W&F 2004/1

Hat die Souveränität versagt?

Die britische Rolle im Irakkrieg

von Ian Davis

Die Invasion der USA und Großbritanniens im Irak wurde vor allem mit der Abrüstung der nuklearen, biologischen und chemischen Waffen des Regimes von Saddam Hussein begründet. Geheimdienstpapiere, – auch britische – die die Gefahren belegen sollten, erwiesen sich im Nachhinein als überzogen und zum Teil direkt gefälscht. Nennenswerte Mengen biologischer oder chemischer Agenzien wurden bis heute nicht gefunden, obwohl für die Suche extra eine 1.200 Mann starke Sondereinheit mit US-Inspektoren zusammengestellt wurde. Ian Davis geht der Frage nach, ob die Entscheidung, den Irak anzugreifen, auf der Grundlage irreführender Geheimdienstinformationen basierte oder ob es sich um eine Entscheidung handelte, die George W. Bush – vielleicht zusammen mit Tony Blair – bereits vor Beginn der öffentlichen Debatte gefasst und die mit Massenvernichtungswaffen wenig zu tun hatte.

Eine Tatsache scheint heute unstrittig: Bei Kriegsbeginn verfügte der Irak nicht über die Massenvernichtungswaffen, die ihm von der britischen und US-amerikanischen Regierung unterstellt wurden. Folglich war der Irak auch nicht die ernste und aktuelle Bedrohung für die nationalen Interessen Großbritanniens, den Nahen Osten und die Vereinigten Staaten, die britische und US-Regierungsmitglieder ständig hervorgehoben haben. Die Entscheidung der USA und Großbritanniens, weitere Waffeninspektionen durch die Vereinten Nationen zu blockieren, die Mehrheit im UN-Sicherheitsrat zu ignorieren und einen kostspieligen Krieg mit offenem Ende loszutreten, war folglich weder nötig noch gerechtfertigt.

Ganz offensichtlich gab es genug zeitlichen Spielraum für weitere Inspektionen, diplomatische Initiativen und freiwillige Abrüstungsmaßnahmen des Irak. Und es ist keineswegs so, dass wir erst hinterher schlauer sind. Schon vor dem Krieg hatten Hans Blix, ehemalige Inspektionsteams und sogar einige der US-amerikanischen und britischen Geheimdienstexperten darauf hingewiesen, dass die Beweislage für die Existenz verbotener Waffen sehr schwach war.

Die Entscheidung, den Irak anzugreifen, war also entweder eine kolossale Fehleinschätzung auf der Grundlage irreführender Geheimdienstinformationen oder aber das Ergebnis einer politischen Entscheidung, die George W. Bush – vielleicht zusammen mit Tony Blair – schon vor Beginn der öffentlichen Debatte gefasst und die mit Massenvernichtungswaffen nur wenig zu tun hatte. Je mehr Informationen über den Entscheidungsprozess durchsickern, desto mehr deutet auf Letzteres.

Bush und Blair haben wiederholt argumentiert, das Regime von Saddam Hussein habe über 20 Jahre lang seine politischen Gegner und ethnische Minoritäten brutal unterdrückt, zur Erlangung einer regionalen Hegemonie Nachbarländer mit Aggression überzogen und hartnäckig den Aufbau eines nuklearen, chemischen und biologischen Waffenarsenals verfolgt. All das ist wahr. Aber wenn der Sturz von Saddam Hussein das Ziel war, warum wurde der Krieg dann nicht genau damit begründet? Die Antwort liegt auf der Hand: Ein militärisch erzwungener Regimewechsel widerspricht dem Völkerrecht. Die Kulisse einer »unmittelbaren Bedrohung« durch irakische Massenvernichtungswaffen wurde aufgebaut, um das militärische Eingreifen zu rechtfertigen. Das, obgleich es mindestens zwanzig andere Länder mit größeren nuklearen, chemischen und biologischen Fähigkeiten gibt, und obgleich bei einigen dieser Länder es viel wahrscheinlicher ist, dass entsprechende Waffen in die Hände von al Qaeda oder anderen Terroristengruppen gelangen können.

