Klimapolitik und Versicherheitlichung
von Jörn Richert
Das Thema Klimasicherheit hat in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen, besonders in westlichen Industrieländern. Bedeutet dies eine Militarisierung der Klimapolitik? Der Artikel argumentiert, dass sei nicht der Fall, die Versicherheitlichung des Klimawandels müsse stattdessen im Kontext eines breiteren politischen Diskurses verstanden werden.
Vor 20 Jahren, auf dem Weltgipfel 1992 in Rio de Janeiro, wurde die Klimarahmenkonvention ins Leben gerufen. In Artikel 2 dieser Konvention wurde das Ziel definiert, „die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu erreichen, auf dem eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert wird“. Derselbe Artikel fordert weiter, dass die dafür notwendigen Bemühungen „innerhalb eines Zeitraums erreicht werden, der ausreicht, damit sich die Ökosysteme auf natürliche Weise den Klimaänderungen anpassen können, die Nahrungsmittelerzeugung nicht bedroht wird und die wirtschaftliche Entwicklung auf nachhaltige Weise fortgeführt werden kann“ (UNFCCC 1992, Artikel 2). Der Klimawandel wurde also vorwiegend als Umweltproblem und Entwicklungshemmnis betrachtet.
In den letzten Jahren hat sich die Wahrnehmung des Klimawandels jedoch stark geändert. Immer häufiger ist vom »Sicherheitsrisiko Klimawandel« die Rede. Treibende Kraft bei dieser Versicherheitlichung, das heißt der Konstruktion des Klimawandels als Sicherheitsbedrohung, war Großbritannien. Dort errechnete der Ökonom Nicholas Stern 2006 für die britische Regierung, dass ein ungebremster Klimawandel in Zukunft einen jährlichen Schaden von 5-20% der globalen Wirtschaftsleistung anrichten würde (Stern 2006). Im Oktober desselben Jahres bezeichnete die damalige britische Außenministerin Margaret Beckett die Klimasicherheit als eine der höchsten europäischen Prioritäten. Anfang 2007 gelang es den Briten, das Thema Klimasicherheit auf die Agenda des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zu setzen. Auch außerhalb Großbritanniens erschienen 2007 Studien wie der Bericht »National Security and the Threat of Climate Change« (CNA 2007), in dem eine Reihe ehemaliger US-Generäle den Klimawandel als »Bedrohungsmultiplikator« bezeichneten, und das ausführliche Gutachten »Sicherheitsrisiko Klimawandel« des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU 2007).
Eines ist all diesen Berichten gemein: Sie entstanden in westlichen Industriestaaten. Bedeutet dies, dass sich diese Staaten vom Verständnis des Klimawandels als Entwicklungsthema verabschiedet haben? Setzen sie nun auf die Schließung der Grenzen und militärische Intervention und nicht mehr auf Treibhausgasreduktionen und die Unterstützung für stärker betroffene Entwicklungsländer? Dieser Artikel argumentiert, dass dies nicht der Fall ist. Er zeigt, wie die Versicherheitlichung des Klimawandels eher zu einer Erweiterung des Sicherheitsverständnisses, nicht aber zu einer Militarisierung der Klimapolitik geführt hat. Die Klimasicherheit wurde darüber hinaus zu einem wichtigen Argument für mehr Klimaschutz. Wie sich in der Zwischenzeit gezeigt hat, war dieser Impuls jedoch nicht stark genug, um die internationale Klimapolitik nachhaltig in erfolgreiche Bahnen zu lenken. Die Debatte um den Klimawandel hat sich seit den Jahren 2007 bis 2009 merklich abgekühlt. Der Artikel wirft abschließend einen Blick auf ein Jahr, in dem sich dies wieder ändern könnte: 2014.
Klimasicherheit als Herausforderung für die Sicherheitspolitik
Wie Michael Brzoska (2009) gezeigt hat, teilen viele der seit 2007 erschienenen Studien zur Klimasicherheit die generelle Bedrohungsdiagnose: Extremwetterereignisse werden noch extremer, Wasser und Nahrungsmittel werden knapper, die Weltwirtschaft leidet, und schwache Staaten sind besonders gefährdet. Hieraus könnten sich eine Reihe weiterer Herausforderungen entwickeln: Die Umweltmigration könnte zunehmen, der Terrorismus könnte von einer Ausweitung prekärer Lebensverhältnisse profitieren. Der Klimawandel wird daher als Bedrohungsmultiplikator bezeichnet. Brzoska stellt jedoch auch fest, dass die aus dieser Diagnose abgeleiteten Handlungsleitlinien stark voneinander abweichen. Wo der WBGU zur Energiewende aufruft und internationale Kooperation in den Vordergrund stellt, sorgen sich die erwähnten US-Generäle um das Fortbestehen wassernaher US-Militärstützpunkte. Die Lage ist also diffus, und es ist kein klarer Trend in Richtung einer rein militärpolitischen Behandlung des Themas Klimawandel zu erkennen. Dies spiegelt sich auch in den Initiativen wider, die auf beiden Seiten des Atlantiks auf den anfänglichen Bedrohungsdiskurs folgten.
