Göttinger Friedenspreis an Andreas Zumach verliehen
von Andreas Buro und Andreas Zumach
Am 7. März 2009 verlieh die Stiftung Dr. Roland Röhl den Göttinger Friedenspreis an Andreas Zumach. W&F dokumentiert Auszüge der von Andreas Buro gehaltenen Laudatio sowie der Rede des Preisträgers.
Laudatio von Andreas Buro
Mein Glückwunsch, Andreas, zur Verleihung des Göttinger Friedenspreises! Es ist leicht und gängig, die Welt in Gut und Böse zu unterteilen, wobei man selbst und das eigene Land freilich zu den Guten und die vermeintlichen Gegner zu den Bösen gerechnet werden. Dies hat nicht nur die Folge des Realitätsverlustes, es bewirkt auch die Unfähigkeit selbstkritisch mit dem Handeln der »eigenen Seite« umzugehen. Feindbilder taugen ebenso wenig wie Freundbilder! Andreas Zumach ist dieser so gängigen politischen und journalistischen Falle niemals zum Opfer gefallen. (…)
Ich fühle mich seit Jahrzehnten mit Andreas Zumach befreundet und bewundere seine Arbeit. (…) Kennen gelernt habe ich ihn bei der so genannten »Frühstücksrunde«. Als seinerzeit der NATO-Doppelbeschluss zur Diskussion stand, wodurch ganz Europa in eine kaum noch kontrollierbare Gefährdung atomarer Vernichtung getrieben wurde, strömten aus vielen Teilen der sozialen Bewegungen in Deutschland die Menschen zusammen, um sich gegen diesen wahnsinnigen Auswuchs des Abschreckungswettrüstens zur Wehr zu setzen. In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts hatte es kaum eine Friedensbewegung gegeben. Sie erstand in dieser Situation in kürzester Zeit wieder auf. In der »Frühstücksrunde« trafen sich ihre Repräsentanten und Repräsentantinnen, um zu besprechen, wie Öffentlichkeit durch Protest und gewaltfreien Widerstand zu organisieren sei.
Andreas Zumach beteiligte sich konstruktiv an der »Frühstücksrunde« und wurde aufgrund seiner hervorragenden analytischen Fähigkeiten, jedoch auch wegen seines konzilianten Umgangs mit anderen – trotz Härte und Schärfe in der Sache – sehr bald zu einem Sprecher des bundesweiten Koordinierungsausschusses, der aus der »Frühstücksrunde« hervorging. (…)
Andreas Zumach – 1954 in Köln geboren – studierter Volkswirt und Journalist – war nach zwei Jahren Redakteurstätigkeit von 1981-87 friedenspolitischer Mitarbeiter der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienst. Er war also (…) nicht nur ein Friedensschreiber, sondern immer auch, das gilt bis heute, ein Friedenskämpfer. Er steht für Prävention, Deeskalation und Zivile Konfliktbearbeitung sowie für die Aufdeckung realer Zusammenhänge. Er ist jemand der die Schleier der Legitimationsideologien zu zerreißen versucht. (…)
Heute ist er nicht nur ein hochkarätiger und begehrter Journalist, sondern auch durch zahlreiche Vorträge und Diskussionen an der Basis der Friedensbewegung wie in der Öffentlichkeit präsent. Er arbeitet für viele regionale und nationale Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehstationen, ferner für das »Network for European and Transatlantic Security« und das »Project for European Nuclear Nonproliferation«. (…)
Die Hürden für Friedenskämpfer und -schreiber wie Andreas Zumach sind sehr hoch. Gewalt ist tief in unserem Unterbewußtsein verwurzelt. Legitimationsideologien vom angeblich »Gerechten Krieg« bis zur »Humanitären Intervention« versuchen immer wieder, die grausame Brutalität des Krieges, also des gewaltsamen Konfliktaustrages, zu rechtfertigen , ja sogar zu verherrlichen. Interessen von Militär und Rüstungsindustrie verschleiern und verharmlosen und zeigen mit spitzen Fingern auf die angeblichen »Vaterlandsverräter«, »Nestbeschmutzer« und »Kollaborateure feindlicher Mächte«, die ausplaudern, was doch geheim bleiben soll. (…) Angesichts dieser vielen Hürden ist es um so bewundernswerter, dass