W&F 2010/4

Interview mit Johan Galtung

Die Fragen stellte Hajo Schmidt

Am 24. Oktober dieses Jahres begeht der norwegische Friedens- und Konfliktforscher Johan Galtung seinen 80. Geburtstag. Johan Galtung, »von Freund und Feind« als ein Begründer der modernen Friedensforschung bezeichnet, hat auch im deutschsprachigen Raum auf Friedenswissenschaft und Friedenspraxis eminenten Einfluss ausgeübt.

Mit 80 Jahren darf sich auch ein so erfahrener und erfolgreicher Friedensforscher und Friedensaktivist wie Du die Frage stellen: Hätte aus mir vielleicht etwas ganz anderes werden können?

Ganz gewiss – hätte ich mich damals, 1951, nur nicht irgendwie berufen gefühlt, bei der Entwicklung einer konflikt- und friedensorientierten Wissenschaft helfen zu können. Bis dahin war der Beruf meines Vaters, also Arzt, aber dann auch die theoretische Chemie und die Physik im Spiel, sie alle aber konnten sich nicht gegenüber meiner neuen Berufung behaupten. Zwar schloss ich meine Mathematik-Studien ab und wusste eine Menge über Mathe, wusste aber auch, dass mir das gewisse Etwas fehlte, das einen richtigen Mathematiker ausmacht – so wie die Musikalität den Musiker. Ich hätte einen ganz ordentlichen Soziologen abgeben können, und könnte behaupten, dass ich dies in Bezug auf Konflikte auch bin. Aber das waren letztlich alles nur Mittel zum Zweck: Friedensstudien.

Das ist die Macht einer ursprünglichen, nunmehr fast 60 Jahre währenden Bindung, und ich bin glücklich und auch ein wenig stolz, ihr die Treue bewahrt zu haben, großartig unterstützt dabei von meinen beiden Frauen: zu Beginn von Ingrid in Norwegen und ab 1969 dann von Fumi in der ganzen Welt.

Welche Erfahrungen und Erlebnisse haben Dich definitiv auf den Weg der Friedensforschung und Konfliktbearbeitung gebracht? Ich denke dabei auch an Gefängniserfahrungen, die »Dritte Welt«-Armut oder die Heirat mit Fumi.

Ich denke, lebensweltlich habe ich ein Doppeltes erfahren. Da ist einmal die Wirkung erlebter Gewalt, insbesondere, als mir die norwegische Staatspolizei im Auftrag der deutschen Besatzer den Vater wegnahm und in ein KZ steckte. Aber auch das ganze Leiden, auf das ich überall in der Welt stieß, sei es nun direkt oder strukturell verursacht. Aber, gleich wichtig oder wichtiger noch: die Erfahrung des Gegenteils! Ich weiß, dass Liebe, Fürsorge, Füreinandereinstehen möglich sind, weil ich davon so viel von liebevollen Eltern mitbekommen habe. Wäre es anders gewesen, hätte man mich gewalttätiger behandelt, hätte ich mich vielleicht statt dessen im Bereich der Sicherheitsstudien engagiert! Und dann die Erfahrung des Wohlfahrtsstaats, dessen Entwicklung ich von etwa meinem zehnten bis fünfunddreißigsten Lebensjahr verfolgte, der zeigte, was möglich ist, der eine Menge Elend beseitigte, bis er dann auch seine eigenen Widersprüche schuf. Und ich erlebte, dass Nachbarstaaten friedlich kooperieren und in Harmonie leben können: die Nordischen Staaten, die zu einer wachsenden, immer stärkeren Eintracht fanden, als die Karikaturen einer Beziehung, nämlich Krieg und Besatzung, beendet wurden. Das waren wirklich starke Erfahrungen!