Angesichts dieser Faktenlage, der deutlichen Meinungsverschiedenheiten im Kabinett Blair und der Labour-Party sowie einer deutlichen Ablehnung des Krieges in der britischen Bevölkerung, stellt sich die Frage, warum Tony Blair Großbritannien in diesen Krieg führte. Der Hauptgrund ist wohl, dass der britische Premierminister und große Teile des politischen Establishments sklavisch an den traditionellen »besonderen Beziehung« zwischen den USA und Großbritannien festhalten, obwohl sich die US-Außenpolitik fundamental gewandelt hat, und das Mittel »militärische Präemption« zur Leitdoktrin der US-Außenpolitik aufgewertet wurde, was in der neuen »Nationalen Sicherheitsstrategie« der Regierung Bush vom September 2002 deutlich wird.

Großbritannien befürchtet immer wieder den Verlust von Souveränität an Institutionen der Europäischen Union. Dabei verzichtet die britische Außenpolitik zweifellos auf sehr viel mehr Souveränität, wenn sie sich der neokonservativen Agenda der US-amerikanischen Hardliner unterwirft und sich für die neue US-zentrierte Weltsicht einspannen lässt.

Die besondere Beziehung zwischen GB und den USA

„Was ich als brüderliche Verbindung der englischsprachigen Völker bezeichne … führt zu einer besonderen Beziehung zwischen dem Britischen Commonwealth und Empire und den Vereinigten Staaten,“ führte Winston Churchill 1946 in einer Rede mit den Titel »Kräfte des Friedens« aus.

Seitdem hat die »besondere Beziehung« zwischen Großbritannien und den USA etliche deutliche Meinungsverschiedenheiten ausgehalten. Die beiden Tiefpunkte waren die Suezkrise 1956 und der Vietnamkrieg. Die Weigerung Harold Wilsons, britische Truppen in den Kampf gegen die Vietkong zu schicken – obwohl US-Präsident Lyndon Johnson sich verzweifelt um die aktive Unterstützung Großbritanniens bemüht hatte –, hatte beträchtliche politische und wirtschaftliche Auswirkungen: Das britische Pfund wurde abgewertet und die Weigerung der USA, wirtschaftliche Unterstützung zu gewähren, war ein Auslöser für die nachfolgende Wirtschaftskrise.

Mit Ausnahme von Vietnam gibt es aber keinen weiteren Fall, indem sich Großbritannien in einem Konflikt gegen die Außenpolitik der USA gewandt hätte. Die militärische und politische Kooperation im Golfkrieg 1991 begründete dann den Glauben an eine unbesiegbare militärische Zusammenarbeit der USA und Großbritanniens. Befürworter dieser Politik argumentieren, dass die Briten im Ganzen gesehen von der »besonderen Beziehung« profitiert hätten, z. B. durch besseren Zugang zu Geheimdienstinformationen, die Atom-U-Boote Polaris und Trident sowie die Unterstützung der USA im Falklandkrieg. Kritiker hingegen glauben, dass Großbritannien durch die »besondere Beziehung« bis heute daran gehindert wurde, eine eigenständige oder euro-zentrierte Rolle in der Weltpolitik einzunehmen. Die Wahrheit liegt wohl wie bei jeder bilateralen Beziehung in der Mitte: Sie hat Vor- und Nachteile und unweigerlich auch einen Juniorpartner – in diesem Fall Großbritannien.

Als Präsident Clinton im Weißen Haus und Tony Blair in der Downing Street das Sagen hatten, entwickelte sich aufgrund des engen Verhältnisses und der gegenseitigen Achtung eine besonders enge »besondere Beziehung«. Mit der Wahl von Präsident Bush wurde das Verhältnis zunächst deutlich kühler und pragmatischer, doch mit den Angriffen auf das World Trade Center im September 2001 änderte sich die Dynamik über Nacht. Tony Blair bot dem US-Präsidenten nahezu bedingungslose Unterstützung für seinen Krieg gegen den Terror an.

