Gründe zum Feiern
Jubiläumsveranstaltung des ZfK und Verleihung des Peter Becker-Preises, 6. Mai 2011, Marburg
von Leonie Alteheld
„Hallo erst mal, ich weiß gar nicht, ob Sie schon wissen, dass nirgends mehr gelogen wird als bei Beerdigungen und Jubiläen. Ohne hier eine Systematik der Lügen zu versuchen, unterscheide ich grob zwei Arten: Erstens, es wird nur Positives gesagt und dieses in Superlativen! Zweitens, es wird vieles weggelassen, ausgespart.“
Mit diesen Worten bereitete Prof. Dr. em. Ralf Zoll die Festgäste in der Alten Aula der Universität Marburg auf seine Rede vor, welche am 6. Mai 2011 den Abschluss der Feierlichkeiten zum zehnjährigen Jubiläum des Zentrums für Konfliktforschung (ZfK) bilden sollte.
Zehn Jahre ZfK …
Zu Beginn der Veranstaltung aber redete die Präsidentin der Philipps-Universität, Prof. Dr. Katharina Krause. Sie würdigte das breite Angebot von Methodik und Didaktik in Lehre und Forschung, die Wege aufzeigen, wie sich gewalttätige Konflikte ohne den Einsatz von Militär regeln lassen. Nach einem Rückblick auf die Ursprünge des Zentrums, welches im Zuge der Friedensbewegungen der 1980er Jahre aus der Interdisziplinären Arbeitsgruppe für Friedens- und Abrüstungsforschung (IAFA) entstanden war, betonte sie das im deutschsprachigen Raum einzigartige Nebenfach-Studienangebot, welches aktuell über 1.000 Studierende in Anspruch nehmen. Seit 2004 bietet das ZfK auch den Masterstudiengang »Friedens- und Konfliktforschung« an, für den sich zu Beginn lediglich 18 Studierende bewarben. 2010 stieg die Zahl derer, die sich Hoffnung auf einen der 30 Studienplätze machten, auf fast 300 Bewerber. Ab diesem Jahr bietet das ZfK in Zusammenarbeit mit der Universität Kent zusätzlich den zweijährigen internationalen, englischsprachigen Doppelmasterstudiengang „Peace and Conflict Studies“ an
Die Präsidentin würdigte ebenfalls die Vielzahl internationaler Kooperationen und die interdisziplinäre Ausrichtung des Zentrums.
Den Platz am Rednerpult nahm anschließend der Bürgermeister der Universitätsstadt Marburg, Dr. Franz Kahle, ein. Er führte aus, wie gut das Zentrum für Konfliktforschung zur Stadt Marburg passe, und zog den Bogen vom Universitätsgründer Philipp dem Großmütigen bis hin zu aktuellen Marburger Konflikten.
Der geschäftsführende Direktor des ZfK, Prof. Dr. Mathias Bös, erläuterte schließlich, welche Aufgaben das Zentrum in der Ausbildung der Studierenden übernehme. So soll durch die Analyse von Konflikten Wissen geschöpft und bewahrt und aus der Vergangenheit gelernt werden, um die Zukunft sicherer zu machen. Fast schon philosophisch fuhr Bös fort: „In dieser Stellung zwischen Vergangenheit und Zukunft sind wir ein bisschen wie Wegweiser. Wegweiser, die gerade, wenn sie weiter den Weg in eine gesellschaftliche Praxis weisen sollen, den Weg selbst nicht gehen dürfen, weil sie sonst ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen könnten“. Die Arbeit am Zentrum sei jedoch nur möglich durch ein wissenschaftlich, national und international gut aufgestelltes Kollegium. Schon seit den Anfängen sei das Zentrum durch ein hohes Maß an Interdisziplinarität geprägt, beispielsweise durch die Kooperation mit dem Marburger Zentrum für Nah- und Mitteloststudien (CNMS), aber auch mit dem Zentrum für interdisziplinäre Religionsforschung (ZIR).
… 30 Jahre Geschichte…
Die beiden letzten Redner der Jubiläumsveranstaltung waren die emeritierten Professoren Dr. Gert Sommer und Dr. Ralf Zoll. Als »Männer der ersten Stunde« spielen beide bis heute eine wichtige Rolle in der Geschichte der Marburger Friedens- und Konfliktforschung.
