W&F 2016/1

»konferenz von unten«

Ein Streitgespräch

vom Organisationsteam der »konferenz von unten«

Ist die Friedens- und Konfliktforschung (FuK) elitär, der Praxis ihrer postkolonialen Kritiken enthoben und ausschließend? Als Studierende der Universität Marburg woll(t)en wir uns damit auseinandersetzen, inwiefern »alternative« Räume geschaffen werden können, die Möglichkeiten bieten, »Mittäter*innenschaft« in Machtstrukturen kreativ zu bearbeiten. Ein Versuch dazu war die erste »konferenz von unten« (kvu), die vom 23. bis 25. Oktober 2015 in Marburg stattfand. Konnten wir unserem eigenen Anspruch mit der »konferenz von unten« gerecht werden? Da wir als Organisationsteam immer noch dabei sind, über diese Fragen nachzudenken und Antworten darauf zu finden, haben wir uns dazu entschieden, die Reflexion über die kvu als fiktives Streitgespräch zu verfassen, um so unterschiedliche Meinungen widerzuspiegeln.

Ein Gedanke: Die FuK könnte so viel weiter sein. Denn im Laufe unserer jeweiligen – insgesamt sehr diversen – Studienbiographien sind uns, den Organisator*innen der kvu, viele spannende Perspektiven begegnet – auch in der FuK.

Anderer Gedanke: Was meint denn »divers«? Sind unsere Studienbiographien wirklich so divers? Vielleicht kommen einige von uns aus unterschiedlichen Fächern, aber fast alle dieser Fächer sind geisteswissenschaftlich geprägt, und wir studieren zusammen unter ähnlichen Voraussetzungen: finanziell mindestens minimal abgesichert, ein deutscher Pass und ein soziales Umfeld, das uns unterstützt; ein hauptsächlich studentischer Freundeskreis, Familien vor allem aus dem Bildungsmilieu, WGs als Wohnform, Aktivitäten in studentischen und politischen Gruppen.

Ein Gedanke: Und obendrein entsprechen die Hauptlinien der Forschung – also das, was uns beigebracht wird – im Gros einem liberalen Projekt. Hinter dem vermeintlichen Konsens, dass »wir« alle für »das Gute« einstehen, verstecken sich eine unreflektierte Haltung zur und ein unreflektierter Umgang mit der eigenen Position. Auch die FuK schafft und verstetigt bestehende Macht-, Ungleichheits- und Unterdrückungsstrukturen.

Anderer Gedanke: Aber wer ist denn genau »die« FuK? Studierende, Lehrende, Forschung, Inhalte, Seminare … können wir die wirklich derart vereinheitlichen? Müsste das nicht alles viel differenzierter dargestellt werden? Wenn wir eine kritische Perspektive ernst nehmen wollten, müssen wir auch die Unterschiede zwischen den Instituten etc. benennen. So stellt sich zumindest die Frage, ob sich einige Personen und/oder Inhalte nicht bereits kritisch mit den eigenen Positionen auseinandersetzen.

Ein Gedanke: Selbst wenn Lehre und Forschung in der FuK Angebote machen, die es ermöglichen, kapitalismuskritische, feministische und postkoloniale Perspektiven einzubringen, eifern diese Beiträge der Wettbewerbs- und Herrschaftslogik des immer Neuen hinterher: neue Begriffe, hochgradig elitär verklausulierte Ideen, etc. In diesen Perspektiven steckt aber andererseits so viel emanzipatorisches Potenzial, das hier ungenutzt bleibt und nicht in die Praxis umgesetzt wird. Wir setzen uns in Seminaren und in der Forschung auf theoretischer Ebene mit unserer gesellschaftlichen Positionierung auseinander und kritisieren die Ausnutzung von Privilegien – und im selben Moment verbleiben Studierende und Dozierende oft in ihren starren Rollen und Hierarchien: Der*die Dozent*in tritt als Expert*in von kritischen Wissensbeständen auf, die Studierenden ziehen sich zurück in ihre Rolle als passive Wissensempfänger*innen.1

Anderer Gedanke: Genau das trifft insbesondere auf wissenschaftliche Konferenzen zu. Zudem sollte einmal mehr angemerkt werden, dass Seminare sehr unterschiedlich sind und es vereinzelt Ansätze gibt, Hierarchien aufzubrechen.

