W&F 2020/2

Konflikt findet Stadt

Jahrestagung der Plattform ZKB, 6.-8. März 2020, Loccum

von Ute Finkch-Krämer

Die diesjährige Jahrestagung der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung hatte das Thema »Konflikt findet Stadt. Was kann kommunale Konfliktbearbeitung leisten?«. Zwei Tage lang diskutierten Aktive der Plattform und ihrer Mitgliedsorganisationen mit Polizist*innen, Vertreter*innen von Kommunalbehörden und Wissenschaftler*innen über dieses Thema. Bemerkenswert und erfreulich war, dass über die geladenen Referent*innen hinaus Polizist*innen und Vertreter*innen von Kommunalbehörden zur Tagung gekommen waren und sich aktiv an der Diskussion beteiligten. Trotz einiger krankheitsbedingter Absagen waren etwa 75 Teilnehmer*innen in Loccum, die auch außerhalb des offiziellen Programms intensiv miteinander diskutierten. Was die Teilnehmenden Anfang März erst ahnen konnten: Es war eine der, wenn nicht sogar die letzte friedenspolitische Tagung dieses Frühjahrs, die noch im gewohnten Format stattfinden konnte (wenn auch mit ersten Maßnahmen zum Infektionsschutz, wie dem Verzicht auf Händeschütteln).

Es wurden konkrete Beispiele kommunaler Konfliktbearbeitung aus dem In- und Ausland vorgestellt, verschiedene Konfliktbegriffe gegeneinander abgewogen und die jeweiligen Konfliktursachen betrachtet. Während in den ausländischen Beispielen (Beirut, Nordostsyrien, Mostar) der Umgang mit Krieg, Bürgerkrieg und politisch motivierter Gewalt sowie der Umgang mit knappen lebensnotwendigen Ressour­cen im Vordergrund standen, waren bei den deutschen Beispielen personelle Konflikte in Familie, Schule und Nachbarschaft, Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum und der oft frappierende Unterschied zwischen gefühlter und tatsächlicher Sicherheit auf öffentlichen Plätzen im Fokus.

In allen vorgestellten Beispielen war das explizit oder implizit formulierte Ziel, Gewalt zu verringern, Menschen zur kon­struktiven Konfliktaustragung zu befähigen und die Gestaltung und Nutzung des öffentlichen Raums so zu gestalten, dass Bürgerinnen und Bürger aktiv in die Entscheidungen einbezogen werden und sich alle Bewohner*innen einer Kommune oder eines Stadtviertels im öffentlichen Raum gerne und angstfrei aufhalten und ihn nach ihren Bedürfnissen nutzen können. Dazu gehört insbesondere, dass niemand ausgegrenzt wird und öffentliche Räume tatsächlich öffentlich bleiben und nicht in private Räume mit privatem Hausrecht umgewandelt werden.

Nicht zu unterschätzen sind neben den Konflikten innerhalb von oder zwischen verschiedenen Gruppen innerhalb der Kommune oder des Stadtteils Konflikte zwischen Bürger*innen und Verwaltung oder zwischen verschiedenen Bereichen der Verwaltung. Die parteipolitische Instrumentalisierung von Konflikten erschwert die Bearbeitung manchmal zusätzlich. Die Frage, ob ehrenamtliche Gemeinderäte mit ihren zunehmend komplexer werdenden Aufgaben überfordert sind, stand auch im Raum. Ebenfalls mit bedacht werden muss, dass es unterschiedliche Rollen gibt – »manche Dinge kann nur die Polizei machen« (z.B. Strafverfolgung), für andere sind Beschlüsse des Gemeinderats oder des Stadtrats notwendig.

Vor allem, aber nicht nur, an den Beispielen aus Beirut, Mostar und Nordostsyrien wurde deutlich, dass Städte und Kommunen viele Konfliktursachen nicht direkt beeinflussen können. Dazu gehören insbesondere die Auswirkungen gesamtstaatlicher oder internationaler Machtkonflikte, extreme soziale Ungerechtigkeiten, die durch das jeweilige Wirtschaftssystem hervorgerufen und aufrecht erhalten werden, Flucht und Migration sowie begrenzte finanzielle Ressourcen bei einer Vielzahl von staatlichen und gesellschaftlichen Aufgaben, die auf kommunaler Ebene bewältigt werden müssen, von Verkehrs­infrastruktur über Wohnungsbau bis zu Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen. Auch wenn insgesamt überwiegend über die Möglichkeiten von Konfliktbearbeitung in Kommunen in Deutschland diskutiert wurde, war dieser Aspekt wichtig. Denn auch in Deutschland werden auf kommunaler Ebene Konflikte sichtbar, die ihre Ursache außerhalb der Kommune haben. Der Blick auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede der kommunalen Konfliktbearbeitung im Inland und in klassischen Partnerländern der Entwicklungszusammenarbeit wurde auch durch ein Projektbeispiel von EIRENE deutlich. Im Projekt »Starke Nachbar_innen – Konfliktfähiges Zusammenleben von und mit Geflüchteten« wurde in der Region, in der die Geschäftsstelle von EIRENE ihren Sitz hat (Neuwied), mit einem ähnlichen Ansatz gearbeitet wie sonst in den internationalen Projekten von EIRENE, einschließlich einer externen Evaluation nach den gleichen Kriterien.1