Gefängnis: Das war natürlich wichtig, um die Welt von unten zu sehen. Viele Dialoge, eine Doktorarbeit und ein Buch entwickelten sich daraus. Aber auch die Wahrnehmung der Absurdität des Systems, was mich später sehr empfänglich machte für alternative Umgangsweisen mit dem, was wir Verbrechen nennen, z.B. in der polynesischen Methode des h‘o pono pono.1

Lateinamerika: das Leiden an der Armut, an das Du erinnert hast, und an der Erfahrung, immer wieder von jemandem hoch aus dem Norden überfallen zu werden, wenn man etwas zu verändern suchte, um sich von den Entsetzlichkeiten zu befreien, die die große Mehrheit quälten.

Und Fumi natürlich: eine immer gegenwärtige Führerin, die Welt und die Dinge anders zu sehen als gewohnt, so wie ich es in meiner Widmung für sie in »A Theory of Civilisation« zum Ausdruck bringe.2.

Von welchen Wissenschaftlern, Denkern, Schriftstellern hast Du Dich besonders angesprochen und bereichert gefühlt?

Hier nur die wichtigsten. Grundlegend war Ibn Khaldun, vor ihm Sorokin und Toynbee. Marx und Smith, Kant und Freud. Nakamura. Die Weisheit der heiligen Texte, in Bibel, Koran, Bhagavadgita, Dao-De-Jing, den Analekten. Gandhi als Sozialwissenschaftler. Aber mehr als aus Überlegungen in den Schriften anderer Leute lernte ich durch die Beobachtung von und das Gespräch mit Menschen aus aller Welt. Ich verfahre eigentlich ganz empirisch und pragmatisch, respektiere meine eigenen Beobachtungen, gleiche sie ab mit denen von anderen und schaue mich dann ganz nüchtern überall in der Welt um nach etwas, das zu funktionieren scheint – wobei ich Bestätigungen und Erfolge sammle, wie ich früher, als Kind, Briefmarken gesammelt habe.

Ich wollte weiter gehen, Gegebenes transzendieren, und glaubte, dazu die condition humaine mehr von oben betrachten zu sollen, nicht einfach als komparative Soziologie, sondern als Soziologie Europas, des Westens, ja, der Welt; und dies nicht nur für die unmittelbare Gegenwart, sondern für zunehmend ehrgeizigere Zeitspannen. Makro-, Weltgeschichte. Und sehr bald fand ich heraus, dass nur wenige auf diesen Spuren wandelten, und dass von diesen viele nicht tief genug gegraben haben dürften – nach ihren eigenen unterbewussten Mythen nämlich, nach der Tiefenkultur und Tiefenstruktur, die ihre Arbeit konditionieren. Habe ich vielleicht ebenso viele Bücher geschrieben (151), wie ich einlässlich gelesen habe? Aber auf einem etwas oberflächlicheren Niveau bin ich wirklich ein gefräßiger Leser.

Ein psychoanalytisch geschulter Leser Deiner Werke, incl. der faszinierenden Autobiographie, könnte sich zu der Charakterisierung versteigen: Galtungs Existenz spannt sich auf zwischen dem Trauma vielfältigster Gewalterfahrung und dem Phantasma der Verwandlung dieser Gewalt in sozialen Kitt und humane Bereicherung. Würdest Du in dieser Kennzeichnung Deine Motive und Bemühungen auf‘s Knappste zusammengefasst erkennen, oder was würdest Du entgegnen?

Überschätze meine Traumata nicht, die nehmen sich doch recht bescheiden aus im Verhältnis zu der Liebe, die ich erfahren habe, und, ja, auch dem (z.B. meinen guten Schulleistungen geschuldeten) Erfolg. Nein, es war mehr das Gefühl, von meinen Talenten einen guten Gebrauch machen zu sollen, und dann das Gefühl, diesen gefunden zu haben. Die Galtungs, seit den Tagen der Wikinger eine alte Familie des niederen Adels, versehen mit dem Stempel »noblesse oblige«, der mich nicht weniger prägte. Vielleicht ging’s also mehr um ein gewisses Elitedenken als um Psychoanalyse?

