W&F 2008/4

Hat die Friedensforschung Einfluss auf die Politik?

von Helmut Hugler

FriedenswissenschaftlerInnen haben in der Regel den Anspruch auf praktische Relevanz ihrer Forschung. Das unterscheidet sie nicht unbedingt von anderen sozialwissenschaftlichen Forschenden. Die erheblichen Veränderungen der außenpolitischen Praxis in Deutschland (Stichworte hierfür sind die Zunahme der Bedeutung der deutschen Außenpolitik und der internationalen Einsätze der Bundeswehr) werfen jedoch die Frage auf, inwiefern die Friedens- und Konfliktforschung Einfluss auf diese Entwicklung hat und damit die Frage nach deren Praxisrelevanz. Aus meiner Sicht als langjähriger wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Bundestag hört sich die Antwort widersprüchlich an: Der Einfluss von friedenswissenschaftlicher Expertise und Politikberatung auf die Politik hat zugenommen trotz oder wegen der aktiveren militärischen Rolle der Bundesrepublik. Um dies zu begründen, werde ich von verschiedenen Seiten, jedoch exemplarisch, das komplexe Zusammenspiel beleuchten.

Das politische und gesellschaftliche Umfeld

Das Umfeld ist unterteilbar in die »Politik«, den politischen Raum und gesellschaftlich-politische Öffentlichkeit. Die Wirkung auf den politischen Raum lässt sich als direkte Wirkung auf die Entscheidungsträger qualifizieren, die Wirkung in der Öffentlichkeit vermittelt sich über gesellschaftliche und politische Diskurse und Debatten. Zur direkten Wirkung auf die Politik muss dort die Bereitschaft vorhanden sein, friedenswissenschaftliche Forschungsergebnisse1 aktiv zu rezipieren und umzusetzen. Barbara Tuchman stellt fest, dass in der Politik eine Situation besteht, „nach vorgefassten, festen Anschauungen einzuschätzen und gegenteilige Anzeichen zu missachten und oder zu verleugnen“.2 Positiv gewendet kann das auch bedeuten, dass Ergebnisse, die diesen vorgefassten Anschauen entsprechen, aufgenommen werden. Das heißt, es müssen politische Akteure vorhanden sein, die die politisch-normative Ausrichtung der Forschung teilen und in der Lage sind, die Ergebnisse in ihre politischen Strategien einzubauen. Dies nenne ich die direkte Wirkung der Friedensforschung auf die Politik.

Die indirekte Wirkung der Friedensforschung durch die Beeinflussung der öffentlichen Debatte ist gleichfalls nicht zu vernachlässigen. Durch friedenswissenschaftliche, publizistische Interventionen, durch die Artikulierung von Ergebnissen, durch zivilgesellschaftliches Engagement können Rahmenbedingungen für subjektiv oder objektiv durchsetzbare Politik geschaffen werden. Diese kann sowohl im Rahmen von gesellschaftlichen Diskursen auf die Politik wirken, die sehr sensibel auf öffentliche Stimmungen reagiert, wie auch indirekt durch die längerfristige Umwertung von Politikinhalten durch eine langfristig angelegte öffentliche Debatte.

Zu unterscheiden ist im politischen Raum, welche Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten die Ansprechpartner der Friedensforschung haben, gehören sie der Opposition oder der Regierung an: Oppositionspolitiker können sich beraten lassen, können diese Beratung in die öffentliche Debatte einfließen lassen, die Wirkung auf Regierungsentscheidungen wird aber indirekt bleiben.

Die Friedensforschung konnte auf viele der »neuen Kriegs«-Situationen schneller Antwort geben als die so genannten »Realisten«. In diesem Prozess ist die Friedensforschung in den Mainstream der Wissenschaft der Internationalen Beziehungen und des gesellschaftlichen Diskurses gelangt. Auch konservative Entscheidungsträger haben inzwischen erkannt, dass Konfliktbearbeitung eine komplexe Angelegenheit ist, die eines multidimensionalen Ansatzes bedarf, und die Wirksamkeit von umfassenden (Sicherheits-)Ansätzen anerkannt.

