W&F 2018/2

Im Wortlaut

Verleihung des Göttinger Friedenspreises 2018

von Stiftung Dr. Roland Röhl, Götz Neuneck, Regina Hagen, Klaus Harnack und Konstantin Wecker

Der Liedermacher Konstantin Wecker aus München und die (Redaktion der Zeitschrift) W&F wurden am 10. März 2018 bei einer festlichen Veranstaltung in der Aula der Göttinger Universität mit dem Göttinger Friedenspreis ausgezeichnet. Der Preis wird von der Stiftung Dr. Roland Röhl jährlich verliehen an „Einzelpersonen oder Personengruppen, die sich durch grundlegende wissenschaftliche Arbeit oder durch herausragenden praktischen Einsatz um den Frieden besonders verdient gemacht haben“.
Konstantin Wecker konnte zur Preisverleihung nicht selbst nach Göttingen kommen, da er am selben Tag in Oberösterreich ein Konzert gab. Er zeichnete seine Preisträgerrede auf; das Video wurde bei der Preisverleihung gezeigt und steht unter goettinger-friedenspreis online. Von W&F waren außer (ehemaligen) Redakteur*innen auch (Ex-) Vorstandsmitglieder, Mitbegründer*innen der Zeitschrift und der Setzer nach Göttingen gereist, um den Preis entgegenzunehmen.

Begründung der Jury

von Stiftung Dr. Roland Röhl

Der Göttinger Friedenspreis 2018 wird zu gleichen Teilen an den Liedermacher Konstantin Wecker aus München und an die Redaktion der Zeitschrift Wissenschaft & Frieden (W&F) in Bonn verliehen. Beide Preisträger treten über viele Jahre durch Nutzung unterschiedlicher Medien, Mittel und Wege – musikalischen und poetischen, wissenschaftlichen und publizistischen – gleichermaßen engagiert, kompetent und konsequent mit gesellschaftspolitischem Impetus für die Entwicklung, Gestaltung und Erhaltung von Frieden und Menschenrechten ein. Durch ihr jahrzehntelanges Wirken haben sie mit nicht nachlassender Energie gewichtige öffentliche Zeichen gegen Krieg, Gewalt und Not, Ignoranz und Extremismus jedweder Art gesetzt.

Konstantin Wecker

Konstantin Wecker hat sich in all den Jahren seiner künstlerischen Karriere als kraftvoller Liedermacher klar und unmissverständlich politisch eingemischt. Mit starken, eindringlichen Worten und Melodien prangert er in vielen seiner Lieder und Statements aktuelle Ereignisse und gesellschaftliche Tendenzen an, die die Demokratie und Menschenwürde gefährden. Seine Bedeutung als politischer Liedermacher begann 1977 mit dem Album »Genug ist nicht genug«, in dem er in der Ballade »Willy« die tödliche, rechtsradikale Attacke auf einen Freund thematisiert. Fortan setzt er sich entschieden gegen rechtsradikale Gewalt ein. Die ausländerfeindlichen Anschläge Anfang der 90er Jahre veranlassen ihn zu dem Lied »Sag nein«. Zusammen mit der Band Strom & Wasser tourt er 2006 durch Ostdeutschland unter dem Motto »Nazis raus aus dieser Stadt«. Er begehrt gegen die Rüstungsindustrie auf, solidarisiert sich mit der Friedensbewegung und tritt auf deren Kundgebungen auf. „Antimilitarismus liegt mir im Blut“, so sagte er in einem Interview mit der ZEIT. Auch mit 70 Jahren ist er noch nicht leise geworden. Er benutzt seine publikumswirksame Virtuosität als Pianist und Poet, um seine markante Stimme gegen Ungerechtigkeit und Auswüchse des Kapitalismus, für Freiheit und Toleranz, für Frieden und Gerechtigkeit und immer wieder gegen rechtsradikale Gewalt zu erheben.

Als Ehrenvorsitzender der Göttinger Menschenrechtsorganisation »Initiative für eine humane Welt (IHW) e. V.», die einen Beitrag leistet „zur Entwicklung einer ökologischen und sozialen, demokratischen und friedensfähigen Gesellschaft“, unterstützt er konkrete Projekte und engagiert sich aktiv in der Flüchtlingspolitik. Sein gesellschaftspolitisches Engagement ist getragen von einer zutiefst humanistischen Grundhaltung, einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und einem wachen Gespür für (Fehl-) Entwicklungen, die den Frieden gefährden, die Würde von Menschen verletzen und der Gestaltung einer humaneren, gerechteren, gewaltfreieren Welt entgegenstehen. Es ist die über viele Jahrzehnte immer wieder eindrucksvoll durch zahllose Aktionen zum Ausdruck gebrachte Echtheit und die tiefe Betroffenheit, die Konstantin Wecker als Person zu einem Symbol gemacht haben, die unerschütterlich – durch alle Wechselfälle des eigenen Lebens – für Frieden und Menschenrechte einsteht.

Wissenschaft und Frieden

Wissenschaft & Frieden (W&F) ist die führende interdisziplinäre Wissenschaftszeitschrift für Friedensforschung, Friedenspolitik und Friedensbewegung in Deutschland. Seit 1983 behandelt W&F friedenspolitische, militärstrategische und rüstungstechnische Fragen aus politik-, sozial- und naturwissenschaftlicher, psychologischer und ethischer Sicht. Die Autoren*innen aus den unterschiedlichen Disziplinen untersuchen Gewaltursachen und -verhältnisse, beziehen Position zur Verantwortung der Wissenschaft und thematisieren Wege und Möglichkeiten zur zivilen Konfliktlösung, zur Wahrung der Menschenrechte und zur nachhaltigen Zukunftssicherung.

Wissenschaft & Frieden bietet ein Forum für die Diskussion wissenschaftlicher Analysen und Einschätzungen, zur Sicherung des Friedens und für eine zukunftsfähige Entwicklung; informiert über aktuelle Publikationen und Termine; berichtet aus Initiativen und Projekten, von Konferenzen und Tagungen. Wissenschaft & Frieden behandelt die ganze Bandbreite der ebenso komplexen wie differenzierten Thematik des Friedens, dies belegen beispielhaft die Titelthemen für die Vierteljahreshefte im Jahr 2017: »Facetten des Pazifismus«, »Flucht und Konflikt«, »Ressourcen des Friedens«, »Eingefrorene Konflikte«.

