„… eine Erfolgsgeschichte“
Was für mich rückblickend am deutlichsten hervorsteht?
Zuerst: Für mich ist »W&F« eine Erfolgsgeschichte. Seit dem »Informationsdienst Wissenschaft und Frieden« im Oktober 1983 gab es immer neue Probleme, Möglichkeiten, Kontroversen, Krisen und ihre Bearbeitungen – genug zu tun für „mehr als nur eine Zeitschrift“, wie es im Editorial 4/1995 stand, die eben auch ein politisches Projekt und Netzwerk ist. W&F, das ist ein Strauß von mittlerweile einem Dutzend friedenspolitischer Herausgeber:innen, mittragenden Organisationen, eigener institutioneller Absicherung mitsamt Gemeinnützigkeit, Verein, Vorstand, 40-köpfigem Beirat, festen Standorten, häufig (?) Geld (auch Spenden), Redaktionspflege und immer eine(r) verantw. Redakteur:in von Paul Schäfer bis David Scheuing; Weiter gehören dazu aber auch seit 40 Jahren die Marburger Abonnementordnerin Silvia Wagner und der Satzmeister Stefan Knaab plus Druck und Vertrieb, 40 Jahre bedeutet auch einen langen Weg von 5,25" und 3,5" Disketten (!) bis zur Online-Präsenz mitsamt dem Gemeingut eines allgemein frei zugänglichen und vollständigen digitalen Archivs (!) für ein paar hundert Autor:innen, tausende Leser:innen von letztlich tausenden Artikeln, fast 40 Jahre anspruchsvolle Dossiers und schließlich: 40 Jahre eine ganz ungewöhnliche und exzellente Blattkultur mit Ästhetik, Grafik und vor allem Fotokunst – sowie jetzt, endlich, vierfarbig.
Wofür braucht es W&F also auch heute noch?
Vier Jahrzehnte lang hat sich W&F geändert, damit der Gebrauchswert der Zeitschrift bleibt: für eine aktive, widerständige und beharrliche Friedenspolitik, für kritische Wissenschaft und nicht zuletzt eine kluge und solidarische Bewegung.
Aber: Krieg war und ist der große Kontrahent, der die gewaltige und gewaltsame erfinderische Vielfalt der Großen Krisen, die Künste der Eskalation und die Laboratorien des Todes braucht. Die Vokabeln der Akteure einer Welt der Kriege kommen aus den Logiken des Schreckens und Zerstörung, deren Endzeit ist Zukunftslosigkeit, eine Welt ohne uns.
W&F war und ist ein Ort des Dagegenhaltens. Zukünfte kommen nicht, sie werden gemacht. Bereits im ersten Heft des »Informationsdienstes« ging es auch um die Kritik am Sozialabbau durch Aufrüstung. Die „Ausweitung der Kampfzone“ (Houellebecq) um Klima und der Ökozid als Waffe in einer solchen Welt begleiteten die Zeitschrift von Beginn an – was oft übersehen wird. Aktuell wird sie sich massiv und andauernd ausweiten (wie zuletzt W&F 2/2023 zu »Klimakrise« thematisiert). Daneben ist die Versicherheitlichung und die Militarisierung, aber auch die Zerstörung von Stücken mittlerweile weltweit unverzichtbarer Infrastruktur (oft übersehen, aber gespürt) bereits jetzt ein Schlüsselthema der aktuellen Kriegspolitik. Auch die alte zivil/militärische Janusköpfigkeit steht in Konflikt- und Kriegszeiten längst wieder in neuer Blüte. Oder: Auch wenn zuletzt in W&F 3/23 oder in »FIfF-Kommunikation – Zeitschrift für Informatik und Gesellschaft« (übrigens 2023 auch im 40. Jahrgang!) immer wieder die militärische Seite der Digitalisierung kritisch thematisiert und nicht von einer lockeren „Die KI zieht in den Krieg!“ fabuliert wird, so muss doch das, was immer noch harmlos »Verteidigungsforschung« genannt wird und vor allem in den USA, Russland, China, Frankreich, BRD, England, Italien und in weiteren Staaten betrieben wird, gerade von einer Zeitschrift mit dem Namen »Wissenschaft und Frieden« besonders kritisch begleitet werden.
