W&F 2009/2

Kampf gegen internationale Bergbaufirmen

Ecuador: Indigener Protest im Amazonas

von Miriam Seemann

Der ecuadorianische Regenwald gehört zu den artenreichsten Gebieten der Welt. Im Oriente – wie das Amazonasgebiet in Ecuador genannt wird – leben heute noch etwa 150.000 »Indigenas«. Die Shuars gehören zu diesen Völkern, die noch vor ca. 40 Jahren in einem der abgeschiedensten Gebiete des Regenwaldes lebten und dadurch ihre traditionelle Lebensweise erhalten konnten. Vor ca. zehn Jahren versuchten internationale Bergbaufirmen, speziell in der Shuar-Gemeinde Warints, wertvolle natürliche Ressourcen großflächig abzubauen. Die Shuars versuchten, sich mit Macheten und Jagdwerkzeugen dagegen zu wehren. Sie fordern die Einhaltung der internationalen Menschenrechte und die Umsetzung der von Ecuador unterzeichneten ILO-Konvention zum Schutz indigener Völker.

Die Lebensverhältnisse der Shuar

Es ist 5 Uhr morgens, als Miguel Arutam zusammen mit seinen zwei Frauen und drei Kindern in Wartins, einem kleinen Dorf mitten im ecuadorianischen Regenwald, aufsteht. Miguel gehört zum Volk der Shuar, die auf der Bergkette »Cordillera del Cóndor« im Grenzgebiet zwischen Südecuador und Peru leben. Jedes Familienmitglied – selbst die Kinder – verfolgt nun routiniert seinen gewohnten Tagesablauf. Die Frauen bereiten das Frühstück vor, das aus Yucca-Wurzeln und »Chicha«, einem Getränk aus gegährten Maniok-Wurzeln, besteht. Die Kinder holen frisches Wasser vom kleinen Bach in der Nähe.

Währendessen beratschlagt Miguel mit weiteren Männern, wie sie bezüglich der Bergbauarbeiten in ihrem Dorf vorgehen sollten. Miguel sagt: „Wir Shuars unterscheiden nicht zwischen dem Eigentumsrecht auf Land und Erdboden. Wir sehen uns als Besitzer unseres Landes, in dem schon unsere Urvorfahren gelebt haben. Das beinhaltet alle Resourcen und somit auch den Erdboden. Wir akzeptieren nicht die ecuadorianische Gesetzgebung, die Bergbaukonzessionen für den Erdboden vergibt, insbesondere weil wir dabei gar nicht erst gefragt wurden.“ Warints gehört zu der Shuar-Provinz Nukui, zu der noch fünf weitere Shuar-Gemeinden gehören. Warints hat ungefähr 150 Bewohner. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, diese Shuar-Gemeinde zu erreichen: Mit einer kleinen Propellermaschine nach einer halben Stunde Flugzeit oder zu Fuß nach 12 Stunden strammem Fußmarsch von der nächst größeren Stadt, Sucúa, entfernt. Die Shuar allerdings haben selten die finanziellen Mittel zu fliegen. Die Flugpiste wird meistens von den BergbaumitarbeiterInnen genutzt.

Miguels Familie bewohnt ihr eigenes Land und lebt wirtschaftlich autark, wie auch die anderen Shuar-Familien im Dorf. Sie leben von der Landwirtschaft, der Jagd, der Fischerei und dem Sammeln von Insekten, Früchten und Pflanzen. Heutzutage werden auch Rinder gehalten, die zum festen Bestandteil der Ernährung geworden sind. Fast 70% der Nahrungsmittel stammen aus natürlichen Ressourcen, so wie auch Produkte für Haushalt, Gesundheit, sowie Werkzeuge und Baumaterial. Daher ist die die Shuars direkt umgebende Fauna und Flora von essentieller Lebensbedeutung für sie. Trotzdem sind sie darauf angewiesen, einige Dinge aus der Stadt zu besorgen, insbesondere Salz, Kleidung, Bildungsmaterialien und einige Medikamente, was wiederum den finanziellen Druck auf viele Familien erhöht.

Der Einfluss von »Außen«

Berühmt wurden die Shuar durch den Brauch, ihren Feinden den Kopf abzuschlagen und zu einem Schrumpfkopf, der »tsantsa«, zu verarbeiten. Als einziges der bisher »entdeckten« Völker der Welt haben sich die Shuar erfolgreich gegen die europäische Eroberung ihres Lebensraumes durchgesetzt. Erst im 20. Jahrhunders kam es vermehrt zu Kontakten mit Missionaren und Kolonisten. Mit der infrastrukturellen Erschließung der Territorien hat sich in den letzten Jahrzehnten auch die Lebens- und Wirtschaftsweise vieler Shuar weitgehend verändert. In den 1960er Jahren begannen sich die Shuar mit Unterstützung der salesianischen Missionare zu organisieren. Anlass hierfür war eine Agrarreform und die Aufforderung der damaligen Regierung Ecuadors, das Amazonasgebiet zu besiedeln.