Wissenschaft & Frieden ist ein einmaliges Zeitdokument, unverzichtbare Informationsquelle für alle friedenspolitisch Engagierten in Wissenschaft und Politik, Initiativen und Bewegungen. Mit seinen Schwerpunktheften spiegelt W&F die jeweils drängendsten friedenspolitischen Themen und Probleme im Verlauf der letzten Jahrzehnte wider. Anhand des Archivs von W&F lässt sich das immer währende Ringen um Frieden, um das Verhindern von Krieg und Gewalt eindrucksvoll nachvollziehen.

Der Göttinger Friedenspreis 2018 wird an die für die wissenschaftlichen Inhalte zuständige Redaktion von W&F vergeben. Der Preis würdigt damit stellvertretend zugleich die Verdienste der langjährigen ehrenamtlichen Arbeit der wechselnden Mitglieder des Herausgeberkreises, des Vorstandes und des Beirates, ohne deren Unterstützung und Bereitschaft zum Engagement für den Frieden der Bestand und das Ansehen von Wissenschaft & Frieden nicht möglich wären, deren Existenz ja immer wieder gefährdet ist.

Ermutigung und Unterstützung

Die Jury verbindet mit der diesjährigen Auszeichnung die Erwartung, dass die Preisträger des Göttinger Friedenspreises 2018 weiterhin wichtige Signale setzen, um der Entwicklung und Gestaltung von Frieden und Menschlichkeit noch mehr Nachdruck und Gehör in Politik und Gesellschaft zu verleihen, damit Krieg und Gewalt, Not und Elend, Dummheit und Feigheit noch entschiedener entgegengetreten wird. Wir verstehen die Würdigung nicht nur als Anerkennung der bisherig Haltungen und Leistungen, sondern zugleich als Ermutigung und Unterstützung, die beschrittenen, oft beschwerlichen Wege zum Frieden auch in Zukunft weiterhin mit Energie und Phantasie, Mut und Kraft weiterzugehen.

Laudatio zum Göttinger Friedenspreis 2018

von Götz Neuneck

Liebe Frau Bürgermeisterin Behbehani, liebe Frau Präsidentin Beisiegel, sehr geehrte Damen und Herren, und vor allem:
liebe Preisträgerinnen und Preisträger!

Heute ehren wir zwei herausragende Preisträger: zum einen die Zeitschrift »Wissenschaft und Frieden«, insbesondere ihr Redaktionsteam, und zum anderen einen Künstler, Lyriker und Liedermacher – Konstantin Wecker. Schreiben, Singen, Drucken und Verbreiten – das sind Tätigkeiten, die nötig sind um Frieden zu ermöglichen, zu erreichen und zu stärken. Immer wieder und immer wieder von Neuem. Alle heute Geehrten haben sich darum in herausragender Weise verdient gemacht. Sie haben durch ihr publizistisches und musikalisch-lyrisches Wirken öffentliche Zeichen gesetzt gegen Krieg, Gewalt, Extremismus, Ignoranz und Not.

Zunächst zu Konstantin Wecker:

Konstantin Wecker, der heute leider aufgrund einer unaufschiebbaren Konzertverpflichtung nicht persönlich hier sein kann, braucht man eigentlich nicht vorzustellen. Die meisten kennen ihn aus dem Fernsehen, vielleicht sogar von Livekonzerten, oder sie haben Platten oder CDs zuhause. (Konstantin, übrigens was für ein schöner Vorname und dann erst der Nachname: Wecker, ja er weckt, er weckt auf und seine Lieder rütteln auf. Und in Konstantin steckt konstant, also dranbleiben, Haltung bewahren und nicht nachlassen.)

Konstantin Wecker hat bereits viele Preise erhalten, vom Deutschen Kleinkunstpreis 1977 über den Tucholsky-Preis bis zum Bayerischen Staatspreis für Musik 2017. (Besonders gefällt mir der von 2012 stammende Sonderpreis des Prix Pantheon in der Sparte »Reif und Bekloppt«. Ja, man muss sich heute diesseitig-intensiv, laut und manchmal eben polarisierend zu Wort melden, und das mit künstlerischen Mitteln.)

Die Jury hat treffend formuliert: Konstantin Wecker engagierte sich in all den Jahren seiner künstlerischen Karriere auch politisch, setzte sich in vielen seiner Lieder mit dem politischen Tagesgeschehen auseinander. Er ist Ehrenvorsitzender bei der Göttinger Menschenrechtsorganisation »Initiative für eine humane Welt« (IHW) e.V. und u.a. auch Schirmherr für den Deutschen Friedenssong-Wettbewerb 2018.

Konstantin Wecker wurde als Pianist und Sänger 1977 mit dem Album »Genug ist nicht genug« bekannt. Die Klage-Ballade »Willy« wendete sich mit großer bayerischer und musikalischer Expressivität gegen rechtsradikale Gewalt und dürfte vielen bis heute in Erinnerung geblieben sein. Er nahm 1982 an der Konzertreihe »Künstler für den Frieden« teil und trat immer wieder bei Kundgebungen der Friedensbewegung auf. Zu Recht wird er in einer Reihe genannt mit Hannes Wader, Franz-Josef Degenhardt, Dieter Süverkrüp und Reinhard Mey, mit denen er teilweise auch gemeinsam auf der Bühne oder im Studio arbeitete. Für Hans-Dieter Hüsch schrieb er in seinem bemerkenswerten Album »Hagenbuch« die Zwischenmusik. (Er ist auch aufgrund seines unbändigen Freiheitsdrangs, seiner bayerischen Intensität und seines etwas anarchistischen Wesens ein bisschen ein moderner Hagenbuch.)

