W&F 1994/4

Konfliktpotentiale in Südostasien

von Peter Franke

Als größter Erfolg bei dem diesjährigen Treffen der ASEAN-Außenminister in Bangkok gelten die erstmalige Durchführung des »ASEAN Regional Forum« – kurz ARF – zur Behandlung von Sicherheitsfragen in der Region. Die Außenminister der ASEAN-Staaten hatten sich am 25.7.94 mit ihren sogenannten Dialog-Partnern an einen Tisch gesetzt und etwa drei Stunden über Konflikte in der Region unterhalten, insbesondere über die Halbinsel Korea und die Spratly-Inseln1.

Trotz langjähriger Existenz2 der Vereinigung Südostasiatischer Nationen (ASEAN – Thailand, Malaysia, Singapur, Indonesien, Brunei und Philippinen) ist gerade in den letzten Jahren zunehmend das »Bedürfnis« in dieser Region nach mehr Sicherheit gewachsen. Mit Auflösung der Blockkonfrontation ist das klare Feindbild des Kommunismus verschwunden. Man hatte sich bisher darauf verlassen, daß die »rote« Gefahr durch die US-Militärpräsenz in Schach gehalten wird, ganz so, wie es die USA auch in ihrer Pacific-Rim-Strategie seit Ende des 2. Weltkriegs gewollt und durchgesetzt hatten. Alle mehr oder minder vorhandenen Konflikte untereinander3 wurden angesichts einer vermeintlich größeren Bedrohung zurückgestellt. Die USA haben nun in den letzten Jahren ihre Militärpräsenz verringert bzw. Einheiten ganz abgezogen, und es ist ein vermeintliches Machtvakuum entstanden. Militärstrategen der einzelnen Länder glauben, daß dieses »Vakuum« mit mehr eigenem Militär gefüllt werden muß. Dazu ist natürlich eine Ausrüstung mit den neuen Waffensystemen nötig, die von der kränkelnden Rüstungsindustrie der USA, Europas und einer Reihe von ehemaligen Ostblockstaaten wohlfeil angeboten worden4. Bei den anhaltend hohen Wirtschaftswachstumsraten in Thailand, Malaysia, Singapur und Indonesien meinen die Regierungen, sich mehr Waffen leisten zu können und zu müssen.

Die wachsende Aufrüstung aller ASEAN-Länder mit sogenannten »Offensiv-Waffen«, also solchen, die weit über die reine <>Landesgrenzen-Verteidigungszwecke<> hinausgehen, ist in den letzten Jahren offensichtlich. Mit welchen besonderen Konfliktpotentialen haben wir es also heute in der Region Südostasien bzw. Asien-Pazifik zu tun? Wo liegen andererseits als Gegengewicht die Ansätze von multilateraler und bilateraler Kooperation?

Die Konfliktpotentiale sind sehr unterschiedlicher Natur und unterschiedlichen Ursprungs. Die geographischen Gegebenheiten sind ein wesentlicher Faktor. Ein Blick auf die Karte macht deutlich, daß alle Seewege und wichtigen Handelsrouten zwischen Europa und Ostasien – d.h. China, Taiwan, Korea und Japan – durch das Malaiische Archipel führen, mit den Ländern Indonesien, Malaysia, Singapur, Brunei und den Philippinen.

Die Kontrolle der Seewege nach Ostasien

Mit Beginn des Übersee- und Welthandels ist die Kontrolle der Seewege nach Ostasien immer ein entscheidender Faktor zur Ausübung einer Vorherrschaft in der Region gewesen. In der Kolonialzeit haben sich die europäischen Mächte Spanien, Niederlande, England und Frankreich in ihren expansiven Bestrebungen immer wieder um die Kontrolle der Seewege, insbesondere der Straße von Malakka, bemüht. England hat allein zu diesem Zweck 1815 auf der Insel vor der südlichsten Spitze der malaiischen Halbinsel Singapur als Handels- und Marinestützpunkt gegründet. Bis zur Eroberung Singapurs durch die Japaner im 2. Weltkrieg vom Land aus – denn von See her war es nicht einzunehmen – war es der Schlüssel zur britischen Vorherrschaft im malaiischen Archipel.

