W&F 2019/3

»Hybride« Konflikte im Völkerrecht

von Michael Bothe

»Hybrid« ist eine gern gebrauchte Bezeichnung für einen Gegenstand oder eine Situation, die sich der Einordnung in eine einzelne Kategorie entzieht. Ein hybrides Automobil wird weder allein durch einen Verbrennungsmotor noch durch einen Elektromotor angetrieben, sondern je nachdem durch den einen oder den anderen Antrieb. Der Begriff des hybriden Konflikts wirft im Hinblick auf die völkerrechtliche Regelung ein grundlegendes Problem auf: Wenn das Recht auf Dichotomien aufbaut, unterschiedliche Regeln für die Situation A und die Situation B aufstellt, so muss eine »hybride« Situation Schwierigkeiten bereiten. Die internationalen Beziehungen sind in ihrer aktuellen Unübersichtlichkeit geradezu gekennzeichnet durch hybride Situationen. Das gilt insbesondere für die völkerrechtlichen Regeln für die Ausübung organisierter Gewalt.

Der Beginn der modernen Völkerrechtswissenschaft ist bei dem klassischen Werk von Hugo Grotius anzusetzen: »De iure belli ac pacis«, das Recht in Krieg und Frieden. Der Titel beschreibt eine klassische Dichotomie: Es gibt zwei unterschiedliche Rechtsbereiche, nämlich einmal das Recht, das die friedlichen Beziehungen zwischen Staaten regelt, zum andern das Kriegsrecht, das die Beziehungen der Staaten im Falle eines Krieges zum Gegenstand hat. Das führte natürlich zu der Frage der Unterscheidung zwischen der einen und der anderen Situation, zur Diskussion darüber, was eigentlich völkerrechtlich »Krieg« ist, bzw. zu einer Debatte über den »Kriegsbegriff«. Aus heutiger Sicht war das eine der unsinnigsten Streitigkeiten der Völkerrechtsgeschichte. Während der allgemeine Sprachgebrauch gerne noch nach der Unterscheidung zwischen Krieg und Nichtkrieg sucht, etwa in Bezug auf die Situation in Syrien, hat das moderne Völkerrecht an die Stelle des Kriegsbegriffs den des »bewaffneten Konflikts« gesetzt. Dieser Begriff soll die Unterscheidung, die von der immer noch gegebenen Dichotomie erfordert wird, vom Ballast unnötiger juristischer Spitzfindigkeiten befreien und näher an die Fakten bringen. Die neuere Formulierung der Dichotomie »bewaffneter Konflikt – alle anderen Beziehungen« (Bothe 2019, Rdn. 62; Crawford 2015, Rdn. 2; Kotzsch 1956) hat die praktische Bestimmung des anwendbaren Rechts sachgerechter gemacht. Aber die Dichotomie, die unterschiedliche Regelungskomplexe für die eine oder andere Situation erfordert, bleibt bestehen.

Die folgenden Zeilen haben zum Ziel, die völkerrechtliche Regelung einiger Situationen organisierter Gewalt­ausübung zu beleuchten, in denen etablierte rechtliche Dichotomien problematisch geworden sind. Für sie hat sich die Bezeichnung »hybride Konflikte« eingebürgert (Milanovic 2019, S. 33 ff.; Kahn 2019, S. 191 ff.; War Report 2018, S. 20 ff.).

Internationale oder nicht-internationale bewaffnete Konflikte

Eine fundamentale Dichotomie des Konfliktrechts ist die Unterscheidung zwischen internationalen und nicht-internationalen bewaffneten Konflikten, da für beide Kategorien von Konflikten unterschiedliche Regelwerke gelten. Der Krieg der frühen Neuzeit war eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Staaten. Bewaffnete Konflikte im Innern eines Staates waren vom Völkerrecht nicht geregelt. Es stellte sich aber heraus, dass die Regelungs- und vor allem Schutzfunktion des Kriegsvölkerrechts auch bei solchen inneren Konflikten gefragt war. So entwickelte sich ein besonderes Recht nicht-internationaler Konflikte, das die Souveränität der Staaten stärker berücksichtigt als das Recht des internationalen Konflikts und dessen Schutzniveau, dementsprechend niedriger (Bothe 2019, Rdn. 121).