Als ich Dich Anfang der Achtziger Jahre näher kennen lernte, warst Du für mich und viele meiner KollegInnen der Entdecker einer strukturellen, also in den politischen und ökonomischen Strukturen steckender und durch diese wirkender Gewalt. Wie kam es zur Erweiterung des Gewaltverständnisses um die »kulturelle Gewalt«, und welche Folgen hatte diese Komplettierung zur Gewalttrias von direkter, struktureller und kultureller Gewalt für Dein Friedensdenken und -handeln?

Alles ging aus von der direkten Gewalt und der ewigen Frage nach deren Ursachen, die man dann ja vielleicht beseitigen könnte. Eine wesentliche Annahme bestand darin, dass solcherlei Ursachen teilweise verborgen sein könnten, und ich war beeindruckt von dem formelhaften Gerede der Militärs und sicherheitsorientierten Leute, wenn sie von »Absicht« oder »Fähigkeit« (und Umständen) sprachen. Das ist vielleicht wichtig, wenn man mögliche Feinde zu identifizieren sucht, aber es ist zu bewusst, zu rational, um allein das einschlägige Feld abzustecken, indem man die ganze Welt auf böse Absichten und starke Kapazitäten hin absucht. Das Material also, aus dem Kriege entstehen.

Da ich ein wenig über nicht-indoeuropäische Sprachen gearbeitet hatte, stellte ich mir die Frage: Hat vielleicht die Sprachstruktur etwas mit dieser Problematik zu tun? Ein gut geformter Satz hat Subjekt, Prädikat, Objekt, wobei das Objekt dann das Opfer der Gewalt bezeichnet und das Prädikat eine Tätigkeit, aus der Schaden und Schmerz resultiert. Könnte es nun sein, dass die Idee eines Subjekts uns die »Wer war’s«-Frage stellen, nach einem »whodunit« fragen lässt, nach einem Akteur hinter dem Akt, einem Subjekt mit bestimmter Absicht? Wie verhielte es sich im Falle eines subjekt-freien Satzes, wo Gewalt sich einfach ereignet? Verloren Menschen ihr Leben und Auskommen nicht auch aus anderen Gründen als durch intendiertes Töten und zum Krüppel Machen?

Und hier kommt nun die Soziologie ins Spiel: Eine Struktur schreibt den Menschen gewisse Handlungsweisen, Handlungsgewohnheiten vor; es geht hier mehr um ein Sich-Verhalten als ein Handeln – ein Verhalten, auf das man sich einlässt, weil’s alle so machen, ohne weiteres Nachdenken. Oder um Nicht-Handeln, Akte des Unterlassens: Man tut nichts, wiederum ohne weitere Absicht. Das Ergebnis wäre strukturelle Gewalt, verborgen im Wirken der Tiefenstrukturen, welches das unangeleitete Auge schwer nur wahrnimmt. Aber ich fühlte, dass diese Gewaltverhältnisse, wie direkte Gewalt, aufrechterhalten werden müssen, und zwar durch etwas Solideres als individuelle Absichten.

Dies fand ich nun in der Tiefenkultur, in Ideen, die auch das legitimieren, was sich für bestimmte Menschen als zerstörerisch erweist, man denke an das »survival of the fittest«, die »Armut als Fingerzeig Gottes« und Ähnliches. Das Problem besteht dann darin, diese Tiefenphänomene aufzudecken, und der Mediations-Dialog kann dafür als ein Ansatz dienen: Was veranlasst Dich, genau dieses zu fühlen, zu denken, zu sagen? Ein anderer besteht in der mehr objektivierenden strukturellen und kulturellen Analyse, die nicht mit der Erforschung der öffentlichen Meinung oder der Frage, wie die Kindheit das Weltbild politischer Führer formt, verwechselt werden darf. Wir suchen nach etwas, das einwirkt auf uns alle, aber als etwas Verborgenes. Und das auch Mediatoren nicht ausspart, die ihrerseits jemanden brauchen, der seine oder ihre verborgenen Unterstellungen und Voreingenommenheiten aufdeckt. Hier vor allem ist der Ort, an dem Fumi eine so bedeutsame Quelle der Einsicht für mich darstellt.