Rainer Rilling
„… Zeitschrift ist ohne Alternative…“
Rückblickend auf 40 Jahre W&F – was steht für dich am deutlichsten hervor?
In W&F wurden in den vier Jahrzehnten ihres Bestehens hinsichtlich der jeweiligen weltpolitischen und ordnungspolitischen Konstellation die zeitbedingten Kontroversen und auch grundlegende friedenspolitische Programmatiken erörtert, so insbesondere über den Ost-West-Konflikt, Rüstungskontrolle und Entspannungspolitik, aber auch die Folgen durch das Ende des Ost-West-Konfliktes und die Friedensordnung nach 1989/90 – vorrangiger Fokus blieb dabei Europa. Die thematische Entwicklung der Friedens- und Konfliktforschung erhielt dadurch wichtige Impulse.
Welchen Zukunftsaufgaben muss sich W&F deiner Ansicht nach stellen?
Auch weiterhin wird auf allen lokalen, regionalen und internationalen Ebenen hinsichtlich einer konstruktiven Konfliktbearbeitung die wechselseitige Rückkopplung von Wissenschaft, Publizistik und praktischer Politik erforderlich sein.
In den kommenden Jahrzehnten ist die Problematik einer angemessenen Klimapolitik als unerlässlicher Voraussetzung für Frieden von zentraler Bedeutung. Jüngst erschienene Hefte dokumentieren, dass W&F die sich akzentuierenden dramatischen Konfliktlagen in der Welt und jeweils vor Ort schon frühzeitig erkannt hat.
Wofür braucht es W&F auch heute noch?
Diese Zeitschrift ist ohne Alternative hinsichtlich aktueller friedenspolitischer Auseinandersetzungen, die insbesondere auch in der Friedenspädagogik und in zivilgesellschaftlichen Organisationen kenntnisreich erörtert werden. Von besonderem Wert ist die Zusammenführung der Ergebnisse verschiedener Forschungsgebiete. Nützlich und erfreulich waren Kontroversen in den jeweiligen Themenheften, so auch thematische Schwerpunkthefte, die man zunächst nicht erwartet hat, zum Beispiel über die Kraft der Künste, Jugend unter Beschuss, Ästhetik im Konflikt u.a. Weitere Überraschungen wird es geben. Das wird aus der Vergangenheit für die Zukunft der Zeitschrift signalisiert!
Dieter Senghaas
Eine „lebendige Schnittstelle“
Rückblickend auf 40 Jahre W&F – was steht für dich am deutlichsten hervor?
Auch wenn ich zur Generation 50+ zähle, überblicke ich nicht einmal ein Jahrzehnt von W&F, und auch das nur punktuell. Als friedenspolitisch interessierte Zeitgenossin gefällt mir, wie W&F inhaltliche Schwerpunkte auf spannende Themen setzt und diese stets an der Schnittstelle von Friedensbewegung und Friedensforschung bearbeitet. Als Wissenschaftlerin schätze ich an W&F, dass sie deutlich schneller und damit inhaltlich aktueller ist als rein akademische Zeitschriften. Das betrifft sowohl das Lesen als auch das Schreiben von Texten, die dort einfach viel schneller in die öffentliche Debatte gelangen. Als Leserin schätze ich das zunehmend schöner und professioneller werdende Layout der gedruckten Zeitschrift, die man einfach sehr gern in die Hand nimmt. Auch das Online-Angebot hat sich deutlich verbessert und lässt sich sehr gut in meiner Arbeit als Friedensforscherin benutzen, etwa für Lehre oder zum Weiterleiten spannender Texte an Kolleg*innen. Als Autorin von W&F bin ich wirklich beeindruckt vom sorgfältigen Lektorat und Korrektorat der Redaktion sowie von der stets erfreulichen Kommunikation und Gestaltung der Zusammenarbeit. An der Zeitschrift insgesamt merkt man, dass sich da viele sehr kompetente und sehr engagierte Menschen stets aufs Neue zusammensetzen, um nicht nur ein tolles Produkt herzustellen, sondern damit auch einen anspruchsvollen Auftrag der politischen Bildung zu erfüllen – und lebendige Netzwerke zu pflegen und stets weiter zu knüpfen.
Wofür braucht es W&F auch heute noch?