es Andreas Zumach gelungen ist, den Kampf gegen die Hydra von Widrigkeiten so erfolgreich zu führen. Dabei ist er in seiner Deutlichkeit, die Verhältnisse beim Namen zu nennen, keineswegs zimperlich. (…) Erinnern Sie sich noch an den Rüstungsbericht der irakischen Regierung an den UN-Sicherheitsrat? Zumach hat ihn mit allen Ungeheuerlichkeiten an die Öffentlichkeit gebracht. Über 80 deutsche Unternehmen und viele aus den USA hatten bis 2001 an den Diktator des Irak, Saddam Hussein, Elemente zur Entwicklung atomarer, konventioneller, chemischer und biologischer Massenvernichtungswaffen geliefert. Selbst das Gift Anthrax stammte aus US-Laboratorien. Die USA haben den Bericht sogleich unter Verschluss genommen und von 12.000 Seiten 9.000 geschwärzt. Alles sollte verheimlicht werden. Die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates stimmten dem zu. Zumach hat ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Doch Andreas Zumach ist nicht allein ein investigativer Journalist. Er konzentriert sich auch auf Möglichkeiten, wie Konflikte friedlich eingehegt und bearbeitet werden können. In diesem Sinne arbeitet er sich an den Internationalen Organisationen und am Völkerrecht ab. (…) Er deutet Zusammenhänge, Hintergründe und Strategien und macht sie für viele erst verständlich. Seine Bücher über die »Vereinten Nationen« (1995) , »Irak – Chronik eines gewollten Krieges« (2003 zusammen mit Hans-Christoph von Sponeck) und »Die kommenden Kriege. Ressourcen, Menschenrechte, Machtgewinn – Präventivkrieg als Dauerzustand?« (2005) sowie zahlreiche Aufsätze kreisen immer wieder um diese Themen.
Andreas Zumach erhält den Göttinger Friedenspreis heute für seine bisherigen hervorragenden Leistungen. Doch einer seiner Buchtitel weist schon auf die Zukunft, auf die kommenden Kriege. Was werden sie und die militärisch-technologische Entwicklung für Friedenskämpfer und -schreiber bereit halten? Welche weiteren Hürden werden sie auftürmen? Mit großer Sorge lerne ich, dass ein neues Schlachtfeld jenseits von konventionellen, nuklearen, chemischen und biologischen Waffen aufgebaut wird, dessen Wurzeln weit in die Militärgeschichte hinein reichen, das jedoch nun eine neue Qualität erreicht. Das Stichwort heißt Cyberwar. Ein unsichtbarer Krieg, der ohne Kriegserklärung oder Ankündigung auslösbar ist. Er kann ganze Volkswirtschaften und die überall arbeitenden Kommunikations- und Regelsysteme zusammen brechen lassen. Aggressoren können zudem alles abstreiten und sich sogar hinter anonymen Hackern verstecken. (…)
Der Höhepunkt all dieser und ähnlicher Vorfälle markierte der von Sicherheitsexperten als »erster Cyberkrieg« eingestufte Angriff auf Estland im Frühjahr 2007, als Hacker nahezu ganz Estland lahm legten – ein groß angelegter Angriff, hinter dem der russische Geheimdienst vermutet wurde und der seither die NATO beschäftigt. In den USA sei man indes schon um Lichtjahre voraus. So beabsichtige der frühere US-amerikanische Präsident George W. Bush mit einer zweistelligen Summe im Milliardenbereich eine »Cyber-Initiative« für die nächsten sieben Jahre flankieren zu wollen. Dabei handle es sich, wie US-Minister Chertoff betonte, um ein neues »Manhattan Project«. (…)
Selbstverständlich hoffe ich, indem ich auf dieses neue Schlachtfeld verweise, auf die Aufklärungsarbeit von Menschen aus der Friedensbewegung und der Friedensforschung. Aber viele – so auch ich – setzen auch auf Andreas Zumach und auf viele seiner Kolleginnen und Kollegen, denen damit freilich eine neue schwere Last aufgebürdet wird. Andreas Zumach hat sich um mehr Frieden in der Welt verdient gemacht. Die Friedensbewegungen in zahlreichen Ländern haben ihm sehr viel zu verdanken. Große Erwartungen ruhen weiterhin auf ihm.