Wesentliche Schritte der Entwicklung des Vertragsrechts waren der gemeinsame Art. 3 der vier Genfer Konventionen von 1949 (eine Art Mini-Konvention zum Schutz der Opfer nicht-internationaler Konflikte) und das Zusatzprotokoll II zu diesen Konventionen aus dem Jahr 1977. Seitdem lässt sich feststellen, dass sich das Recht des nicht-internationalen Konflikts gewohnheitsrechtlich sehr stark dem Recht der internationalen Konflikte angenähert hat. Es hat also eine Annäherung des Schutzniveaus stattgefunden (ICRC 2005, Bd. I, S. XXIX), und die Relevanz der Dichotomie ist geringer geworden. Sie bleibt aber bestehen, denn eine wesentliche Unterscheidung bleibt: Im internationalen Konflikt genießen die Angehörigen der Streitkräfte im Falle ihrer Gefangennahme den besonders geregelten Status eines Kriegsgefangenen. Das bedeutet nicht nur eine menschenwürdige Behandlung, sondern es verbietet auch eine Bestrafung dieser Personen für eine Teilnahme an den Kampfhandlungen, soweit sich diese im Rahmen des Kriegsrechts gehalten haben. Eine solche Teilnahme ist rechtmäßig: Soldaten sind keine Mörder!

Strafrechtlich ist das ein völkerrechtlich vorgegebener Rechtfertigungsgrund, das so genannte »combatant privilege« (Bothe 2019, Randnotiz 67). Für die Kämpfer und Kämpferinnen im nicht-internationalen Konflikt gibt es das nicht. Darum ist die Unterscheidung zwischen internationalem und nicht-internationalem Konflikt von zentraler Bedeutung für die Behandlung von Gefangenen. Allerdings gilt auch im nicht-internationalen Konflikt der gezielte Angriff auf die Kämpfer der anderen Seite als erlaubt (im Gegensatz zu Angriffen auf die Zivilbevölkerung), wenngleich die Tötung nicht durch das »combatant privilege« gedeckt ist. Das ist ein gewisser Wertungswiderspruch. Dennoch: Die Rechtslage ist so.

Die Einordnung bestimmter Konflikte in die eine oder andere Kategorie bereitet Probleme, und damit ist man bei der Frage hybrider Konflikte. Es sind insbesondere drei Konstellationen, in denen die Dichotomie unsicher wird: erstens der Streit um den Status einer Konfliktpartei, zweitens der nicht-internationale Konflikt mit ausländischer Beteiligung, eine sehr häufige Konstellation, und drittens ein grenzüberschreitender Angriff nicht-staatlicher Kämpfer.

Es gibt immer wieder bewaffnete Konflikte, bei denen eine oder mehrere Parteien von der jeweils anderen Seite nicht als Staat anerkannt sind. Sollte ein bewaffneter Konflikt zwischen der Volksrepublik China und Taiwan ausbrechen, so wäre Taiwan jedenfalls aus der Sicht der Volksrepublik China eine abtrünnige Provinz, deren Streitkräfte also »Verräter« und als solche zu bestrafen. Sieht man Taiwan hingegen als einen Staat an, so genießen seine Streitkräfte das »combatant privilege«. Ein hybrider Konflikt wäre dies insofern, als die Parteien über ihren jeweiligen Status und damit über die Anwendung relevanter Rechtsnormen uneins sind. Völkerrechtlich wird diese Problematik mit der Konstruktion eines »De-facto-Regimes« aufgefangen, das zum Zwecke der Anwendung bestimmter Rechtsnormen einem Staat gleich zu achten ist (Frowein 2013, Rdn. 3). Ein solches wäre Taiwan jedenfalls.