Deine Beschäftigung mit den unterschiedlichen Tiefenkulturen der großen Zivilisationen hat auch Ausdruck gefunden in einer neuen, erweiterten Ökonomie- und Entwicklungstheorie. Inwiefern kann diese sich durch die gegenwärtige Finanzkrise bestätigt sehen?

Wenn man ein auf unbegrenztes unendliches Wachstum ausgerichtetes lineares System in eine materialiter endliche Welt einbaut, dann sollte es niemanden überraschen, wenn man früher oder später mit dem Kopf gegen die Wand läuft. Dann kann man versuchen, dieser Situation zu entkommen, indem man eine Finanzökonomie erfindet, die symbolisch ist und sich auf Ziffern auf Bildschirmen und Papier gründet. Nur, wenn die angezeigten Werte nicht gestützt werden durch eine Realökonomie, die sie unterstellterweise zur Grundlage haben und irgendwie reflektieren sollten, dann wird das Ergebnis in kurzen oder tiefer gehenden Crashs bestehen. Im Moment begehen wir beide Fehler gleichzeitig. Nein, die Finanzkrise war so leicht in meinen Theorien seit den frühen 1980er Jahren vorhersehbar, dass ihre Voraussage Züge des Trivialen, des Offensichtlichen hatte. Nur, es wird weiter gehen, in Anbetracht der Unfähigkeit des Westens, den Finanzsektor zu zähmen, und die Realökonomie wieder in Gang zu bekommen. China hat das entgegengesetzte Profil, nämlich eine blühende Realökonomie und eine vernünftig kontrollierte Finanzökonomie. Zumindest fürs erste. Und im übrigen geht’s in Richtung »grüne Ökonomie«…

Und was wären die Maximen einer wirklich an der Verbesserung des Schicksals der großen Bevölkerungsmehrheit interessierten, friedensorientierten Entwicklungspolitik?

Ich denke hier an eine Kombination des marxistischen Bestehens auf Grundbedürfnissen, des buddhistischen »nicht zu viel und nicht zu wenig«, der islamischen Idee der Nähe und des Teilens sowie der japanisch-chinesischen Art des Überwindens von Gegensätzen, wobei soziale Harmonie das umfassende Ziel abgibt. Dazu nehmen würde ich, aus der Tradition des liberalen Westens, ökonomisches Wachstum, Demokratie und Menschenrechte, aber alle drei Posten so verstanden, dass sie nicht allein westliche Kultur und Auffassungen reflektieren. So wie es detaillierter beschrieben ist in meiner »A Theory of Development« und in dem Titel von Paul Scott und mir, »Democracy – Peace – Development«.

Die Ausrichtung des wissenschaftlichen Tuns an der Pazifizierung und Humanisierung der Weltverhältnisse zeigte sich früh schon in Deiner Empirismuskritik und dem Umbau der Friedenswissenschaft zu einer »trilateralen«, einer empirisch-kritisch-konstruktiven Sozialwissenschaft. Inwiefern ist auch die Gründung von TRANSCEND Resultat dieser Denkhaltung? Welche Rolle spielt TRANSCEND nun in deinem Leben und Selbstverständnis?