Nach dem 2. Weltkrieg übernahmen die USA die Aufgabe der Freihaltung der Seewege in Südostasien im Namen des reibungslosen, freien (kapitalistischen) Welthandels. Es war vor allem ihre z.T. gewalttätige, antikommunistische Politik, unterstützt von den Briten und Franzosen, die die Einführung und Durchsetzung des kapitalistischen Wirtschaftssystems ermöglichte. Heute sind die südostasiatischen Länder, allen voran die ASEAN-Staaten, vollständig, wenn auch noch vergleichsweise kleine, aber eigenständige Akteure im Welthandel geworden. Der teilweise militärische Rückzug der USA aus der Region ermöglicht den Staaten mehr oder minder selber, unter Ausschluß der jeweils anderen Staaten, aktiv eine Kontrolle über die Seewege auszuüben. Eine Schliessung der Seewege für den internationalen Seeverkehr kann zu Konflikten nicht nur mit Ländern innerhalb der Region Südostasien, sondern auch mit weiter entfernten Ländern wie Japan, Korea oder dem Nahen Osten führen, die auf die Verschiffung ihrer Exportprodukte durch das Malaiische Archipel hindurch angewiesen sind.

Eine Schlüsselrolle kommt dabei Indonesien zu. Sein Territorium bildet praktisch eine Barriere zwischen Festlandasien und Australien. Ferner ist es mit über 180 Mio. Menschen das größte Land in Südostasien. Die indonesische Regierung kann zum Beispiel allein mit der Schließung der Lombok- und Sunda-Straße für den internationalen Seeverkehr den Welthandel empfindlich treffen. Sie hatte das 1988 bereits einmal mit der Begründung versucht, daß diese beiden Seewege nicht internationales, sondern nationales Gewässer seien.

Probleme um die Straße von Malakka könnte es mit Malaysia und Indonesien geben. Sie können die Durchfahrt leicht kontrollieren. Der rege Schiffsverkehr ist eine Ursache für die wachsenden Umweltbelastungen der Küstengebiete und stellt bei möglichen Unfällen mit Supertankern oder anderen gefährliche Güter transportierenden Schiffen eine große Bedrohung der dort lebenden Bevölkerung dar. Restriktive Maßnahmen zur Eindämmung einer solchen Gefahr dürfen nach geltendem Seerecht die beiden Staaten nicht einseitig ergreifen. So war es vor einigen Jahren umstritten, ob die beiden Staaten einem französischen Frachtschiff, das Plutonium von Europa nach Japan transportierte, die Benutzung der Straße von Malakka zum Schutz ihrer Küsten verbieten dürfte. Die Durchsetzung möglicher Durchfahrtsverbote würden unweigerlich zu einem größeren internationalen Konflikt führen.

Umstritten ist für Indonesien ebenfalls die Zugehörigkeit der Nicobar-Inseln zu Indien. Sie liegen etwa 200 km nördlich der indonesischen Insel Sumatra direkt in der Zufahrt der Straße von Malakka und über 1000 km weit entfernt vom indischen Subkontinent. Immerhin ist Indien nach China die größte asiatische Marinemacht und bei Abzug der US-Marine würde sie faktisch den Indischen Ozean kontrollieren.

Das Südchinesische Meer ist seit Jahren der größte und wohl auch gefährlichste Konfliktherd in der Region Südostasien. Streitpunkt ist die Zugehörigkeit der im nördlichen Teil gelegenen Gruppe der Paracel-Inseln und der mehr im Süden gelegenen Spratly-Gruppe mit über 90 mehr oder minder kleinen Inseln und Riffen. Durch dieses Gebiet führen nicht nur die Seewege nach Ostasien, sondern es ist reich an Fischen und es werden dort auch größere Ölvorkommen vermutet.