Gert Sommer war von 1977 bis 2006 Professor für Psychologie in Marburg und unter anderem Mitbegründer der IAFA. Er ging auf die Anfangszeit des Zentrums als Interdisziplinäre Arbeitsgruppe für Friedens- und Abrüstungsforschung und generell auf die geschichtlichen Hintergründe der Friedens- und Konfliktforschung ein: Die 1970er und ’80er Jahre seien besonders durch die militärische Aufrüstung und Atomwaffenpolitik im Ost-West-Konflikt geprägt gewesen. Insbesondere in den USA wurde die Gefahr eines Atomkrieges marginalisiert. Die Sowjetunion als »das Böse« und der Antikommunismus prägten die westliche Welt. Der NATO-Beschluss von 1979, welcher festlegte, dass mehr als 500 weitere Atomraketen in Deutschland stationiert werden sollen, falls die UdSSR ihre SS-20 nicht reduziert, sorgte innerhalb der BRD für innenpolitische Kontroversen. 1981 demonstrierten 300.000 Menschen in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn, 1982 sogar 500.000. Im Jahr 1983 fanden parallel Kundgebungen in Bonn, Berlin, Hamburg und Stuttgart mit 1,3 Millionen Menschen statt, welche die Beschlüsse der Politiker nicht einfach hinnehmen wollten.
Nach diesem politisch-geschichtlichen Abstecher ging Sommer direkt auf die Arbeit der 1985 gegründeten Forschungsgruppe ein, an der sich in ihren Anfängen rund 40-50 Mitglieder unterschiedlicher Fachbereiche beteiligten. Die Arbeit der IAFA war über die Jahre hinweg durch vielerlei Forschungen in unterschiedlichsten Bereichen geprägt. Auch die Ringvorlesung »Weltpolitik im Umbruch«, welche im Wintersemester 1988/89 an der Universität zum ersten Mal angeboten wurde und bis heute fortgesetzt wird, stellt einen wichtigen Teil der Lehre und der Arbeit der Organisation dar. Viele Professoren und Gastredner vermittelten den Studierenden in der Ringvorlesung wichtige Beiträge zur heutigen Friedens- und Konfliktforschung. Symposien, Umfragen und zahlreiche Publikationen sind ebenfalls Ergebnis der IAFA-Arbeit.
„Die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe für Friedens- und Abrüstungsforschung an der Philipps-Universität Marburg hat wohl nicht die große Welt verändert. Aber sie hat wesentlich dazu beigetragen, dass höchst bedeutsame Themen wie Krieg und Frieden, Rüstung, Ressourcenverschwendung und Konfliktregelungsformen strukturell an der Philipps-Universität verankert wurden“, so Prof. Dr. Gert Sommer.
…. und 15 Jahre Lehre
Die Rede von Prof. Dr. Ralf Zoll bildete den Abschluss der ZfK-Feierlichkeiten. Mit Witz und Sarkasmus schaffte es Zoll, die Zuhörer zum Schmunzeln, Lachen und Nachdenken zu bringen. Der Soziologe arbeitete in den 1970er Jahren zur Bildungsreform innerhalb des deutschen Militärs und wurde später Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr. 1981 bekam Zoll für seine Leistungen als Sozialwissenschaftler mit weltweiter Reputation das Bundesverdienstkreuz verliehen. Er, Zoll, wolle mit der zu Beginn seiner Rede schon angesprochenen üblichen Praxis des Lügens zwar brechen, werde aufgrund der fehlenden Zeit jedoch zumindest an dem »Weglassen« vieler Dinge nicht vorbeikommen. Die positive Entwicklung des Zentrums für Konfliktforschung kann nach Zoll als Märchen erzählt werden. Dies passe gerade deshalb gut, da auch viel Böses in dieser Zeit geschehen sei, also wie im Märchen.
