W&F 2004/1

Irak: »nation building« mit offenem Ende

von Felix Heiduk

Das Nachkriegsszenario im Irak ist ein weiteres Beispiel dafür, dass es einfacher sein kann, einen Krieg zu gewinnen und ein Land militärisch zu besetzen, als die vielfältigen Aufgaben zu bewältigen, die zur Errichtung einer stabilen, friedlichen Nachkriegsordnung beitragen. Der Irak ist dabei nur ein Beispiel für eine umfassende Veränderung im internationalen System seit 1989. Seit dem Ende des »Kalten Krieges« wurde – neben dem aktuellsten Beispiel Irak – auch in anderen Regionen der Welt in Kriegs- und (vermeintliche) Krisengebiete interveniert. Bei erfolgreicher Intervention wurden in allen diesen Krisengebieten (Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Ost-Timor, Afghanistan etc.) Protektorate errichtet – allesamt regional verschiedentl ausgeprägt, verankert und konzipiert. Die primären Aufgaben der Interventionsmächte hierbei gleichen sich: Sicherheit und Ordnung, Repatriierung der Flüchtlinge, Wiederaufbau, Demilitarisierung, Errichtung demokratischer Institutionen und Regierungsbildung. Die Erfolgsbilanz dieses »state- bzw. nation-building«, mit zentraler Rolle der UN oder nicht, sieht alles in allem düster aus: Mit Ausnahme des Zwergstaates Ost-Timor, welcher 2002 nach zweijähriger UN-Übergangsverwaltung in die Unabhängigkeit entlassen wurde und sich als souveräner Staat zumindest auf politischer Ebene behaupten konnte, bieten die anderen Protektoratsmodelle Bilder von Instabilität, Dysfunktionalität und vollständiger politischer und ökonomischer Abhängigkeit von der jeweiligen Protektoratsmacht.

Aufgrund spezifischer historischer Erfahrungen mit vermeintlich »wohlwollenden« Protektoratsmächten ist gerade der Mittlere und Nahe Osten eine für militärische Interventionen sensible Region. Dass im Irak die »wohlwollenden« Schutzmächte bzw. »Befreier« vom Großteil der Bevölkerung nicht als solche wahrgenommen werden, belegt derzeit der tägliche Blick in die Zeitungen. Im Irak sind seit dem erklärten Ende des Krieges mehr Soldaten durch Anschläge umgekommen, als während des Krieges gegen die irakische Armee. Um die offensichtlichen Widersprüchlichkeiten zwischen der Selbstdarstellung der Besatzungsmächte USA und Großbritannien im Irak, und der Ablehnung der »Befreier« durch große Teile der Bevölkerung erklären zu können, erscheint es notwendig zuerst den Kontext des von den USA initiierten Krieges und nachfolgenden Regimewechsel darzustellen, um anschließend auf die Spezifika der Nachkriegsordnung genauer einzugehen.

Vom Stabilitätsgaranten zum Schurkenstaat

Der Irak war die säkulare Entwicklungsdiktatur unter Saddam Hussein in den 70er und 80er Jahren; ein treuer Verbündeter der USA, der aufgrund seiner strategischen Rolle als Stabilitätsgarant der Golfregion massiv aufgerüstet und in seiner industriellen Entwicklung unterstützt wurde. Hinzu kamen die drittgrößten Erölvorkommen der Welt, die zur umfassenden wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Landes genutzt wurden. Der Lebensstandard im Irak war bis Mitte der achtziger Jahre höher als in einigen europäischen Ländern (z.B. in Portugal). Die gesamte politische und ökonomische Sphäre des Irak war auf die Herrscher-Clique Saddam Husseins und der Baath-Partei hin zentralisiert. Das gesamte politische System des Landes wurde aus der Hauptstadt Bagdad gelenkt. In der Folge des ersten Golfkrieges gegen den Iran und des Überfalls auf Kuwait, der in einem Angriff der USA mit UN-Mandat gegen den Irak mündete, büßte das Land jedoch einen Großteil seiner wirtschaftlichen Prosperität ein. Eine Situation, die durch die UN-Sanktionen weiter verschlimmert wurde. Als 2003 auch im Irak im Zuge des »Krieges gegen den Terrorismus« mit militärischen Mitteln entgegen den Bestimmungen des Völkerrechtes ein Regimewechsel von den USA und ihren Verbündeten erzwungen wurde, wurde entgegen den Forderungen der internationalen Staatengemeinschaft die Konzeption und Ausgestaltung der politischen und ökonomischen Nachkriegsordnung im Irak nicht von der UN, sondern von den Besatzungsmächten vorgenommen. Erscheint der Ausschluss von großen Teilen der Bevölkerung bei der Betrachtung des autoritären Herrschaftsregimes der Baath-Partei als gewissermaßen systemimmanent, so hat sich der Zustand der politischen Entmündigung auch in der post-Saddam-Ära weitestgehend unverändert gezeigt.