China und Vietnam beanspruchen beide Inselgruppen vollständig für sich, einschließlich der dazugehörigen Wirtschaftszonen, was bedeuten würde, daß im Falle von China die Landesgrenze bis auf 5 Kilometer an die Küste von Sarawak rücken würde. China und Vietnam haben bereits einige der größeren Inseln besetzt und z.T. dort Militär stationiert. China hatte 1974 mit militärischen Mitteln Vietnamesen von einer der Paracel-Inseln vertrieben und 1988 von einem kleinem Riff der Spratly-Inseln. Die Anrainerstaaten Malaysia, Brunei und die Philippinen beanspruchen ebenfalls einige der vor ihrer Küste gelegenen Spratly-Inseln und ebenso Taiwan. In den letzten Jahren hat es immer wieder Versuche gegeben, durch multilaterale Gespräche die Situation zu entschärfen. Trotz allgemeiner Beteuerungen von allen Seiten, man wolle keine kriegerischen Auseinandersetzungen, wird auf den jeweiligen Ansprüchen beharrt. Insbesondere die VR China zeigt in den Gesprächen keinerlei Bereitschaft, ihren alleinigen Anspruch auf beide Inselgruppen auch nur in Frage stellen zu lassen. Sie ist allerdings bereit, über eine gemeinsame wirtschaftliche Nutzung zu verhandeln.

Das Recht auf Beanspruchung einer 200 Meilen Wirtschaftszone entlang der Küste nach dem internationalen Seerecht hat in Südostasien zu einer Reihe von Konflikten geführt und wird auch in Zukunft zu Problemen zwischen den Ländern führen, wie z.B. beim Abbau von Erdgas- und Erdölvorkommen im Golf von Thailand durch Malaysia, Thailand, Kambodscha und Vietnam, oder auch bei den Fischereirechten in der Celebessee (zwischen Borneo, Sulawesi und Mindanao) für philippinische Fischerboote, die erst kürzlich von indonesischem Militär aufgebracht wurden.

Die Kontrolle des Mekong

Von ähnlich geostrategischer Bedeutung wie die Seewege sind einige Flüsse auf dem Festland-Südostasien. Weniger als Verkehrswege so doch als Energiespender durch Staudämme für Industrie und Wasserspender für die Landwirtschaft sind sie meist von existentieller Bedeutung für die Anrainerländer.

So ist der Mekong die wichtigste Wasserquelle für die Landwirtschaft Kambodschas und das südliche Vietnam. Von seiner Quelle im tibetischen Hochland fließt er durch die südchinesische Provinz Yunnan, dann ein Stück entlang der laotisch-burmesischen Grenze, durch Nord-Laos und bildet danach die Grenze zwischen Thailand und Laos, bevor er Kambodscha durchquert, um an der südlichen Spitze Vietnams in einem weitverzweigten Delta ins Südchinesische Meer zu fließen. Stauung und Abzweigung des Wassers des Mekong sowie seiner Zuflüsse können verheerende Wirkungen auf die unterhalb gelegenen Regionen haben. China plant in Yunan mehrere Staudämme zur Elektrizitätsgewinnung. In Thailand gibt es bereits umfangreiche Pläne zur Umleitung des Wassers einiger Mekong-Zuflüsse5. Zusammen mit Laos sollen noch weitere Staudämme entlang der gemeinsamen Grenze gebaut werden. Die Nutzung des Mekong kann in Zukunft noch zu erheblichen Konflikten unter den Ländern führen. Um solchen Konflikten vorzubeugen bzw. gemeinsames Vorgehen bei der Nutzung des Mekong zu erreichen wurde bereits in den 60er Jahren auf Initiative der UN ein Mekong Komitee gegründet, dem alle Anliegerstaaten bis auf China, das z. Zt. nur einen Beobachterstatus hat, angehören.

Grenzkonflikte und Territorialansprüche

Territorialansprüche der Regierungen in Südostasien entlang der Grenzen bergen zum Teil ein erhebliches Potential für kriegerische Auseinandersetzungen in sich. Sie sind nicht nur Resultat einer sehr willkürlichen Grenzziehung in der Kolonialzeit, sondern die Ansprüche werden häufig auch noch aus vorkolonialen Eroberungen bzw. Besetzungen abgeleitet, obgleich es damals noch keine Nationalstaaten mit entsprechend definiertem nationalem Territorium gab. Zum offenen Ausbruch kamen diese in der Nachkriegszeit lediglich in Vietnam im Norden mit der VR China sowie im Süden mit Kambodscha.

