W&F 1991/1

Internationale Verträge der Abrüstung und Rüstungskontrolle

Der VKSE-Vertrag (19.11.1990)

von Götz Neuneck

Nach 20 Monaten Verhandlungsdauer wurde am 19. November 1990 vor der Eröffnung des Pariser KSZE-Gipfels von den Regierungen der 22 Nato- und Warschauer Paktstaaten der Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa unterzeichnet. Die Pariser KSZE-Charta wertet ihn als einen „bedeutenden Schritt hin zu erhöhter Stabilität in Europa“ und nennt die geplanten Reduzierungen „beispiellos“. Für den französischen Präsidenten F. Mitterrand markiert er das „Ende einer Epoche“. US-Präsident Bush sieht in ihm „das weitreichendste Rüstungskontrollabkommen in der Geschichte“ und „das Signal für das Heraufziehen einer neuen Weltordnung“. In einem gesonderten gemeinsamen Dokument von NATO und Warschauer Pakt erklären die 22 Unterzeichnerstaaten „feierlich, daß sie in dem anbrechenden neuen Zeitalter europäischer Beziehungen nicht mehr Gegner sind, sondern neue Partnerschaften aufbauen und einander die Hand zur Freundschaft reichen wollen“.

Der Vertrag, der 23 Artikel und einen umfangreichen Anhang umfaßt (siehe Auszüge S. 77), eliminiert die Asymmetrien in den folgenden 5 Waffenkategorien:

  • Kampfpanzer
  • Gepanzerte Kampffahrzeuge
  • Artillerie
  • Kampfflugzeuge
  • Kampfhubschrauber

Mit der Erfüllung des Vertrages wird die numerische Überlegenheit der Sowjetunion abgebaut und paritätische Obergrenzen in 4 Subzonen im Gebiet vom Atlantik bis zum Ural festgelegt.

Der Vertrag sieht umfassende Verifikationsprozeduren mit detailliertem Informationsaustausch, Vor-Ort-Inspektionen, Stichproben-Inspektionen und Maßnahmen zur Verschrottung bestimmter Waffen vor. Der Vertrag tritt 10 Tage nach der Ratifizierung durch die Vertragsstaaten in Kraft und muß innerhalb von 40 Monaten erfüllt werden. Die Reduzierungen erfolgen in zwei Etappen: Nach 16 Monaten müssen die entsprechenden Waffenarsenale um 25 Prozent, und nach 28 Monaten um 60 Prozent reduziert sein. Mittels eines Quotensystems werden die angegebenen Waffensysteme, die Verschrottung und die Umkategorisierung bestimmter Waffen verifiziert, wobei jeder Staat das Recht auf eine bestimmte Zahl von Inspektionen bei Militärbasen und Kasernen des zu inspizierenden Landes hat. Die Inspektionen dürfen nicht verweigert werden.

Bündnisregel, Suffizienzregel und Subzonen:

Jedem Bündnis werden in den 5 Rüstungs-(oder) Waffenkategorien und in bestimmten Subzonen Obergrenzen gesetzt. Die nächstgrößere Zone schließt die vorhergehende Zone ein, so darf z.B. die NATO in den Ländern der Zentralzone nicht mehr als 7.500 Kampfpanzer, in der erweiterten Zentralzone nicht mehr als 10.300 Kampfpanzer stationieren (siehe Tabelle 1).

Mittels dieses Zonenkonzeptes sollen übermäßige Konzentrationen von militärischem Gerät verhindert werden. Verlegungen sind insbesondere von innen nach außen möglich. Für die Flankenregionen wurden eigene Obergrenzen festgelegt. Von den Gesamtobergrenzen her müssen 3.500 Kampfpanzer, 2.700 gep. Kampffahrzeuge und Geschütze in Depots eingelagert werden. Die Anzahl der Brückenlegepanzer pro Bündnis in aktiven Einheiten darf 740 nicht überschreiten (Art.XI). Einzelne Artikel regeln die Definition (Art.II), die Zerstörung (Art. VIII), die Außerdienststellung (Art. IX) und die Verifikation (Art. XIII-XV) des Geräts. Gerät, das sich in der Herstellung, Erprobung oder im Forschungs- und Entwicklungsstadium befindet, wird nicht im Vertrag berücksichtigt. Nach vorläufigen Schätzungen muß die NATO lediglich 2.100 Kampfpanzer abrüsten. Es ist erlaubt, modernes Gerät an andere Bündnisstaaten abzugeben, die ihre Obergrenze nicht erreichen oder altes Gerät dafür verschrotten („cascading“). Die Reduzierungszahlen für die Bundeswehr (inkl. ehemalige NVA) sind der Tabelle 2 zu entnehmen.