Viel Glück Andreas für Deine zukünftige Arbeit und nochmals meine Gratulation zur Verleihung des Göttinger Friedenspreises.
Rede des Preisträgers Andreas Zumach
Vor genau 30 Jahren, Ende Februar 1979, habe ich angefangen als Journalist zu arbeiten, zunächst bei der Westberliner Zeitung »Die Neue«, die damals zeitgleich mit der »tageszeitung« (taz) gegründet wurde. Seitdem beschäftige ich mich überwiegend mit Kriegen und anderen internationalen Konflikten, ihren Ursachen und möglichen Lösungsstrategien. Dabei gilt mein Interesse vorrangig zivilen Instrumenten zur Bearbeitung von Konflikten und ihrer Stärkung – von der Früherkennung und Prävention über die Diplomatie zur Beendigung gewaltförmiger Eskalation bis hin zur Nachsorge für die oftmals schwer traumatisierten Opfer sowie den Versöhnungsbemühungen zwischen den vormalig kriegsführenden Parteien und dem Wiederaufbau.
Wenn Sie mich fragen, was der Journalismus in diesen 30 Jahren zum Frieden beigetragen hat, fällt mir nicht viel ein. Ich könnte einige wenige Kolleginnen und Kollegen nennen, wie zum Beispiel Anton Andreas Guha, den früheren langjährigen Redakteur der »Frankfurter Rundschau«. Doch die große Masse derjenigen, die überhaupt noch über diese Themen berichten, orientieren sich vorrangig oder ausschließlich an den für Krieg und den gewaltsamen Austrag von Konflikten verantwortlichen politischen EntscheidungsträgerInnen und den Militärs. Die meisten sind unkritische, oftmals überforderte MitläuferInnen mit mangelnder professioneller Distanz zu den Mächtigen. (…)
Ich teile auch nicht die Meinung oder das Selbstwertgefühl mancher zumeist männlicher Kollegen, wonach Journalismus, der sich mit internationalen Konflikten befasst oder gar über Kriege berichtet, wichtiger sei als der Journalismus, dessen Gegenstand innen- oder lokalpolitische Themen sind. Die Sitzungen und Entscheidungen des Göttinger Stadtrates erfordern genauso wachsame journalistische Begleitung und Kontrolle, wie die Handlungen der Bundesminister Steinmeier und Jung oder die Aktivitäten der Bundeswehr in Afghanistan. Der Unterschied ist allerdings, dass es bei internationalen Konfliktthemen nicht selten um den Einsatz von Gewalt geht, um Leben und Tod, um Zerstörung und Vernichtung – also um Entscheidungen und Handlungen, die oftmals endgültige, katastrophale Konsequenzen haben, und – anders als ein noch so falscher Beschluss des Göttinger Stadtrates – nicht mehr korrigiert werden können.
Ich nenne im folgenden (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) vier politische und strukturelle Ursachen und Rahmenbedingungen, die vielleicht erklären können, warum der Beitrag des Journalismus zum Frieden zum Frieden so gering ausfällt.
Regierungs- und elitenfixierter Meutenjournalismus bei außen- und sicherheitspolitischen Themen: Die Unabhängigkeit und professionelle Distanz von JournalistInnen zu den politischen EntscheidungsträgerInnen und den Militärs ist schon in Friedenszeiten sehr gering. Wenn das eigene Land an einem internationalen Konflikt oder gar Krieg beteiligt ist, existieren Unabhängigkeit und professionelle Distanz oft überhaupt nicht mehr. Analysen oder Konfliktlösungskonzepte aus der Zivilgesellschaft haben dann kaum eine Chance, von den Medien beachtet zu werden.