In der Kategorie Chanson wird stets auf Frankreich geschaut, aber Deutschland hat ebenfalls herausragende Liedermacher, die das politische Engagement nicht scheuen und doch auch lyrisch sind. Vielen sind die Songs von Konstantin Wecker bekannt, aber Wecker hat weitaus mehr komponiert, so etwa Musicals oder Filmmusiken. Frieden und soziales Engagement sind zentrale Säulen seiner Arbeit. In einem Interview unterstrich er: „Antimilitarismus liegt mir im Blut.“

Von Roger Willemsen in der ZEIT 2009 gefragt „Immer noch Ansingen gegen den Krieg?“ antwortete er: „Ja, was denn sonst? Ich glaube, nur Singen hilft. Waffen helfen jedenfalls nicht, wie wir gesehen haben.“ Ganz Künstler – und vor allem Lyriker – sagt er im selben Interview: „Meine Lieder waren immer wahrer als ich. Auch klüger.“

Willemsen fragt weiter: „Also bis ans Ende aller Tage: Die einen bauen Waffen, die anderen singen dagegen an?“ Und Konstantin Wecker antwortet: „Die Unterstellung, es sei doch mal vorbei damit, beleidigt meine Intelligenz. Die Menschheit richtet sich zugrunde, und ich soll schweigen? Wer jetzt seine Stimme nicht öffentlich erhebt, verdient es nicht, eine öffentliche Stimme zu haben.“ Gut gesprochen und von eindringlicher Aktualität, schaut man auf die aktuellen Wendungen zurück zum Kalten Krieg. Aufrüstung ist wieder angesagt, und ein neues nukleares Wettrüsten ist im Gange. In gewissem Sinne ist die Situation nun gefährlicher als während der Ost-West-Konfrontation, denn zumindest am Ende hatte man sich auf Abrüstung geeinigt. Es gab eine Form von kooperativer Rationalität und lediglich zwei Blöcke. Heute ist die Lage komplizierter, siehe im Mittleren Osten oder Nordkorea.

Zurück ins eigene Land. Unter dem Motto »Nazis raus aus dieser Stadt« tourte Wecker zusammen mit seinem Kollegen Heinz Ratz durch Ostdeutschland. Ein Konzert in Halberstadt wurde abgesagt, später aber mit Gastauftritten weiterer befreundeter Liedermacher, wie Wenzel und Prinz Chaos II., nachgeholt. Wecker gab nicht auf, sondern blieb politisch aktiv engagiert. Er stand und steht in seinen Liedern und seinem Wirken für die alle verbindenden menschlichen Werte. Für Konstantin Wecker ist politisches und soziales Engagement selbstverständliche Pflicht. In einem Interview 2012 sagte er: „Das Talent bringt die Verpflichtung mit, sich mindestens um diejenigen zu sorgen, die aus dem gesellschaftlichen Raster fallen, die normalerweise keine Stimme haben.“ Es waren ja immer die Dichter, die ihnen eine Stimme verliehen haben. Wecker polarisiert, ist unnachgiebig und expressiv. Aber braucht es in diesen Zeiten nicht genau das? Wer soll denn gegen den Lärm der Zeit, die Mittelmäßigkeit der öffentlichen Debatte und den wiederkehrenden Rüstungswahnsinn ankämpfen, wenn nicht Künstler und Literaten?

Weckers soziale Aktivitäten sind aber nicht bei Appellen und poetischen Liedern stehen geblieben. Er engagiert sich konkret, vor Ort für Menschen – so bei Konzerten in Ostdeutschland oder bei der »Göttinger Initiative für eine humane Welt« sowie bei der Hilfsaktion für notleidende Menschen in Griechenland. Heute wird stellvertretend Holdger Platta den Preis entgegennehmen, der die treibende Kraft hinter der Initiative ist.

In einer Zeit, in der Autokraten, wie Erdogan, Trump oder Assad, die Staatsspitze erreicht haben – und das mit Hilfe von demokratischen Wahlen –, ist die Arbeit am Frieden und gegen organisierte Gewalt wichtiger denn je. „Krieg ist nichts als Drückebergerei vor den Aufgaben des Friedens“ hat Thomas Mann treffend formuliert. Konstantin Wecker hat mit seinem Wirken jedenfalls immer wieder wachgerüttelt, aufgeweckt und aktiv eingegriffen. Eine Sommertour mit Hannes Wader hieß »Kein Ende in Sicht«! Wir wünschen, dass dies auch für Konstantin Weckers Wirken weiter gilt. Im letzten Jahr feierte er seinen 70. Geburtstag! Und wir hoffen und wünschen, dass er noch weiter so aktiv wirken kann und dass noch mehr, vor allem auch junge, Menschen seine aufrüttelnden Botschaften für den Frieden aufnehmen und weitertragen!

Sehr verehrte Damen und Herren, nun zum zweiten Preisträger:

Die Zeitschrift »Wissenschaft und Frieden« (W&F) erscheint seit 1983, also seit 35 Jahren, und das viermal im Jahr. Sie ist eine interdisziplinäre Wissenschaftszeitschrift für Friedensforschung, Friedenspolitik und die Friedensbewegung, an der in den letzten Jahrzehnten viele Redakteure beteiligt waren und sind. Es freut mich besonders, dass das heutige Redaktionsteam fast vollständig anwesend ist und dass darunter auch ein paar Bekannte und Freunde sind. Sie haben die Auszeichnung durch ihren großen Arbeitseinsatz all die Jahre wahrhaftig verdient.

W&F publiziert zu friedenspolitischen, rüstungstechnischen, militärstrategischen und ethischen Fragen aus naturwissenschaftlicher, politikwissenschaftlicher, historischer, sozialwissenschaftlicher, psychologischer und pädagogischer Sicht. Es ist sicher kein Zufall, dass die Zeitschrift zu Hochzeiten der nuklearen Aufrüstung in den 1980er Jahre gegründet worden ist. Wir wollen nicht vergessen, dass gerade auch manche Erkenntnisse der Naturwissenschaften im Kalten Krieg zur Aufrüstung beigetragen haben. Ohne Wissenschaftler und Ingenieure keine Atombombe, keine Interkontinentalraketen, keine B- und C-Waffen und keine moderne Rüstungsforschung. Nur in wenigen Einzelfällen traten Wissenschaftler aus dem Labor heraus, um politische und soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige von ihnen haben auch in dieser Zeitschrift bedeutende Beiträge geleistet. In den 1980er Jahren wurde dies vor dem Hintergrund der nuklearen Hochrüstung der Militärblöcke durchaus zu einer Massenbewegung. In der 1. Ausgabe 1983 formulierte der CERN-Wissenschaftler Hagedorn in der Kolumne »In eigener Sache«: „Wissenschaft im Elfenbeinturm ist nicht mehr gefragt.“ Er betonte: „Wissenschaftliche Kompetenz ist zum festen Bestandteil der Argumentation der Friedensbewegung geworden.“ Ich erinnere mich an einige der Gründer der Zeitschrift, Rainer Rilling, Corinna Hauswedell und Paul Schäfer, denen diese Problematik besonders am Herzen lag und die mit publizistischem Geschick die Zeitschrift aufgebaut haben. Interdisziplinäre Kompetenz für Friedensfragen ist bis heute fester Bestandteil von W&F geblieben. Allerdings stelle ich heute ein gewisses Nachlassen des Interesses und der aktiven Verantwortungsübernahme von Seiten klassischer Wissenschaftler sowie seitens des jüngeren Nachwuchses fest.