Die direkte Wirkung von Friedensforschung

Zunächst müssen Adressaten für die Ergebnisse der Friedensforschung vorhanden sein, also PolitikerInnen, Parteien, gesellschaftliche Gruppen, die sich aufgrund einer geteilten Problemwahrnehmung beraten lassen wollen. PolitikerInnen, die einem realistischen Weltbild folgen, mögen aus Stabilitätsgründen auf technische Weise auf Ergebnisse der Friedensforschung zurückgreifen, ihr Ziel ist jedoch nicht die Bearbeitung eines Konfliktes, sondern die Durchsetzung von (nationalen) Interessen. In Freund-Feind-Schemata denkende PolitikerInnen, werden auf Ergebnisse der Friedensforschung nicht zurückgreifen. Die Erweiterung des Sicherheitsbegriffs nach den Ende des Ost-West-Konfliktes ist beispielsweise weniger auf die Ergebnisse der Friedensforschung zurückzuführen als auf »Versicherheitlichungstendenzen«, die sich im Rahmen der Sicherheits- und Stabilitätsdebatten durchgesetzt haben.

Die Situation hat sich mit der rot-grünen Koalition geändert. SPD und Grüne haben schon zu Oppositionszeiten aus der Friedensforschung Ideen aufgegriffen, insbesondere zum Thema »Zivile Konfliktbearbeitung«, und in politische Konzepte gegossen. Ironischerweise hat sich die Wirkung der Friedensforschung in dem Moment erhöht, in dem die Bundesrepublik Deutschland sich am Kosovo-Krieg beteiligte. Den Akteuren dieser politischen Konstellation war klar, dass Konflikte nicht mit militärischen Mittel zu lösen sind, gleichzeitig aber wurde der Einsatz von Militär ein politisches Mittel. Die militärische Vorgehensweise wurde in ein politisches Programm der Konfliktbearbeitung eingebettet. Auch die Debatte über zivile Krisenprävention, die bereits zu Oppositionszeiten bei SPD und Grünen geführt wurde, wurde intensiviert, da in beiden Parteien klar war, dass Militär im traditionellen Sinn keine Konfliktbearbeitung generieren kann und zur Verhinderung von gewaltförmig ausgetragenen Konflikten die Instrumente fehlen. Der Stabilitätspakt für den Westlichen Balkan wurde zwar auch in diplomatischen Kreisen bereits längere Zeit diskutiert, aber in seine Konzeptionierung und Umsetzung sind dann auch Elemente der Konstruktiven Konfliktbearbeitung eingeflossen.

Die Entwicklung des »Aktionsplans Zivile Krisenprävention«3 wurde maßgeblich von der Friedensforschung beeinflusst. Nicht nur, dass die daran beteiligten Abgeordneten FriedensforscherInnen mit der entsprechenden Expertise zu Rate zogen, die Friedensforschung war bis hin in die redaktionellen Arbeiten direkt an der Entstehung beteiligt. Über den Beirat Zivile Krisenprävention ist die Friedensforschung nun auch institutionell in die Realisierung des Aktionsplanes eingebunden. Bei aller Kritik auch aus der Friedensforschung an dem Umsetzungsprozess lässt sich der Einfluss auf die Politik an dieser Stelle nicht bestreiten.

Ein weiteres Beispiel: das Abkommen über Kooperation im zivilen Nuklearbereich zwischen den USA und Indien. Im Juni 2005 vereinbarten die beiden Staaten den Abschluss eines Abkommens, das die Lieferung nuklearer Technologie und Materials an Indien ermöglichen sollte. Hierfür erforderlich war eine Ausnahmeregelung der Nuclear Suppliers Group, einer Gruppe von 45 Staaten, nach deren verbindlichen Kriterien für Nuklearexporte Indien nicht hätte beliefert werden dürfen. Während ein Teil der Friedensforschung die Vereinbarung ablehnte (z. B. die Arms Control Association), waren andere Friedensforscher zwar skeptisch, aber nicht eindeutig ablehnend (z. B. Harald Müller, HSFK). Die Ausnahmeregelung wurde nun letzten Monat für Indien beschlossen. Teile der Friedensforschung konnten Einfluss auf die Politik der Bundesregierung ausüben, wenn auch in durchaus umstrittener Weise.

Die indirekte Wirkung: Das gesellschaftliche Umfeld, die öffentliche Debatte

Die indirekte Wirkung über öffentliche Debatten ist sehr schwierig messbar. Sicher: Wenn ein Thema die öffentliche Debatte bestimmt, dann muss Politik allein aus Legitimationsnöten reagieren. Wenn durch öffentliche Debatten ein Meinungsumschwung einsetzt, dann kann dadurch politischen Entscheidungen ein neuer Rahmen gesetzt werden.

Die Stationierung der Mittelstreckenraketen in den 80er Jahren und die damit einhergehende öffentliche Diskussion ist hierfür ein (älteres) Beispiel. Die Friedensforschung hat aktiv an der Debatte mitgewirkt, die Öffentlichkeit beeinflusst und den Kritikern der Nachrüstung Argumente geliefert.

