Konflikt – und was hat das mit uns zu tun?
Mit der öffentlichkeitswirksamen Verhaftung von vermutlichen Rechtsterrorist*innen aus dem Reichsbürger*innenspektrum rückte erst vor wenigen Monaten ein Konflikt in Deutschland um die Legitimität der politischen Ordnung wieder mit einem Paukenschlag ins »Licht der Öffentlichkeit«. Mit einem Großaufgebot der Polizei wurden Liegenschaften durchsucht und prominente Festnahmen sickerten schnell durch. Doch wo einerseits die juristischen Aufarbeitungen zunächst abseits der Öffentlichkeit stattfinden und andererseits die öffentliche Neugierde sich im Wesentlichen auf die emotionalen Personenstories der Verhafteten oder die konkreten Vorbereitungspläne erstreckte, gerieten die darin liegenden gesamtgesellschaftlich relevanten Konfliktlinien, vor allem um die empfundene Legitimität der politischen Ordnung, schnell wieder aus dem Fokus.
Ganz ähnlich tendiert auch die deutschsprachige Friedens- und Konfliktforschung im Gros dazu, diesen Konflikten weniger Aufmerksamkeit zu schenken und sich vor allem innergesellschaftlichen Konflikten außerhalb der eigenen Landesgrenzen zu widmen. Dies betrifft auch uns bei W&F – thematisierten wir doch vor fast zehn Jahren zuletzt Konfliktlagen im »Globalen Norden« (Heft 1/2014).
Mit diesem Heft richten wir daher einen kritischen, wenn auch notwendig unabgeschlossenen Blick auf die vielschichtigen Konfliktlagen in unserer eigenen Gesellschaft. Dies soll keineswegs bedeuten, dass sich durch das Studieren dritter Kontexte kein wertvolles Wissen für Konflikttransformationen hierzulande erhalten ließe. Aber es ist notwendig, den Blick auch nach »innen« zu wenden. Die Relevanz zeigt das Konfliktbarometer 2022 des HIIK (vgl. S. 38ff.), das jährlich Staaten in Bezug auf ihre politischen Konflikte untersucht. Es ordnet Deutschland immerhin mit der Intensität »3« ein – von insgesamt »5« Formen von »gewaltsamen Krisen«. Klar wird mit dieser Perspektive, dass Ausbrüche von Gewalt in Deutschland keine Einzelfälle sind, sondern vielmehr frühzeitig als Konfliktlagen in der Gesellschaft anerkannt, bearbeitet und transformiert werden müss(t)en.
Eine der wenigen konfliktwissenschaftlichen Betrachtungen, die das Geschehen hierzulande in den Blick nehmen, sind die sogenannten »Mitte-Studien« der Friedrich-Ebert-Stiftung. Diese untersuchen die demokratiegefährdenden Einstellungen in der deutschen Bevölkerung und heben hervor, dass sich rechtspopulistische Einstellungen in den letzten Jahren verfestigt haben sowie in der Mitte angekommen sind. Die Gefahr einer diskursiven Normalisierung und Homogenisierung von nationalistischen und menschenfeindlichen Positionen in der Gesellschaft ist darin klar benannt.
Die Herausforderung mit der Beschäftigung mit Konflikten in der Gesellschaft ist die augenscheinliche Latenz vieler Konflikte, ihr vermeintliches »Unter-der-Oberfläche-treiben«. Immer wieder, wie im obigen Fall der Rechtsterrorist*innen, richtet sich die gesellschaftliche Aufmerksamkeit erst dann auf einzelne Ereignisse, wenn die Gewalt sichtbar wird – die Konfliktstrukturen, ihre Treiber und ihre Dynamiken aber bleiben weitgehend unangetastet. Dies erhöht auch gleichzeitig die Gefahr, den Zeitpunkt für notwendige Aushandlungsprozesse unter demokratischen Bedingungen zu übersehen. Zudem sind diese Konflikte längst nicht für alle Menschen, gerade nicht für Betroffene, »latent«, gar »unsichtbar«. Sich mit Konflikten in Gesellschaft zu beschäftigen, bedeutet auch, zu fragen, wessen Perspektiven, Kritik, Notrufe für wichtig und anerkennenswert erachtet werden. Denn in der Nichtbeachtung von Konfliktlinien kommen innergesellschaftliche Diskriminierungs- und Machtverhältnisse zum Ausdruck – wie unsere Autor*innen eindrucksvoll zeigen. Durch den Analyserahmen, den der erste Beitrag von Lotta Mayer aufspannt, wird sichtbar, dass es auch um die Frage gehen muss, welche Konflikte thematisiert gehören – und welche aus welchen Gründen nicht thematisiert werden.
Die in diesem Heftschwerpunkt versammelten Beiträge zeigen exemplarisch einige dieser Konfliktlagen und mögliche Transformationspotentiale auf. Es ließen sich nun nahtlos Beispiele zu Klassismus, Armut und Ungleichheit, zu Rassismus und Sexismus, zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Konflikten um die politische Ordnung anschließen. Doch wozu?
Wir meinen, dass es friedenslogisch unabdingbar ist, eine Gesellschaft zu gestalten, in der es selbstverständlich wird, die eigene Involviertheit in Konfliktlagen zu hinterfragen und zu verändern; dass dies alltäglich sowohl strukturell (durch die Organisierung unseres Zusammenlebens) als auch individuell (als Haltungsfrage) ermöglicht wird; und dass sich durch die Sichtbarkeit der strukturellen und machtpolitischen Zwänge auch diese Gewalt transformieren und in Bearbeitung bringen lässt.
Mit diesem Heft wollen wir daher eine vertiefte Auseinandersetzung anregen, sich einen neuen Blick für die uns umgebenden Konflikte und eine Bereitschaft anzueignen, anders hinsehen zu wollen. Dafür wünschen Ihnen eine anregende und diskussionswürdige Lektüre,
Ihre Melanie Hussak, Ulrika Mientus und David Scheuing