W&F 2016/1

Kommerzialisierung des Sozialen

FIfF-Jahrestagung, 6.-8. November 2015, Universität Erlangen-Nürnberg

von Stefan Hügel

Im Zentrum der 31. FIfF-Konferenz, die am 6.-8. November 2015 unter dem Motto »Kommerzialisierung des Sozialen – Markt und Macht im Zeitalter digitaler Kompletterfassung« an der Universität Erlangen-Nürnberg stattfand, stand die Auseinandersetzung mit digitaler Sensorik, die zunehmend unser Leben durchdringt und unaufhörlich Daten generiert und speichert, von deren Existenz wir oft gar nichts wissen. Die Daten entstehen in Computern und Smartphones, aber auch in Navigationsgeräten, Fitnesstrainern und digitalen Implantaten. Jeder Mensch und jede menschliche Interaktion hinterlässt dadurch digitale Spuren, ein Umstand, den nicht nur Suchmaschinen und soziale Netzwerke zu einem Geschäftsmodell gemacht haben. Nachdem der Mensch als Arbeitskraft und Konsument umfassend überwacht, analysiert und kommerzialisiert wurde, folgt mit dem »Internet der Dinge« nun die Kommerzialisierung des privaten und sozialen Lebens? Welchen Wert haben unsere privaten und sozialen Daten, und wer verdient an ihnen? Welche Konsequenzen haben Likes, LifeStyle-Apps und das »Internet der Dinge« auf das Machtgefüge der Gesellschaft?

Ein weiteres Thema der Konferenz war die Kampagne »Cyberpeace« des FIfF, zu der ein (Zwischen-) Fazit gezogen und die Frage diskutiert wurde, wie sie weitergeführt werden soll. Derzeit wird die Kampagne durch die Stiftung Bridge gefördert.

Felix Freiling, Professor für Informatik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Gastgeber der Konferenz, begrüßte die Teilnehmer_innen am Freitagabend. Darauf folgten zwei Vorträge: Miika Blinn, Referent für Digitales und Medien beim Verbraucherzentrale Bundesverband, sprach zum Thema »Individuelle Preise – Eine Herausforderung für Verbraucher«. Der Einsatz von »Big Data«, so Blinn, verändere Wettbewerb und Marktprozesse fundamental. Wenn zunehmend selbstlernende Algorithmen auf Basis von »Big Data« Preise gestalten, führe dies zu einer erheblichen Informationsasymmetrie zugunsten der Anbieter. Wenn sich Preise auf Grund nicht nachvollziehbarer Mechanismen im Minutentakt ändern, könne dies die Verbraucher stark verunsichern.

»Smart-TVs im Fokus der Datenschutzaufsichtsbehörden« war das Thema von Andreas Sachs, dem Leiter des technischen Referats beim Bayerischen Landesamt für Datenschutzaufsicht in Ansbach. Als eine der letzten Bastionen des analogen Zeitalters erfahre das Fernsehen durch die (breitbandige) Internetanbindung der aktuellen Geräte, der SmartTVs, tiefgreifende Veränderungen. Stichworte wie »Konvergenz der Medien« lösen das lineare Rundfunksignal – und damit das anonyme Fernsehen – ab und bieten den Bürgern Angebote wie HbbTV, Mediatheken, personalisierte Dienste und Apps auf dem Fernsehgerät an. Unter der Federführung des Bayerischen Landesamtes für Datenschutzaufsicht führten die Datenschutzaufsichtsbehörden der Länder im Winter 2014/15 ein technisches Prüfprojekt zu den Datenflüssen bei SmartTVs durch, mit dem Ziel, eine Basis für eine rechtliche Bewertung und einen aufsichtlichen Vollzug zu schaffen. Im Vortrag wurde neben den technischen Aspekten der Prüfung auch auf die rechtlichen Gegebenheiten und Probleme und die Möglichkeiten der aufsichtlichen Kontrolle bei SmartTVs eingegangen.

Der deutsche Künstler Florian Mehnert erlangte mit mehreren Kunstprojekten und Ausstellungen zum Thema Überwachung international Aufmerksamkeit. Bereits im Rahmen des Schwerpunkts in der FIfF-Kommunikation 3/2015 hatte er von seinem Kunstexperiment »11 TAGE« berichtet, in dem er den Einsatz ferngesteuerter bewaffneter Drohnen und somit die gezielte Tötung als Folge der Überwachung untersuchte. Die internationalen Reaktionen auf das Projekt waren extrem kontrovers, es folgten ein Shitstorm und Morddrohungen, die Behörden reagierten nervös. In seinem Vortrag arbeitete er vor allem die Reaktionen auf das Projekt auf sowie die Fragen, die sich aus den Reaktionen ergaben. Ergänzend berichtete er von weiteren Kunstprojekten, wie beispielsweise dem Projekt »Waldprotokolle« in dem er Wege und Lichtungen in Wäldern mit Mikrofonen verwanzte, die vorbeigehende Passanten abhörten. (In der aktuellen Ausgabe der FIfF-Kommunikation wird im Rahmen eines Schwerpunkts von einer Veranstaltung in Freiburg berichtet, in der ebenfalls das Kunstprojekt »11 TAGE« Thema war und aus unterschiedlichen Blickwinkeln – medientheoretisch, kunsttheoretisch, juristisch, soziologisch und zivilgesellschaftlich – beleuchtet wurde.)