Der Warschauer Pakt hat sich auf bündnisinterne Obergrenzen geeinigt. Abzurüsten sind dabei 16.800 Kampfpanzer (UdSSR: 11.750), 12.000 Geschütze (UdSSR: 5.125) und 16.900 gep. Kampffahrzeuge (UdSSR: 12.300).

Da das Mandat nicht erneuert wurde, werden die Verhandlungen fortgesetzt, insbesondere mit dem Ziel, Begrenzungen der Personalstärken zu erreichen. Sie sollen beim nächsten KSZE-Folgetreffen 1992 in Helsinki abgeschlossen sein, um dann unter einem neuen Mandat im Kreis der 34 KSZE-Staaten fortgeführt zu werden.


Auszüge aus dem Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa

Das Königreich Belgien, die Republik Bulgarien, das Königreich Dänemark, die Bundesrepublik Deutschland, die Französische Republik, die Griechische Republik, die Republik Island, die Italienische Republik, Kanada, das Großherzogtum Luxemburg, das Königreich der Niederlande, das Königreich Norwegen, die Republik Polen, die Portugiesische Republik, Rumänien, das Königreich Spanien, die CSFR, Türkei, die Republik Ungarn, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland und die Vereinigten Staaten von Amerika, im folgenden als Vertragsstaaten bezeichnet -

geleitet von dem Mandat vom 10. Januar 1989 für Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa, die sie seit dem 9. März 1989 in Wien geführt haben,

geleitet von den Zielen und Zwecken der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, in deren Rahmen die Verhandlungen über diesen Vertrag geführt wurden,

eingedenk ihrer Verpflichtung, in ihren gegenseitigen Beziehungen sowie allgemein in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt zu unterlassen,

im Bewußtsein der Notwendigkeit, jeden militärischen Konflikt in Europa zu verhindern,

im Bewußtsein der gemeinsamen Verantwortung, die sie alle für das Streben nach Erreichung größerer Stabilität und Sicherheit in Europa tragen,

bestrebt, militärische Konfrontation durch eine neue, auf friedliche Zusammenarbeit gegründete Struktur der Sicherheitsbeziehungen zwischen allen Vertragsstaaten zu ersetzen und dadurch zur Überwindung der Teilung Europas beizutragen.

den Zielen verpflichtet, in Europa ein sicheres und stabiles Gleichgewicht der konventionellen Streitkräfte auf niedrigerem Niveau als bisher zu schaffen. Ungleichgewichte, die für Stabilität und Sicherheit nachteilig sind, zu beseitigen und – besonders vorrangig – die Fähigkeit zur Auslösung von Überraschungsangriffen und zur Einleitung großangelegter Offensivhandlungen in Europa zu beseitigen.

(…)

… sind wie folgt übereinkommen:

Artikel I

1. Jeder Vertragsstaat erfüllt die in diesem Vertrag festgelegten Verpflichtungen im Einklang mit dessen Bestimmungen, darunter diejenigen Verpflichtungen, die sich auf die folgenden fünf Kategorien von konventionellen Streitkräften beziehen Kampfpanzer, gepanzerte Kampffahrzeuge, Artillerie, Kampfflugzeuge und Kampfhubschrauber.