Eine weitere und häufige Konstellation ist, dass auswärtige Staaten in unterschiedlicher Weise in einen Konflikt eingreifen („internationalisierter nicht-internationaler Konflikt“, Bothe 2019, Rdn. 127 ff.). Wenn ausländische Streitkräfte auf der Seite von Aufständischen gegen die Streitkräfte der etablierten Regierung kämpfen, entsteht ein internationaler Konflikt. Besonders problematisch ist diese Konstellation, wenn das Eingreifen der ausländischen Macht nicht offen erfolgt und nicht zugegeben wird, wie im Fall des Konflikts in der Ost-Ukraine. Der Konflikt zwischen der ukrainischen Regierung und den aufständischen Entitäten Donezk und Luhansk ist am ehesten dahingehend zu qualifizieren, dass es ein nicht-internationaler ist. Das russische Eingreifen stellt wohl eine rechtswidrige Intervention in die inneren Angelegenheiten der Ukraine dar, macht aber die Russische Föderation noch nicht zur Konfliktpartei.

Für den umgekehrten Fall, dass ausländische Streitkräfte auf der Seite der etablierten Regierung gegen Aufständische kämpfen, bestehen theoretisch drei Möglichkeiten: 1. der ganze Konflikt wird international; 2. der ganze Konflikt wird immer noch als nicht international angesehen; 3. der Konflikt teilt sich in einen internationalen (Beziehung zwischen ausländischem Intervenienten und Aufständischen) und einen nicht-internationalen (Beziehung zwischen etablierter Regierung und Aufständischen). Völkervertraglich ist eine solche Situation in den oben genannten Verträgen nicht geregelt; die gewohnheitsrechtsbildende internationale Praxis geht dahin, den ganzen Konflikt, d.h. auch die Beziehung zwischen dem ausländischen Intervenienten und dem lokalen nicht-staatlichen Akteur (den »Aufständischen«), als nicht international zu qualifizieren. Der U.S. Supreme Court entschied dies für das Verhältnis zwischen US-Truppen und Taliban in Afghanistan und erklärte den gemeinsamen Art. 3 der Genfer Konventionen für anwendbar.1 Dies ist nunmehr auch die Auffassung der Bundesrepublik zur Lage in Afghanistan.2 Das bedeutet u.a., dass deutsche oder US-Streitkräfte gefangene nicht-staatliche Kämpfer den afghanischen Behörden zum Zwecke der Strafverfolgung überlassen dürfen, da diese Kämpfer nicht das »combatant privilege« genießen. Ob das aus praktischen Gründen unterbleibt, ist eine andere Frage.

Eine damit verwandte Konstellation ist die, dass nicht-staatliche Kämpfer vom Ausland aus die Regierung eines anderen Staates bekämpfen. Dabei entsteht zunächst auf dem Gebiet des bekämpften Staates ein nicht internationaler Konflikt. Wenn jedoch die nicht-staatlichen Kämpfer von einem ausländischen Staat, sei es der Nachbarstaat oder ein dritter Staat, in einer Weise kontrolliert werden, dass die von den nicht-staatlichen Akteuren ausgeübte Gewalt diesem ausländischen Staat zuzurechnen ist, so entsteht ein internationaler Konflikt zwischen dem letzteren und dem ersteren Staat. Der Grad von Kontrolle, der diese rechtliche Bewertung auslöst, ist in der Praxis und auch in der internationalen Rechtsprechung streitig.

Bewaffnete Konflikte oder sonstige Formen organisierter Gewalt

Die Anwendung des Rechts des nicht-internationalen Konflikts setzt voraus, dass eben ein solcher bewaffneter Konflikt vorliegt, d.h. Kampfhandlungen eines gewissen Ausmaßes, an denen Kämpfer oder Kämpferinnen beteiligt sind, die zu einer Partei gehören, die einen gewissen institutionellen Organisationsgrad aufweist. „Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen“ (Art. 1 Abs. 2 Genfer Zusatzprotokoll II) sind keine bewaffneten Konflikte. Die Feststellung dieser Schwelle zwischen einfacher Gewalt und Kampfhandlungen im Rahmen eines bewaffneten Konflikts bereitet erhebliche Schwierigkeiten.

