It’s the economy, stupid!
Das Wahlkampfmantra Bill Clintons aus dem Jahre 1992 brachte es auf den Punkt – It’s the economy, stupid! Es hat in der gegenwärtigen Zeit ökonomischer Unsicherheiten und der Herausbildung von neuen Rohstoff- und Warenallianzen nichts von seiner Dringlichkeit eingebüßt. Es sind und bleiben die ökonomischen Rahmenbedingungen, die einen Großteil des politischen Handlungsspektrums abstecken. Diese Einsicht scheint weit verbreitet zu sein, denn bei der Suche nach den großen Triebfedern dieser Welt liegen der Allgemeinheit oft Aussagen auf der Zunge, die auf Geld rekurrieren: „Dahinter stecken doch immer handfeste ökonomische Interessen“, „Es geht doch sowieso immer nur ums Geld“ oder „Nicht verwunderlich, Geld regiert die Welt“. Dieser breite Konsens, dass Geld omnipräsent und in seiner Mächtigkeit ohnegleichen ist, herrscht auch unabhängig von den mannigfaltigen politischen Weltbildern.
Doch warum gibt es trotz dieser breiten Einhelligkeit über den enormen Einfluss der Ökonomie auf die Beschaffenheit dieser Welt so viele Berührungsängste, Aversion und Ignoranz gegenüber diesem Thema? Warum wird die Kenntnis und Anwendung dieses mächtigen Wirkmechanismus einer kleinen Gruppe von Spezialist*innen überlassen? Warum sind gesellschaftliche Partizipationsformate, die in anderen Bereichen gesellschaftlicher Organisation bereits vermehrt genutzt werden, in der Welt der Ökonomie noch Randphänomene? Finanzinstrumente wie Mikrofinanzierung oder Crowdfunding, die zur gezielten Unterstützung friedensrelevanter Projekte genutzt werden können, sind noch nicht im Mainstream angekommen. Das Gleiche gilt für die breite Nutzung des ESG-Ratings von Finanzprodukten, die besonders bei der Anwendung auf Rentenfonds oder privaten Kapitalanlagen einen großen Anteil des Marktes beherrschen könnten. Mit Hilfe dieser Ratings können Geldströme gezielt gelenkt werden, um privates Geld an die Orte fließen zu lassen, die auch dem Wertekorsett der Anleger*innen entsprechen, sei es um Nachhaltigkeits- oder Umweltaspekte (E), soziale Gesichtspunkte (S) oder Aspekte der Governance (G) zu berücksichtigen. Des Weiteren werden Ansätze der monetären Dezentralisierung, die sich mit Kryptowährungen realisieren lassen können, nach wie vor einer kleinen Zahl von Idealist*innen oder Spekulant*innen überlassen. Es scheint, dass neue Entwicklungen im Bereich der Ökonomie und des Geldes, die eine Wertfindung und Lenkung jenseits des reinen monetären Zuwachses ermöglichen, in ihrer Breite noch vermehrt erkannt, verstanden und angewandt werden müssen.
Eine vielzitierte Begründung für die systematische Vernachlässigung ökonomischer Themen und die damit einhergehenden verpassten Chancen ist die fehlende schulische Grundlage in diesem Fach. Allerdings könnte es auch eine zweite Erklärung geben, denn ich habe die These, dass das ökonomische Desinteresse im Besonderen für die sonst so breit aufgestellte Friedensbewegung gilt. Hat sich eventuell Brechts „Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ so tief in das kollektive Bewusstsein friedensbewegter Menschen eingebrannt, dass es zu einem standardisierten Desinteresse gegenüber dieser Thematik gekommen ist und die kreative Auseinandersetzung in Teilen sogar tabuisiert wird?
Selbst angenommen, die Ökonomie sei der ausgemachte Gegner des Friedens, gelte es dann nicht umso dringlicher diesen Widersacher gut zu erforschen und seine Mechanismen zu kennen? Warum gehört es nicht zum Standardrepertoire eines friedenbewegten Menschen, die grundsätzlichen Bedeutungen und Mechanismen von Wirtschaftszyklen, Credit-Default-Swaps oder Knock-out Zertifikaten genauso gut zu kennen, wie den Versailler Vertrag, die Geschichte des Kalten Krieges und die Wirkungsweise von Gewaltspiralen?
Um diese motivationale Schwäche zu stärken und vermeintlich unterbelichtete Flecken zu erhellen, mögliche Berührungsängste abzubauen und mutmaßliche Zugangsbarrieren zu durchbrechen, haben wir die Schwerpunktautor*innen der vorliegenden Ausgabe gebeten, sich im Spannungsfeld von Ökonomie und Frieden mit Grundlagen, Praxisbeispielen und Alternativen auseinanderzusetzen. Neben dem grundsätzlichen Appell, sich mit dieser Thematik weitergehend auseinanderzusetzen, werden ökonomische Triebfedern des Krieges untersucht und dem Werkzeug ökonomischer Sanktionen und individuellen Boykotte auf den Zahn gefühlt.
Bevor Sie sich nun der Lektüre der neuen Ausgabe widmen, soll der in den Wirtschaftswissenschaften viel zitierte chinesische Stratege und Philosoph Sun Tzu, das vorletzte Wort bekommen: „Wenn du dich und den Feind kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten. Wenn du dich selbst kennst, doch nicht den Feind, wirst du für jeden Sieg, den du erringst, eine Niederlage erleiden. Wenn du weder den Feind noch dich selbst kennst, wirst du in jeder Schlacht unterliegen.“. Oder etwas näher und einfacher, frei nach Degenhardt: „Spiel doch mal mit den Schmuddelkindern und versteh mal ihre Lieder“.
Ihr Klaus Harnack