Die Nachkriegsordnung des Irak: Mutter aller Gelegenheiten

Auch wenn bislang erst die etwaigen Konturen des neu entstehenden irakischen Staates zu erkennen sind, lassen sich doch bereits einige Kernelemente des »state building« aufzeigen, welche für den Gegenstand dieses Artikels von Bedeutung sind. Der Krieg gegen den Irak wurde ähnlich wie der Krieg gegen Afghanistan geplant und ausgeführt: Massive Bombardements aus der Luft sollten wie schon im Kosovo und Afghanistan den Gegner militärisch in die Knie zwingen und der politischen Elite um Saddam Hussein die militärische Überlegenheit der USA vor Augen führen. Anders als in Afghanistan wurden die Bombardements aus der Luft jedoch mit einer umfassenden Landoffensive begleitet und das gesamte irakische Territorium inklusive der kurdischen Autonomiegebiete von US-Truppen besetzt. Nach Ende des Krieges setzte das militärische Oberkommando sofort einen zivilen Verwalter für den Irak ein, der sowohl mit Aufgaben hinsichtlich des Wiederaufbaus des Landes, als auch mit der Frage nach der künftigen politischen Nachkriegsordnung betraut wurde. Parallel hierzu brachten die Besatzungsmächte einen Resolutionsentwurf in den UN-Sicherheitsrat ein, welcher wenige Wochen nach den großen internationalen Protesten gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der USA und ihrer Verbündeten zumindest die Besetzung des Iraks vollständig legitimierte. Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang, dass im Nachhinein nur die Besetzung Iraks, nicht aber der Krieg gegen den Irak von der UN als legitim anerkannt wurde. Der Frage, ob dieses Vorgehen der UN nicht realiter eine nachträgliche Legitimierung des Krieges bedeutet, kann in diesem Zusammenhang nicht nachgegangen werden.1 Fakt ist: in der UN-Sicherheitsratsresolution 1483 wurde die Besetzung des Iraks völkerrechtlich legitimiert und die von den USA bereits vor der Resolution eingesetzte zivile Verwaltung als derzeit einzig legitime Autorität im Irak von der UN anerkannt. Dieser Prozess einer de-facto Legitimation des US-Präventivkrieges wurde mit der am 16. Oktober 2003 vom UN-Sicherheitsrat einstimmig verabschiedeten Resolution 1511 fortgeführt. Resolution 1511 fordert die UN-Mitgliedsstaaten dazu auf, zur Entlastung der Besatzungsmächte Soldaten in den Irak zu schicken und sich finanziell am Wiederaufbau zu beteiligen. Die eigentlich von den ehemaligen Kriegsgegnern gestellten Mindestanforderungen, ein verbindlicher Zeitplan für die Übergabe der Macht an die Irakis sowie die Ausarbeitung einer Verfassung und die Durchführung von Wahlen, fanden keine Erwähnung. Ebensowenig bekommt die UN eine zentrale Rolle im Irak zugewiesen.