Sebastian Hahn, Student an der Universität Erlangen-Nürnberg und seit 2008 am Tor-Projekt zur Anonymisierung von Verbindungsdaten im Internet beteiligt, berichtete über »Privacy by Design in einer digitalen Welt«. Historisch betrachtet war das Internet nie dazu gedacht, die Daten seiner Nutzer zu schützen. Die Protokolle, die im Internet Verwendung finden, müssen daher mühevoll erweitert oder ersetzt werden, um die informationelle Selbstbestimmung möglich zu machen. Gleichzeitig werden die Qualitätsprobleme unserer Softwareinfrastruktur immer deutlicher sichtbar, ein neuer, ganzheitlicher Ansatz würde der digitalen Welt gut tun. Am Beispiel von Tor wird aufgezeigt, welche Probleme Overlaynetzwerke lösen können und wo sie versagen, welche typischen Fehler im Entwicklungsprozess auftreten können und wie versucht wird, diese zu identifizeren und zu beheben, bevor ein Schaden entstehen kann.

Den Abschluss bildete am Sonntagmorgen der Vortrag von Sebastian Jekutsch »Was gibt’s Neues in Sachen Faire Computer?«. Sebastian Jekutsch recherchiert und informiert seit nun fünf Jahren über sozialverträgliche IT-Produktion. Er ist Sprecher der AG Faire Computer des FIfF und Initiator des Blog faire-computer.de. In seinem Vortrag berichtete er davon, was in den letzten Jahren im Bereich der sozialverträglichen IT-Produktion geschehen ist und in welche Richtung sich die Szene entwickelt. Nach eine kurzen Einführung ging es zur Sache: Apple und Samsung, ein Siegel und viele Rankings, Konfliktfreiheit und Sklavenarbeit, Unternehmens- und Konsumentenverantwortung, Fairphone und die faire Nager-IT-Maus. Man erkennt, dass praktisch alle Fortschritte auf Druck aus der Zivilbevölkerung und aus professionell arbeitenden Nichtregierungsorganisationen zustande kamen. Sebastian Jekutsch stellte die Szene vor, in der sich auch das FIfF bewegt. Es folgten Hinweise, wie man sich als Konsument und Aktivist beteiligen kann, wenn einem Fairness wichtig ist. Am Schluss standen Forderungen, aber nicht an die Hersteller oder uns Konsumenten, sondern an die, die tatsächlich die Macht haben: an die Politik.

Arbeitsgruppen befassten sich mit den Themen »Internet der Dinge«, »Teilhabe an der allgegenwärtigen Kommunikation« und »Grenzen der Biometrie«. Zwei Arbeitsgruppen gab es zur Kampagne Cyberpeace: Auf die bisherige Kampagne wurde Rückschau gehalten und davon ausgehend diskutiert, wie sie weitergeführt werden kann. Die Teilnehmenden waren sich einig, dass dieses Thema über den Zeitraum der Förderung durch die Stiftung Bridge hinaus zentrales Thema des FIfF bleiben und auch künftig – ggf. in abgewandelter Form – weitergeführt werden soll. Ein zweiter, praxisorientierter Workshop hatte zum Ziel, das Logo der Cyberpeace-Kampagne zum Blinken zu bringen – dadurch haben wir jetzt einen echten Blickfang für weitere Aktionen der Kampagne.

Bereits am Samstagabend wurde zum fünften Mal der FIfF-Studienpreis verliehen. Die Laudatoren Britta Schinzel und Stefan Hügel gratulierten Christian Kühne aus Berlin zum ersten Preis für seine Arbeit »GNUNet und Informationsmacht – Analyse einer P2P-Technologie und ihrer Folgen«, Laura Fichtner aus Twente zum Preis für ihre Arbeit »Scientia est Potentia: Techno-Politics as Network(ed) Struggles« und Angela Meindl aus Bremerhaven zum Preis für ihre Arbeit »Internet-Profiling – Umfang, Risiken und Schutzmaßnahmen am Beispiel von Google«.

Auf der abschließenden Mitgliederversammlung des FIfF wurde u.a. ein neuer Vorstand gewählt. Kern des Vorstandsberichts waren ebenfalls die Kampagnen zu Cyberpeace und Faire Computer, mit einer beeindruckenden Anzahl von Aktivitäten und Publikationen.

Bei der Vorstandswahl wurden Stefan Hügel als Vorsitzender und Dietrich Meyer-Ebrecht als sein Stellvertreter bestätigt. Als Beisitzer_innen wurden Anne Schnerrer und Benjamin Kees (beide Berlin) und Michael Ahlmann (Bremen) neu gewählt und die bisherigen Mitglieder Sylvia Johnigk, Hans-Jörg Kreowski, Kai Nothdurft, Rainer Rehak, Jens Rinne, Britta Schinzel, Ingrid Schlagheck, Werner Winzerling und Eberhard Zehendner bestätigt.

Stefan Hügel

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2016/1 Forschen für den Frieden, Seite 58–59