Der Mineraloge Werner Dosch hat 1983 bereits im ersten Editorial weitsichtig darauf verwiesen, dass Rüstungskritik alleine nicht reicht. Er hat das damalige Wettrüsten, das im Übrigen heute wieder Fahrt aufnimmt, präzise wie folgt beschrieben: „In einer Situation von Drohung und Gegendrohung wird Rüstung zu einem in sich logischen und unbegrenzten Prozess, der sich in seiner Zwangsläufigkeit von der ursprünglichen Zielsetzung einer Friedenssicherung verselbständigt und den Frieden stärker bedrohen kann als die ursprüngliche Gefahr, die durch Rüstung gebannt werden sollte.“ Leider sind wir heute wieder in der gegenseitigen Bedrohungsspirale gefangen. Die Sicherungen, die am Ende des Kalten Krieges geschaffen wurden, wie z.B. die Rüstungskontrolle, werden ausgehöhlt. Und auch die Wissenschaft spielt hier eine Rolle. Neue Gebiete, wie die Künstliche Intelligenz, Robotik, Quanteninformatik, synthetische Biologie, Big Data, Cybertechnologien etc., sind der Gefahr ausgesetzt, auch Bestandteil des politischen wie technologischen Rüstungswettlaufs zu werden. W&F sollte auch gerade wieder klassische Wissenschaftler dazu drängen, in der Zeitschrift das Dual-use-Potenzial ihrer Forschungen und heutiger Projekte in die Öffentlichkeit zu bringen und zu diskutieren.

Die Autoren von W&F stammen aus vielen Wissenschaftsbereichen und untersuchen komplexe Gewaltursachen und -verhältnisse, beziehen Position zur Verantwortung der Wissenschaft und thematisieren Wege und Möglichkeiten zur zivilen Konfliktlösung, zur Wahrung der Menschenrechte und zur nachhaltigen Zukunftssicherung. W&F hat im Laufe der Jahre ein Autorenpotential von Fachleuten – mehrheitlich aus Deutschland – geschaffen, das sich sehen lassen kann. Darunter finden sich prominente Autoren, wie Egon Bahr, Dieter Senghaas oder Hans Küng, und Nobelpreisträger, wie Joseph Rotblat. W&F ist ein »Who is Who« der Friedensforschung, eine unverzichtbare Informationsquelle für friedenspolitisch Engagierte in Wissenschaft und Politik sowie für Friedensinitiativen. In den 2010er Jahren wurden zunehmend auch Autoren aus dem europäischen und außereuropäischen Ausland gewonnen. Dieser Trend sollte fortgesetzt werden. Die Zeitschrift erscheint in deutscher Sprache. Fremdsprachige Artikel werden übersetzt; sie dienen auch dem Transfer von Diskussionen aus dem Ausland nach Deutschland.

W&F ist aber nicht nur eine Publikationsplattform von wissenschaftsbasierten Analysen und alternativen Vorschlägen, sondern informiert auch über aktuelle Veröffentlichungen, Termine, Konferenzen und Projekte. Die Dossiers, also kleine thematische Schwerpunkthefte, bis heute 85 an der Zahl, vertiefen aktuelle und zentrale Fragen. Das letzte Heft behandelt ein Spektrum von aktuellen Friedensfragen, so Trumps Nuklearpolitik, rechten Populismus, Völkerrecht und Nuklearwaffen oder den neuen militärisch-industriellen Komplex. (Und ich bin sicher, dass sich die Zeitschrift auch gerade nach dieser Veranstaltung auf weitere Abonnenten freut. Hervorhebenswert ist die gute Online-Präsentation, die jedem Interessierten den Zugang auch zur aktuellen Ausgabe ermöglicht.)

Der Göttinger Friedenspreis wird, wie die Jury betonte, an die für die wissenschaftlichen Inhalte zuständige Redaktion vergeben. Die Redaktion besteht aus Wissenschaftlern, Journalisten und Studierenden, die aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven Themen der Friedens- und Konfliktforschung beleuchten. In den meisten Fällen geschieht dies ehrenamtlich.

Es ist schön, dass etwa zehn Mitglieder des Redaktionsteams, dabei viele junge Mitglieder, heute hier anwesend sein können, und auch der Setzer. Dazu gehören die genannten Gründungsväter oder langjährigen Redakteure wie Christiane Lammers, Jürgen Scheffran, Jürgen Nieth und Regina Hagen. Der Göttinger Preis ist hoffentlich ein Ansporn, weiter leidenschaftlich und konsequent W&F weiterzuführen. Es ist sehr zu hoffen, dass der Friedenspreis eine Ermutigung für die künftige Redaktionsarbeit ist. Wer schon einmal eine Zeitschrift gemacht hat, weiß, wie viel Arbeit damit verbunden ist. Fast all das erfolgt, wie gesagt, ehrenamtlich unter großem Zeiteinsatz von manchmal einigen Wenigen. Man muss dabei nicht nur das journalistische Handwerk beherrschen, sondern braucht auch ein Händchen für die Autoren und Themen. Hoffen wir also, dass Redaktion und Trägerkreis weiterhin bei der Auswahl der Themen und der Autoren eine glückliche Hand haben, dass die Zahl der Abonnenten steigt und auch die jüngere Generation Gefallen an der Tätigkeit und den abgehandelten Themen findet.