Die Kompetenzen der zivilen Verwaltung, welche in der deutschen Übersetzung der UN-Resolution 1483 als »Behörde« bezeichnet wird, umfasst – neben den angeführten Aufgaben des Wiederaufbaus und der Bildung einer Übergangsregierung und -verwaltung – die Suche nach Massenvernichtungswaffen sowie die Förderung und den Verkauf des irakischen Öls. Bis zur Einsetzung einer international anerkannten irakischen Regierung verbleibt somit die Regierungsgewalt im Land in den Händen der Behörde, bzw. ihres Leiters Paul Bremer, oftmals als »ruler of Iraq« bezeichnet.2 Für Sicherheit und die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung sorgt derweil das militärische Oberkommando der Besatzer, welches ebenso für die Demilitarisierung des Iraks wie auch, in Kooperation mit der UN, für die humanitäre Hilfe zu sorgen hat. Neben der Kooperation mit dem Militär zwecks humanitärer Hilfe, ist die UN im Irak lediglich für die Repatriierung der Flüchtlinge und den Menschenrechtsschutz zuständig. Die Aufgabenbereiche in der Nachkriegsordnung des Irak sind somit nicht wie in Afghanistan multilateral aufgeteilt, sondern verbleiben, ohne zeitliche Befristung, in den Händen der »Behörde«. Der von der UN-Vollversammlung geforderte Sonderbeauftragte der UN für den Irak, welcher ähnlich wie in Afghanistan den Wiederaufbau wie die politische Zukunft des Landes hätte gestalten sollen, hat im Irak keinerlei autonome Entscheidungsgewalt. Er besitzt lediglich eine beratende Funktion und kooperiert in allen Belangen mit der »Behörde«.

Im Juli 2003 wurde nach langen Verhandlungen zwischen den politischen Interessengruppen im Irak, der UN und der »Behörde« ein irakischer Regierungsrat vom Leiter der »Behörde«, Paul Bremer, einberufen. Diesem Regierungsrat gehören neben Vertretern der Exilopposition ebenso Vertreter nahezu aller inländischen politischen und religiösen Gruppierungen an. Wie auf dem Petersberg und im Rahmen der Loya Djirga wurde auch bei der Einberufung des irakischen Regierungsrates darauf geachtet, das das Gremium die ethnische, religiöse und politische Vielfalt des Landes repräsentiert. Der Einberufung des Gremiums waren lange Verhandlungen mit Paul Bremer vorausgegangen, da dieser dem Gremium zuerst nur eine beratende Funktion mit eingeschränkten Kompetenzen zukommen lassen wollte. Durch Vermittlung des UN-Sonderbeauftragten des Irak wurden dem Anfang Juli gegründeten Regierungsrat doch noch einige Kompetenzen eingeräumt. Diese umfassen neben der Ernennung und Abberufung von Ministern die Beteiligung an der Auslegung des Haushalts und die Überarbeitung geltender Gesetze. Bei allen Entscheidungen des Regierungsrates besitzt die »Behörde« jedoch ein Vetorecht, d.h. das irakische Gremium ist in seiner Arbeit politisch eng an die Interessen der »Behörde« gebunden.3

Ob dem Regierungsrat etwaige Kompetenzen bezüglich ökonomischer Fragen zugestanden werden, ist demgegenüber gänzlich zweifelhaft. Alle irakischen Regierungsbeamten sind bislang von der »Behörde« eingesetzt worden und ein Großteil der Aufträge für den Wiederaufbau der Infrastruktur wurden direkt nach Kriegsende entgegen den völkerrechtlichen Bestimmungen von der »Behörde« an der Bush-Regierung nahestehende Großkonzerne abgegeben. Die vollständige Privatisierung der irakischen Wirtschaft und die vollständige Abhängigkeit von ausländischem Kapital, die insbesondere den produktivsten Wirtschaftszweig des Landes, die Ölförderung, betreffen, sind bereits beschlossene Sache. Die Einnahmen aus den Ölverkäufen werden in einem speziellen Fonds für Wiederaufbau angelegt – über die Verteilung dieser Gelder bestimmt allein die »Behörde«.

