Kommt eine neue Rüstungswelle?
von Alexander S. Neu
Vor wenigen Monaten verabschiedete der Deutsche Bundestag den Haushaltsplan 2015 der Bundesregierung. Nach dem Budget für »Arbeit und Soziales« ist der Etat für »Verteidigung« mit 32,3 Mrd. Euro der zweitgrößte Posten.
Tatsächlich dürften die Militärausgaben aber noch deutlich über diesen 32 Mrd. Euro liegen. Vieles wird versteckt: militärische Forschung im Etat für Wissenschaft und Forschung, Ausgaben für verletzte oder traumatisierte Soldaten im Sozialetat usw. Legt man NATO-Kriterien zugrunde – die anderen sind da etwas ehrlicher als wir –, hat der deutsche Militäretat eine Höhe von 35,1 Mrd. Euro. Dass ergibt umgerechnet auf 82 Mio. Einwohner ca. 440 Euro pro Person. Eine vierköpfige Familie zahlt also im Durchschnitt 1.760 Euro im Jahr für die Bundeswehr.
Von diesen 35,1 Mrd. Euro sind ungefähr 6,2 Mrd. Euro für »verteidigungsinvestive« Ausgaben, also Rüstungsausgaben, verplant. Die laufenden Kosten für die gegenwärtigen Auslandseinsätze der Bundeswehr sind 2015 dagegen vergleichsweise gering. Für diesen Posten sind nach dem Abzug des größten Teils der BundeswehrsoldatInnen aus Afghanistan noch 500 Millionen Euro vorgesehen. Trotz der hohen jährlichen Investitionen geriet das militärische Großgerät der Bundeswehr im Herbst letzten Jahres wieder einmal in die Schlagzeilen. Solche Debatten begleiten die Bundeswehr seit Jahrzehnten: Es ging im Wesentlichen um jahrelange Verzögerungen bei der Auslieferung, um unvorstellbare Kostenexplosionen und um mangelnde Leistungsfähigkeiten. Diesmal stand die Nichteinsatzfähigkeit eines großen Teils des schweren militärischen Geräts im Mittelpunkt.
Ich hatte Anfang Januar 2014 eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet mit dem Titel »Kostenentwicklung bei Großwaffensystemen« (Drucksache 18/336). Es ging speziell um neun Beschaffungsprojekte, u.a. Eurofighter und A400M. Die Beantwortung der Fragen hätte eigentlich kein Problem sein dürfen. Die Aufgabe stellte sich für die Bundesregierung jedoch als äußerst schwierig dar, da in der Vergangenheit offensichtlich die Rüstungsverträge, Kostensteigerungen etc. der verschiedenen Projekte nicht in ein einheitliches Analyse- und Bewertungssystem eingepflegt wurden. Für diese Annahme spricht auch, dass Verteidigungsministerin von der Leyen just in diesem Zeitraum ein »Rüstungsboard« eingerichtet hat. Dieses sollte den Entwicklungs- und Beschaffungszustand, Risiken und Probleme von 15 Beschaffungsprojekten in je eigenen »Statusberichten« darstellen.
Auf den Tag genau zeitgleich mit der Antwort auf meine Kleine Anfrage (Drucksache 18/650), ging die Ministerin am 20. Februar in die Offensive und verkündete: Erstens könne sie die »Statusberichte« nicht abnehmen, da sie unzureichend seien, und sie ziehe diesbezüglich personelle Konsequenzen im Verteidigungsministerium. Zweitens werde sie eine externe Unternehmensberatung beauftragen, bis Oktober 2014 einige laufende Rüstungsprojekte zu untersuchen.
Die Unternehmensberatung KPMG erhielt dann auch den Auftrag, das zu untersuchen, was im Wesentlichen Gegenstand meiner Kleinen Anfrage war: KPMG sollte einen seriösen und systematisierten Überblick über die Entwicklung und Beschaffung ausgesuchter Projekte erstellen, weil das Verteidigungsministerium selbst dazu offensichtlich nicht in Lage war. Der Rüstungslobbyist Adamowitsch kommentiert das in der Frankfurter Rundschau (9.10.2014): „Da ist in 60 Jahren im Ministerium ein System entstanden, das keiner mehr beherrscht.“
Die Unternehmensberatung lieferte ihr Ergebnis im September 2014. Ihrem Bericht zufolge waren u.a. einsatzfähig: ein Viertel der Hubschrauber der Marken Tiger, Marder und Sea King, deutlich weniger als die Hälfte der Tornados, Eurofighter und C160-Transall-Transportflugzeuge. Das gleiche Bild bei den Korvetten, den Marder-Panzern und den Truppentransporten Boxer.