Den Regeln des nicht-internationalen bewaffneten Konflikts, mit der Folge, dass die Bekämpfung von Kämpfern der anderen Seite zulässig ist, unterliegen nur solche Handlungen, die einen Zusammenhang (nexus) mit dem Konflikt haben. Zwei Beispiele mögen die Problematik verdeutlichen: Bei der Besetzung eines Musical-Theaters in Moskau 2002 durch tschetschenische Rebellen setzten die russischen Streitkräfte einen chemischen Kampfstoff ein, um die Besetzer zu überwältigen. War dies eine Kampfhandlung im Rahmen des vorliegenden nicht-internationalen Konflikts in und um Tschetschenien, so war es der Einsatz einer chemischen Waffe, völkerrechtlich als solcher verboten. Verneint man diesen Nexus, so war es der Einsatz physischer Gewalt im Rahmen der Sicherung der Ordnung, was ganz anderen, insbesondere menschenrechtlichen, völkerrechtlichen Regeln unterliegt. Zum Zweiten: Als dem Generalbundesanwalt eine Strafanzeige wegen eines US-Drohnen­einsatzes in Pakistan vorlag, bei dem ein deutscher Staatsangehöriger getötet worden war, der als Al-Qaeda-Kämpfer galt (»Mir-Ali-Fall«), prüfte er gleichfalls diesen Konflikt-Nexus.3 Er stellte fest, dass der Einsatz im Rahmen zweier verbundener nicht-internationaler Konflikte in Afghanistan und Pakistan geschah, an denen die USA als Partei beteiligt waren und die deshalb nach dem Recht des nicht-internationalen Konflikts zu beurteilen waren. Danach war es eine erlaubte Kampfhandlung. Man kann diese Konstruktion kritisieren – sie ist jedenfalls in sich konsequent und sozusagen systemimmanent, weil sie die Dichotomie zwischen dem Recht des bewaffneten Konflikts und Situationen, die nicht bewaffneter Konflikt sind (Geiß 2009, 127 ff.), aufrechterhält. Sie erlaubte es dem Generalbundesanwalt, die Tötungshandlung als im Rahmen eines bewaffneten Konflikts erlaubt anzusehen, ohne auf andere, völlig unvertretbare Thesen zur Rechtfertigung im Kampf gegen den Terrorismus einzugehen, von denen sogleich noch zu reden ist.

Terrorismus

Die Art und Weise, wie von manchen Staaten, nicht nur den USA, die pauschale Rechtfertigung von Maßnahmen im Kampf gegen den Terrorismus vertreten wird, läuft auf eine grenzenlose Lizenz zum Töten hinaus. Die immer wieder aus den USA zu hörende These geht dahin, dass sich die USA in einem internationalen Konflikt mit »dem Terrorismus« befinden, in dem das Töten der gegnerischen Kämpfer, wo immer man sie antrifft, erlaubt ist. Das soll gezielte Tötungen und insbesondere Drohneneinsätze überall auf der Welt rechtfertigen.

Diese These setzte sich in der internationalen Gemeinschaft aber nicht durch. Sie fand hinreichenden Widerspruch, sodass ein Wandel des völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts, der durch diese Praxis wohl angestrebt wurde, nicht festzustellen ist (Bothe 2019, Rdn. 128). »Der Terrorismus« ist keine Organisation, die als Konfliktpartei rechtlich taugen würde. Gezielte Tötungen und Drohneneinsätze sind allenfalls dann völkerrechtlich zulässig, wenn sie als Kampfhandlungen gegen Kämpfer oder Kämpferinnen in einem wirklich bestehenden bewaffneten Konflikt charakterisiert werden können, wie das der Generalbundesanwalt im Mir-Ali-Fall vorgeführt hat. Gezielte Tötungen ohne diesen Konflikt-Nexus bedürften einmal der Zustimmung durch den Staat, auf dessen Gebiet sie stattfinden, zum anderen müssten sie den menschenrechtlichen Maßstäben für zulässige Formen der physischen Gewalt im Rahmen der polizeilichen Verbrechensbekämpfung entsprechen. Hinsichtlich beider Voraussetzungen bestehen angesichts der über viele Jahre geübten amerikanischen Praxis ganz erhebliche Bedenken. Hier gilt es, die besagte Dichotomie zwischen bewaffnetem Konflikt und einer Situation, die keinen solchen Konflikt darstellt, aufrecht zu erhalten. Der Kampf gegen den Terrorismus ist keine generelle »license to kill«.