Der Irak bietet insofern die »mother of all opportunities« – es kann buchstäblich bei null angefangen werden. Keine nationalen Autoritäten sind in der Lage auf die Planungen und die »need assesments« (Bedürfnisabklärungen) der Masse „wohlmeinender Experten, mürrischer Administratoren, windiger Geschäftemacher und engagierter Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen (NGO)“4 Einfluss zu nehmen. Ebenso wie in Afghanistan soll von den Lehrplänen bis zu den Feiertagen alles anders werden, nur mit dem bedeutenden Unterschied, dass der Irak aufgrund seines Ölreichtums selbst in kurzfristiger Perspektive kein peripheres Drittwelt-Land ist. Nach ersten Schätzungen belaufen sich die Kosten für den Wiederaufbau des Irak auf gut 100 Milliarden US-Dollar, welche mit irakischem Erdöl bezahlt werden sollen. Irakische Lösungen für irakische Probleme sind hierbei wenig gefragt: In den Dossiers der amerikanischen think-tanks zur Zukunft des Iraks ist wenig über die Einbindung lokaler Intellektueller oder Experten zu lesen, die mit etwaigen Fragen des Wiederaufbaus betraut werden könnten.5

Auch die Nichtbeachtung inländischer Potentiale beim Wiederaufbau führt zu einer Entmündigung großer Teile der Bevölkerung, die nicht einmal vorhandene Expertisen bei spezifischen Fragestellungen hinsichtlich des Wiederaufbaus einbringen können.6 Wurde in Afghanistan noch von Seiten der »Internationalen Gemeinschaft« versucht, die Nachkriegsordnung über das scheindemokratische Element einer Loya Djirga im Land zu legitimieren – ebenso wie die mit viel externer Furore eingesetzte Übergangsregierung, so scheint dieser Versuch im Irak gar nicht erst unternommen zu werden. Größtmögliche politische und ökonomische Kompetenzen verbleiben auch Monate nach Kriegsende in den Händen der Besatzer. Die Abhaltung von freien Wahlen und der Amtsantritt einer souveränen, demokratischen irakischen Regierung sind nicht nur aufgrund der anhaltenden instabilen Sicherheitslage im Land in weite Ferne gerückt.

Autoritarismus contra demokratische Transition

Festhalten lässt sich an dieser Stelle, dass im Irak große Teile der Bevölkerung von der Mitbestimmung in Politik und Ökonomie weitestgehend ausgeschlossen sind. Wie bereits angeführt wurden diese Ausschlussverfahren verschiedentlich institutionalisiert und durchgesetzt. Tragende Elemente nationalstaatlicher Souveränität werden von den Protektoratsmächten ausgeübt. Fraglich ist hierbei, ob der Irak mittelfristig überhaupt die volle Souveränität erlangen wird, oder aber das Protektoratsmodell im Irak ähnlich wie in Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo zum Selbstläufer verkommen wird. Spezifisch für die Protektoratsbildung in all diesen Ländern ist jedenfalls, dass der Autoritarismus der Protektoratsmächte als Moderne präsentiert wird, welche die jeweiligen tradierten gesellschaftlichen Verhältnisse als archaisch bzw. überkommen verwirft. Dies droht v.a. im Irak innerhalb der Bevölkerung reaktionäre Kräfte zu stärken, die sich als anti-westlich bezeichnen. Diese widersetzen sich in zunehmendem Maße dem politischen und ökonomischen Souveränitätsverlust, der via Protektorat institutionalisiert worden ist. Vor allem die alten, von der Entmachtung bedrohten Eliten bilden den militärischen Arm dieses heterogenen Widerstandes, dem sich offensichtlich auch islamistische Kräfte angeschlossen haben. Aber auch in großen Teilen der Bevölkerung ist die Ablehnung groß: Die Hoffnungen auf ein Mehr an Mitbestimmung und Wohlstand wurden bereits kurz nach Kriegsende enttäuscht. Auch die sozioökonomische Krise, die zwar bereits vor Kriegsbeginn existierte, aber durch die umfangreichen Zerstörungen sich seit Kriegsende intensiviert hat, wirkt sich katalysierend auf »anti-westliche« Ressentiments aus. Demokratische Kräfte wurden so geschwächt, anti-demokratische, reaktionäre Kräfte gestärkt. Die große Breite der Gesellschaft ist wahlweise ohnmächtiger Betrachter des Geschehens, oder radikalisiert sich entlang »ethnischer« oder »religiöser« Merkmale.