Was sind die Ziele von Tony Blair in dieser neuesten Runde des bewährten angloamerikanischen Rituals? Zuallererst will er George W. Bushs engster Verbündeter in Europa bleiben. Er unterstützt Bush öffentlich, wobei er davon ausgeht, dass sein privater Einfluss auf den Präsidenten deutlich zunimmt, wenn er sich als loyaler Verbündeter erweist. Im Januar dieses Jahres schrieben zwei Analysten der Heritage Foundation in der Washington Times: „Großbritannien erwies sich in den Augen Washingtons als die zweitmächtigste Nation der Welt. Dass Mr. Blair im Krieg gegen den Terrorismus Schulter an Schulter mit Präsident Bush steht, hat sich auf das britische Ansehen und den Einfluss des Landes auf der internationalen Bühne ganz klar positiv ausgewirkt. In jedem Schlüsselbereich … ist der britische Stern im Steigen.“ Dieses Lob will etwas heißen und setzt natürlich voraus, dass sich Großbritannien nicht zu weit über seine Stellung erhebt und etwa die US-Hegemonie in Frage stellt. Da die Autoren dies für unwahrscheinlich halten, schließen sie mit dem Satz: „Es bleibt im ureigensten Interesse Londons, zur Maximierung seiner Macht Washington im Blick zu behalten und nicht Brüssel.“ London scheint das auch so zu sehen.

Es lässt sich kaum bestreiten, dass der britische Premierminister einer der wenigen Menschen ist, der wirklich Einfluss auf das Weiße Haus hat. Ihm kam beispielsweise eine Schlüsselrolle zu, als es darum ging, Präsident Bush wieder an die Vereinten Nationen heranzuführen, was schließlich zur Resolution 1441 führte. Weniger erfolgreich war er allerdings bei seinem Versuch, die Amerikaner davon zu überzeugen, dass sie den Vereinten Nationen im Irak eine größere politische und friedenssichernde Rolle zugestehen sollten. Und es gibt kaum Hinweise darauf, dass sich Bush revanchiert, indem er auf britische Prioritäten in der Außenpolitik eingeht, zum Beispiel durch die Stärkung multilateraler Kontrollen von Klein- oder Biowaffen, durch die Ratifizierung des »Umfassenden Atomteststopps« und des Kyoto-Protokolls oder durch die Unterstützung des Internationalen Strafgerichtshofs.

Der Weg zum Krieg: Die Bedeutung des »britischen Dossiers«

Es gab zwar Hinweise auf Meinungsverschiedenheiten zwischen einigen hochrangigen US-Militärs und den für Sicherheitsthemen zuständigen Zivilisten in der Bush-Administration, dennoch beherrschten ganz klar letztere die Debatte. Für sie reichte es nicht aus, dass die UN-Inspektoren wieder in den Irak zurück konnten, sie waren fest entschlossen, die Führung im Irak zu stürzen und durch eine militärische Besatzung oder ein pro-westliches Regime zu ersetzen. In Großbritannien hingegen sprach sich die Bevölkerung seit Beginn der Krise mehrheitlich dafür aus, der Diplomatie eine Chance zu geben.

Sowohl Bush als auch Blair glaubten, dass von dem Regime in Bagdad eine große Bedrohung ausginge und dass sowohl das irakische Volk als auch der Nahe Osten insgesamt von einem Regimewechsel profitieren würden.

Trotzdem kamen bei ihrem Gipfeltreffen im Januar 2003 Unstimmigkeiten über die richtige Strategie zum Vorschein: Der US-Präsident wollte die Pattsituation bei der Abrüstung des Irak „innerhalb von Wochen, nicht Monaten“ auf den Punkt bringen, während Blair die Meinung vertrat, dass „das Wichtigste ist, die Integrität des UN-Verfahrens zu wahren.“ In Camp David bekam Präsident Bush seine Frist für militärisches Eingreifen und Blair erhielt im Austausch die Zusage, vorläufig im Rahmen der Vereinten Nationen zu agieren. Allerdings wurden Blairs Bemühungen um eine zweite UN-Resolution vom Gang der Ereignisse überholt, und er konnte schlussendlich den diplomatischen Countdown zum Krieg nicht aufhalten.