Die Jury hat treffend gefolgert: „Der Göttinger Friedenspreis 2018 wird an die für die wissenschaftlichen Inhalte zuständige Redaktion von W&F vergeben. Der Preis würdigt damit stellvertretend zugleich die Verdienste der langjährigen ehrenamtlichen Arbeit der wechselnden Mitglieder des Herausgeberkreises, des Vorstandes und des Beirates, ohne deren Unterstützung und Bereitschaft zum Engagement für den Frieden der Bestand und das Ansehen von W&F nicht möglich wären, deren Existenz ja immer wieder gefährdet ist.“

Ich gratuliere allen Preisträgern im Namen der Stiftung Dr. Roland Röhl und des Kuratoriums herzlich zu dem Göttinger Friedenspreis und wünsche ihnen viel Energie, Leidenschaft und Mut bei der Fortführung ihrer Projekte.

Prof. Dr. Götz Neuneck ist Physiker und geschäftsführender wissenschaftlicher Ko-Direktor des Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der ­Universität Hamburg (IFSH). Er ist Mitglied des Kuratoriums der Stiftung Dr. Roland Röhl.

Wissenschaft, Frieden und W&F

von Regina Hagen und Klaus Harnack

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Frau Bürgermeisterin, lieber Götz Neuneck, sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Stiftung Dr. Roland Röhl, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Regina Hagen zu »Wissenschaft und Frieden«

Das Team von »Wissenschaft und Frieden« ist groß, in Redaktion und Vorstand arbeiten 20 Menschen mit; bis auf mich tun das alle ehrenamtlich und ohne Bezahlung. Viele weitere sind nötig, um eine Ausgabe herzustellen: unser Setzer, Stefan Knaab; die Druckerei, msi in Marburg; der Lettershop der Lahnwerkstätten Marburg für den Versand; Silvia Wagner vom Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) für den Vertrieb; unser Webmaster Christoph Göbel; die Künstlerinnen oder Photographen, die uns ihre Werke unentgeltlich zur Verfügung stellen; und natürlich die Autorinnen und Autoren, mit deren honorarfreien Texte wir die Hefte füllen. Ohne sie könnten wir die Zeitschrift nicht machen!

Wir alle freuen uns sehr über den Göttinger Friedenspreis und die damit verbundene Würdigung unserer bisherigen Arbeit. Wir fühlen uns durch den Preis in einer schwierigen Phase tatsächlich geehrt und angespornt. Danke also an die Stiftung Dr. Roland Röhl für den Preis – und herzlichste Gratulation an Konstantin Wecker, mit dem wir den Preis teilen!

Stellvertretend für die vielen oben Genannten wurden zwei Mitglieder der Redaktion mit der Preisträgerrede betraut. Ich mache den Anfang, danach spinnt Klaus Harnack den Faden weiter.

Das Buch »Natur als Waffe – Die Umwelt in der Planung der Militärstrategen«, das 1985 erschien, beendete Roland Röhl anstelle eines Nachworts mit dem Kapitel »Einige Gedanken am Rande zum Rüstungswahnsinn und zur Verantwortung der Naturwissenschaftler«. Dort schrieb er: „Ein Wissenschaftler hat es heute zwar kaum noch in der Hand, wofür seine Entdeckung benutzt wird. Ohne Zweifel kommt ihm dennoch eine besondere Verantwortung zu. Allein sein Fachwissen verpflichtet ihn, die nicht-wissenschaftliche Öffentlichkeit über mögliche Fehlentwicklungen zu informieren. Gleichzeitig kann damit politischer Druck erzeugt werden.“

Mit dieser Feststellung beschrieb Roland Röhl wohl seine eigene Motivation, sich dem Wissenschaftsjournalismus zuzuwenden. Das Zitat liest sich aber zugleich gleichsam wie ein Echo dessen, wie W&F sich verortet. Auf unserer Website heißt es unter der Überschrift »Wir über uns«: „W&F […] bezieht aus naturwissenschaftlicher, politikwissenschaftlicher, sozialwissenschaftlicher, psychologischer, juristischer und ethischer Sicht Position zur Verantwortung der Wissenschaft […].“ In der allerersten Ausgabe von W&F vom Oktober 1983, damals noch unter dem Namen »Informationsdienst Wissenschaft und Frieden«, lud die Redaktion die Leserinnen und Leser zur Nutzung der gelieferten Informationen ein, denn: „Nur durch gemeinsame Arbeit kann der »Informationsdienst« zur politischen Stärkung und wissenschaftlichen Qualifizierung der Friedensbewegung und -öffentlichkeit im Wissenschaftsbereich beitragen.“ Dieser Satz gilt bis heute weiter.

Als die erste Ausgabe unserer Publikation erschien, beschäftigten sich große Teile der Bevölkerung intensiv mit Rüstungsfragen. In Deutschland tobte die »Nachrüstungsdebatte« um die Aufstellung nuklear bewaffneter Pershing-II-Raketen und Marschflugkörper des Bündnispartners USA; die Sowjetunion stellte immer mehr gegen Westeuropa gerichtete Mittelstreckenraketen des Typs SS-20 auf; und US-Präsident Ronald Reagan heizte die Aufrüstungsspirale mit der Ankündigung der Strategic Defense Initiative, auch »Star Wars« genannt, an.

Die damit verbundenen existenziellen Fragen ließen auch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht kalt. Sie befassten sich mit den technischen Hintergründen und Gefahren dieser Rüstungsspirale und schlugen Wege zur Abrüstung und Befriedung der Situation vor. Es bildeten sich zahlreiche berufsspezifische Friedensorganisationen.

In dieser Gemengelage und angeregt durch den inzwischen legendären Mainzer Kongress »Verantwortung für den Frieden« meldete sich ein Soziologe zu Wort. Rainer Rilling, Geschäftsführer des in Marburg ansässigen BdWi, machte sich stark für die Gründung einer Zeitschrift, um den Informationsaustausch zu fördern, und brachte das Projekt auf den Weg. Erster verantwortlicher Redakteur wurde der Politikwissenschaftler Paul Schäfer (nach acht Jahren als Bundestagsabgeordneter inzwischen wieder aktiv in der W&F-Redaktion). Die ersten »Macher« der Zeitschrift kamen also aus den Gesellschaftswissenschaften, bezogen aber von Anfang an Autorinnen und Autoren aus allen erdenklichen Fachrichtungen ein. Die disziplinäre Vielfalt spiegelt sich bis heute in den Herausgebergruppen und damit im Vorstand von W&F, der für die Rahmenbedingungen unserer Arbeit sorgt.