In den Vereinigten Staaten spielte der Klimawandel in der sicherheitspolitischen Planung der Regierung Bush bis 2007 keine Rolle. Erst nach dem Aufkommen des Klimasicherheitsdiskurses beschloss der US-Kongress 2008, dass sich dies ändern sollte. Bereits in der nationalen Verteidigungsstrategie desselben Jahres wurde der Klimawandel als ein Bestandteil eines komplexen Herausforderungsgeflechts – weiterhin bestehend aus z.B. demographischen Trends, Ressourcenknappheit und wirtschaftlichen Kräfteverschiebungen – behandelt.
Der zwei Jahre später vom US-Verteidigungsministerium erstellte »Quadrennial Defense Review Report« (DoD 2010) ging anschließend konkreter auf das Thema ein. Er beschäftigte sich zuvorderst damit, wie der Klimawandel die Bedingungen zukünftiger Einsätze verändern könnte und weist auf Kooperationsinitiativen mit anderen Streitkräften hin, die das Verteidigungsministerium in Zusammenarbeit mit anderen US-Behörden etabliert habe, um ausländische Partner auf friedlichem Wege auf die Herausforderung Klimawandel einzustellen. Weiterhin wird eine genauere Untersuchung der Gefährdung von Einsatzfähigkeit und Militärbasen des US-Militärs gefordert. Auch hier hebt das Verteidigungsministerium die Bedeutung internationaler Anpassungsmaßnahmen hervor und betont die Möglichkeit von Projekten zur Förderung erneuerbarer Energien und der Energieeffizienz auf eigenen Basen. Hinsichtlich der Arktisfrage fordert es den Beitritt der USA zum Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen. Anstelle der Vorbereitung auf »Klimakriege« ist also eine eher reaktive und politisch differenzierte Position zu beobachten.
Auch die Europäische Union diskutierte das Thema Klimasicherheit ab 2007 verstärkt. Nach Aufforderung des Europäischen Rates legten Javier Solana, zu diesem Zeitpunkt Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, und die damalige Kommissarin für Außenbeziehungen, Benita Ferrero-Waldner, 2008 ein Papier vor, in dem sie die sicherheitspolitische Relevanz des Klimawandels unterstrichen. Auch Solana und Ferrero-Waldner griffen dabei auf den Begriff »Bedrohungsmultiplikator« zurück.
Noch stärker als in den USA wurde betont, dass die Bekämpfung des Klimawandels einen ganzheitlichen und vor allem globalen Politikansatz erfordert: Erstens sollen die Fähigkeiten verbessert werden, Desaster und Konflikte zu vermeiden und auf sie zu reagieren. Gefordert werden ein Ausbau von Forschungs-, Analyse- und Monitoring-Fähigkeiten, eine Verbesserung des Krisenmanagements und weitere regionalspezifische Studien zu den Auswirkungen des Klimawandels. Zweitens solle die EU ihre globale Führungsrolle in der Klimapolitik ausbauen und die internationale Debatte in den Bereichen Klimasicherheit, Umweltmigration sowie Monitoring und Vorbeugung vorantreiben. Drittens solle das Thema Klimasicherheit in den Beziehungen zu Drittstaaten und in Regionalstrategien mehr Bedeutung erlangen. Auch eine europäische Arktispolitik wurde angedacht. Wie schon in den USA wurde in Europa auf die Stärkung des UN-Seerechtsübereinkommens verwiesen.
Der Europäische Rat begrüßte den Bericht, und in der Folgezeit wurde eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen in den genannten Bereichen durchgeführt (Rat 2009). Gemein ist den meisten dieser Maßnahmen, dass sie auf eine Stärkung des Dialogs über Klimasicherheit in bestehenden Kooperationen und auf eine stärkere Vernetzung von relevanten Institutionen und Akteuren, zum Beispiel der Vielzahl von UN-Institutionen, hinwirken.