Auf den ersten Blick waren Friedensforschung und -bewegung erfolglos, weil die Raketen zunächst stationiert wurden. Auch deren Abrüstung war nicht der Aufnahme von Ergebnissen der Friedensforschung geschuldet. Die deutschen Außenpolitiker der 1980er Jahren haben diese kontroverse öffentliche Debatte aber so rezipiert, dass sie sich bei vergleichbaren politischen Entscheidungen zurückhaltend verhielten, da sie eine zweite »Raketendebatte« fürchteten. Die Erfahrung der BefürworterInnen der Nachrüstung war, dass viele der Argumente gegen die Nachrüstung aus der Forschung kamen. Es war eine gesellschaftliche Stimmung vorhanden, die bereit war, die Argumente der Friedensforschung aufzunehmen.

Nach als zentral wahrgenommenen Ereignissen verschieben sich die öffentlichen Meinungsbilder. Während der Zeit des Ost-West-Konfliktes war die Weltsicht geprägt von Bipolarität. Die friedenspolitische Debatte war in vielen Bereichen darauf orientiert bzw. musste sich in diesem Umfeld bewegen. Ansätze zur zivilen/konstruktiven Konfliktbearbeitung hatten es auf der Ebene der Politik schwer, da dieser Weltkonflikt als nicht lösbar wahrgenommen wurde. Im günstigsten Fall ging es um die Regulierung / Verregelung des Konfliktes und um die Bearbeitung von Konfliktfeldern, die als dysfunktional für die jeweiligen Interessen angesehen wurden. Unter diesen Bedingungen entwickelten z.B. Friedensforscher des IFSH die durchaus politikrelevante Theorie der Rüstungskontrolle, deren primäres Ziel nicht Abrüstung, sondern die kooperative Steuerung der Rüstung war.

Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes setzte eine Öffnung des sicherheitspolitischen Denkens auch in konservativen Kreisen ein, die zwar weiterhin stabilitäts- und interessenpolitischen Vorgaben folgte, aber wahrnahm, dass Macht, Einfluss, Politik sich aus vielen verschieden Elementen zusammensetzen. Gesamtgesellschaftlich wuchs die Bereitschaft, nichtmilitärische Elemente von Konfliktbearbeitung zu akzeptieren. Dies führte zu einer Annäherung zwischen militärischen und zivilen Maßnahmen in der Wahrnehmung der Politik.

Nach den Anschlägen von New York und Washington am 11.September 2001 gab es eine weitere Verschiebung der öffentlichen und Fachdebatte. »Sicherheit« wurde neu diskutiert, Bereiche der Außen- und Entwicklungspolitik wurden »versicherheitlicht«. Skeptische Stimmen aus der Friedensforschung, die vor einer Überbewertung der Anschläge warnten, wurden ignoriert. Es entwickelte sich keine der Diskussion der 1980er Jahre vergleichbare, dem »Nuklearpazifismus« entsprechende, die Gesellschaft durchdringende Debatte über die zukünftige Ausrichtung der Außen- und Sicherheitspolitik. Die Wirkung der Friedensforschung war erheblich abgeschwächt.

Welche Friedensforschung brauchen wir?

FriedensforscherInnen wollen, dass ihre Arbeit von der Politik wahrgenommen wird. Was häufig und mit Gewinn gelesen wird, sind relativ kurze Papiere mit Empfehlungen. Am effektivsten sind direkte Gespräche, Briefings oder Workshops, auf denen mit den ForscherInnen direkt diskutiert bzw. nachgefragt werden kann. Hier kann Wissen sozusagen in Echtzeit von der Politik aufgenommen werden.

Grundlagenforschung, wie z. B. theoretische Arbeiten zum demokratischen Frieden, die einen geringen Bezug zur politischen Alltagspraxis haben, werden in der Politik kaum wahrgenommen. Damit soll nicht gesagt werden, dass diese Forschung keine Bedeutung hat. Aber ihre Wirkung entfaltet sich erst durch konkrete empirische Arbeiten, die auf der Basis der entwickelten theoretischen Modelle operieren.