Bevor ein Curriculum für Studierende geschaffen wurde, musste erst definiert werden, was man unter Friedens- und Konfliktforschung überhaupt verstehe. Daher wurde für den Beginn der Lehre – die übrigens schon vor Gründung des ZfK 1996 aufgenommen wurde – ein dreibändiges Einführungswerk mit rund 1.600 Seiten erarbeitet, um den Studierenden die Grundlagen des Faches näher zu bringen. Der Weg durch die Gremien zur Etablierung des Zentrums sei jedoch nicht leicht gewesen. Oftmals standen die Forscher ablehnenden Mehrheiten gegenüber. War die Universitätsleitung schon bald auf der Seite der aufstrebenden Konfliktforscher, so sei es kein leichtes Unterfangen gewesen, sich beim Bildungsministerium in Wiesbaden bzw. beim Land Hessen durchzusetzen. Nach langem Kampf konnte schließlich in der Gründungsphase des ZfK auf Mitglieder aus 16 Fachbereichen zurückgegriffen werden.
Zum Abschluss seiner Rede richtete Ralf Zoll auch Wünsche an die heutigen Verantwortlichen des ZfK: Er wünsche sich, dass in Marburg die Bereiche Ökonomie und Ökologie stärker Berücksichtigung finden als bisher, dass Chancen für die interdisziplinäre Forschung intensiver genutzt und Kreativität, emotionale und soziale Intelligenz der Studierenden in Zukunft stärker gefördert werden.
Peter Becker-Preis an israelisch-palästinensische Projekte
Nach Abschluss der Feierlichkeiten zum zehnjährigen Jubiläums folgte ein kleiner Empfang für die anwesenden Gäste. Ein weiterer Höhepunkt des Tages sollte die Verleihung des Peter Becker-Preises 2010 für Friedens- und Konfliktforschung sein. Der vom Marburger Rechtsanwalt Dr. Peter Becker gespendete, mit 10.000 Euro dotierte Preis wird seit 2000 alle zwei Jahre von der Universität vergeben. Nach einführenden Worten der Präsidentin und des Geschäftsführers stimmte Uli Jäger (Tübingen), dessen Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. vor zwei Jahren für das Projekt »Peace Counts on Tour« ausgezeichnet worden war, als Laudator auf die diesjährigen Preisträger ein.
Das Preisgeld wurde in diesem Jahr dreigeteilt. Prof. Dr. Gabriel Salomon von der Universität Haifa in Israel, der zu den Konflikten in Israel/Palästina arbeitet, bekam 5.000 Euro für sein Lebenswerk als Friedenspädagoge. Weitere 2.500 Euro gingen an den derzeit in den USA lebenden Israeli Dr. Sapir Handelman und das »Minds of Peace Experiment«. Er arbeitet in Kleingruppen mit Israelis und Palästinensern, die stark in den Konflikt eingebunden sind, und versucht dabei ihre »hearts and minds« anzusprechen. Ziel des Projektes ist es, gewaltfreie Lösungsmöglichkeiten für diese spezielle Konfliktproblematik zu erforschen und so dabei zu helfen, Frieden in der Region Israel/Palästina zu stiften. Der dritte Preisträger, der ebenfalls 2.500 Euro erhielt, ist das »Day Care Center for Arab and Jewish Children at Risk« in Jaffa, Israel, bei der Zeremonie vertreten durch Lana Sirri. Das Tageszentrum, in dem etwa 50 jüdische, muslimische und christliche Kinder zwischen sechs und 13 Jahren betreut werden, möchte unter Berücksichtigung von Demokratie, aber auch unterschiedlichen religiösen und kulturellen Hintergründen, den Kindern Bildung und soziale Fertigkeiten vermitteln.
Die Kommission, welche die Preisträger bestimmt hat, hätte wohl zu keiner besseren Entscheidung kommen können. Die Wissenschaftler bzw. Projekte ergänzen sich ideal in der Thematik ihrer Arbeit. Die Vergabe des Peter Becker-Preises 2010 war ein würdiger Abschluss dieses denkwürdigen Festtages einer der heutzutage wohl angesehensten und wichtigsten Organisationen Marburgs, dem Zentrum für Konfliktforschung.
Einige Reden der Jubiläumsveranstaltung sowie die Beiträge zur Verleihung des Peter-Becker-Preises stehen unter uni-marburg.de/konfliktforschung online.
Leonie Alteheld