Ganz zentral braucht es W&F als lebendige Schnittstelle zwischen Zivilgesellschaft und Friedensbewegung einerseits und Forschung, Universität, Wissenschaft andererseits. Deren zunehmendes Auseinanderklaffen, das vielerlei Gründe hat, ist schmerzlich für beide Seiten. In W&F wird aktiv gegen diese Entwicklung gearbeitet. Es braucht W&F daher eher dringender als vermutlich vor 20 oder mehr Jahren – als niederschwelligen Einstieg der jeweils einen (Forschende und/oder Aktivist*innen) zum Diskurs- und Handlungsraum der anderen. Im besten Fall entstehen daraus auch Vernetzungen, Beziehungen und Kooperationen, die außerhalb von Bildschirm und Papier weiterwirken und noch ganz andere Entwicklungen hervorbringen, die ohne das Aufeinandertreffen in W&F erst gar nicht entstanden wären.
Welchen Zukunftsaufgaben muss sich W&F deiner Ansicht nach stellen?
Inhaltlich wird W&F weiterhin von jenen Strukturen leben, aus denen sie einst hervorgegangen ist. Das bedeutet, dass es vor allem der weiteren Existenz und Handlungsfähigkeit der zahlreichen (im langen Impressum unter Herausgeberschaft sichtbaren) Vereine, Organisationen, Institutionen und Zusammenhänge bedarf, die W&F seit langer Zeit tragen, prägen und begleiten. Zweitens braucht die Zeitschrift natürlich mehr und vor allem eine dauerhafte finanzielle Absicherung, um die stets steigenden Anforderungen an ein professionelles Medium weiterhin gut bewältigen und ihre ohnehin nur wenigen Mitarbeiter*innen anständig bezahlen zu können. Drittens liegt die Aufgabe der Zukunft von W&F meines Erachtens mehr in der friedenswissenschaftlichen »community« als in etwa in der Redaktion oder bei den Herausgeber*innen, denn von dort aus, von den Forschenden und Lehrenden, den Aktivist*innen und zivilgesellschaftlichen Organisationen, die an einer Kultur des Friedens und einer Kritik des Krieges arbeiten, muss sie immer wieder gelesen, geschrieben, kommentiert, diskutiert und mit Leben gefüllt werden!
Claudia Brunner
W&F muss „inklusive ... Plattform“ sein
Rückblickend auf 40 Jahre W&F – was steht für dich am deutlichsten hervor?
Wenn wir auf 40 Jahre W&F zurückblicken, ist ein Aspekt, der deutlich hervorsticht, die tiefgreifende Selbstverpflichtung der Publikation, die Kluft zwischen Wissenschaft und Friedensförderung überbrücken zu wollen. W&F wurde in einer kritischen Phase gegründet, als Organisationen wie die IPPNW eine düstere Warnung an die Welt richteten: „Wir werden euch nicht helfen können.“ Diese Warnung war eine deutliche Erinnerung daran, dass Wissenschaftler*innen verschiedener Disziplinen dringend ihre Identitäten als Bürger*innen und Wissenschaftler*innen miteinander in Einklang bringen und Verantwortung dafür übernehmen müssen, ihr Fachwissen über Krieg und Frieden zu teilen.
Dieser historische Kontext unterstreicht den moralischen Imperativ für Wissenschaftler*innen, ihre wissenschaftlichen Untersuchungen mit dem Streben nach Frieden zu verbinden und sich dabei an den Grundprinzipien der Friedens- und Konfliktforschung zu orientieren. Der erste Leitartikel von W&F aus dem Jahr 1983 erklärte zu Recht, dass „Wissenschaft im Elfenbeinturm (…) nicht mehr gefragt“ ist. Diese Aussage hat auch heute noch einen starken Widerhall, wenn es um Fragen von Krieg, Frieden und Gerechtigkeit geht, und unterstreicht das unermüdliche Engagement von W&F im Laufe seiner 40-jährigen Geschichte für die Integration wissenschaftlicher Erkenntnisse miteinander, um sich so für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen.
Wofür braucht es W&F auch heute noch?