Nur über die Radikalisierung ist es den politischen Gruppierungen überhaupt möglich über ein eigenes Profil zu verfügen, da sie von der Politik weitestgehend ausgeschlossen sind. Die Folge dessen ist die wahlweise Überhöhung nationalistischer, ethnischer oder religiöser Momente innerhalb der jeweiligen politischen Gruppierungen, welche zudem von den Protektoratsmächten durch eine Zusammensetzung des irakischen Regierungsrates nach ethnischem bzw. religiösem Proporz aufgegriffen wurde. Dahinter steht die durch die Erfahrungen aus Bosnien und dem Kosovo eigentlich längst diskreditierte Annahme,7 dass eine stabile Nachkriegsordnung nur durch die proportionale Einbindung aller ethnischen und religiösen Gruppen erreicht werden kann. Gerade diese »Ethnisierung der Politik« erwies sich bisher jedoch als folgenschwerer Fehler, da sie erfahrungsgemäß die Entstehung eines allgemeinen Staatsbürgerbewusstseins dauerhaft verhindert,8 was eine Verfolgung politischer Interessen über ethnische oder religiöse Grenzen hinweg erschwert. Es besteht daher die Gefahr, dass es auch beim Aufbau eines demokratischen Mehrparteiensystems mittelfristig ähnlich wie beispielsweise im Kosovo zu einer Verformung der Parteien in klientelistische Netzwerke entlang ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit und Partikularinteressen kommen wird. Hierbei besteht ein enger Zusammenhang zwischen dieser Entwicklung und dem Protektoratsstatus: Die jeweiligen sich vor allem ethnisch oder religiös definierenden Gruppierungen brauchen keinerlei politische Plattform auszuarbeiten, da wichtige politische Entscheidungen extern von den Protektoratsmächten getroffen werden. Eine Abgrenzung der verschiedenen Gruppierungen verläuft daher nicht über verschiedene politische Programme auf einer inhaltlichen Ebene, sondern vielmehr versuchen sich die Gruppierungen über ein größtmögliches Maß an Demagogie und Radikalität zu definieren, da sie auf der politischen Entscheidungsebene kaum Mitspracherechte besitzen.

Der umfassende Ausschluss der Bevölkerung droht daher in einem Teufelskreis von umfassender gesellschaftlicher Instabilität zu münden. Andererseits wird der fortwährende politische Ausschluss der Bevölkerung von den Protektoratsmächten oftmals mit der instabilen Sicherheitslage im Land begründet, was die Widersprüchlichkeit der aktuellen Situation verdeutlicht. Aufgrund der zunehmenden Instabilität ist zudem die Bush-Regierung von ihrem ursprünglichen Plan den Irak zu einem Musterstaat für die gesamte Region zu machen, in Teilen abgerückt. Ziel der im Februar 2003 veröffentlichten ehrgeizigen Pläne war die Schaffung eines dezentralisierten, demokratischen Iraks, der Ausgangspunkt für eine Transformation der gesamten Region entsprechend den Interessen der USA sein sollte. Ausgangspunkt dieser ehrgeizigen Pläne war die Vorstellung, dass die USA qua militärischer Überlegenheit nicht nur Saddam Hussein absetzen, sondern zudem den Charakter des irakischen Staates binnen Jahresfrist umfassend verändern könnten. „At a sweep of the U.S. pen, Iraq would turn from centralized, hierarchical country into a model of participatory democracy.“9