TRANSCEND als ein Netzwerk von Wissenschaftlern/Aktivisten ist die Verkörperung der Idee, Theorie und Praxis zu verbinden, die ich der medizinischen Wissenschaft entliehen habe, oder anders: den Gesundheitsstudien, wie ich sie zu bezeichnen vorziehe. Aber das bedurfte einer philosophischen Unterfütterung, und die Idee einer trilateralen Wissenschaft, die nicht allein auf Daten und Theorie, sondern auch auf expliziten, präzisen Werten beruht, war das Ergebnis. Das habe ich alles ausgearbeitet in dem Buch »50 Years: 25 Intellectual Landscapes Explored«, das den Versuch darstellt, eine für meinen Geschmack befriedigendere epistemologische Basis zu entwickeln für die Sozialwissenschaften ganz allgemein, nicht nur für Friedensstudien, ein Versuch, der weit über das Gespann Aristoteles – Descartes – Weber hinausgeht. Vorstellungen des Okzidents wie des Orients habe ich als Grundbausteine in das Unternehmen eingebracht, was einige Leute, vornehmlich Deutsche, dazu brachte, mich als Esoteriker zu bezeichnen. Natürlich könnte ich mit gleicher Münze heimzahlen und sie als Provinzler bezeichnen, deren Außenwelt sich auf die kleine Europäische Halbinsel reduziert. Aber lieber würde ich sie einladen, das Buch zu lesen und sich dann selbst zu fragen, ob das »sowohl als auch«, für das ich stehe, uns nicht zu einem besseren Verständnis einer sich globalisierenden Welt verhilft.

Welche Empfehlungen zur Bearbeitung und/oder Transformation des Afghanistan-Konflikts – wenn diese vereinfachende Kennzeichnung gestattet ist – gibt ein an TRANSCEND geschulter Blick?

Ich stehe zu dem, was bei der großen TRANSCEND-Mediation vom Februar 2001 auf den Tisch kam, man vergleiche »50 Years: 100 Peace & Conflict Perspectives«. Hier folgen die grundlegenden Gesichtspunkte:

Alle ausländischen Truppen müssen raus – das bezieht sich auf die Uniformen und nicht notwendigerweise auf die Menschen;

eine Koalitionsregierung mit den Taliban, die von deren moralischer Einstellung Gebrauch macht;

Afghanistan als eine Föderation, welche die Autonomie der den Staat konstituierenden Nationen und die lokale Autonomie von 20.000 Dörfern respektiert – diesbetreffend ist das vergleichbarste Land die Schweiz, insofern beide einen Kern haben, der den Nachbarn abgeht, und gleichwohl sehr viel Gemeinsames mit ihnen;

Afghanistan als wichtiger Teil einer Zentralasiatischen Gemeinschaft, gebildet aus den Nachbarländern mit Einschluss Chinas (aber nicht Russlands und Indiens), die ihre Grenzen öffnet für Menschen derselben Sprache und desselben Glaubens;

eine an menschlichen Grundbedürfnissen orientierte Politik, die den unteren Schichten aufhilft in Bezug auf Ernährung, Kleidung, Unterkunft, Gesundheit und Erziehung, ungeachtet der jeweiligen Nation und des jeweiligen Geschlechts. Von muslimischen Bruderstaaten wie Tunesien, der Türkei, Indonesien oder Mindanao muss Afghanistan lernen, wie man dies in Bezug auf die Gender-Problematik tut.

Für Sicherheit soll gesorgt werden durch die Zusammenarbeit von OEC, der Organization of the Islamic Conference, was auf dieselben Länder verweist, und dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen – nicht aber den USA, der NATO und dieser ISAF-Koalition.

Wir brauchen eine internationale, von den Vereinten Nationen gesponsorte Konferenz, mit den USA als Beobachter, da sie nicht zu Zentralasien gehören. Die Shanghai Cooperation Organization, SCO, und ECO, die Economic Cooperation Organization der Türkei, des Iran und Pakistans werden wichtige Rollen spielen.

Was sind, um zum Schluss zu kommen, Deine vier wichtigsten Bücher?

Ohne Zweifel die vier, die in diesem Herbst herauskommen: »A Theory of Conflict«, »A Theory of Development«, »A Theory of Civilization« und »A Theory of Peace«, alle bei TRANSCEND University Press. Ich habe an ihnen über Jahrzehnte gearbeitet, und sie gehen weit hinaus über Zusammenfassungen von bereits Publiziertem und entwickeln neue Ideen. Ich warne aber davor, sie als Einführungstexte nutzen zu wollen, setzen sie doch voraus, grundlegendere Texte vorher gelesen zu haben. Sie erscheinen so spät, weil ich unbedingt wollte, dass sie von der konkreten Praxis inspiriert seien und nicht von der üblichen Praxis des Aufsuchens von Bibliotheken – ich spüre diesen Mangel an Wirklichkeitsnähe bei den meisten akademischen Autoren, bei einem Habermas etwa, aber auch bei mir noch vor einigen Jahrzehnten.