Im gleichen Monat, als diese Zahlen veröffentlicht wurden, bekräftigten die NATO-Mitgliedstaaten auf ihrem Gipfel in Wales ihren Willen, die Militärausgaben auf zwei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Deutschlands Militärhaushalt liegt derzeit bei ca. 1,3 Prozent des BIP. Ein Anstieg auf zwei Prozent hieße für Deutschland – auf der Grundlage des BIP des Jahres 2013 in Höhe von 2,8 Billionen Euro – ein Anstieg um 21 Mrd. Euro auf 56 Mrd. Euro. Angesichts der Haushaltskrise in etlichen NATO-Mitgliedstaaten ist die Zahl von zwei Prozent für viele illusorisch. Die Bundesregierung aber scheint dem Beschluss mittelfristig nachkommen zu wollen. Er wäre kaum gegen das Votum der deutschen Regierung gefasst worden, und es gibt zahlreiche Hinweise, dass der Militärhaushalt ab 2016 stufenweise angehoben werden soll. Da dies nicht sonderlich populär ist, bietet die westlich-russische Krise der Bundesregierung eine ausgezeichnete Gelegenheit, der Öffentlichkeit die Notwendigkeit, ja sogar die Alternativlosigkeit, einer Aufrüstung und Modernisierung der Bundeswehr zu verkaufen.
Sehr gut passen da die Berichte über marodes militärisches Großgerät. An einen Zufall scheint selbst die Frankfurter Allgemeine Zeitung (30.09.2014) nicht zu glauben: „Diese Materialkrise hätte die Bundeswehr kaum zu einem günstigeren Zeitpunkt treffen können. Das sicherheitspolitische Empfinden in Deutschland ist durch die Gewalt im Nahen Osten und in der Ukraine gereizt wie nie seit dem 11. September 2001, der Wille zur Zusammenarbeit in Rüstungsvorhaben und militärischen Einsätzen in der NATO stärker denn je seit dem Ende des Kalten Krieges […] Daher könnte aus der aktuellen Krise binnen eines Jahrzehnts eine Bundeswehr entstehen, die besser und verlässlicher ausgerüstet ist als heute.“
Die Berichte über nicht einsatzfähiges militärisches Großmaterial sind mit viel Vorsicht zu genießen. Wie schreibt der oben zitierte Rüstungslobbyist Adamowitsch: „Wir müssen aufpassen, dass der Zustand der Bundeswehr nicht zu schlecht geredet wird.“ In der Neuen Zürcher Zeitung wird am gleichen Tag das Ganze als „Pseudodebatte“ bezeichnet und darauf verwiesen, dass es keinerlei Hinweis darauf gebe, dass „die Einsatzfähigkeit [der Bundeswehr] […] ernsthaft gefährdet ist“.
Da bleibt die Frage: Wozu soll dann die Bundeswehr „besser und verlässlicher ausgerüstet“ werden?
„Eine unmittelbare territoriale Bedrohung Mitteleuropas und damit Deutschlands mit konventionellen militärischen Mitteln besteht heute nicht mehr. Das wird angesichts des erweiterten europäischen Sicherheits- und Stabilitätsraumes und der erkennbaren Fortschritte in der Zusammenarbeit mit Russland auf absehbare Zukunft auch so bleiben.“ Zu diesem Schluss kam der »Bericht des Generalinspekteurs der Bundeswehr zum Prüfauftrag aus der Kabinettsklausur vom 7. Juni 2010«, der im September 2010 vorgelegt wurde. Andere sprachen schon mal davon, dass wir seit 1990 von Freunden umzingelt seien.