Und unsere Redaktion, jetzt, heute? Wir sind in jeder Beziehung heterogen: von den 20ern bis zum Rentenalter, von Stuttgart bis Hamburg und von Trier bis Jena, Männer und Frauen, aus vielen unterschiedlichen Disziplinen, eher akademisch ausgerichtet oder mehr friedensbewegt … Die Vielfalt an fachlichen Hintergründen, biographischen Erfahrungen und Beweggründen für eine Mitarbeit in der Redaktion, die damit verbundenen Herangehensweisen, das Aufeinanderprallen von Erfahrungswissen und Neugierde oder Enthusiasmus machen die Redaktionstreffen zum Erlebnis, befruchten unsere Arbeit – und sind für uns alle eine persönliche Bereicherung.

In unseren Diskussionen geht es immer aufs Neue um inhaltliche Fragen: Wie lassen sich langfristige Konfliktursachen, wie Ungleichheit oder Klimawandel, eindämmen? Wie lassen sich Veränderungen herbeiführen, wenn dem mächtige wirtschaftliche Interessen entgegenstehen? Welche Hebel gibt es, um Rüstungsspiralen und Kriege einzuhegen oder gleich im Vorfeld zu vermeiden?

Neben den inhaltlichen sind wir zunehmend auch mit Fragen konfrontiert, die die Fortexistenz von W&F im Kern betreffen. In der Redaktion scheint der Generationenwechsel zu gelingen, wie aber erreichen wir mit dem Ergebnis unserer Arbeit auch junge Menschen, die Medien ganz anders nutzen als die etablierte Leser*innenschaft von W&F? Wie können und müssen wir – und das gilt gleichermaßen für die Friedenbewegung – uns in der Ansprache, in der Darstellung und in den Themen auf die rapiden Veränderungen in unserer Gesellschaft einstellen? Um die Antworten ringen wir in Redaktion und Vorstand zur Zeit intensiv, und das Ergebnis ist noch vollkommen offen.

Klaus Harnack zu »Wissenschaft« und »Frieden«

Meine Damen und Herren, liebe Freunde, liebe Familie, sehr geehrtes Stiftungsgremium. Bevor ich an den ersten Teil der Rede anknüpfe, möchte auch ich mich im Namen des gesamten W&F-Teams für die Ehre des Göttinger Friedenspreises bei Ihnen bedanken.

Mit der heutige Auszeichnung verbinden wir die Ermutigung, unser Friedensprojekt weiter voranzutreiben und lebendige und kontroverse – genau so, wie wir zusammengesetzt sind – Impulse zum politischen Denken zu senden. Allerdings darf ich einen kleinen Teil dieser Aufforderung, die mit dem Preis einhergeht, an Sie weitergeben, denn W&F braucht eben nicht nur das Engagement der Redaktion, sondern auch das der Leser*innen der Zeitschrift.

Wir würden uns deshalb sehr freuen, wenn Sie W&F in Zukunft lesen und nutzen würden – zur „politischen Stärkung und wissenschaftlichen Qualifizierung“ – und mit einem W&F-Abo oder gar einer Fördermitgliedschaft unserem Projekt die weitere Zukunft bescheren. Wenn wir schon beim Thema Lesen sind …

Der allererste Satz, der in Ausgabe 1 der W&F unter der Rubrik »In eigener Sache« zu lesen war, entstammte der Feder des Physikers Rolf Hagedorn, der in Göttingen studiert hatte und einer der Schüler von Werner Heisenberg war. Dieser erste Satz lautet: „Wissenschaft im Elfenbeinturm ist nicht mehr gefragt.“ Er behielt bis heute – 35 Jahre oder 143 Ausgaben später – seine Gültigkeit. Die Wissenschaft darf weder ein Handlanger einzelner Interessengruppen sein noch Zustand, kein Ort der geistigen Unberührbarkeit und Abgeschiedenheit. Ihr Produkt, das Wissen, gehört in letzter Konsequenz nicht in die Schubladen der Institute, sondern in die Köpfe aller Menschen. Der friedensorientierte und wissenschaftliche Journalismus, den wir im kleinen Rahmen betreiben, kann hoffentlich ein Vehikel sein, um die Forderung von Rolf Hagedorn nach Übernahme von Verantwortung auch in Zukunft umzusetzen.

Als ich vor einigen Jahren über das Forum Friedenspsychologie in die Redaktion der W&F gelangte, hatte ich eine vermeintlich klare Vorstellung, was sich hinter einer Zeitschrift mit dem Titel »Wissenschaft und Frieden« verbirgt. Ganz klar: Dort sitzen Wissenschaftler*innen, die ihre Erkenntnisse und Forschungsergebnisse für den Frieden aufbereiten und für einen kontinuierlichen Friedenprozess nutzbar machen wollen.

Die Frage, was ist Subjekt und was Objekt in Bezug auf die Wörter »Wissenschaft« und »Frieden«, hatte ich mir zu diesem Zeitpunkt nicht gestellt. Also die Frage: Sind wir Wissenschaftler*innen, die ein Produkt erschaffen, das dem Frieden dient, oder sind wir friedensbewusste – friedensbewegte – Wissenschaftler*innen, die auf der Basis ihrer wissenschaftlichen Standards friedensmotivierte und friedensaktivierende Artikel einwerben und manchmal auch selber schreiben?

Ich wurde eines Besseren belehrt, und mein Blick wurde geweitet. Ich traf auf eine sehr heterogene und äußerst interessante Mischung politisch interessierter und friedensbewegter Menschen, die in ihrer Summe eben beides sind – sowohl friedensbewegte Akademiker*innen als auch Wissenschaftler*innen, die versuchen, den Gegenstand ihrer Forschung für den Frieden nutzbar zu machen.