Durch die Podiumsbeiträge von Expert*innen aus den Bereichen Städtegeografie und Stadtplanung wurde deutlich, wie langfristig die Auswirkungen stadtplanerischer Entscheidungen sind. Viele Gebäude, die heute noch genutzt werden, sind vor 100 oder mehr Jahren gebaut worden, was heute gebaut wird, wird voraussichtlich die Städte und Kommunen für die nächsten 100 Jahre prägen. Wegen des Klimawandels muss daher jetzt schon überlegt werden, wie das Stadtklima nicht nur im sozialen, sondern auch im physischen Sinne erträglich bleibt oder wieder erträglich gemacht werden kann. Auch das Interesse an der Nutzung des öffentlichen Raums hat sich verändert und wird sich weiter verändern.

Sehr deutlich wurde, dass Expert*innen für Konfliktbearbeitung im kommunalen Bereich oft erst einbezogen werden, wenn die Probleme den politisch und verwaltungsmäßig Verantwortlichen über den Kopf gewachsen sind: „Niemand gibt gerne zu, dass es in seinem Bereich Konflikte gibt.Und dass zeitlich befristete Projekte Gefahr laufen, die Situation nur vorübergehend zu verbessern, sodass politische Lobbyarbeit für eine dauerhafte Finanzierung dringend notwendig ist. Wohl oder übel müssen bestehende Förderlinien genutzt werden, etwa »Demokratie leben« oder Mittel für die Integration von in den letzten Jahren Geflüchteten. Die Regeln für die entsprechenden Projektanträge erschweren es, ergebnisoffene Beteiligungsprozesse zu initiieren und zu begleiten. Nicht alle Bürger*innen haben die Zeit und die Kraft, sich ehrenamtlich in entsprechenden Projekten zu engagieren; wachsende soziale Ungleichheit verschärft das. Viele Hauptamtliche in den Kommunen, deren Fachkompetenz benötigt wird, haben Schwierigkeiten, die zusätzliche Arbeit mit ihren oft weiter bestehenden Routineaufgaben unter einen Hut zu bekommen. Generell gilt: Menschen kommen nicht zusammen, um Konflikte zu bearbeiten, sondern um gemeinsam etwas zu erreichen.

Trotzdem waren sich die Teilnehmer*innen im Wesentlichen einig, dass das Glas nicht halb leer, sondern halb voll ist. Schon deswegen, weil sichtbar wurde, wie viel Projekterfahrungen und wie viel mit dem Thema befasste Gruppen in Staat, Verwaltung und Fachorganisationen es schon gibt. Dementsprechend fanden sich am letzten Vormittag, der als »Open Space« konzipiert war, zehn Ad-hoc-Arbeitsgruppen zusammen, die fast alle mit konkreten Vereinbarungen zu einer Weiterarbeit ins Abschlussplenum zurückkehrten. Die Themen reichten vom Umgang mit pauschalen Vorurteilen gegen Muslime über die Frage „was kann zivile Konfliktbearbeitung gegen Rasssimus und Rechtsextremismus tun?“ bis hin zu konkreten Vereinbarungen für neue Forschungsarbeiten oder neue kommunale Projekte.

Da das Thema Rechtsextremismus auf Grund der Erkrankung des dafür vorgesehenen Referenten erst im Open Space behandelt werden konnte und sich dazu mit Abstand die größte Gruppe zusammenfand, gab es aus dieser Gruppe heraus eine klare Empfehlung, dass die Plattform ZKB sich auf ihrer nächsten Jahrestagung mit diesem Thema befassen soll, das ganz offensichtlich vielen Menschen auf den Nägeln brennt.

Die Jahrestagung wird von der Evangelischen Akademie Loccum ausführlich dokumentiert werden.

Anmerkung

1) https://eirene.org/sites/default/files/datei/externeevaluationstarkenachbarinnen2017-2019.pdf eingesehen am 12.4.2020

Ute Finkch-Krämer

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2020/2 Frieden begreifen, Seite 52–53