»Drogenkrieg«

Eine ähnliche Problematik stellt sich bei der Bekämpfung des Drogenhandels. Auch wenn die Organisationen des illegalen Drogenhandels insbesondere in Mexiko Methoden anwenden, die in dem Ausmaß der Gewalt einem bewaffneten Konflikt gleichkommen, so bleiben diese Organisationen doch Verbrecherbanden, die eben nicht als vom Völkerrecht zu adressierende Konfliktparteien angesehen werden können. Auch hier gibt es also keine »license to kill« nach dem Recht des bewaffneten Konflikts. Die daraus folgenden menschenrechtlichen Grenzen staatlicher Gegengewalt können hier nicht im Einzelnen ausgelotet werden.

Neue Formen der Schädigung: analog oder digital

Eine weitere, früher kaum problematisierte Dichotomie spielt heute im Recht bewaffneter Konflikte eine große Rolle, nämlich die zwischen kriegerischen Schädigungshandlungen (insbesondere Tötung und Verwundung von Menschen, Schädigung und Zerstörung von Sachgütern), die das humanitäre Völkerrecht eingehend regelt, und anderen konfliktbezogenen Handlungen einer Konfliktpartei (z.B. die Anlage einer Festung), die keiner solchen Regelung unterliegen. Erstere Schädigungshandlungen definiert das Genfer Zusatzprotokoll I von 1977 als »Angriff«. Durch den Einsatz von Computern in bewaffneten Konflikten (Cyberwar) ist diese Dichotomie fraglich geworden (Bothe 2019, Rdn. 76). Im Cyberwar werden von Computern Signale oder Schadsoftware elektronisch an andere Computer, die sich im Bereich einer Konfliktpartei befinden, übermittelt. Die militärische Wirksamkeit dieses Vorgangs beruht auf der Tatsache, dass die angegriffenen Computer wesentliche Funktionen der Infrastruktur einer Konfliktpartei steuern. Wird z.B. durch die Übermittlung von Schadsoftware die elektronische Steuerung eines Elektrizitätswerkes außer Funktion gesetzt, dann ist die Wirkung zumindest vorübergehend genauso, als sei das Werk durch einen Bombenangriff zerstört: Es wird lebenswichtiger Strom nicht mehr geliefert. Es gibt also im Cyberwar eine neue Art von Schädigungshandlungen, bedingt durch eine neue Art von Verwundbarkeit. Aber nicht jede Übermittlung von Schadsoftware ist in besagtem Sinne ein »Angriff«. Es kommt vielmehr darauf an, ob die Wirkung dieser Übermittlung der Schädigung mittels kinetischer oder Wärmeenergie gleichwertig ist (Tallinn Manual 2.0, S. 415 ff.). Mit diesem Abstellen auf den »equivalent effect« wird die traditionelle und sinnvolle Dichotomie zwischen Angriff und anderen militärischen Handlungen aufrechterhalten.

Das wesentliche und eigentlich neue Problem des Cyberwar liegt in der mangelnden Identifizierbarkeit und Lokalisierbarkeit der Schädiger. Die Urheber der Schadsoftware sind möglicherweise unbekannte Privatpersonen, die irgendwo in einem privaten Anwesen arbeiten. Für solche Schädigungshandlungen bedarf es nur eines Computers mit Internetanschluss. Das Völkerrecht, einschließlich des humanitären Völkerrechts, adressiert aber nur Staaten (und andere Völkerrechtssubjekte) sowie Personen, die als Organe dieser Rechtssubjekte handeln oder deren Handlungen aus besonderen Gründen diesen Rechtssubjekten zuzurechnen ist. Aktionen des Cyberwar, die von Staatsorganen, etwa Geheimdiensten, durchgeführt werden, unterliegen völkerrechtlichen Regeln wie oben erläutert. Hinsichtlich unbekannter nicht-staatlicher Schädiger hat das Völkerrecht noch keine klaren Regeln bereit. Es ist insbesondere an staatliche Kontrollpflichten zu denken, die mit der gebotenen Sorgfalt (due diligence) zu erfüllen wären (Tallinn Manual 2.0, S. 30 ff., S. 80). Sie werden vertraglich oder in der gewohnheitsrechtbildenden Praxis zu entwickeln sein.