Weiterer Gedanke: Ja, stimmt. Und dennoch bleibt der Eindruck bestehen, dass – insbesondere bei Konferenzen – Diskussionen formal gefragt, aber eigentlich nicht erwünscht sind. Verschiedenste Barrieren erschweren einen konstruktiven, ehrlichen, selbstkritischen Austausch. So herrschen zum Beispiel verinnerlichte hierarchische Diskussionsregeln vor, durch die der Inszenierung der Konferenz Vorrang vor ihrem Inhalt gegeben wird. Welche Studierenden, geschweige denn Menschen von außerhalb der Wissenschaftsinstitutionen, trauen sich überhaupt, an solchen Veranstaltungen teilzunehmen oder gar interessierte Fragen zu stellen? Diese kollektive Selbstbeweihräucherung, Zirkelbildung, Elitensalons hinter ach so offenen Türen wollten wir in Frage stellen.

Die »konferenz von unten« – konfliktiv, mächtig, kreativ?

Ein Gedanke: Die Idee der »konferenz von unten« war es, einen Raum zu schaffen, der offen sein sollte für kritische Themen, für einen hierarchiereduzierten Austausch sowie für andere Formen der Wissensvermittlung und -aneignung. Realisieren wollten wir dies einerseits über sonst weniger berücksichtigte Methoden der Konferenzgestaltung (d.h. interaktive Workshops anstatt Panels und Frontalvorträge) und andererseits durch das Zulassen und Annehmen von Fragen, Zweifel, Spontanität und der Möglichkeit des Nichtverstehens.2

Anderer Gedanke: Und gleichzeitig war uns von Beginn an klar, dass eine Realisierung dessen im eigentlichen Sinne vielleicht gar nicht möglich ist, dass die Konferenz nur ein Versuch, ein Anfang sein kann, der an Grenzen stoßen würde.

Ein Gedanke: Unser Ziel (und ja, vielleicht auch die Illusion) war es, Menschen von innerhalb und außerhalb des Wissenschaftsbetriebs sowie Menschen aus weniger privilegierten genauso wie aus machtvollen Positionen einzuladen und zum gemeinsamen Austausch über Themen der Friedens- und Konfliktforschung zu ermutigen. Dabei wollten wir uns verschiedensten Fragen widmen: Was machen wir mit den Erkenntnissen der FuK? Wozu kann FuK dienen? Was bedeutet es, FuK zu studieren und damit zu arbeiten? Inwieweit ist die FuK Teil der Gesellschaft und der Ausschlüsse, die diese Gesellschaft produziert? Inwiefern machen wir uns damit zu Mittäter*innen dieser Strukturen, und wo bestehen Möglichkeiten der Kritik und Emanzipation? Unter dem Titel »Konflikt. Macht. Kreativität. Kritische Perspektiven in der Friedens- und Konfliktforschung« luden wir über verschiedene soziale Netzwerke, Mailing-Listen, studentische, universitäre und/oder aktivistische Kreise dazu ein, sich an der Konferenz zu beteiligen. Wir versuchten, die Konferenz möglichst barrierefrei, offen, interaktiv, hierarchiefrei und unabhängig, transparent und selbstkritisch zu gestalten, zum Beispiel durch offene Workshopformate, das Fehlen eines Teilnehmendenbeitrags, rollstuhlgerechten Zugang zu Räumlichkeiten, ein »Parkplatz-Team« für konkretes und akutes Unwohlsein sowie bei Problemen mit Äußerungen oder Themen, Kinderbetreuung, das Wochenendformat für arbeitende Menschen sowie die Alte Mensa als ein offener Raum, der nicht in erster Linie der Universität zugehörig ist.

Anderer Gedanke: Auch Kritik kann elitär sein, kann Ausschluss erzeugen und könnte in vielem so viel weiter sein. Schon angefangen bei der Sprache: Gerade beim Verfassen dieses Artikels ist mal wieder aufgefallen, dass es oft schwer fällt, komplexe Inhalte verständlich auszudrücken, denn nicht alles lässt sich ohne das entsprechende Vokabular in gleicher Weise formulieren. Und eigentlich sollte doch gerade dieser Artikel seinem eigenen Anspruch gerecht werden. oder?