(…)

Artikel III

1. Für die Zwecke dieses Vertrags wenden die Vertragsstaaten folgende Zählregeln an:

Alle in Artikel II definierten Kampfpanzer, gepanzerte Kampffahrzeuge, und Angriffshubschrauber innerhalb des Anwendungsgebiets unterliegen den zahlenmäßigen Begrenzungen und anderen Bestimmungen, die in den Artikeln IV, V und VI festgelegt sind, mit Ausnahme derjenigen, die in Übereinstimmung mit den Gepflogenheiten der Vertragsstaaten

  1. sich im Prozeß der Herstellung befinden, einschließlich der Erprobung im Zusammenhang mit der Herstellung.
  2. ausschließlich für Forschungs- und Entwicklungszwecke benutzt werden;
  3. historischen Sammlungen gehören;
  4. zur weiteren Verwertung anstehen, nachdem sie nach Artikel IX außer Dienst gestellt wurden;
  5. für die Ausfuhr oder Wiederausfuhr bereitstehen oder überholt werden und sich vorübergehend im Anwendungsgebiet befinden (…)

Artikel IV

1. Innerhalb des Anwendungsgebiets, wie es in Artikel II definiert ist, begrenzt jeder Vertragsstaat seine Kampfpanzer, gepanzerten Kampffahrzeuge, Artilleriewaffen, Kampfflugzeuge und Angriffshubschrauber und reduziert sie erforderlichenfalls, so daß 40 Monate nach Inkrafttreten dieses Vertrags und danach die Gesamtzahl für die in Artikel II definierte Gruppe von Vertragsstaaten, der er angehört, nicht größer ist als:

  1. 20 000 Kampfpanzer, davon nicht mehr als 16 500 in aktiven Truppenteilen;
  2. 30 000 gepanzerte Kampffahrzeuge, davon nicht mehr als 27 300 in aktiven Truppenteilen. Von den 30 000 gepanzerten Kampffahrzeugen sind nicht mehr als 18 000 Schützenpanzer und Kampffahrzeuge mit schwerer Bewaffnung; von den Schützenpanzern und Kampffahrzeugen mit schwerer Bewaffnung sind nicht mehr als 1 500 Kampffahrzeuge mit schwerer Bewaffnung;
  3. 20 000 Artilleriewaffen, davon nicht mehr als 17000 in aktiven Truppenteilen;
  4. 6 800 Kampfflugzeuge, und
  5. 2 000 Angriffshubschrauber.

    Kampfpanzer, gepanzerte Kampffahrzeuge und Artilleriewaffen, die sich nicht in aktiven Truppenteilen befinden, werden in ausgewiesenen ständigen Lagerungsstätten, wie sie in Artikel II definiert sind, untergebracht und nur in dem in Absatz 2 beschriebenen Gebiet disloziert.

Artikel VI

Mit dem Ziel sicherzustellen, daß kein einzelner Vertragsstaat mehr als ungefähr ein Drittel der durch den Vertrag begrenzten konventionellen Waffen und Ausrüstungen innerhalb des Anwendungsgebiets besitzt, begrenzt jeder Vertragsstaat seine Kampfpanzer, gepanzerten Kampffahrzeuge, Artilleriewaffen, Kampfflugzeuge und Kampfhubschrauber und reduziert sie erforderlichenfalls, so daß 40 Monate nach Inkrafttreten des Vertrags und danach die Gesamtzahl innerhalb des Anwendungsgebiets für diesen Vertragsstaat nicht größer ist als:

  1. 13 300 Kampfpanzer,
  2. 20 000 gepanzerte Kampffahrzeuge;
  3. 13 700 Artilleriewaffen;
  4. 5 150 Kampfflugzeuge und
  5. 1 500 Angriffshubschrauber

Artikel VII

1. Um die in den Artikeln IV, V und VI festgelegten Begrenzungen nicht zu überschreiten, darf ein Vertragsstaat nach Ablauf von 40 Monaten nach Inkrafttreten dieses Vertrags die Anteilshöchstgrenzen für seine durch den Vertrag begrenzten konventionellen Waffen und Ausrüstungen, welche er zuvor innerhalb seiner Gruppe von Vertragsstaaten im Einklang mit Absatz 7 vereinbart und über die er nach diesem Artikel eine Notifikation übermittelt hat, nicht überschreiten. (…)

Artikel XII

1. In Übereinstimmung mit dem Protokoll über Informationsaustausch übermittelt jeder Vertragsstaat Notifikationen und tauscht Informationen aus, welche seine konventionellen Streitkräfte und Ausrüstungen betreffen, um die Verifikation der Einhaltung dieses Vertrags zu gewährleisten.