Mit der Besiedlung des Regenwaldes und der dadurch verbesserten Infrastruktur erreichten auch vermehrt Vertreter der Öl- und Bergbauindustrie die Gemeinden der indigenen Bevölkerung im Amazonas, um die reichhaltigen natürlichen Ressourcen der Region auszubeuten. Dies hatte letztendlich oft die Rodung von Regenwaldgebieten zu Folge, was wiederum für die Landwirtschaft verheerende ökologische Konsequenzen hatte.

Widerstand gegen die Bergbauunternehmen

In der Region »Cordillera del Cóndor« gibt es mehrere Bergbaukonflikte, die aus dieser Entwicklung entstanden sind. Der letzte Konflikt fand in der Shuar-Gemeinde von Warints statt. Er begann vor ca. zehn Jahren, als internationale Bergbaufirmen1 in Warints eintrafen. Diese versuchten in der Shuar-Gemeinde mit Unterstützung einiger »Mestizos«2 und in einigen Fällen von Vertretern der lokalen Regierung Bergbauaktivitäten aufzunehmen. Ihre Strategie ist simpel, aber effektiv: Sie versuchen, die Shuar-Familien mit finanziellen Mitteln zur Unterzeichnung von Verträge zu überreden, die die Zustimmung zu Bergbauaktivitäten auf ihrem Land bedeuten.

Dies hatte die soziale Spaltung der Shuar-Gemeinden zur Folge. Denn während einige Shuar-Familie weiterhin versuchen, sich gegen den Bergbau in Warints zu währen, profitierten andere Familien in finanzieller Hinsicht von seiner Umsetzung. In diesem Fall war es die Bergbaufirma Lowell, die die Spaltung der Gemeinde Warints ausgenutzt und ihre Bergbauaktivitäten dann auch 2004 begonnen hat. Die anderen 45 Shuar-Gemeinden der Region, die in der Shuar-Regierung »El Consejo de Gobierno Pueblo Shuar Arutam« (CGSHA)3 in der federalen Shuar-Dachorganisation »Federación Interprovincial de Centros Shuar« (FICSH)4 organisiert sind, lehnen Bergbauaktivitäten in der Region strikt ab.

Bereits am 11. September 2001 fand der erste offensive Wiederstand gegen die Bergbaufirma in Warints statt. Während die Zwillingstürme in New York einstürzten, haben die Shuars im tiefsten Regenwald Vertreter der Katholischen Kirche, der die Fluglinie in der Region gehört, spontan davon überzeugen können, alle Flüge nach Warints einzustellen. Das hatte zur Folge, dass alle Bergbaumitarbeiter der Firma EcuaCorriente Resources S.A., die später mit Lowell fusionierte, gezwungen waren, zu Fuß zwölf Stunden aus dem Regenwald zu laufen. Ganze zwei Jahre hatten die Shuars daraufhin Ruhe.

Eskalation des Konfliktes

Im Jahr 2003, nachdem zwei Jahre lang keine Bergbauaktivitäten in Warints zu verzeichnen waren, nahmen einige Shuar-Anführer neue Kontakte mit der amerikanischen Bergbaufirma Lowell Mineral Exploration auf. Ein Jahr später trafen Mitarbeiter der Firma zusammen mit Mitarbeitern des Ecuadorianischen Ministeriums für Bergbau und Energie in Warints ein, um die widerspenstigen Shuar-Familien davon zu überzeugen, ein neues Abkommen zu unterzeichnen und damit den Bergbauaktivitäten auf ihrem Land für die kommenden 30 Jahre zuzustimmen. Zunächst erfolglos. Doch nur sechs Monate später war es soweit: Die Shuar-Anführer unterzeichneten den Vertrag und erhielten dafür eine Zahlungszusage seitens Lowell über $100.000 Dollar. Die Verträge gelten bis heute. Nur: Nicht ein Cent kam bei den Unterzeichnern an.

Der nächste Widerstand war damit vorprogrammiert: Am 1. November 2006 taten sich mehrere Shuar-Gemeinden zusammen und entschieden, die Bergbaufirma Lowell aus ihrem Gebiet zu vertreiben. Frauen, Kinder und Männer stürmten auf die Fluglandebahn in Warints, bewaffnet mit Macheten, Stöcken und Jagdwerkzeugen. Mit Erfolg. Am nächsten Tag verließen die Mitarbeiter der Firma das Dorf. Bis heute sind die Bergbaufirmen nicht zurückgekommen.