Zu Hause sah sich der britische Premierminister mit einer der größten Demonstrationen in der britischen Geschichte konfrontiert. Trotzdem erreichte die beeindruckende Antikriegsbewegung ihr zentrales Anliegen, den Krieg zu stoppen, nicht. Die regierende Labour-Partei, mit ihrer enormen Parlamentsmehrheit, war buchstäblich nicht zu erschüttern, obwohl am 26. Februar im Unterhaus – nach einer sechsstündigen Parlamentsdebatte über die Stationierung militärischer Einheiten am Golf – 121 Labour-Abgeordnete für einen Änderungsantrag stimmten, der feststellte, dass die Argumente für ein militärisches Eingreifen „noch nicht bewiesen“ seien. Das war die größte Rebellion, die es unter der Führung von Tony Blair je gab und vermutlich sogar die größte Revolte von Abgeordneten einer Regierungspartei in der gesamten Geschichte Großbritanniens. Insgesamt stimmten 199 von 592 Abgeordneten gegen die Regierung, darunter alle 52 Liberaldemokraten sowie 13 Konservative, unter ihnen die früheren Minister Kenneth Clarke und John Gummer. Tony Blair gab zu, dass er bei einer Abstimmungsniederlage zurückgetreten wäre.

Die Informationspolitik der Regierung trug wesentlich bei zur Eindämmung der Rebellion sowohl im Unterhaus als auch im Land. Sie schaffte es, Zweifel darüber zu streuen, in wie weit der Irak eine Bedrohung für Großbritannien und seine Verbündeten darstellte. Die Veröffentlichung eines Geheimdienstberichts über den Irak im September 2002, des so genannten Britischen Dossiers,1 war Kernstück dieser Informationskampagne. Eine der wichtigsten neuen Aussagen des Dossiers war die Behauptung, dass „wir auf Grund unserer Geheimdienstinformationen die Erkenntnis haben, dass der Irak … in Afrika beträchtliche Mengen Uran erwerben wollte, obwohl er kein aktives ziviles Atomenergieprogramm unterhält, in dem solches Material eingesetzt werden könnte.“2 Die Aussage war zentraler Bestandteil der Behauptung, dass der Irak Atomwaffen entwickle. Und diese Aussage wurde fleißig zitiert: Vom US-Außenministerium in seiner Antwort auf die Waffendeklaration des Irak, vom US-Präsidenten in seiner Rede an die Nation und von mehreren hochrangigen Mitgliedern der US-Regierung, darunter dem US-Verteidigungsminister, Donald Rumsfeld, und der Nationalen Sicherheitsberaterin, Condoleezza Rice. Die Medien berichteten groß über die Freigabe des Dossiers, und sowohl die Fernsehnachrichten als auch die Titelseiten der großen Zeitungen machten weltweit die Behauptung zum Aufmacher, dass der Irak in Afrika Uran kaufen wollte. Am 10. Oktober 2002 verabschiedeten die Kongressabgeordneten der USA eine Resolution, mit der sie den Einsatz von Gewalt gegen den Irak autorisierten, und einen Tag später passierte eine gleichlautende Resolution den Kongress. In den Wochen vor und nach der Abstimmung gaben mehr als 180 Kongressabgeordnete die Bedrohung durch die irakische Atomwaffenfähigkeit als Grund für ihre Unterstützung eines Militäreinsatzes im Irak an. 3

Am 7. Dezember 2002 übermittelte die irakische Regierung ihre Waffenerklärung an die Vereinten Nationen. Daraufhin warf das US-Außenministerium dem Irak in einer Erklärung als eine von acht „besonders erwähnenswerten Auslassungen und Täuschungen“ vor, dass „die Erklärung Bemühungen, von Niger Uran zu erwerben, auslässt.“4

Besondere Bedeutung erlangte der gefälschte Beweis in der Rede an die Nation des US-Präsidenten vom 28. Januar 2003. Präsident Bush erläuterte dem Kongress und der Nation: „Die britische Regierung hat Informationen, dass Saddam Hussein vor kurzem in Afrika erhebliche Mengen Uran kaufen wollte.“ US-Außenminister, Colin Powell, nannte bei seinem Auftritt vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 5. Februar 2003 das Dossier ein „feines Dokument“, das die Täuschungen des Irak in „exquisiten Details“ beschreibt.5 Am 7. März 2003 enthüllte dann die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA), dass die entsprechenden Beweise gefälscht waren.