Bei welchen Themen besteht derzeit konjunktureller Bedarf? Es darf nicht wundern, dass Arbeiten über Afghanistan in der gegenwärtigen Debatte mit Interesse wahrgenommen werden. In Afghanistan mussten Politik und Friedensforschung dazulernen. Der Aufbau eines stabilen und demokratischen Staates wird erstens länger dauern als erwartet und zweitens muss er sich an den gesellschaftlichen Umständen und Wertvorstellungen vor Ort orientieren. Hier kann die Friedensforschung durch Studien und Meinungsumfragen, wie das z. B. in einem Sonderforschungsbereich der FU Berlin passiert, Hinweise geben, an welchen Kriterien sich die Strategie und konkrete Projekte orientieren sollten.

Da sich die Politik mit sehr konkreten Problemen auseinandersetzen muss, wird das Gespräch mit ExpertInnen, die empirisch arbeiten, gesucht. Themen sind der zivile Wiederaufbau, die Evaluierung der Maßnahmen der Internationalen Gemeinschaft und der Akzeptanz der Maßnahmen in der Bevölkerung vor Ort.

Das transatlantische Verhältnis wird wohl, unabhängig davon, wer die Wahl in den USA gewinnt, neu definiert werden. Multilaterale Politik wird wieder eine größere Chance bekommen, auch wenn der Spielraum natürlich vom Wahlergebnis abhängt. Aufgabe der Friedensforschung könnte vor diesem Hintergrund sein, Optionen für eine gemeinsame transatlantische Politik, z. B. im Bereich Rüstungskontrolle, auszuloten. Die Zeit drängt, wenn die nächste Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages kein Misserfolg werden soll. Aber ohne die Bereitschaft der Vereinigten Staaten werden wir das »window of opportunity« in der nuklearen Rüstungskontrolle nicht nützen können.

Zusammenfassende Bemerkungen

Abschließend würde ich zusammenfassen, dass sich die direkte Wirkung der Friedensforschung auf die Politik seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes erhöht hat. Die »disziplinierende Wirkung« des Kalten Krieges (Ernst-Otto Czempiel) hat nicht nur auf der Ebene der internationalen Beziehungen gewirkt, sondern auch innergesellschaftlich. Viele Forschungsergebnisse, z. B. zur Entwicklung von Feindbildern oder zur zivilen Konfliktbearbeitung, wurden in den 1980er Jahren eher misstrauisch, weil nicht in das Ost-West-Schema passend, beäugt.

Der Wandel des politischen Raums, zunächst rot-grün, dann die Große Koalition, führte zu einer höheren Aufnahmebereitschaft von Ergebnissen aus der Friedensforschung. Die direkte Wirkung der Friedensforschung scheint sich auch unter der Großen Koalition nicht abzuschwächen. An der außenpolitischen Grundrichtung, was die konkreten Konfliktbearbeitungsstrategien betrifft, hat sich hierdurch wenig geändert hat; strategische Leitlinien wie der Aktionsplan Zivile Krisenprävention wurden beibehalten und weiter institutionalisiert. Ob und wie nachhaltig dieser Wandel bei konservativen Kräften ist, bleibt abzuwarten.

Indes scheint sich die indirekte Wirksamkeit der Friedensforschung eher verflüchtigt zu haben. In den 80er Jahren gründete sie auf dem »Nuklearpazifismus«. Seitdem hat sich keine ähnliche öffentliche Stimmung entwickelt, das Unbehagen der Öffentlichkeit an den Bundeswehreinsätzen bleibt eher diffus. Allerdings sind meine Ausführungen persönliche Eindrücke, eine Wirkungsforschung über die Friedensforschung steht noch aus.

Anmerkungen

1) Ich beziehe mich hier auf die Friedensforschung, die abgrenzbar von der Politikwissenschaft der Internationaler Beziehungen und interdisziplinär orientiert ist, in deren Fokus es vor allem um Konfliktbearbeitung geht; dazu gehören VertreterInnen eines radikal-pazifistischen Ansatzes wie des institutionellen Pazifismus.

2) Tuchmann, Barbara (1984): Die Torheit der Regierenden. Von Troja bis Vietnam, Frankfurt/Main, 3. Aufl., S.15.

3) Aktionsplan zur Zivilen Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Friedenskonsolidierung, Unterrichtung der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag, 15. Wahlperiode, Bundestagsdrucksache 15/5438 von 26. Mai 2004 (zugeleitet mit Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 12. Mai 2004 (Bundestagsdrucksache 15/5438).

Helmut Hugler ist Mitarbeiter der SPD-Bundestagsabgeordneten Uta Zapf; er war von 1996 bis 1999 ehrenamtlich in der Redaktion der Zeitschrift W&F tätig.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2008/4 Friedenswissenschaft – Friedensbewegung – Friedenspolitik, Seite