W&F 2011/2

Kleine Leute und große Arbeit

Verleihung des Göttinger Friedenspreises 2011, 5. März 2011, Göttingen

von Regina Hagen

Kurz bevor an einem kalten, aber sonnigen Märzsamstag der Göttinger Friedenspreis 2011 verliehen wurde, hatte im Hauptquartier der Vereinten Nationen der UN-Sicherheitsrat mit Diskussion darüber begonnen, ob zum Schutz von Zivilisten (und im Interesse mancher Sicherheitsratsmitglieder wohl auch zur Unterstützung der Aufständischen) eine Flugverbotzone über Libyen verhängt werden soll. Aber nicht nur in Libyen, auch in anderen arabischen Ländern wurden Demonstrationen gegen die korrupten und diktatorischen Regimes zusammengeknüppelt und –geschossen.

„Ohne Rüstung Leben. Als für uns Stiftungsmitglieder im vergangenen Herbst die diesjährigen Preisträger feststanden, ahnte ich noch nicht, wie tagesaktuell diese generelle Forderung und der für viele von uns mit der Hoffnung auf ein friedlicheres Miteinander in der Welt verbundene Wunsch heute sein würde. […] Wer Waffen produziert, kauft oder verkauft, ist zumindest gedanklich bereit, diese auch zu benutzen“, knüpfte Carmen Barann vom Preisverleihungskomitee in ihrer Einführungsrede an die aktuelle Situation und Deutschlands Anteil daran an.

Auch Laudator Andreas Zumach, Preisträger von 2010, stellte die Verbindung her. „Ein wichtiges Mittel zur Unterstützung dieser Regimes war – und ist bis auf Libyen unverändert – die Lieferung von Kriegswaffen und anderen Rüstungsgütern sowie von Waffen und Folterinstrumenten, mit denen Polizei, Geheimdienste und interne Sicherheitsorgane die Opposition unterdrücken.“

Für ihre intensive Arbeit gegen »Kriegsgeschäfte« – konkret gegen Rüstungsexporte – und für eine friedlichere Welt wurde der Göttinger Friedenspreis diesmal an zwei Organisationen verliehen. „Die praktische Arbeit von »Ohne Rüstung Leben e.V.« [ORL] gründet ebenso wie die wissenschaftliche Arbeit der »GKKE-Fachgruppe Rüstungsexporte« auf der Einsicht, dass Rüstungsproduktion und Rüstungsexporte keine politischen Probleme lösen, weil sie deren Ursachen nicht beseitigen“, hieß es in der Begründung für den Preis.

Bei beiden Preisträgern handelt es sich um ökumenische Gruppierungen, beide Gruppen sind mitgliederbasiert, und beide Gruppen arbeiten entweder ausschließlich (GKKE) oder unter anderem (ORL) zum Rüstungsexporten.

Für ORL hielt der Geschäftsführer Paul Russmann die Dankesrede, gekommen war er aber nicht allein. Zahlreiche Mitglieder von OLR – wie übrigens auch Mitglieder der GKKE – ließen es sich nicht nehmen, nach Göttingen zu reisen, schließlich hatten sie sich alle gemeinsam den Preis verdient. Oder, wie Russmann erklärte: „Ohne Rüstung Leben ist keine Organisation der großen Namen, sondern der vielen kleinen Leute.“

ORL wurde 1978 gegründet, und zwar durch eine Selbstverpflichtung der Gründer, der sich bis heute fast 30.000 Männer und Frauen anschlossen: „Ich bin bereit, ohne den Schutz militärischer Rüstung zu leben. Ich will in unserem Staat dafür eintreten, dass Frieden ohne Waffen politisch entwickelt wird.“ Diese Selbstverpflichtung ging zurück auf eine Empfehlung der 5. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen im Jahr 1975, die ihren Mitgliedskirchen damals empfahl: „Die Kirche sollte ihre Bereitschaft betonen, ohne den Schutz von Waffen zu leben und bedeutsame Initiativen ergreifen, um auf eine wirksame Abrüstung zu drängen.“

Andreas Zumach beschrieb die Verdienste von ORL wie folgt: „Für ORL gehört das Engagement gegen Rüstungsexporte seit der Gründung im Jahre 1978 zu den Kernanliegen. […] Derzeit liegt der Schwerpunkt der ORL-Arbeit auf Kleinwaffen. In diesem Jahr will ORL eine Kampagne starten für eine Gesetzesinitiative mit der Forderung nach einem grundsätzlichen Exportverbot für Kriegswaffen und Rüstungsgüter. Zudem engagiert sich ORL in der Initiative »Entrüstet Daimler« und koordiniert seit 1991 die Kritischen Aktionäre beim größten deutschen Rüstungskonzern. […] Darüber hinaus streitet ORL für eine atomwaffenfreie Welt und den Abzug der noch verbliebenen atomaren Massenvernichtungsmittel aus Deutschland“ sowie im Rahmen der Aktion »Schulfrei für die Bundeswehr« für „den Verzicht auf Werbung der Bundeswehr in Schulen und bei Lehrerfortbildungen sowie die Einführung von Friedenserziehung für Kinder und Jugendliche.“