Immer raffiniertere Kriegspropaganda sowie die Einbindung von JournalistInnen und Medien in Kriegsvorbereitung und Kriegsführung: Das Pentagon hat für das Vietnam-Kriegsdesaster der USA die »mangelnde Unterstützung« durch die US-Medien verantwortlich gemacht und aus dieser Erfahrung immer raffiniertere Medien- und Öffentlichkeitsstrategien für künftige Kriege entwickelt. (…)
Die Diktatur der modernen Online-Kommunikationstechnologien: Die JournalistInnen und KorrespondentInnen im Ausland stehen auf Grund der heute verfügbaren schnellen und leicht transportablen Kommunikationstechnologien (Digitalkamera mit Soundsystem plus Satellitentelefon) unter großem Druck ihrer Heimatzentralen, schnell Filme/Bilder/Töne in die Zentralen zu schicken ohne die notwendigen journalistischen Recherchen zu unternehmen.
Privatisierung der elektronischen Medien und Kostendruck: Die infolge der Privatisierung seit Ende der 70er Jahre über ARD, ZDF und die Dritten Programme hinaus entstandenen zusätzlichen elektronischen Medien haben zu einem verschärften Konkurrenzdruck geführt und zu einer Absenkung der journalistischen Qualität auch in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten. Die Berichterstattung über internationale Konflikte ist davon besonders stark betroffen.
Alle diese Rahmenbedingungen, so übermächtig und bedrückend wir sie als JournalistInnen und als MedienkonsumentInnen auch erleben, sind weder ein Naturgesetz noch gottgewollt oder Schicksal. Sie sind sämtlich von Menschen geschaffen und können daher auch von Menschen wieder korrigiert werden. Das wird allerdings nicht von außen geschehen durch neue Gesetze, politische Rahmenrichtlinien und Ähnliches, sondern nur durch Widerspruch und Widerständigkeit innerhalb der Medien. (…)
Ich bevorzuge daher den Begriff »konfliktsensitive Berichterstattung«, den meine Kollegin Nadine Bilke von der Online-Redaktion des ZDF geprägt hat. »Konfliktsensitiv« heißt in erster Linie, als JournalistIn alle an einem Konflikt Beteiligten und von ihm betroffenen Gruppen und Personen wahrzunehmen und nicht nur wie so häufig diejenigen, die auf militärische Mittel setzen und darüber verfügen, oder diejenigen, die über Propagandainstrumente zur aktiven Einflussnahme auf die Medien verfügen. Das heißt nicht, als JournalistIn »überparteilich« zu berichten, sondern »allparteilich«. Das setzt allerdings voraus, dass sich JournalistInnen zunächst über ihren eigenen Standpunkt im Klaren sind. Sie sind gefangen in ihrer Kultur, ihre Entscheidungen sind vom Mediensystem vorgeprägt, ihre Informationen werden von EntscheidungsträgerInnen ihrer Gesellschaft gefiltert. Aber selbst, wenn sie frei von derartigen Einflüssen und Prägungen wären und uneingeschränkt berichten könnten, wäre ihre Nachricht stets nur eine mögliche Version der Geschichte. 100-prozentige Objektivität, die viele, insbesondere männliche Journalisten, gerne für sich oder ihre Medien reklamieren, gibt es nicht. Es kann immer nur darum gehen, der Wahrheit eines Ereignisses so nahe wie möglich zu kommen. (…) Ausrichten sollte sich dieser Journalismus an drei Grundorientierungen: Frieden, Menschenrechte und Demokratie. Nach meiner Meinung gelten diese drei Grundorientierungen universell und kulturübergreifend – selbstverständlich immer unter Berücksichtigung historisch und kulturell bedingter unterschiedlicher Interpretationen und Verständnisse dieser drei Begriffe. Aus diesen drei Grundorientierungen lassen sich für die praktische Arbeit von JournalistInnen die folgenden professionellen Kriterien ableiten: Wahrhaftigkeit, Richtigkeit, Relevanz und die Form der Vermittlung. (…)