Beunruhigende Trends, die durch den um sich greifenden Einfluss destruktiver Spielarten von Global- und Identitätspolitiken gekennzeichnet sind, behindern weiterhin Fortschritte in Richtung Frieden, Gerechtigkeit und Schutz unseres Planeten. Probleme wie weiße Vorherrschaft, Rassismus, Patriarchat, Fremdenfeindlichkeit, Autoritarismus, Frauenfeindlichkeit, Ungleichheit, die Aushöhlung von Normen und Institutionen, Militarismus, die anhaltende Bedrohung durch Atomwaffen und die Klimakrise sind nicht nur präsent, sondern stehen offen zur Schau und werden von Machthaber*innen vielfach nicht unter Kontrolle gehalten. Um diese miteinander verknüpften Phänomene wirksam anzugehen, ist die Arbeit von W&F nicht nur relevant, sondern zwingend erforderlich, da sie auf multidisziplinären Erkenntnissen beruht, die durch eine wissenschaftliche Linse betrachtet und von dem normativen Ziel geleitet werden, die Bedingungen für einen Frieden in Gerechtigkeit zu fördern.
Welchen Zukunftsaufgaben muss sich W&F deiner Ansicht nach stellen?
Angesichts einer übersättigten Informations- und Fehlinformationslandschaft muss sich W&F, wie jede andere Publikation auch, anpassen, um weiterhin Relevanz zu gewährleisten. Zwei Hauptaufgaben erweisen sich als entscheidend für den zukünftigen Erfolg der Organisation:
Erstens sollte sich W&F nicht nur auf offene Formen von Krieg und Frieden beschränken. Die Zeitschrift muss ihre Untersuchung auf das ausweiten, was Virchow und Thomas als „banalen Militarismus“ bezeichnet haben. Dieses Konzept ermutigt uns, über die extremen und offensichtlichen Erscheinungsformen der Militarisierung hinauszublicken und uns mit den unspektakulären Prozessen des täglichen Lebens zu befassen, in denen militarisierte Ideen normalisiert werden. Durch die Erforschung und Aufdeckung dieser subtilen und doch allgegenwärtigen Aspekte des Militarismus kann W&F ein tieferes Verständnis der Kräfte vermitteln, die Gewalt und Konflikte aufrechterhalten.
Zweitens sollte W&F aktiv danach streben, eine inklusive und einladende Plattform zu sein. Dies bedeutet, dass verschiedene Stimmen und Perspektiven verstärkt werden müssen, um sicherzustellen, dass unterschiedliche Formen von Expertise und Wissen in die Entwicklung der Organisation einfließen. Durch die Förderung eines Umfelds, in dem viele Stimmen gehört und respektiert werden, kann W&F zum Abbau von gewaltproduzierenden Systemen beitragen, anstatt sie am Ende doch ungewollt zu verstärken.
Patrick T. Hiller, War Prevention Initiative/Peace Science Digest
Kontinuität und Interdisziplinarität
Rückblickend auf 40 Jahre W&F – was steht für dich am deutlichsten hervor?
Die Kontinuität. Denn nicht viele Organisationen der Friedensbewegung haben die Transformation ins 21. Jahrhundert geschafft. Am besten gelang es den Ärzten mit der IPPNW, die Naturwissenschaftler haben leider dieses gute Beispiel erst spät nachgeahmt, als die öffentliche Beachtung des Themas nur noch wenig Mobilisierung brachte. Um so erfreulicher, dass der »Infodienst« für viele wissenschaftliche Disziplinen das Thema weiter hoch gehalten hat.
Wofür braucht es W&F auch heute noch?
Die immer weiter anwachsende Weltbevölkerung und die damit einhergehende Ressourcenknappheit werden immer schärfere Verteilungskämpfe und den Abbau großer Errungenschaften zur Folge haben (z.B. Recht auf Asyl). Demokratische Gesellschaften werden nur als solidarische Gesellschaften überleben können. Solidarität zu sichern und gegen das zunehmende Recht des Stärkeren zu sichern, sollte die Aufgabe der progressiven Bewegungen inkl. von W&F sein.
Welchen Zukunftsaufgaben muss sich W&F deiner Ansicht nach stellen?
Wie gesagt: zunehmenden Verteilungskämpfen aufgrund von Bevölkerungszunahme und Ressourcenknappheit. Und natürlich: der digitalen Transformation. Wäre nicht ein W&F-Heft zum Thema »Krieg und Frieden im Internet« mal ein gutes Projekt? Ich könnte daran jedenfalls mittun.
Mario Birkholz