Sowohl für die USA als auch für die EU gilt folgendes: Statt die Klimapolitik zu militarisieren, wurde das Sicherheitsverständnis ausgedehnt und entwicklungspolitischen Maßnahmen eine bedeutende Rolle zugesprochen. Zwar haben sowohl die USA als auch die EU das Thema ernsthaft als sicherheitspolitische Herausforderung diskutiert. Die daraus entstandenen Initiativen deuten jedoch keineswegs darauf hin, dass die klimapolitische Agenda nun verstärkt von Sicherheitsplanern und Militärs vereinnahmt würde. Eher scheint es diesen um die Sicherstellung der eigenen Handlungsfähigkeit und die diplomatische Unterstützung stärker betroffener Akteure zu gehen. Dabei sind auch kulturelle Unterschiede zu erkennen: In der EU spielen Entwicklungsaspekte eine bedeutende Rolle, in den USA sorgt man sich hingegen stärker um die Einsatzfähigkeit der eigenen Streitkräfte. Andererseits wird besonders in den Vereinigten Staaten erkannt, dass auch die Streitkräfte selbst zum Umwelt- und Klimaschutz beitragen können. Die Versicherheitlichung des Klimawandels – zumindest im traditionellen Sinne – ist also kaum zu belegen. Der nächste Abschnitt wird zeigen, dass Klimasicherheit vielmehr als klimapolitisches Argument anzusehen ist.
Klimasicherheit und Klimapolitik
Eine Großzahl von Studien zur Klimasicherheit erschien in den Jahren 2006 und besonders 2007. Dies bedeutet nicht, dass der Klimawandel in dieser Zeit plötzlich wesentlich gefährlicher geworden wäre. Das Klimasystem ist komplex und verändert sich, zumindest in den meisten Fällen, aus menschlicher Perspektive betrachtet sehr langsam. Was sich zwischen 2005 und 2007 änderte war also nicht so sehr das Klima an sich, sondern vielmehr die Wahrnehmung der potenziellen Folgen des Klimawandels. Die Gründe für diesen Wahrnehmungswandel sind nicht nur in der Natur, sondern vorwiegend im sozialen Raum zu suchen.
Zwei Tatsachen erklären dabei, warum es gerade 2007 zu einer Versicherheitlichung gekommen ist: Erstens war das Erscheinen vieler Studien zum Thema Klimawandel und Sicherheit auf die Veröffentlichung des vierten Sachstandsberichtes des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) abgestimmt. Erst in Kombination mit den aktuellen klimawissenschaftlichen Fakten dieses Berichtes erlangte der Klimasicherheitsdiskurs genügend Glaubwürdigkeit, um weitreichende Aufmerksamkeit zu erlangen. Zweitens war 2007 ein sehr bedeutendes Jahr für die Klimapolitik: Die Parteien der Klimarahmenkonvention trafen sich im Dezember auf Bali, um den Fortgang des internationalen Klimaschutzes nach dem Auslaufen des Kyoto-Protokolls 2012 zu diskutieren.
Besonders vor dem Hintergrund des zweiten Punkts wird die tatsächliche Bedeutung von Klimasicherheit klar: Großbritannien, Deutschland und die EU versuchten, sich 2007 als treibende Kraft in den internationalen Klimaverhandlungen zu etablieren. Die Versicherheitlichung des Klimawandels trug dabei sowohl innerhalb der EU als auch global dazu bei, der Klimapolitik zu neuem Schwung zu verhelfen (Geden 2011). Und auch in den USA spielte der Klimasicherheitsdiskurs eine wichtige Rolle im Klimaschutz (Richert 2011): Die Versicherheitlichung des Klimawandels vermochte es, der Klimapolitik zur bis dahin größten Aufmerksamkeit unter der Bush-Administration zu verhelfen. Bush hatte in den Jahren seit seinem Amtsantritt jegliche effektive Klimapolitik verweigert, und auch in der Gesellschaft und dem Kongress war das Thema nicht sehr beliebt. Erst als sich nun sogar Militärs mit dem Klimawandel auseinandersetzen, stieg das Interesse vieler Senatoren und Repräsentanten. Diese Dynamik setzte sich in den ersten Jahren der Obama-Administration fort. Sowohl in den USA als auch in der EU stellte Klimasicherheit damit ein wichtiges klimapolitisches Argument dar.
Klimasicherheit: Endgültig gescheitert oder Neuauflage?