Im Juni 2003 stellte sich heraus, dass der US-Geheimdienst eigene Erkenntnisse über die Beweisfälschung nicht weitergegeben hatte. Ein US-Botschafter a.D. hatte bereits im Februar 2002 im Auftrag der CIA im Niger festgestellt, dass die Waffendokumente vermutlich gefälscht seien. Ein hochrangiger Geheimdienstmitarbeiter äußerte sich gegenüber der Washington Times in dem Sinne, dass die CIA mit einem zentralen Beweisstück „extrem nachlässig“ umgegangen sei.6

Durch Aussagen vor dem Untersuchungsausschuss Hutton, der zur Aufklärung der Todesumstände des britischen Waffenexperten Dr. David Kelly eingesetzt worden war, und andere Enthüllungen der letzten Monate wissen wir inzwischen, dass das Dossier vom September 2002 im besten Fall reichlich fehlerhaft und im schlimmsten Fall vorsätzlich irreführend war. Die schwerwiegendste Beschuldigung, die vom britischen Premierminister mit besonderem Nachdruck hervorgehoben wurde, war die Behauptung, dass der Irak innerhalb von 45 Minuten chemische und biologische Waffen zum Einsatz bringen könnte: „Als Ergebnis unserer Nachforschungen gehen wir davon aus, dass der Irak weiterhin chemische und biologische Agenzien produzierte und militärische Pläne für den Einsatz chemischer und biologischer Waffen, auch gegen die eigene schiitische Bevölkerung, hat. Einige dieser Waffen können innerhalb von etwa 45 Minuten eingesetzt werden.“

Das Dossier behauptete auch, dass der Irak britische Militärbasen auf Zypern mit biologischen und chemischen Waffen treffen könnte. Im Hutton-Ausschuss erläuterte John Scarlett, Vorsitzender des Geheimdienstkomitees, dass sich diese Behauptung auf kurzreichende Gefechtsfeldwaffen bezog. Eine Bedrohung für die britischen Basen auf Zypern wären diese Waffen – selbst wenn es sie denn gegeben hätte – also auf keinen Fall gewesen.

Und inzwischen gibt es noch schwerwiegendere Hinweise auf Faktenfälschung. So behauptet z.B. der ehemalige Außenminister Robin Cook in seinen kürzlich veröffentlichten Tagebüchern, dass Tony Blair bereits zwei Wochen vor Kriegsbeginn wusste, dass der Irak über keine Massenvernichtungswaffen verfügte – was vom Premierminister umgehend dementiert wurde.

Schussfolgerungen

Der erfolgreiche Wiederaufbau des Irak zu einer stabilen Demokratie ist von höchster Wichtigkeit, nicht nur für die Iraker, sondern auch um anderen Ländern in der Region die Vorteile einer pluralistischen Gesellschaft vor Augen zu führen. Der Wiederaufbau erfordert Mittel, die mit denen des Marshall-Plans nach dem Zweiten Weltkrieg vergleichbar sein sollten, und er muss von den Vereinten Nationen geleitet werden. Allerdings wird es dazu wohl nicht kommen. Die bisherigen Pläne der USA für einen Irak nach Saddam reichen dafür nicht und die Versprechen von Präsident Bush und der internationalen Gemeinschaft, den Wiederaufbau von Afghanistan mit höchster Priorität zu betreiben, wurden schließlich auch nicht eingehalten.

