W&F 2019/3

Hybride Kriegführung

Die Diffusion eines Begriffs

von Wolfgang Schreiber

»Hybride Kriegführung« (hybrid warfare) ist kein theoretisch feststehender Begriff, sondern vielmehr eine Wortschöpfung, die in den letzten Jahren zur Beschreibung sehr unterschiedlicher Kriegsphänomene genutzt wurde. Dennoch lassen sich Merkmale der hybriden Kriegführung herausfiltern. Die Bandbreite lässt sich anhand historischer und aktueller Beispiele veranschaulichen.

Erstmalig explizit genutzt wurde »Hybride Kriegführung« 2002 in einer Arbeit über den Krieg in Tschetschenien (Nemeth 2002).1 Dabei stellte Nemeth fest, dass die Rebellen sowohl moderne Technologie als auch moderne Mobilisierungsmethoden (ebd., S. 29) und – je nach Lage – konventionelle oder Guerilla-Taktiken einsetzten (ebd., S. 61). Durch eine Analyse des Libanonkrieges von 2006, die für die Kriegführung der Hisbollah gegen Israel ähnliches herausstellte (Hoffman 2007), fand der Begriff weitere Verbreitung. Eine hybride Kriegführung wurde also zunächst nichtstaatlichen Akteuren zugeschrieben, von denen man eine Kombination aus konventionellen und Guerilla-Taktiken so nicht erwartet hatte, sodass eine neue Begrifflichkeit notwendig erschien.2

Eine Erweiterung erfuhr der Begriff spätestens 2010, als innerhalb der NATO von »hybriden Bedrohungen« gesprochen wurde (Asmussen et al. 2015, S. 10, 123). Damit gemeint war die Einbeziehung nicht originär militärischer Bedrohungen, wie Gewalt durch Nachrichtendienste, Cybergewalt, privatisierte Gewalt, diplomatische Macht, realwirtschaftliche Macht, finanzwirtschaftliche Macht, wissenschaftliche und technologische Macht, Medienmacht (Dengg und Schurian 2015, S. 60-63). Durch die Kombination dieser und ggf. militärischer Mittel ergeben sich logischerweise ganz unterschiedliche hybride Bedrohungsszenarien.

Die Sinnhaftigkeit des Begriffs wurde gleich aus mehreren Richtungen kritisiert. Einerseits führten Kritiker für die Kombination verschiedener militärischer Taktiken durch Kriegsakteure eine ganze Reihe von Beispielen an, die nahelegen, dass diese Art der Kriegführung auch historisch gesehen eher die Regel als die Ausnahme war (Murray und Mansoor 2012). Wird andererseits die Mischung von militärischen und nicht-militärischen Elementen als wesentliches Charakteristikum hybrider Kriegführung betont, so erscheint der Begriff noch weniger sinnvoll. Kriegführende Parteien bedienten sich zur Unterstützung ihrer Kriegführung immer auch nicht-militärischer Mittel: Diplomatie soll z.B. verhindern, dass der Gegner Bündnispartner findet; Wirtschaftssanktionen bis hin zu Blockaden sollen dessen Versorgung infrage stellen; Propaganda soll die Unterstützung der eigenen Bevölkerung sicherstellen und die des Gegners untergraben usw. Das Führen eines Krieges ist damit grundsätzlich hybrid (Schmid 2016, S. 119).

Für die Diskussion über hybride Kriegführung kommt dabei aus den Bedrohungsszenarien der Einzelkomponente des Cyberangriffs eine besondere Bedeutung zu. 2007 wurden estnische Einrichtungen Ziel eines Cyberangriffs (Asmussen et al. 2015, S. 6); 2010 waren vor allem Computer im Iran betroffen vom Computerwurm Stuxnet (Dengg und Schurian 2015, S. 27). In beiden Fällen konnte über die Urheber der Cyberattacken nur spekuliert werden: 2007 wurden russische Urheber vermutet; 2010 richtete sich der Verdacht gegen die USA und Israel. Bei Cyberangriffen geht es jedoch zumeist weniger um Angriffe mit Zerstörungspotenzial als um Spionage. Zu nennen ist hier vor allem das weltweite Überwachungsprogramm der US-amerikanischen National Security Agency (NSA), die auch vor dem Abhören befreundeter Staats- und Regierungschefs nicht haltmachte. Ein weiteres Beispiel ist die Veröffentlichung des Mailverkehrs der Demokratischen Partei in den USA, die die Einflussnahme der Parteispitze zugunsten Hillary Clintons und gegen Bernie Sanders im Nominierungswahlkampf vor der Präsidentschaftswahl 2016 deutlich machte. Im Fall der NSA blieben diese Aktivitäten bis zur Veröffentlichung durch Edward Snowden unbekannt; im zweiten Fall wird über Urheber in Russland spekuliert.