Trotz des zeitweisen Aufsehens, das die Verbindung von Klimawandel und Sicherheit erregt hat, blieb die politische Bilanz aus der Zeit nach 2007 eher enttäuschend. Zwar gelang es der EU, weitreichende Klimaschutzmaßnahmen zu verabschieden. In den USA und auch in der internationalen Klimapolitik waren die Erfolge jedoch wesentlich geringer. Auf der UN-Klimakonferenz von Bali 2007 einigten sich die Mitglieder der Klimarahmenkonvention lediglich darauf, in den folgenden zwei Jahren ernsthaft an einer Kyoto-Nachfolgeregelung zu arbeiten. Die Klimakonferenz von Kopenhagen 2009, auf der eine entsprechende Regelung verabschiedet werden sollte, konnte jedoch die hohen Erwartungen nicht erfüllen – insbesondere, weil es in den USA trotz Unterstützung durch Präsident Obama und teils dramatischen Verhandlungen im US-Senat nicht gelungen war, bis zum Treffen in Kopenhagen ein Klimagesetz zu verabschieden. Dies wäre für die USA die Grundlage gewesen, um auch auf internationaler Ebene substanzielle und einhaltbare Versprechungen machen zu können.
Die Bereitschaft der Vereinigten Staaten, sich einer effektiven Klimapolitik zu verschreiben, bleibt weiterhin eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine erfolgreiche internationale Klimapolitik. Besonders die großen Schwellenländer wie Indien und China blicken gen Westen und erwarten von den Industrieländern ein Vorangehen in Sachen Klimaschutz.
Ist aber der Versuch, ein solches Vorangehen durch die Versicherheitlichung des Klimawandels zu befördern, endgültig gescheitert? Nicht unbedingt. Aus der obigen Diskussion lässt sich ein Zukunftsszenario spinnen, das zumindest begrenzte Hoffnung für die Klimapolitik macht: Sollten die USA auch nach der Präsidentschaftswahl im November diesen Jahres noch einen demokratischen Präsidenten haben, könnte sich 2014 ein neues Möglichkeitsfenster für die US- und damit auch für die weltweite Klimapolitik öffnen: Ab September 2013 und über das Jahr 2014 verteilt werden sukzessive die Teilberichte des fünften Sachstandsberichtes des IPCC veröffentlicht werden. Gleichzeitig werden im November 2014 bei den »midterm elections« in den USA alle Sitze des Repräsentantenhauses und ein Drittel der Sitze im Senat neu vergeben. Sollte der Klimawandel 2014 im Zusammenhang mit dem neuen IPCC-Bericht eine ähnliche Prominenz erhalten wie bei der Veröffentlichung des Berichts von 2007, so könnte dies das Wahlergebnis der »midterm elections« zugunsten der Demokraten beeinflussen und gemäßigte Republikaner dazu bringen, an der Klimagesetzgebung mitzuwirken. Schon 2007 bis 2009 hatten republikanische Senatoren wie John McCain und später Lindsey Graham die Klimagesetzgebung unterstützt. 2014 ergäbe sich somit unter Umständen die Chance, dass die USA endlich ein ernsthaftes Klimagesetz verabschieden und somit ihrer Verantwortung für den globalen Klimaschutz gerecht werden.
Literatur
Brzoska, Michael: The Securitization of Climate Change and the Power of Conceptions of Security. Sicherheit und Frieden, 2009-3, S.137-145.
Center for Naval Analysis (CNA) (2007): National Security and the Threat of Climate Change. Alexandria: CNA.
Department of Defense (DoD) (2010): Quadrennial Defense Review Report. Washington D.C.: DoD.
Geden, Oliver (2011): Klimasicherheit als Politikansatz der Europäischen Union. In: Angenendt, Steffen; Dröge, Susanne; Richert, Jörn (Hrsg.): Klimawandel und Sicherheit. Herausforderungen, Reaktionen und Handlungsmöglichkeiten. Baden-Baden: Nomos, S.212-221.
Rat der Europäischen Union (2009): Joint progress report and follow-up recommendations on climate change and international security (CCIS) to the Council. Brüssel.
Richert, Jörn (2011): Klimawandel, Bedrohungsdiskurs und Sicherheitspolitik in den USA. In: Angenendt, Steffen; Dröge, Susanne; Richert, Richert (Hrsg.): Klimawandel und Sicherheit. Herausforderungen, Reaktionen und Handlungsmöglichkeiten. Baden-Baden: Nomos, S.222-237.
Solana, Javier und Ferrero-Waldner, Benita (2008): Climate Change and International Security. Paper from the High Representative and the European Commission to the European Council, Brüssel.
Stern, Nicholas (2006): The Economics of Climate Change – The Stern Review. Cambridge: Cambridge University Press.
UNFCCC (1992): United Nations Framework Convention on Climate Change. unfccc.int.
Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) (2007): Welt im Wandel: Sicherheitsrisiko Klimawandel. Berlin/Heidelberg: Springer.
Jörn Richert ist Doktorand an der Bielefeld Graduate School in History and Sociology (BGHS), Universität Bielefeld.