Dieses Wechselspiel illustriert sehr schön sowohl die Zeitachse als auch die gegenwärtige Zusammensetzung der Redaktion der W&F. Waren die Gründer*innen unseres Projektes primär – nicht ausschließlich – friedensbewegte Wissenschaftler*innen, ist die neuere Generation vermehrt gekennzeichnet durch Wissenschaftler*innen, die mit ihrem wissenschaftlichen Arbeiten dem Frieden dienen möchten. In der Summe: In der W&F gibt es beides – die Wissenschaft und den Frieden.

Dementsprechend möchte ich mich nun beiden Begriffen kurz zuwenden. Der niederländische Philosoph Spinoza formulierte folgenden Gedanken: „Friede ist nicht Abwesenheit von Krieg. Friede ist eine Tugend, eine Geisteshaltung, eine Neigung zu Güte, Vertrauen, Gerechtigkeit.

Die Realität, die uns umgibt, ist hingegen ernüchternd. In vielen Teilen der Welt herrschen Kriege, und diese werden nicht zuletzt durch unser Handeln oder unsere Unterlassungen geschürt oder sogar ausgelöst. Dabei erleben wir hier in der Mitte Europas seit Ende des Zweiten Weltkrieges die Abwesenheit von Krieg, in Teilen sogar einen echten Frieden, wie Spinoza ihn vielleicht verstanden hätte. Um nicht auch noch hier bei uns dieses so wertvolle Gut wieder aus den Händen zu geben, möchte ich den Gedanken Spinozas um folgende Thesen erweitern:

Frieden ist kein Zustand – einen friedlichen Zustand im strikten Sinne gibt es nicht. Den Frieden lediglich zu genießen und als gegeben anzusehen, das können wir uns nicht leisten!

Der Frieden ist ein Ziel – etwas, auf das man nur zugehen kann; er kann niemals wahrlich erreicht werden. Wir mögen dem Frieden zuweilen näherkommen, uns manchmal auch von ihm entfernen, aber wir werden ihn niemals erreichen und mühelos erhalten können. Der Frieden bleibt immer nur eine Absicht, eine Motivation, denn nur der Tod kennt den Frieden als Zustand – das Leben sicher nicht.

Es besteht nämlich die Gefahr, wenn wir den Frieden als Zustand verstehen, dass wir uns wieder von ihm entfernen, ihn aus den Händen geben. Frieden muss kontinuierlich erarbeitet werden, denn die Welt kennt keine fixierten Zustände – sie ist definiert durch kontinuierliche Veränderung. Heraklit sagte sinngemäß: Man kann in den selben Fluss nicht zweimal reinsteigen. Analog können wir vom selben Zustand – vom selben Frieden – nicht zweimal profitieren. Jede Generation muss den Frieden neu definieren und aktiv bewahren. Genau diese Geisteshaltung, diese Forderung – den Frieden immer wieder in das Zentrum politischen Handelns zu stellen, aktiv zu fördern und alternative Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen – ist eines der zentralen Anliegen der W&F.

Ähnlich dem Frieden ist auch die Wissenschaft kein Zustand, kein fertiges Gebäude, in dem wir es uns gemütlich machen können. Auch die Wissenschaft ist eine Motivation, ein Ziel. Allerdings ist die Wissenschaft auch ein mächtiges Werkzeug, das durch ihre Erkenntnisse und Erfindungen entscheidend an den Stellschrauben von Krieg und Frieden drehen kann – oder an den Stellschrauben zur Schaffung und Bewahrung von Frieden. Aufgrund dieser starken Wirkung stellen das Gebot der wissenschaftlichen Transparenz und der offene Zugang zu den Ergebnissen der Wissenschaft elementare Bausteine für den Frieden dar. Allerdings werden wir durch Wissenschaft alleine dem Ziel des Friedens nicht näherkommen. Es bedarf der Übermittlung des Wissens an die Menschen, der Einordnung der Erkenntnisse in die uns umgebende Welt, nicht zuletzt, um der gegenwärtigen Strömung der Vereinfachung entgegenzuwirken. Die Menschen sollen durch Wissenschaft zum eigenständigen Denken anregt und für politisches Handeln motiviert werden. Das ist Ziel und Aufgabe der W&F und der Mehrwert, den wir unseren Leser*innen alle drei Monate in die Hand geben möchten.

Vielen Dank!

Aufstehen: wider den Gehorsam!

von Konstantin Wecker

Liebe Freunde, ich habe mich wirklich sehr gefreut, dass mir der Göttinger Friedenspreis 2018 zugesprochen wurde, und ich gratuliere ganz herzlich der Redaktion der Zeitschrift »Wissenschaft und Frieden«. Und ich danke Herrn Götz Neuneck für diese mich fast verlegen machende Laudatio.

Als Liedermacher denke ich bei Göttingen natürlich sofort an das schöne Chanson der französischen Sängerin Barbara, die als Jüdin 1940 aus dem von den Deutschen besetzten Teil Frankreichs fliehen musste. Mit ihrem Lied leistete sie 1964 einen wichtigen Beitrag zur französisch-deutschen Aussöhnung. In der deutschen Version von »Göttingen« heißt es:

„Lasst jene Zeit nie wiederkehren,
wenn Blut und Hass die Welt zerstören.
Denn es gibt Menschen, die ich liebe
in Göttingen, in Göttingen.
Und sollten Kriegsrufe ertönen,
und die Kanonen wieder dröhnen,
so manche Träne mein Herz verlöre
für Göttingen, für Göttingen.“

Nun, Barbaras Wunsch, jene Zeit möge „nie wiederkehren, ging in Erfüllung, allerdings nur für Mittel- und Westeuropa. Anderswo haben deutsche Kanonen seither wieder gedröhnt, etwa im Kosovo oder im afghanischen Kundus, wo dem bisher größten deutschen Kriegsverbrechen nach 1945 an die 140 Männer, Frauen und Kinder zum Opfer fielen. Kanonen könnten auch wieder dröhnen gegen einen vertrauten Feind: Russland, dem die sich immer weiter nach Osten schiebende NATO bedrohlich auf die Pelle rückt – nicht ohne im Gegenzug russische Aggression zu beklagen.

Wahnwitzige Politiker inszenieren heutzutage nicht nur einen neuen Kalten Krieg, sie halten auch einen heißen Krieg gegen Russland wieder für führbar und für gewinnbar. Das ist gefährlicher Wahnsinn!