Ein Gedanke: Durch ihre Struktur und Durchführung haben es einige Workshops möglich gemacht, sich nicht nur aufs Denken und Sprechen zu konzentrieren. Durch beispielsweise einen Theaterworkshop, ein Rollenspiel und filmisch-visuelle Beiträge wurden Emotionalität sowie körperliche Erfahrungen zugelassen und ein unkonventionelles Verstehen ermöglicht. Das gemeinschaftliche Gestalten und Erleben haben die kvu zu diesem offenen Raum werden lassen. Denn nicht im Verleugnen von Differenzen, Macht und Dissens, sondern im Begegnen und gemeinsamen Ringen kann Öffnung erst realisiert werden. Gleichzeitig ist die Konferenz – trotz des positiven Feedbacks – nicht erhaben über jeglichen Zweifel bezüglich der angestrebten Offenheit und Ziele.

Anderer Gedanke: Stimmt. Im Gegenteil: Zweifel war und ist eigentlich allgegenwärtiger Bestandteil der kvu, Selbstkritik eine unverzichtbare und ständige Begleiterin. In langwierigen Diskussionen vor und während der Konferenz haben wir versucht, unsere eigenen Ausschlüsse von bestimmten Menschen und bestimmten Perspektiven sowie unsere – vielleicht auch heimliche, weil nicht bewusste – Unterstützung der bestehenden Machtverhältnisse aufzudecken und zu verhandeln. Welche Ausschlüsse meinen wir? Na ja, sehen wir uns allein die relativ homogene Zusammensetzung der Teilnehmenden an: größtenteils Studierende, denen es möglich ist, eine solche Veranstaltung unentgeltlich in ihrer freien Zeit zu organisieren, die oft akademische Sprache (was mit diesem Artikel wieder einmal bewiesen wurde), vorausgesetztes »Fachvokabular« und »Expert*innenwissen« sowie die immer noch (für viele Menschen zurecht abschreckende) begrenzte Interaktivität einiger »klassischer« Beiträge (in Form von Vorträgen). Wir haben Menschen und Perspektiven ausgeschlossen, die nicht an unsere deutschsprachigen Diskussionen anknüpfen konnten, weil wir keine Übersetzungen anbieten konnten. Allein über unsere Werbung für Beiträge und Teilnahme über bestimmte (vor allem studentische) Kanäle haben wir unzählige Ausschlüsse produziert. Warum haben wir es nicht geschafft, mehr Schnittstellen mit Menschen aus der Praxis herzustellen, damit sie ihre Perspektiven in unseren Austausch hätten einbringen können? Und weil die verschiedenen Ausschließungen in uns allen derart verankert sind, haben wir, die wir an der Konferenz teilgenommen, mitgewirkt und die unterschiedlichen Themen dort miteinander verhandelt haben, wiederum konkret Ausschlüsse reproduziert.

Die »konferenz von unten« und ihre Kinder

Ein Gedanke: Am Ende der Konferenz frag(t)en wir uns: Wie funktioniert eine fruchtbare Verbindung von kritischer Wissenschaft und politischem Aktivismus? Wie verhindern wir ein Auseinanderdriften von kritischer Theorie und kritischer Praxis in späteren (Lohn-) Arbeitsverhältnissen? Was können neue Orte der Wissensvermittlung außerhalb der Universität sein? Was kann Konkretes aus der Vielfalt einer solchen Konferenz erwachsen? Kann eine Konferenz als Format bereits Widerstand sein?

Anderer Gedanke: Es ist bemerkenswert, dass die Gedanken, Methoden und Möglichkeiten, die während der kvu ausprobiert wurden, an Universitäten oft nicht ausreichend integriert werden. Sind doch zum Beispiel einige der Methoden und Inhalte (interaktive Elemente, das gemeinsame Erarbeiten von Wissen, generell das Hinterfragen der eigenen Position und das Offenlegen der eigenen Privilegien sowie das Ziel eines achtsamen Umgangs miteinander) in der Bildungsarbeit, aber auch in bestimmten (herrschaftskritischen) politischen Praktiken sehr viel präsenter.