Im Irak wurden die Vereinten Nationen umgangen, aber gerade die Irakkrise zeigt, warum multilaterale Institutionen und Völkerrecht so wichtig sind. Auch die transatlantischen Beziehungen haben durch den Irakkrieg schweren Schaden genommen, und zwar sowohl die Institutionen (z.B. NATO) als auch die politischen Beziehungen. Trotz gelegentlicher Schwierigkeiten war das Verhältnis zwischen Europa und Nordamerika eine der wichtigsten Triebkräfte für positiven Wandel in der Welt und hat mitgeholfen, auf beiden Seiten des Atlantiks Frieden und Wohlstand zu verbreiten. Wenn dieses Verhältnis zusammenbricht, wirkt sich das nicht nur auf Europa und Nordamerika negativ aus, sondern auf die ganze Welt. Zusammenarbeit bei der Entwicklungshilfe, Unterstützung für den Aufbau demokratischer Institutionen, Konfliktlösung und Rüstungskontrolle sind einige der kritischen Felder transatlantischer Politik, die darunter leiden würden.

Es wird darauf ankommen, Allianzen mit den vielen Parlamentariern, Politikern und politischen Vordenkern aufzubauen, die weiterhin an der amerikanischen Tradition von Idealismus, Internationalismus und Multilateralismus festhalten. Dieser Prozess könnte positiv beeinflusst werden, wenn europäischen Regierungen mehr Verständnis zeigen würden, für die Bedrohungsängste in den USA, Bedrohungen vor allem durch nicht-staatliche Gruppen.

Statt sich nur am Widerschein des Ruhmes einer neuen »pax americana« zu wärmen, sollte Großbritannien die »besondere Beziehung« zwischen Großbritannien und den USA nutzen, um die transatlantische Agenda so umzugestalten, dass sie internationales, völkerrechtsbasiertes und von rechtsverbindlichen Verträgen und den Prinzipien einer gemeinsamen Sicherheit geleitetes Handeln unterstützt.

Blair sollte hartnäckiger versuchen, Einfluss auf die Richtung der US-Außenpolitik zu nehmen. Zum einen darf er gegenüber Präsident Bush keinen Zweifel daran lassen, dass militärische Macht im Kampf gegen so genannte Schurkenstaaten und Terrorismus nicht ausreicht und dass die Stärke Amerikas sich paaren muss mit Bescheidenheit, mit Partnerschaften mit Verbündeten und mit der Entwicklung einer starken ethischen Dimension der US-Außenpolitik. In Washington gibt es viele moderate Abgeordnete, die eine ähnliche Vision teilen, und die vom »selbstgefälligen Unilateralismus« der Regierung Bush zutiefst beunruhigt sind.

Zum Zweiten wurde vom republikanischen Senator Richard Lugar, dem neuen Vorsitzenden des Senatskomitees für auswärtige Beziehungen, bereits im Januar 2003 in einem Artikel für die Washington Post ein potentieller Aktionsplan vorgeschlagen. Der Politiker aus dem US-Bundesstaat Indiana, der vor allem durch seine als Nunn-Lugar-Programm bekannt gewordene Initiative zur kooperativen Gefahrenverringerung bekannt wurde (die die Sicherung und Vernichtung von Massenvernichtungswaffen in der ehemaligen Sowjetunion ermöglicht), schlug eine neue außenpolitische Kampagne der USA vor, gegen die selbst das »alte Europa« kaum etwas einwenden könnte: Eine Agenda für den Umgang mit Konfliktursachen durch die stärkere Verpflichtung auf Demokratie, Umweltschutz, Energieeinsparung und internationale Entwicklung. Den Aufbau einer solchen Agenda zu unterstützen hieße, den Einfluss Großbritanniens wahrlich positiv zu nutzen.

Anmerkungen

1) Iraq’s Weapons of Mass Destruction. The Assessment of the British Government mit einem Vorwort des britischen Premierministers Tony Blair, 24. September 2002.

2) Ibid, Absatz 24.

3) Fact Sheet: The Bush Administration’s Use of the Forged Iraq Nuclear Evidence, Committee on Government Reform, Minority Office Rep. Henry A Waxman, Ranking Member, Juni 2003.

4) US Department of State: Fact Sheet: Illustrative Examples of Omissions From the Iraqi Declaration to the United Nations Security Council, 19 December 2002.

5) US Department of State: Remarks to the United Nations Security Council, 5 February 2003.

6) Washington Post, 12 June 2003.

Ian Davis ist Direktor des British American Security Information Council (BASIC) in London. Übersetzt von Regina Hagen

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2004/1 Kriegsbilanzen, Seite