Die weiteren Pläne der Bergbaufirmen

Zwischen 1995 und 2004, als die Bergbauaktivitäten noch in der Explorationsphase waren, wurde eine erste Bestandsaufnahme der vorhandenen Ressourcen gemacht und noch nicht mit dem Abbau von Mineralien begonnen. Eigene Untersuchungen der Bergbaufirmen ergaben, dass die Gebiete, für die sie Bergbaukonzessionen haben, hauptsächlich Kupfer, Molybdän und Gold beinhalten. Die Oberfläche dieses Kupfergürtels soll insgesamt 3.200 m² betragen (Sandoval 2004).

Aller Voraussicht nach wird diese Entdeckung langfristig zum Aufbau einer großflächig angelegten Tagebauindustrie in Ecuador führen. Dies wäre ein weiteres Beispiel in Lateinamerika, wo in naher Zukunft enorme Sozial- und Umweltschäden vorhersehbar sind. Allein der »Import« von Arbeitern durch die Bergbauunternehmen hätte eine enorme soziale Auswirkung auf die Kultur der Shuars. Die von den Konzernen importierte Geld- und Marktwirtschaft würde die nachhaltige Wirtschaftsweise der Shuars verdrängen und einen radikalen Bruch mit ihrer vorherigen Lebensweise darstellen. Darüber hinaus fehlen dem ecuadorianischen Staat die personellen, materiellen und finanziellen Mittel, um die Einhaltung der Umweltgesetze zu kontrollieren und durchzusetzen.

„Wir Shuars stehen dem sozialen und kulturellen Einfluss der »mestizos« kritisch gegenüber“, sagt Miguel Arutam. „Konkret fürchten wir uns vor Problemen wie Prostitution, Krankheiten, Alkohol- und Drogenkonsum und steigenden Preisen der Grundnahrungsmittel. Wir haben Angst davor, dass sie unsere Umwelt schädigen und unser Grundwasser verschmutzen. Wir wissen von den enormen Umweltschäden im Norden Ecuadors, die von internationalen Ölfirmen verursacht worden sind.“ Eine weitere Bergbaufirma (EcuaCorriente Resources S.A.) plant bereits den Bau von Autobahnen and Camps sowie eine Zugstrecke vom Regenwald zur Pazifikküste, um die Mineralien schnellstmöglich über den Hafen Machala zu exportieren. Bis 2001 hatte diese Firma bereits über vier Millionen Dollar in ihre Aktivitäten vor Ort investiert und über zwei Millionen Dollar für Bergbaupatentrechte gezahlt (Sandoval 2004).

Fehlende Konsultation und Verstoß gegen internationale Menschenrechte

Ein Ausgangsproblem des Konfliktes ist die mangelhafte Konsultation der betroffenen Shuar-Gemeinden sowohl durch die Bergbaufirmen als auch durch die ecuadorianische Regierung. Denn laut Artikel sechs der von Ecuador unterzeichneten ILO-Konvention 169 zum Schutz indigener Völker „(…) haben die Regierungen die betreffenden Völker durch geeignete Verfahren und insbesondere durch ihre repräsentativen Einrichtungen zu konsultieren, wann immer gesetzgeberische oder administrative Maßnahmen, die sie unmittelbar berühren könnten, erwogen werden“. Diese Konsultationen sind „mit dem Ziel durchzuführen, Einverständnis oder Zustimmung bezüglich der vorgeschlagenen Maßnahmen zu erreichen“. In Ecuador selbst ist dieser Mechanismus im Artikel 88 der Verfassung verankert.

Da nicht alle Shuar-Vertreter der indigenen Gemeinden dem Projekt zugestimmt haben, ist die Entscheidung der Bergbaufirma Lowell, mit dem Bergbau zu beginnen, nicht in Übereinstimmung mit der Verfassung. Darüber hinaus seien sie nicht ausreichend konsultiert wurden, argumentieren die Shuars. Vor allem seien ihnen wichtige Informationen, wie die möglichen Auswirkungen des Bergbaus auf die Umwelt, vorenthalten wurden.

Neben sozialen Menschenrechten, wie dem Recht auf Nahrung oder dem Recht auf Wohnen, werden auch zunehmend die bürgerlichen und politischen Rechte der Shuars beschnitten. In anderen Bergbaukonlifkten Ecuadors wurden bereits Proteste gegen die Minen mehrmals mit Hilfe der Polizei oder des Militärs blutig beendet.