Artikel XIV

1. Jeder Vertragsstaat hat in Übereinstimmung mit dem Inspektionsprotokoll das Recht, innerhalb des Anwendungsgebiets Inspektionen durchzuführen, und die Pflicht, solche Inspektionen zuzulassen, um die Verifikation der Einhaltung dieses Vertrags zu gewährleisten. (…)

Artikel XVI

1. Um die Ziele dieses Vertrags und seine Durchführung zu fordern, setzen die Vertragsstaasten eine Gemeinsame Beratungsgruppe ein.

Artikel XVII

Die Vertragsstaaten übermitteln die nach diesem Vertrag erforderlichen Informationen und Notifikationen in schriftlicher Form. Sie bedienen sich des diplomatischen Weges oder anderer von ihnen bezeichneter amtlicher Kanäle, darunter insbesondere eines durch eine gesonderte Vereinbarung zu schaffenden Kommunikationsnetzes.

Artikel XVIII

1. Nach Unterzeichnung dieses Vertrags setzen die Vertragsstaaten die Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte mit dem gleichen Mandat und mit dem Ziel, auf diesem Vertrag aufzubauen, fort. (…)

Artikel XIX

1. Dieser Vertrag wird auf unbegrenzte Zeit geschlossen. Er kann durch einen weiteren Vertrag ergänzt werden.

2. Jeder Vertragsstaat hat in Ausübung seiner staatlichen Souveränität das Recht, von diesem Vertrag zurückzutreten, wenn er zu der Auffassung gelangt, daß außergewöhnliche Ereignisse in bezug auf den Gegenstand des Vertrags seine höchsten Interessen gefährden. (…)

3. Jeder Vertragsstaat hat insbesondere in Ausübung seiner staatlichen Souveränität das Recht, von dem Vertrag zurückzutreten, wenn ein anderer Vertragsstaat seine Bestände an in Artikel II definierten Kampfpanzern, Artilleriewaffen, gepanzerten Kampffahrzeugen, Kampfflugzeugen oder Angriffshubschraubern, die von dem Bereich der Begrenzungen des Vertrags nicht erfaßt sind, in einem Umfang erhöht, der das Kräftegleichgewicht im Anwendungsgebiet offensichtlich gefährdet. (…)

Artikel XXI

1. Sechsundvierzig Monate nach Inkrafttreten dieses Vertrags und danach in Abständen von jeweils fünf Jahren beruft der Verwahrer eine Konferenz der Vertragsstaaten zur Überprüfung der Wirkungsweise des Vertrags ein. (…)

Tabellen

Kampfpanzer Gep. Kpf- fahrzeuge Geschütze Kampfflugzeuge Kampfhubschrauber
1 Zentralzone 7.500 11.250 5.000 6.800 2.000
2 Erweiterte Zentralzone 10.300 19.260 9.100
3 Periphere Zone 15.300 24.000 14.000
4 Flanken 4.700 5.900 6.000
Insgesamtpro Bündnis 20.000 30.000 20.000 6.800 2.000
davon in aktiven Einheiten 16.500 27.300 17.000
davon 1 Land nicht mehr als 13.300 20.000 13.700 5.100 1.50
Legende:
1) Zentralzone=Benelux, Deutschland, CSFR, Polen, Ungarn
2) Erweiterte Zentralzone=Zentralzone plus Großbritannien, Frankreich, Dänemark, Italien, die sowjet. Militärbezirke (MB) Baltikum, Weißrußland, Karpaten, Kiew
3) Periphere Zone=erweiterte Zone plus Portugal, Spanien, die MB Moskau, Wolga, Ural
4) Flanken=Griechenland, europ. Teil der Türkei, Norwegen, Island, Bulgarien, Rumänien, die MB Leningrad, Odessa, Transkaukasien, Nordkaukasus
Bundeswehr + NVA Bestand VKSE- Obergrenze Reduzierung
Kampfpanzer 7.093 4.166 2.927
Gep. Kampffahrzeuge 9.598 3.446 6.152
Geschütze 4.644 2.689 1.955
Kampfflugzeuge 1.064 900 164
Kampfhubschrauber 357 306 51

Götz Neuneck (wissenschaftlicher Mitarbeiter am IFSH Hamburg)

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1991/1 Nach dem Golfkrieg, Seite