Gold und Lithium hätt ich gern…
von Jürgen Nieth
„Gold und Silber hätt ich gern“, heißt es in einem alten deutschen Volkslied. Aber was ist schon Silber gegenüber Lithium. Schon heute ist der Rohstoff für die Produktion von Akkus für Laptops und Handys heiß begehrt. Lithium wird bisher vor allem aus Salzseen in Südamerika gewonnen sowie mit viel Aufwand in China und Australien aus Mineralien erzeugt. Mit der Zunahme von Hybrid- und Elektroautos sowie dem Ausbau erneuerbarer Energien wird die Nachfrage in den nächsten Jahren enorm steigen. Sonne und Wind liefern nicht kontinuierlich Elektrizität, die Spitzen müssen gespeichert werden. Der Konzern Evonik – der zur Zeit Großspeicher testet – spricht von einem „Megamarkt der Zukunft“ (FR, 15.06.10). Er schätzt das Marktvolumen langfristig auf mehr als zehn Milliarden Euro.
Passgenau kommt da die Meldung, dass sich aus einigen Salzseen unter der afghanischen Provinz Ghazni vermutlich Lithium im Wert von über einer Billion Dollar gewinnen lasse. Die Information stammt aus dem Pentagon. Geologen des US-Verteidigungsministeriums haben jahrelang das afghanische Territorium nach Bodenschätzen untersucht. Gefunden haben sie übrigens nicht nur Lithium, sondern auch Gold und Niobium, ein für Supraleiter benötigtes Metall.
Ein Blick zurück: Als die USA vor fast neun Jahren in Afghanistan einmarschierte, war die Begründung der »Kampf gegen den Terror« und die Zerschlagung von Al Kaida – aber Usama Bin Laden lebt und Al Kaida operiert längst aus anderen Ländern: Somalia, Jemen, Pakistan.
Danach wurden die Menschenrechte bemüht, für deren Verwirklichung die Talibanherrschaft zerschlagen werden musste. Tatsächlich gibt es ein paar Fortschritte: Nach einem Bericht der UNO (UNDPD) gibt es beim Zugang der Kinder zur Grundschule einen Anstieg von 54 auf 60 Prozent, bei der Alphabetisierung einen Anstieg um 2,5 auf 36 Prozent und bei der Kindersterblichkeit einen Rückgang von 257 auf 191 bei 1.000 geborenen Kindern. Insgesamt ist die Bilanz aber erschreckend: Die Zahl der in Armut Lebenden ist von 33 auf 42 Prozent und die Zahl der Unterernährten von 30 auf 39 Prozent gestiegen. Die Zahl der in Slums Wohnenden hat sich von 2,4 Millionen auf 4,5 Millionen fast verdoppelt, während sich der Anteil der Menschen mit Zugang zu sanitären Einrichtungen von 12 auf 5,2 Prozent mehr als halbiert hat. Die Jugendarbeitslosigkeit ist von 26 auf 47 Prozent gestiegen.
Heute ist Afghanistan nicht nur der weltgrößte Hersteller von Opium, Heroin und Haschisch, sondern auch Konsument: Über eine Million Afghanen – das sind acht Prozent der Bevölkerung – sind drogenabhängig. Die Zahl der regelmäßigen Opiumkonsumenten stieg in den letzten fünf Jahren um 53 Prozent, die der Heroinabhängigen sogar um 140 Prozent, Zugang zu medizinischer Hilfe hat nur jeder Zehnte. Das für den Kampf gegen Drogen und organisiertes Verbrechen zuständige UN-Büro in Wien (UNODC) kommt zu dem Schluss, dass viele Afghanen Opiumdevirate konsumieren, um die Härten ihres Lebens zu vergessen. Für die UN-Berichterstatter besonders schockierend, dass im Süden Afghanistans die Hälfte der Opiumkonsumenten ihren Kindern regelmäßig vom Saft des Schlafmohns geben: „Die nächste Generation des Landes ist damit schon zur Sucht verurteilt.“
»Stabilisierungseinsatz« hieß die nächste Begründung für den Einsatz des deutschen Militärs, aber nichts ist stabiler geworden. Die Wahlen wurden gefälscht, ein großer Teil der Gelder für den zivilen Aufbau fließt auf private Konten, die Korruption blüht. Statt Hilfe beim zivilen Aufbau – jahrelang die vorgebliche Hauptaufgabe der Bundeswehr – steht jetzt mehr und mehr die Sicherung der eigenen Truppen im Mittelpunkt. Ein militärischer Sieg ist nicht in Sicht. Mit 102 toten Soldaten ist der Monat Juni 2010 der verlustreichste für die Nato seit Beginn des Krieges.
Was hält die USA und die Nato angesichts dieser Bilanz in Afghanistan?
Es gab sie immer, die Stimmen, die den Afghanistankrieg begründet sahen in den geostrategischen Interessen der USA: von Afghanistan aus die erdöl- und erdgasreiche Region des Mittleren Ostens und der Zentralasiatischen Republiken kontrollieren, sich militärisch festsetzen an der Südflanke Russlands und der Nordostgrenze des Iran.
Diese Stimmen dürften Auftrieb bekommen, wenn sie hören, dass ein Pentagon-Memo von einem „Saudi Arabia of Lithium“ spricht, also von einem strategischen Rohstoff allerersten Ranges; wenn am 14. Juni US-General David H. Petraeus schwärmt: „Das gibt atemberaubende Möglichkeiten… Es gibt zwar noch eine Menge an Wenn und Aber, doch ich denke, dass die Funde sehr bedeutend sind.“
Seit dem 4. Juli ist derselbe Petraeus Oberkommandierender der US- und Isaf-Truppen in Afghanistan. Damit dürfte sich auch für diejenigen, für die ökonomische Interessen bisher kein Kriegsgrund waren, die Frage stellen, ob sie jetzt nicht ein Grund sind, um militärisch einen Fuß in der Tür zu halten. Petraeus hat sich nie zu dem von Obama angekündigten Truppenabzug 2011 bekannt.
Ihr Jürgen Nieth