„Ich gehöre zu den Leuten, die den Einsatz der Bomben für angemessen hielten“
Interview mit Dr. Frederick Seitz
von Dr. Frederick Seitz und Bernd W. Kubbig
Wir haben Prof. Seitz gebeten, als ehemaliger Mitautor von »One World or None« seine Haltung zu den Atombombenabwürfen darzulegen.
Ich war Ende Juli 1945 gerade von einem etwa dreimonatigen Aufenthalt in Europa zurückgekehrt, als die Bomben auf Japan fielen. Vor meiner Abreise nach Europa hatte ich beim Manhattan District gearbeitet, wurde jedoch vom Verteidigungsministerium zu einer Sondermission nach Europa geschickt. Während ich im Pentagon noch auf die letzten Vorkehrungen für meine Reise wartete, hatte ich reichlich Zeit, mit einigen Leuten (im April 1945) darüber zu sprechen, was im Hinblick auf die bevorstehende Invasion Japans als nächstes zu erwarten wäre. Da die Japaner – Zivilisten wie Militärangehörige gleichermaßen – bei der Invasion von Okinawa erbitterten Widerstand geleistet hatten, wurde selbstverständlich angenommen, daß dies auch für das Festland gelten würde. 15 % unserer Verluste während des Krieges waren allein bei der Invasion von Okinawa zu beklagen. Die günstigste Schätzung ging davon aus, daß eine direkte Invasion Japans mindestens ein Jahr dauern würde und unsere Armee dabei möglicherweise mit Verlusten im Bereich von einer Million rechnen müßte.
Vor diesem Hintergrund hielt ich es für richtig, die Wirkung der Bombe an einer japanischen Stadt zu demonstrieren, in der Hoffnung, daß dadurch der Kaiser zur sofortigen Beendigung des Krieges bewogen werden könnte. Dieser Meinung bin ich nach wie vor. Ich kenne kein ernstzunehmendes »offizielles« Dokument, in dem die zu erwartenden amerikanischen Verluste mit lediglich 40-50.000 Soldaten angegeben wären. Die mir aus den obengenannten Gesprächen im Pentagon bekannten Schätzungen lagen weitaus höher.
Auch wenn ich durchaus bereit gewesen wäre, mit dem Abwurf der zweiten Bombe, diesmal auf Nagasaki, noch etwas abzuwarten, hatte ich keinerlei Einwände gegen Präsident Trumans Entscheidung, zumal so viel auf dem Spiel stand. Er war im Grunde human gesinnt, hatte aber eine enorme Verantwortung zu tragen. Sicher wog er die Alternativen gegeneinander ab und kam zu dem Schluß, daß der baldige Einsatz der zweiten Bombe die Handlungsweise des Kaisers entscheidend beeinflussen würde, was dann ja auch der Fall war.
Da der Krieg in Europa beendet war, bevor wir in der Lage waren zu zeigen, ob die Bombe funktioniert, stand eines im Sommer des Jahres 1945 fest: Sollte die Bombe im Zweiten Weltkrieg überhaupt zum Einsatz kommen, dann gegen Japan. Aufgrund meiner Abneigung gegen Krieg in jeder Form glaubte ich, daß alles recht war, um dem Blutvergießen ein rasches Ende zu setzen. Die Ereignisse hatten keine besondere Auswirkung auf meine Einstellung zu meiner beruflichen Tätigkeit als Physiker.
Ich gehöre zu der Gruppe von Leuten, die den Einsatz der Bomben angesichts der Umstände, die im September 1945 auf unsere Regierung zukamen, für angemessen hielt.
Ich glaube, daß die Gründe, warum viele Wissenschaftler nicht bereit waren und sind, ihre Arbeit in den Dienst nationaler oder internationaler Verteidigung zu stellen, sehr komplex sind und über eine bloße Abneigung gegen die Anwendung der Bombe hinausgehen. Allgemeine sozialpolitische Einstellungen sind hierbei entscheidender. Eine vorurteilsfreie Betrachtung dieses Themas ist sicher sehr schwierig.
Über Frederick Seitz
Frederick Seitz, geb. 1911, ist President Emeritus der Rockefeller University in New York und war in den sechziger Jahren Präsident der National Academy of Sciences in Washington, D.C. 1973 erhielt er für seinen Beitrag zur Entwicklung der Quantentheorie die höchste wissenschaftliche Auszeichnung der USA, die National Medal of Science. Zusammen mit Hans Bethe prognostizierte Seitz in dem Aufsatz „How Close is the Danger?“, 1946, im programmatischen Sonderheft „One World or None“ der Federation of American Scientists erschien: in höchstens sechs Jahren seien in anderen Ländern A-Bomben verfügbar. Im Hinblick auf die UdSSR, die 1949 die erste Waffe dieser Art testete, war die Vorhersage recht präzise.
Im Gegensatz zu Bethe – und gemeinsam mit Edward Teller, mit dem ihn ein ausgeprägter Antisowjetismus und eine Ablehnung von Rüstungskontrollverträgen verbindet – wurde Seitz in den achtziger Jahren zu einem der stärksten SDI-Befürworter. Allerdings plädierte er für möglichst bald aufstellbare – aber damit militärisch wenig wirksame – Raketenabwehrwaffen. Diese Forderung machte ihn gleichzeitg zu einem Kritiker derjenigen Reaganschen SDI-Programme, die auf einen möglichst perfekten, aber erst in ferner Zukunft stationierbaren Abwehrschirm abzielten. Auch unter den heutigen veränderten Rahmenbedingungen hält Seitz – wie Teller – angesichts der aus seiner Sicht bestehenden Bedrohungen aus der Dritten Welt Raketenabwehrwaffen für notwendig.
Das schriftliche Interview mit Dr. Frederick Seitz führte Dr. Bernd W. Kubbig. (Übersetzung: Helga Wagner.)