Diffusion des Begriffs

Wird in der aktuellen Diskussion von hybrider Kriegführung gesprochen, ist damit vor allem das russische Vorgehen in der Ukraine gemeint (Bilban et al. 2019, S. 22-25; Ehrhart 2014). Dabei werden folgende Hauptmerkmale der russischen Kriegführung genannt, welche die Bezeichnung »hybrid« rechtfertigen sollen: Da die russische Seite behauptet, die Rebellen lediglich zu unterstützen, bleibt im Unklaren, wer der treibende Akteur ist. Direkte russische Interventionen werden, so bei der Besetzung der Krim, allenfalls im Nachhinein zugegeben. Somit weist bereits die im engeren Sinne militärische Komponente einen hybriden Charakter auf. Diese Unklarheit über das militärische Agieren wird von einer Informationspolitik begleitet, die einerseits auf klassische Medien, wie den Fernsehsender RT, zurückgreift, andererseits auch auf sozialen Medien beruht, wo Urheberschaft und Einflussnahme staatlicher Stellen bewusst im Unklaren bleiben.

Die Möglichkeit, eine Verantwortung für bestimmte Aktionen oder sogar eine Kriegsbeteiligung mit einiger Plausibilität abstreiten zu können (Erhart 2016, S. 99; Schmid 2016, S. 115), wird hier zu einem Hauptmerkmal dieser Art der Kriegführung. Dies wird unterstützt durch die Verbreitung von Informationen und Desinformationen im Internet, die es erschweren, Fakten, Wahrnehmungen und Unwahrheiten voneinander zu unterscheiden, weil sich für jede Sichtweise vielfältige »Belege« finden lassen. Sofern eine Kriegsbeteiligung insgesamt bestritten wird, bedeutet dies eine Aufhebung der Unterscheidung zwischen Krieg und Frieden (Koch 2016, S. 110).

Mit diesen Zuordnungen hat sich der Begriff »hybrider Krieg« von den ersten, eingangs beschriebenen Definitionsversuchen doch ein Stück weit entfernt. Nicht die Vermischung regulärer und irregulärer Kriegführung macht hier den eigentlichen Charakter des Hybriden aus, sondern ein Vorgehen, dass die Zuschreibung einzelner Gewalthandlungen und Beiträge zur Kriegführung eher im Unklaren lässt. Statt von hybrider ließe sich treffender von verdeckter Kriegführung sprechen. Dabei kann der Grad der Verdeckung unterschiedlich sein: Es kann jegliche Beteiligung entweder verschwiegen oder geleugnet werden. Durch das Handeln mehrerer Akteure – meist eines staatlichen und mindestens eines nichtstaatlichen – wird es schwierig, die jeweils maßgebliche Kraft zu identifizieren. Oder es kommt zum Einsatz von Truppen, der Begriff »Krieg« wird für diese Einsätze aber trotz der Verwicklung in Kampfhandlungen vermieden. Auch dadurch entsteht eine Grauzone zwischen Krieg und Frieden, wie sie für die hybride Kriegführung konstatiert wird.

Dieses Vorgehen ist allerdings nicht neu. Immer wieder gab es Interventionen, in denen eine Kriegsbeteiligung nicht offen stattfand. So unterstützten US-amerikanische Kampfflugzeuge 1954 in Guatemala und 1958 in Indonesien aufständische Truppen. Am zwischenstaatlichen Koreakrieg beteiligte sich die Sowjetunion auf Seiten Nordkoreas mit Kampfflugzeugen, die von chinesischen Stützpunkten aus eingesetzt wurden. Offiziell beteiligte sich Moskau nicht an diesem Krieg. Auch in jüngerer Zeit wurden Einsätze, wie der durch französische und britische Spezialkräfte zugunsten der libyschen Opposition 2011, nicht von vornherein offengelegt (Ehrhart 2014).