Weiterer Gedanke: Bemerkenswert? Sind dies denn überhaupt repräsentative Wünsche der Mehrheit der FuK-Studierenden? Sind nicht viele vollkommen zufrieden damit, in einem – im Vergleich zu anderen Studiengängen – relativ kritischen Umfeld zu studieren? Und was ist mit dem Wunsch und vielleicht auch mit der Strategie, vom wissenschaftlichen Mainstream in der Friedens- und Konfliktforschung ernst genommen zu werden, um auf diese Weise Veränderungen herbeizuführen? Wir sollten uns fragen, für wen wir hier sprechen, ob wir überhaupt für irgendwen anders als uns selbst sprechen können, wollen und dürfen.

Ein Gedanke: Diese Fragen bleiben Bestandteil eines nicht abschließbaren Reflexionsprozesses. Schon der Titel der Veranstaltung, »konferenz von unten«, erscheint im breiteren gesellschaftlichen Verständnis etwas zynisch. Wir haben uns diesen Begriff angeeignet, aber mit welcher Berechtigung?

Anderer Gedanke: Und trotzdem ist doch der Titel – relativ gesehen und auf die Wissenschaft bezogen – immer noch richtig. Was sonst ist denn »von unten«, wenn nicht Perspektiven, die (noch) nicht im Mainstream-Wissenschaftsdiskurs angekommen sind und eventuell das Potenzial haben, diesen herauszufordern?

Ein Gedanke: Es bleibt offen, welche tatsächlichen Auswirkungen solche Konferenzformate auf die Teilnehmenden und die Friedens- und Konfliktforschung im Allgemeinen haben (können). Unser Wunsch nach einer offenen und selbstkritischen Wissenschaft bleibt auch nach und aufgrund der »konferenz von unten« bestehen.

Anderer Gedanke: Die aufgeworfene Kritik und der Versuch der Selbstreflexion sind gut und wichtig, aber wohin führt uns das? Unsere Erziehung, Sozialisierung und (Aus-) Bildung hinterlassen ihre Spuren: Offene Fragen, unauflösbare Spannungen erscheinen oft als Mangel, so etwas sollte es nicht geben. Wir brauchen immer und am besten sofort Antworten und Lösungen. Denn sonst fühlen wir uns nicht Mensch, denn mensch3 tut immer etwas oder weiß immer, was zu tun ist. Aber vielleicht ist das schon Teil des Problems. Und warum immer diese Trennung zwischen (selbstkritischem Nach-) Denken und Handeln? Ja, die Spannungen und Fragen ohne Antworten fühlen sich nicht gut an – und doch ist dieses Unwohlsein vielleicht notwendig, schafft vielleicht anders, gemeinsam verhandelte, sozusagen »langsame Antworten«. Was für uns dabei konkret bleibt, ist der ständige Versuch, die aufgeworfenen Fragen zu thematisieren. Auf diese Weise setzen wir diese letztlich in eine kritische Praxis um, oder?

… to be continued …

Wir freuen uns auf die »konferenz von unten« 2017 und auf andere Vorhaben, kritische Inhalte umzusetzen!

Anmerkungen

1) Übrigens betrifft dieses Phänomen auch die Seminare mit konservativen Inhalten, wobei hier ja vielleicht Form gleich Inhalt sein soll.

2) Das vollständige Programm ist online auf unserer Homepage zu finden: konferenzvonunten.wordpress.com.

3) Wir wollen »mensch« als alleinständigen Ausdruck verteidigen. Sprachwissenschaftlich wird darüber gestritten, ob »man« von Mann abstammt und daher eine Abwandlung Sinn macht oder nicht, jedoch verstehen wir – die wir diesen Text geschrieben haben – »mensch« als einen politischen Ausdruck, der den hegemonialen Sprachgebrauch gendersensibler gestalten soll, erstmal provoziert und deshalb zum Nachdenken anregt.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2016/1 Forschen für den Frieden, Seite 24–26