Und welches Deiner Bücher ist Dein Lieblingsbuch?

Nun, am ehesten vielleicht das genannte Buch über Epistemologie, die »25 Landscapes«; vielleicht fühle ich darin doch einige grundlegende Durchbrüche auf dieser Reflexionsebene. Eine Wissenschaft, die sich symmetrisch verhält zu Vergangenheit und Gegenwart, die Holismus und Dialektik paart mit Atomismus und Deduktion etc. Aber was die Praxis betrifft, ist das Flagschiff natürlich das vorher schon genannte »50 Years: 100 Conflict & Peace Perspectives« – ich bin stolz auf die Arbeit, die dahinter steckt.

Was macht der Mensch mit 80, oder: Wird Dein Leben, lieber Johan, sich verändern?

Oh ja! Es gibt immer noch einige akademische Arbeiten, die ich fertig stellen muss, aber das nähert sich seinem Ende. Vielleicht werde ich mich dann auf eine andere Art des Kommunizierens verlegen, fasziniert vom Drama, wie ich es immer gewesen bin. Aspektreich, pointiert, dialogisch. Ob es den Weg ins Theater findet, ist weniger wichtig, die Art und Weise des Kommunizierens, das ist es, worauf es mir ankommt. Um einen kleinen Vorgeschmack zu bekommen, kann man sich meine Stücke in dem gemeinsam mit Graeme McQueen verfassten Buch »Globalising God« ansehen sowie in den »Peace Plays«, die ich mit zwei weiteren Amateur-Dramatikern, Vithal Rajan und S.P. Udayakumar, für TRANSCEND University Press Popular geschrieben habe.

Ich bin so unendlich dankbar für das reichhaltige Leben, das zu führen ich das Privileg habe! Wenn ich mich dabei verstrickt fühle in einen Überlebenswettbewerb mit dem US-Empire, so bin ich überzeugt, bei weit besserer Gesundheit zu sein, werde seinen Niedergang und Fall miterleben und von Herzen die großartige US-Republik genießen, mit all ihren Problemen und wunderbaren Menschen. Wir leben viel dort. Und leben gut!

Anmerkungen

1) Einführende Erläuterungen zu der Methode finden sich in: E. Victoria Shook (1985): Ho‘oponopono. Contemporary Uses of a Hawaiian Problem-Solving Process. Honolulu, HI: University of Hawai’i Press, East-West Center Studies.

2) Alle im Interview genannten Titel Galtungs sind erschienen oder werden erscheinen bei TRANSCEND University Press; www.transcend.org/tup. Eine Ausnahme bildet die Autobiographie Galtungs, die unter dem Titel »Auf Friedenswegen um die Welt: eine autobiographische Reiseskizze« 2006 beim Agenda Verlag, Münster, erschien. Im selben Verlag erschien 2007 auch ein Nachdruck der heute noch unersetzlichen Grundlagenschrift Galtungs »Frieden mit friedlichen Mitteln«.

Die Fragen zum Interview stellte Prof. Dr. Hajo Schmidt, Institut Frieden und Demokratie der FernUniversität in Hagen. Aus Anlass des runden Geburtstags von Johan Galtung veranstaltet das Institut Frieden und Demokratie zusammen mit der Vereinigung deutscher Wissenschaftler (VDW) und der Ev. Akademie Villigst das Festsymposium »Friedensforschung und Weltinnenpolitik im 21. Jahrhundert« (2.-5.12.2010 in Villigst/Schwerte).

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2010/4 Konflikte zivil bearbeiten, Seite 54–57