Für eine besondere Art der verdeckten Intervention steht der Einsatz von Söldnern. In Guatemala 1954 und Kuba 1961 wurden Exilkräfte bei ihren Umsturzversuchen jeweils durch Söldner unterstützt, die mit der CIA in Verbindung standen. In afrikanischen Konflikten stieß man häufig auf den Söldner Bob Denard, der bis in die 1980er Jahre mehr oder weniger offen französische Interessen vertrat. Zu überlegen ist auch, wie die Aktivitäten privater Sicherheitsfirmen, z.B. im Irakkrieg, hier zugeordnet werden können.

Eine weitere Art verdeckter Kriegsbeteiligung ist die vorgeblich neutrale Intervention zur Beendigung eines Krieges. Die USA bedienten sich dieses Szenarios 1965 in der Dominikanischen Republik und agierten dabei formal als Teil der durch die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) entsandten Truppen. Mitte der 1990er Jahre wurde die von der westafrikanischen Staatengemeinschaft ECOWAS entsandte Eingreiftruppe ein Akteur im Bürgerkrieg in Liberia, als sie unter nigerianischer Führung vor allem gegen die Rebellen unter Charles Taylor vorging. Auch Russland engagierte sich in mehreren derartigen Interventionstruppen. Zur Überwachung von Waffenstillständen wurden Einheiten unter dem Dach der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) in verschiedene Nachfolgestaaten der Sowjet­union entsandt, u.a. nach Moldawien und Georgien. De facto unterstützten diese von Russland dominierten Truppen jedoch jeweils eine der Konfliktparteien. 2008 führte dies im Falle der Region Südossetien zum offenen Krieg zwischen Georgien und Russland.

Weiterhin gibt es zahlreiche Beispiel innerstaatlicher Kriege, in denen die staatliche Seite mehr oder weniger eng mit nichtstaatlichen Akteuren zusammenarbeitet. In diesen Fällen können insbesondere Kriegsverbrechen und grobe Menschenrechtsverstöße vom Staat geleugnet bzw. ihrem nicht immer kontrollierbaren Verbündeten zugeschrieben werden. Bekannte Beispiele hierfür sind die paramilitärischen »Selbstverteidigungsgruppen«, die in Kolumbien bei der Bekämpfung der verschiedenen linksgerichteten Rebellengruppen mitwirkten, sowie die so genannten Dschandschawid-Milizen, die im sudanesischen Darfurkrieg zum Einsatz kamen.

Eine letzte Form verdeckter Kriegführung ist die Beteiligung an Kriegen, die von den betreffenden Staaten nicht als Krieg deklariert werden. Zu erinnern ist hier an die Debatte in Deutschland, ob die Bundeswehr in Afghanistan an einem Krieg beteiligt ist. Dabei wurde offiziell lange die Interpretation als Nachkriegs- und Stabilisierungsmission im Rahmen der ISAF aufrechterhalten, obwohl nach der Reorganisation der Taliban bereits ab 2003 wieder ein offener Krieg zu beobachten war. Es handelt sich aber nicht nur um ein deutsches Phänomen: Als der französische Präsident nach den IS-Anschlägen in Paris am 13.11.2015 diese als »Kriegserklärung« bezeichnete, stellte sich durchaus die Frage, wie die in den Monaten zuvor im Irak und Syrien geführten französischen Luftangriffe gegen den IS im offiziellen Sprachgebrauch bezeichnet wurden.

Fazit: ein unklarer Begriff für vielfältige Phänomen

So vielfältig die Bedrohungsszenarien hybrider Kriegführung, so vielfältig sind die Phänomene, die als hybride Kriege bezeichnet werden können. Die Mischung konventioneller und unkonventioneller Arten der Kriegführung dürfte historischen Untersuchungen zufolge wohl eher die Regel als die Ausnahme im Kriegsgeschehen darstellen. Auch die Mischung des Einsatzes von militärischen und zivilen Mitteln, wie Diplomatie, Propaganda/Information/Desinformation, Spionage oder Wirtschaftssanktionen, kennzeichnen eher Kriege im Allgemeinen als hybride Kriege im Besonderen. Ob die Nutzung des Internets oder des Cyberraums einen neuen Kriegsbegriff erforderlich macht, kann an dieser Stelle nicht einmal ansatzweise diskutiert werden, zumal auch der Begriff des Cyberwar eher umstritten ist (Rid 2018). Auch die Verdeckung von Verantwortlichkeiten im Kriegsgeschehen – bis hin zur Infragestellung des Kriegszustandes selbst – sind weder neue Phänomene noch wird durch sie ein neuer Begriff zu begründen sein.