Die mittlerweile mit der irakischen Realität abgeglichenen Pläne der Bush-Regierung sehen eine sehr viel kürzere und weniger umfassende Besetzung des Iraks vor, die primär den ökonomischen Sektor im Sinne der Interessen der Besatzer gestaltet10 – aber keinerlei fest gefügte Vorstellungen über die spezifische politische Nachkriegsordnung mehr vorgibt.11 Unter Berücksichtigung dessen werden zwei wichtige Punkte immer deutlicher: Zum einen sind die Pläne für eine politische Rekonstruktion des irakischen Staates entlang der Schlagwörter »Demokratie« und »Dezentralisierung« von der Bush-Regierung ad acta gelegt worden. Über die zukünftige Verfasstheit des Iraks lassen sich daher keine verlässlichen Angaben machen. Sicher scheint indes nur, dass die zukünftige irakische Regierung, sei sie demokratisch oder autoritär, nicht entgegen den US-Interessen handeln wird. Zum anderen ist offensichtlich, dass der Eckpfeiler eines demokratischen Iraks, die Stärkung zivilgesellschaftlicher, demokratischer Kräfte, bislang keinerlei Priorität in der Politik der Besatzer besitzt. Welchen Einfluss diese Punkte auf die zukünftigen Entwicklungen im Irak haben werden, bleibt abzuwarten. Ob die bislang von den Vereinigten Staaten vernachlässigten politischen Aufgaben jedoch aufgrund anderweitiger strategischer Interessen der Besatzungsmächte, allen voran der USA, in Zukunft angegangen werden, erscheint vor dem Hintergrund der »neuen Weltordnung« fraglich. Oder um es in den Worten Tariq Alis auszudrücken: „Economics, after all, is only a concentrated form of politics, and war a continuation of both by other means.“12

Anmerkungen

1) Vergl. hierzu Andreas Zumach: UNO verliert an Glaubwürdigkeit, in: TAZ, 23.05.2003, ebenso Stefan Ulrich: Der bedrohte Club der Völker, in: Süddeutsche Zeitung, 31.05.2003.

2) The Economist, 05.07.2003, S. 40.

3) FAZ, 14.07.2003; ebenso TAZ, 15.07.2003.

4) NZZ, 04.05.2003.

5) Vergleiche CSIS (Center for Strategic and International Studies: A wiser peace, an action strategy for a post-conflict Iraq, Washington D.C., 2003 (im Internet unter www.csis.org abrufbar); ebenso Carnegie Endowment für International Peace: From Victory to Success – Afterwar policy in Iraq, in: Foreign Policy, No. 4/2003, S. 49-71.

6) Vergleiche Josh Martin: Rebuilding Iraq – What role will Arabs play?, in: The Middle East, No. 6/2003, S. 6-10.

7) Hinsichtlich Kosovo und Bosnien-Herzegowina vergleiche Jean-Arnault Derens: Die kleinen Völker junger Nationen, in: Le monde Diplomatique, No. 7/2003, S. 10-12.

8) Conrad Schetter: Afghanistan in der ethnischen Sackgasse, in: Südasien, No. 4/2001, S. 7-10.

9) Carnegie Endowment für International Peace: From Victory to Success, a.a.O., S. 55.

10) Vergleiche Independent, 07.10.2003; ebenso International Socialist Review, 14.07.2003.

11) Carnegie Endowment für International Peace: From Victory to Success, a.a.O., S. 55 ff.

12) Tariq Ali: Re-Colonizing Iraq, in: New Left Review, No. 3/ 2003, S.18.

Felix Heiduk ist Diplom Politologe in Berlin. Er arbeitet derzeit an seiner Dissertation (felix.heiduk@swp-berlin.org)

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2004/1 Kriegsbilanzen, Seite