Und auch dort, wo die Befehlshaber und die Ausführenden von Bombardements einmal nicht Deutsche sind, leisten deutsche Waffen ganze Arbeit.

Man muss sich das einmal vorstellen: Da beschäftigt uns die Presse über Wochen mit Banalitäten – Andrea Nahles habe „Bätschi“ gesagt, Sigmar Gabriel habe Martin Schulz als „Mann mit Haaren im Gesicht“ bezeichnet oder Jens Spahn leide an einer „Burka-Allergie“. Währenddessen – man muss sich das bewusst machen – haben Union und SPD das größte Aufrüstungsprogramm seit Ende des Zweiten Weltkriegs beschlossen. Es wurde ganz leise, gezielt an der öffentlichen Aufmerksamkeit vorbei, in den Koalitionsvertrag hineingeschmuggelt. Lapidar heißt es da, man wolle dem „Zielkorridor der Vereinbarungen der NATO folgen“.

Im Klartext heißt das: Ein US-Präsident, der für alle sichtbar nicht ganz bei Sinnen ist, verlangt von den Europäern zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Rüstung auszugeben – und anstatt ihm den Vogel zu zeigen, bringen die europäischen Regierungen als Antwort nur ein windelweiches »O.K.« hervor. Ohne dass feindliche Mächte an den Grenzen Deutschlands aufmarschieren würden, beschließt man eine Verdoppelung der deutschen Rüstungsausgaben. Weit ist unser Land gekommen, das einmal mit dem Slogan „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“ aus den Trümmern eines verheerenden Weltkriegs hervorgegangen ist. Heute lautet das Motto offenbar: „Nie mehr Krieg ohne deutsche Beteiligung“, und auch die Faschisten machen sich schon wieder verdächtig breit – sogar in unseren Parlamenten.

Und unsere Politiker? Statt zu weinen über die Opfer der von ihnen losgetretenen Kriege empfinden sie tiefen Schmerz über den Verlust des Finanzministeriums. Und statt über das Elend der Menschen in den Flüchtlingslagern und in den Wartezonen der Hartz-IV-Behörden zu klagen, erhebt sich ein Gejammer über angeblich nicht einsatzfähige U-Boote und Panzer. Nicht das Töten erregt den Protest unserer Leitmedien, sondern die mangelnde Perfektion von Tötungswaffen. In was für einer perversen Gesellschaft leben wir eigentlich?

Barbara sang:

„Doch Kinder sind genau die gleichen,
in Paris, wie in Göttingen.“

Sie sind aber auch die gleichen in Petersburg und in München, in Kundus und Sudershausen. Überall auf der Welt wollen Kinder leben, herumtollen, genug zu essen haben, Freundschaft schließen und sich freuen. Doch die Profite skrupelloser Rüstungskonzerne haben Priorität vor ihrem Wohlergehen, ja sogar vor ihrem Leben.

Viele von uns haben sich Ende Februar über den türkischen Präsidenten Erdogan aufgeregt. Dieser notorische Faschist hat ein Mädchen, das man zuvor in eine Uniform gesteckt hatte, auf die Bühne geholt und sie zurechtgewiesen, dass Soldaten niemals weinen dürften. Erdogan sagte „Wenn sie, so Gott will, Märtyrerin wird, wird man sie mit der Fahne bedecken. Sie ist für alles bereit.“ Wir im Westen sind darüber entrüstet, aber agieren unsere vermeintlich freien Länder denn so anders als die Türkei?

Jede »zivilisierte«Gesellschaft hat zu jeder Zeit ihre besondere Liebe zu Kindern betont – und jede hat am Ende ihre Kinder willig geopfert, wenn Kriegsindustrie und Kriegspolitik sie zu den Waffen riefen.

Auch deutsche Soldaten kommen heutzutage wieder in Särgen von ihren Auslandseinsätzen zurück – bedeckt mit der deutschen Fahne, als sei das ein Trost für die Angehörigen, dass es Deutschland war, für das sie starben. Man kann hier nur noch mit einem Chansontext meines großen Freundes, des Kabarettisten Werner Schneyder, antworten:

„Ich schäme mich.
ICH schäme mich.“

Zum ersten Mal seit der Wende sind die Rüstungsausgaben in Ost und West in den letzten Jahren wieder gestiegen. Die Kämpfe und Mühen von Millionen Friedensdemonstranten, aber auch von leidlich vernünftigen Politikern in den letzten drei Jahrzehnten werden derzeit zunichte gemacht. Jeder erzielte Fortschritt wird rückabgewickelt. Deutsche Soldaten stehen in Afrika und im mittleren Asien, und die Lobbyisten des Tötens und Sterbens stehen in unseren Klassenzimmern. Wir taumeln finsteren Zeiten entgegen, wenn wir nicht endlich beginnen, uns als Gesellschaft, als Mehrheit der Vernünftigen und Humanen zu wehren.

Ich selbst hatte das große Glück, einen Vater zu haben, der nicht nur ein guter Opernsänger war, sondern auch ein Antifaschist.

Mir wird immer unerklärlich sein, wie sich ein Menschenkind auch noch freiwillig in die Situation begeben kann, irgendwelchen potentiellen Psychopathen hilflos ausgeliefert zu sein.

„Legt an, Gewehr ab, hinlegen, aufstehen“ – alles Befehle, die in dem Moment nicht hinterfragt werden dürfen, sondern ausgeführt werden müssen. Bitte lasst es euch auf der Zunge zergehen: Befehle sind nur Worte und auch nur Symbole und sie müssen, nein, sie dürfen nicht so interpretiert werden, wie es die Befehlenden meist brüllend anordnen.

Folgende Möglichkeit wäre äußerst amüsant in militärischen Kreisen:

„Legt an“ – heißt für mich, legt das Gewehr an den nächsten Schrottplatz.
„Gewehr ab“ – vielleicht ab jetzt nie mehr in die Hand nehmen?
„Hinlegen“ – ja gerne, unter den nächsten Maulbeerbaum zum Träumen.
„Aufstehen“ – ja aufstehen: wider den Gehorsam!!!

Ich danke Ihnen.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2018/2 Wissenschaft im Dienste des Militärs?, Seite 6–14