Von Fortschritten in der Zusammenarbeit mit Russland können wir heute natürlich nicht mehr sprechen. Aber wenn die Zusammenarbeit mit Russland in den letzten Jahren schweren Schaden genommen hat, so liegt das sicher nicht nur an einer Seite. Der Krim ging schließlich die westliche Unterstützung bei der Zerschlagung Jugoslawiens, eine NATO-Osterweiterung und eine sehr expansive Politik westlicher Länder – nicht nur in der Ukraine – voraus. Allerdings lassen sich diese Probleme mit Sicherheit nicht militärisch lösen.
Hinter den Beschaffungsprogrammen der Bundeswehr stand und steht denn auch keine Bedrohung von außen. Der tiefere Grund, warum sämtliche Bundesregierungen nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, ob CDU/CSU–FDP, SPD-Grüne oder CDU/CSU-SPD, an den Großrüstungsprojekten bis heute festhielten, liegt in den zunehmenden Ambitionen Deutschlands auf der weltpolitischen Bühne.
Das wird auch in dem oben genannten Bericht von Generalinspekteur Wieker deutlich:
„Die geostrategische Lage in der Mitte Europas, die weltweite Verflechtung als Handels- und Industrienation ebenso wie die internationalen Verpflichtungen, die insbesondere aus der Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen, der NATO und der Europäischen Union erwachsen, setzen den Rahmen deutscher Sicherheitspolitik.
Zu den deutschen Sicherheitsinteressen gehören,
- […] regionalen Krisen und Konflikten, die Deutschlands Sicherheit und Interessen beeinträchtigen können, vorzubeugen und zur internationalen Krisenbewältigung beizutragen,
- globalen Herausforderungen, vor allem der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus und der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen zu begegnen,
- den freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage unseres Wohlstands zu fördern und zu schützen, […].
Ziel deutscher Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist – auf der Grundlage unserer Werte und in Umsetzung unserer Interessen – die Sicherung von Frieden, Freiheit und Wohlstand unserer Bürgerinnen und Bürger.
Die Verwirklichung dieser Ziele und die Wahrung unserer Interessen erfordert eine kontinuierliche Überprüfung und Anpassung der sicherheitspolitischen Instrumente.“
Der schönen Worte entkleidet heißt das: Wir brauchen zur Sicherung unseres welt- oder machtpolitischen Anspruchs, unseres Lebensstandards, unserer politischen und wirtschaftlichen Interessen eine effektive, schlagkräftige und schnell verlegbare Armee. Die Fähigkeiten für eine Interventionsarmee sollen weiter ausgebaut werden; als Symbol dafür steht der strategische Transportflieger A400M.
Gleichzeitig greifen Politiker – vor allem aus der CDU/CSU – wieder in die Mottenkiste der Militärpolitik aus Zeiten des Kalten Krieges. Angesichts des »russischen Bären« wollen sie auch die Panzerflotte wieder aufrüsten. Der Bestand an »Leopard 2«-Kampfpanzern beträgt noch rund 230 Stück; der soll nach dem Willen der CDU/CSU ergänzt werden um eine modernisierte Variante (gleichsam »Leopard 3«). Beschlossen hat das Verteidigungsministerium bereits den Kauf von 131 zusätzlichen Radpanzern des Typs »Boxer« im Wert von ca. 620 Mio. Euro.
Schwarze Null hin, schwarze Null her, wenn es um Rüstungsgeschäfte geht, scheinen die Steuergelder locker zu sitzen, gespart werden muss dann woanders.
Hätte die Bundesregierung die Auslandseinsätze der Bundeswehr evaluiert, hätte sie zu der Erkenntnis kommen müssen, dass in keinem einzigen Krieg der letzten Jahre die anfangs gesetzten Ziele erreicht wurden. Auf all die großen militärischen Interventionen folgte das Chaos in den betroffenen Ländern, so in Irak oder Libyen, und in Afghanistan wird es nicht anders sein.
Das unterstreicht eindringlich: Wir brauchen weder eine weltweit operierende Interventionsarmee noch eine neue »Panzerarmee« für den europäischen Kontinent. Statt Militarisierung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik brauchen wir eine Politik der Konfliktprävention und zivilen Konfliktbearbeitung, eine Politik der Verständigung.
Dr. Alexander S. Neu, Mitglied des Bundestages, ist Obmann im Verteidigungsausschuss der Fraktion DIE LINKE.