Intellektuelle und Krieg
von Wolfgang Popp
„Die Intellektuellen haben die Verantwortung, die Wahrheit zu sagen und Lügen aufzudecken.“ Diese schlichte Aussage Noam Chomskys, eines der bekanntesten US-amerikanischen Intellektuellen, scheint auf Anhieb einleuchtend. Aber gilt sie tatsächlich für alle Intellektuellen, für jede Wahrheit und jede Lüge? Gilt sie vor allem für Wahrheit und Lüge in Bezug auf Krieg und Frieden? Warum werden Kriege immer wieder als zwingend notwendig hingestellt? Ist der Spruch vom »gerechten Krieg« der Wahrheit verpflichtet oder ist er Lüge? Wie können Konflikte friedlich gelöst werden?
Immer gab es (meist viele) Intellektuelle, die sich für die Lügenpropaganda über die Notwendigkeit eines Krieges hergaben, und solche (meist wenige), die die hinter den Lügen steckende Wahrheit aufdeckten. Es gab Intellektuelle, die die Konflikte schürten und solche, die nach friedlichen Lösungen suchten.
Während nach dem Ende des 2. Weltkriegs die deutschen Intellektuellen in der Mehrzahl ihre Verantwortung darin sahen, vor jedem Wiederaufkommen kriegerischen Denkens zu warnen, fanden sie sich spätestens angesichts des Jugoslawienkrieges »zerrissen« zwischen ihrer bisherigen Ablehnung und zähneknirschender Zustimmung zu neuen Kriegen. Sie folgten unkritisch den Gräuelmärchen der Minister Scharping (SPD) und Fischer (Grüne), die mit dem Krieg ein »neues Auschwitz« zu verhindern vorgaben. Sie glaubten an die von hochdotierten PR-Instituten erfundenen Massenvernichtungswaffen im Irak, um den Krieg von US-Präsident Bush zu befürworten. Heute sehen sie die Notwendigkeit des militärischen »Kampfes gegen den Terror« in Afghanistan und übersehen dabei, dass dieser Kampf stets nur neuen Terror erzeugt.
Aber es gab und gibt auch immer Intellektuelle, die die Verantwortung für die pazifistische Ablehnung jedes Krieges aufrecht erhalten, auch wenn sie als weltfremde Utopisten belächelt oder beschimpft werden. Sie machen konkrete und realistische Vorschläge zur Lösung von Konflikten ohne Gewalt und Krieg, Vorschläge die keineswegs »utopisch« sind, sondern nur deshalb nicht umgesetzt werden, weil sie nicht den Machtinteressen der Kriegstreiber genügen.
Schon im Jahr 2002 erhoben über 120 deutsche Wissenschaftler, Intellektuelle und Künstler ihre Stimme gegen den »Krieg gegen den Terrorismus«. Unter dem Motto »Nicht in unserem Namen!« stellen sie u.a. fest: „Heute vor einem Jahr begann mit der Bombardierung Afghanistans der »Krieg gegen den Terror«, ein Krieg, der schon jetzt unzählige zivile Opfer gefordert hat und dessen Ende nicht abzusehen ist. [...] Wer den Terror wirksam bekämpfen will, muss die Vereinten Nationen stärken, damit sie dem Recht überall auf der Welt Geltung verschaffen können. Wer den Terrorismus wirksam bekämpfen will, darf nicht auf eigene Faust Rache üben, sondern muss dafür sorgen, dass ein internationales Gewaltmonopol unter dem Dach der Vereinten Nationen durchgesetzt wird, das den Frieden weltweit sichern kann. Wer den Terrorismus bekämpfen will, muss auch seine sozialen Ursachen ins Auge fassen, vor allem die ungerechte Verteilung der Reichtümer der Erde und die Demütigung fremder Kulturen durch die Arroganz einiger Führer des Westens.“
Der norwegische Friedensforscher Johan Galtung macht seit ca. 50 Jahren realisierbare Vorschläge zur Lösung von Konflikten in aller Welt. Andreas Buro, der friedenspolitische Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie, hat handfeste Vorschläge zur gewaltfreien Lösung der Konflikte im Irak, in der Türkei, in Israel-Palästina, im Iran vorgelegt. Noam Chomsky hat seit dem Vietnam-Krieg praktisch alle Konflikte und Kriege mit kritischen Kommentaren und Lösungsvorschlägen begleitet.
In allen aktuellen Kriegsgebieten sind es Intellektuelle und andere engagierte Menschen, die konkrete Konzepte der gegenseitigen Verständigung und Kooperation über die Grenzen der Konfliktgegner hinweg realisieren. Und es sind inzwischen überall auf der Welt Friedensfachkräfte im Einsatz, die nicht der »Arroganz« der Führer des Westens verfallen, sondern empathisch Hilfe zur Selbsthilfe leisten.
Diese und abertausende andere sind Menschen, die ihren „eigenen Verstand gebrauchen, um Angelegenheiten voranzubringen, die für die Menschheit wichtig sind“, sagt Noam Chomsky und fährt fort: „Einige Leute sind privilegiert, mächtig und gewöhnlich konformistisch genug, um ihren Weg in die Öffentlichkeit zu nehmen. Das macht sie keineswegs intellektueller als einen Taxifahrer, der zufällig über die gleichen Dinge nachdenkt und das möglicherweise klüger und weniger oberflächlich als sie.“ - Vielleicht liegt die Verantwortung der Intellektuellen gerade darin, dass sie diesem Taxifahrer eine Stimme in der Öffentlichkeit geben.
Ihr Wolfgang Popp