Hybride Konfliktsituationen als Herausforderung für das Völkerrecht

Es wurde gezeigt, dass in heutigen Situationen der Ausübung organisierter Gewalt traditionelle Dichotomien, die die Anwendung bestimmter Rechtsmassen bestimmen, schwieriger anzuwenden sind. Dieser Befund wird mit dem Ausdruck »hybrider Konflikt« beschrieben. Es wurde des Weiteren gezeigt, dass es rechtliche Argumentationslinien gibt, die sinnvolle Unterscheidungen auch in solchen Situationen erlauben. Die Betonung liegt auf »sinnvoll«. Diese regulatorischen Dichotomien sollen sicherstellen, dass faktisch unterschiedliche Situationen jeweils einem sachgerechten Regelungsregime unterworfen sind. Sachgerechte Regelungen sind nicht ohne sachgerechte Differenzierungen zu haben. Deshalb bezeichnet der Begriff des »hybriden Konflikts« nicht einen neuen Regelungsbereich, eine neue Rechtsmasse zur Regelung dieses besonderen, neuen Konflikttypus, sondern die Notwendigkeit, die Definitionen vorhandener Kategorien zu überdenken und gegebenenfalls Unterscheidungsmerkmale oder inhaltliche Regelungen zu prüfen oder zu korrigieren. Nur so kann und muss das Völkerrecht seine Funktion, organisierte Gewalt in Schranken zu halten, mit Aussicht auf Erfolg erfüllen.

Anmerkungen

1) Urteil des U.S. Supreme Court, Hamdan v. Rumsfeld, 29.6.2006, 548 U.S. 557 (2006).

2) Bundesminister Westerwelle vor dem Deutschen Bundestag zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. 10.2.2010; auswaertiges-amt.de.

3) Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof: Betr: Drohneneinsatz vom 4. Oktober 2010 in Mir Ali/Pakistan – Verfügung des Generalbundesanwalts vom 20. Juni 2013 – 3 BJs 7/12-4. 23.7.2013; generalbundesanwalt.de.

Literatur

Bellal, A. (ed.) (2019): The War Report – Armed Conflicts in 2018: Geneva: Geneva Academy of International Humanitarian Law and Human Rights.

Bothe, M. (2019, 8. Aufl): Friedenssicherung und Kriegsrecht. In: Vitzthum, W. Graf; Proelß, A. (Hrsg.): Völkerrecht. Berlin: DeGruyter.

Crawford, E. (2015): Armed conflict, international. In: Wolfrum, R. (ed.): Max Planck Encyclopedia of Public International Law.

Frowein, J.A. (2015): De Facto Regime. In: Wolfrum, R. (ed.): Max Planck Encyclopedia of Public International Law.

Geiß, R. (2009): Armed violence in fragile States – low intensity conflict, spillover conflict, and sporadic law enforcement operations by third States. International Review of the Red Cross, Vol. 91, Nr. 873, S. 127 ff.

ICRC (ed.) (2005): Customary International Humanitarian Law. Edited by Henckaerts, J.-M.; Doswald-Beck, L. Cambridge: Cam­bridge University Press.

Kahn, J.: Hybrid conflict and prisoners of war – the case of the Ukraine. In: Ford, C.M.; Williams, W.S. (eds.): Complex Battlespaces. Oxford: Oxford University Press.

Milanovic, M. (2019): Accounting for the complexity of the law applicable to modern armed conflicts, In: Ford, C.M.; Williams, W.S. (eds.): Complex Battlespaces. Oxford: Oxford University Press.

Tallinn Manual 2.0 on the International Law Applicable to Cyber Operations. Prepared by the International Group of Experts at the Invitation of the NATO Cooperative Cyber Defence Centre of Excellence; edited by Schmitt, M.N. Cambridge: Cambridge University Press.

Michael Bothe, Dr. iur., Prof. emeritus für öffentliches Recht, J.W. Goethe-Universität Frankfurt am Main.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2019/3 Hybrider Krieg?, Seite 23–26