Anmerkungen

1) Nemeth nimmt dabei aber an keiner Stelle in Anspruch, diesen Begriff erfunden zu haben. Er ordnet ihn in eine seit den 1980er Jahren geführte Debatte um die Kriegführung der 4. Generation (Fourth Generation Warfare) innerhalb des US-Militärs ein (S. 3) und bezeichnet hybride Kriegführung ohne weitere Erläuterung als zeitgenössische Form der Guerilla-Kriegführung (S. 29).

2) Im Gegensatz zu Nemeth war Hoffman bestrebt, hybride Kriegführung in Abgrenzung von anderen militärischen Begrifflichkeiten, wie Forth Generation Warfare, als eigenständiges Konzept zu definieren (Hoffman 2007, S. 18-23).

Literatur:

Asmussen, J.; Hansen, S.; Meiser, J. (2015): Hybride Kriegsführung – eine neue Herausforderung? Kiel: Universität Kiel, Institut für Sicherheitspolitik, Kieler Analysen zur Sicherheitspolitik Nr. 43.

Bilban, C.; Grininger, H.; Steppan, C. (2019): Gerasimov – Ikone einer tief verwurzelten Denktradition. In: Bilban, C.; Grininger, H. (Hrsg.): Mythos »Gerasimov-Doktrin« – Ansichten des russischen Militärs oder Grundlage hybrider Kriegsführung? Wien: Landesverteidigungsakademie, S. 15-55.

Dengg, A.; Schurian, M. (2015): Zum Begriff der Hybriden Bedrohungen. In: dies. (Hrsg.): Vernetzte Unsicherheit – Hybride Bedrohungen im 21. Jahrhundert. Wien: Landesverteidigungsakademie, S. 23-75.

Erhart, H.-G. (2014): Russlands unkonventioneller Krieg in der Ukraine – Zum Wandel kollektiver Gewalt. Aus Politik und Zeitgeschichte, 11.11.2014.

Erhart, H.-G. (2016): Postmoderne Kriegführung – In der Grauzone zwischen Begrenzung und Entgrenzung kollektiver Gewalt. Sicherheit und Frieden, Vol. 34, Nr. 2, S. 97-103.

Hoffman, F.G. (2007): Conflict in the 21st Century – The Rise of Hybrid Wars, Arlington: Potomac Institute for Policy Studies.

Koch, B. (2016): Tertium datur – Neue Konfliktformen wie sogenannte »hybride Kriege« bringen alte Legitimationsmuster unter Druck. Sicherheit und Frieden, Vol. 34, Nr. 2, S. 109-113.

Murray, W.; Mansoor, P.R. (2012) (eds.): Hybrid Warfare – Fighting Complex Opponents from the Ancient World to the Present. Cambridge: Cambridge University Press.

Nemeth, W.J. (2002): Future War and Chechnya – A Case for Hybrid Warfare. Monterey: Naval Postgraduate School.

Rid, Thomas (2018): Mythos Cyberwar – Über digitale Spionage, Sabotage und andere Gefahren. Hamburg: Edition Koerber.

Schmid, J. (2016): Hybride Kriegführung und das »Center of Gravity« der Entscheidung. Sicherheit und Frieden, Vol. 34, Nr. 2, S. 114-120.

Wassermann, F. (2016): Chimäre statt Chamäleon – Probleme der begrifflichen Zähmung des hybriden Krieges. Sicherheit und Frieden, Vol. 34, Nr. 2, S. 104-108

Wolfgang Schreiber, geb. 1961, ist Dipl.-Mathematiker, Lehrbeauftragter und Leiter der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) an der Universität Hamburg.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2019/3 Hybrider Krieg?, Seite 6–8