Konkrete Forderungen an die Regierung und an die Bergbauunternehmen

Die Shuars fordern, im frühen Stadium der Planung der Bergbauaktivitäten mit einbezogen zu werden und so ihre freie, auf umfassende Information basierende Zustimmung (free prior informed consent)5 zu ermöglichen. Außerdem fordern sie, dass alle relevanten Dokumente wie Umweltverträglichkeitsprüfungen, Wirtschaftlichkeitsberechnungen und Projektpläne in die Sprache der Shuars übersetzt und veröffentlicht werden.

Die Shuars sind nicht partout gegen die Bergbauprojekte. Miguel Arutam sagt dazu: „Wir fordern, dass der Reichtum, der aus unserem Boden geschöpft wird, in unsere Gemeinden zurückfließt und nicht einfach abtransportiert wird. Auch wir Shuar-Gemeinden haben das Recht, vom Bergbau zu profitieren.“ Dies könnte durch die Schaffung von Arbeitsplätzen mit angemessenen Löhnen oder durch die Entwicklung der lokalen Infrastruktur (wie den Bau von Schulen und medizinischen Zentren) gelingen.

In Ecuador wurde im Januar diesen Jahres trotz massiver Demonstrationen und Straßenblockaden ein neues Bergbaugesetz verabschiedet. Die Hauptkritikpunkte daran sind, dass es inhaltlich nicht ausreichend debattiert wurde. Seine Umsetzung, so die Angst von Miguel, würde Schäden für die Umwelt nach sich ziehen und gegen die Souveränität der indigenen Bevölkerung verstoßen. Daher bliebe ihnen keine andere Wahl: Miguels Protest und der der anderen Shuars gegen die großflächige Ausbeutung von natürlichen Ressourcen auf ihren angestammten Gebieten und die Zerstörung ihrer Lebenswelt geht weiter.

Literatur

Fundación Natura (2004): Paz y Conservación Binacional en la Cordillera del Cóndor, Ecuador – Peru, Ministerio del Ambiente del Ecuador, CDC-Ecuador and Fundación Acroiris, Quito, Ecuador

Neumann, S. (1994): »Solo unidos somos fueretes«, Entstehung und Festigung ethnisch-politischer Organisationen im Tiefland vom Ecuador am Beispiel der »Federación de Centros Shuar«, Holos Verlag, Bonn.

Sandoval, F. (2004): Análisis de la actividad minera corporative en la Cordillera del Cóndor (Ecuador), Conservation International and Ambiente y Sociedad. Nicht veröffentlicht.

Anmerkungen

1) Diese sind u.a. die Firma Gastro Ecuador Gemsa (Ecuador) (1995), BHP Billington (British) (1999), EcuaCorriente Resources S.A. (Canada) (2000), und Lowell Mineral Exploration (USA) (in 2004 und aktiv bis vor kurzem) (Sandoval 2004).

2) Mestizo ist der spanische Begriff für Nachfahren von Weißen und der indigenen Bevölkerung.

3) Die CGSHA ist ein Pilotprojekt der FICSH mit dem Ziel eine unabhänige indigene Regierung zu gründen und basiert auf dem Ecuadorianischen Dezentralisierungsgesetz von 1997. Es umfasst sechs Shuar-Provinzen (Nunkui, Mayaik, Santiago, Limón y Bomboiza), 60 Shuar-Gemeinden, 8000 Personen und hat eine Fläche von ca. 211.000 Hektar (Fundación Natura, 2004).

4) Die FICSH wurde 1964 in Sucua gegründet. Es ist eine Organsiation mit einer hierarchischen Struktur, demokratisch gewählten Vertretern und einer administrativen Jurisdiktion über ein eingegrenztes Gebiet. Ziel ist der Schutz ihres Landes gegen die Interessen von anderen Siedlern, der Bergbauindustrie und der Regierung sowie der Erhalt ihrer eigenen Kultur. Heute gehören den Shuar rund 80 Prozent ihres angestammten Landes (Neumann 1994).

5) Das Konzept des »Free, Prior and Informed Consent« ist in der Erklärung zu den Rechten der indigenen Völker und in der Indigenenkonvention ILO 169 verankert.

Miriam Seemann, M.A., ist Trägerin des Nachwuchspreises 2008 der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung. Sie studierte Lateinamerikanistik in Portsmouth, England und »Interkulturelles Konfliktmanagement« an der Alice-Salomon-Fachhochschule in Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Internationale Menschenrechte, Konfliktmanagement und die Rechte der indigenen Bevölkerung. E-Mail: miriam.seemann@yahoo.com

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2009/2 Ressourcen: Ausbeutung, Krieg, Elend, Seite