (2011): Das hedonistische Manifest. Stuttgart: Hirzel.

Onfray, M. (2008): Die reine Freude am Sein – Wie man ohne Gott glücklich wird. München: Piper.

Onfray, M. (1993): Philosophie der Extase. München: Piper.

Skidelsky, R.; Skidelsky, E. (2013): Wie viel ist genug? München: Kunstmann.

Stemmer, P. (2013): Begründen, Rechtfertigen und das Unterdrückungsverbot. Berlin/Boston: De Gruyter.

Wilkinson, R.; Pickett, K. (2010): Gleichheit ist Glück – Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind. Berlin: Haffmanns & Tolkemitt.

Yones, M. (1998): Subjective Well-being as Public Policy and Tool to Prevent Future Civil Conflicts. Management & Technology Consulting Group (MTCG).

Jochen Dallmer, Politikwissenschaftler, promoviert zur Zeit an der Universität Kassel zum Thema »Glück & Nachhaltigkeit« und ist zudem im Bildungsbereich aktiv.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2017/3 Ressourcen des Friedens, Seite 28–30