ORL erfindet bei seiner Arbeit das Rad nicht (immer) neu, sondern stützt sich z.B. auf die Arbeitsergebnisse des zweiten Preisträgers von Göttingen, der Fachgruppe Rüstungsexporte der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE). Die GKKE erstellt seit 1997 jährlich ihren eigenen Rüstungsexportbericht. Die Preisjury gründete ihre Entscheidung darauf: „Mit dem jährlich erscheinenden Rüstungsexportbericht veröffentlicht die »GKKE-Fachgruppe Rüstungsexporte« die verfügbaren Daten und Informationen über die deutschen Ausfuhren von Kriegswaffen und Rüstungsgütern des Vorjahres und unterzieht die deutsche Rüstungsexportpolitik einer kritischen Analyse im Kontext friedens-, sicherheits- und entwicklungspolitischer Parameter. Mit dieser wissenschaftlich fundierten, akribischen Arbeit schafft die »GKKE-Fachgruppe Rüstungsexporte« eine zuverlässige Grundlage für praktische Initiativen gegen Rüstungsproduktion und Rüstungsexporte.“

Paul Russmann sagte mit Überzeugung: „Geteilte Freude ist doppelte Freude“ und dass er sehr dankbar sei, „dass es die GKKE-Fachgruppe Rüstungsexporte gibt, denn mit ihren fundierten Recherchen, Analysen und Bewertungen […] geben sie uns das argumentative Handwerkszeug für unsere Aktionen […]“.

Wie schwer die Datenerhebung ist, klang im Beitrag von Bernd Moltmann von der GKKE-Gruppe an: „Um Rüstungsgeschäfte kreisen viele laute Skandale. Doch hierzulande ist es um ein Skandalon still: Kein Mensch weiß genau, wie viele Waffen und Rüstungsgüter deutscher Herkunft zu welchem Zeitpunkt welche Empfänger in welchen Ländern erreichen.“ Als unerlässlich fordert er Transparenz, denn Druckblick erhalte „einen besonderen Rang, wenn es um den Umgang mit Waren und Leistungen geht, die sich grundsätzlich von gewöhnlichen Handelsgütern unterscheiden, nämlich um Waffen, Rüstungsgüter sowie Militärtechnologie und militärbezogene Aktivitäten. Ihr grundlegendes Merkmal ist, dass sie geeignet sind, Menschen zu töten und Kriege zu führen. Daran ändert auch nichts, dass derartige Produkte als »Wehrmaterial«, »Verteidigungsgut« oder »Sicherheitsleistung« firmieren.“

Seine Forderung nach Transparenz stützt er insbesondere auf drei Gründe: Die Handhabung von Rüstungsausfuhren sei ein Indiz für die Friedensfähigkeit eines Staates, Transparenz diene der Glaubwürdigkeit politischen Handelns und sie sei am ehesten geeignet, der Korruption auf dem Rüstungssektor Einhalt zu gebieten. Allerdings warnte er: „Der Streit um Transparenz darf nicht an die Stelle der politischen Auseinandersetzung über das Pro und Contra von Rüstungsgeschäften treten.“

Bernd Moltmann sieht in den Rüstungsexportberichten der GKKE „ein Instrument, das Geheimnisvolle der Rüstungsgeschäfte der Öffentlichkeit zugänglich zu machen“. Paul Russmann und seine MitstreiterInnen machen ihre Arbeit im Vertrauen „auf die biblische Verheißung, dass die Zukunft nicht den Schwertern, sondern den Pflugscharen gehört“. Und Carmen Barann meint: „Ohne Rüstung Leben. Ich freue mich sehr darüber und darauf.“

Dem schließe ich mich an – und freue mich mit der Redaktion von W&F für die GKKE und ORL über ihren Preis.

Der Göttinger Friedenspreis wird jährlich vergeben und wurde vom 1997 gestorbenen Wissenschaftsjournalisten Roland Röhl gestiftet, der sich vor allem mit Fragen der Sicherheitspolitik und Friedensforschung befasste. Der Preis ist mit 3.000 Euro dotiert. (www. goettinger-friedenspreis.de)

Regina Hagen

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2011/2 Kriegsgeschäfte, Seite 63–64