Die Bildung der Föderation Malaysias 1963 auf Betreiben der Briten und ihrer Verbündeten, mit der die Entlassung der britischen Kolonien Nordborneo (heute Sabah), Sarawak und Singapur in die Unabhängigkeit erfolgte, hatte zu heftigem Widerstand seitens Indonesiens geführt. Umstritten ist aktuell die Zugehörigkeit von den Inseln Ligitan und Sipadan vor der Küste von Sabah an der Grenze zu Indonesien. Ferner beanspruchen die Philippinen Sabah als Teil des einstmaligen Sulu Sultanats. Allerdings hat die philippinische Regierung erhebliche Schwierigkeiten, die muslimischen Moros auf Mindanao im Süden der Philippinen in ihren Staat zu integrieren6.

Die Grenzziehungen auf dem Festland Südostasiens verlaufen durch Siedlungsgebiete von Volksgruppen derselben ethnischen Herkunft und kulturellen Tradition. Das ist insbesondere in Thailand zu beobachten. In den vier südlichen Provinzen leben muslimische Malaien, im Grenzgebiet zu Kambodscha Khmer, im Nordosten Laoten, im Norden und entlang der westlichen Grenze Volksgruppen aus Burma. Lediglich unter den Malaien in Südthailand gab und gibt es größere Unzufriedenheit, die in den 70er Jahren auch im bewaffneten Kampf der Patani United Liberation Organisation für ein unabhängiges, islamisches Patani zum Ausdruck kam. Bisher wurden allerdings von Seiten der Regierung Thailands und Malaysias die Grenzziehungen nicht in Frage gestellt. An der langen Grenze zu Laos gibt es allerdings noch mehrere Streitfälle über den Grenzverlauf.

Zwischen Vietnam und Kambodscha hat sich Ende der 70er Jahre ein regelrechter Krieg um den »richtigen« Grenzverlauf entwickelt, der 1979 schließlich zum Einmarsch Vietnams nach Kambodscha geführt hatte.

Der unterschiedliche Umgang mit militanten Organisationen, die zum Teil militärisch in den Grenzgebieten operieren und Thailand bzw. das Nachbarland als Rückzugs- und Nachschubgebiet benutzen, führte häufiger zu erheblichen Spannungen zwischen der thailändischen Regierung und den der Nachbarländer. So hat z.B. zur Zeit die stillschweigende Duldung von Operationen der Roten Khmer, insbesondere die Kanalisierung des Nachschubs über thailändisches Territorium durch das thailändische Militär, zu starken Verstimmungen zwischen Thailand und Kambodscha geführt. In den 70er und 80er Jahren gab es häufiger Spannungen zwischen Thailand und Malaysia. Die Politik der thailändischen Behörden gegenüber der von Thailand aus operierenden Kommunistischen Partei Malaysias (MCP) einerseits sorgte ebenso für Verstimmungen, wie andererseits das Verhalten der malaysischen Behörden gegenüber der z.T. von Malaysia aus operierenden PULO (Pattani United Liberation Organization).

Stabilität und Legitimität der Staaten Südostasiens

Zu den Problemen der Staaten untereinander kommt die soziale und politische Instabilität in den einzelnen Länder hinzu. Deutlich wird am Beispiel Kambodschas, daß die Instabilität eines Landes zu erheblichen Spannungen in der Region führt. Flüchtlinge aus einem Land in die Nachbarländer schaffen unvorhersehbare Spannungen, die, verquickt mit anderen Konfliktpotentialen, explosive Wirkungen zeigen können. So hat der bewaffnete Kampf des Moro Volkes um Selbstbestimmung in Südphilippinen zu einem Flüchtlingsstrom nach Sabah (Malaysia) geführt und somit Malaysia in den Konflikt indirekt miteinbezogen. Ebenso mußten die ASEAN-Länder mit den Flüchtlingen, den sogenannten »boat-people«, aus Vietnam fertig werden.

Schon seit der Unabhängigkeit vom britischen Kolonialismus ist die territoriale Integrität Burmas durch den Kampf um Selbstbestimmung und Eigenstaatlichkeit der nicht-burmesischen Volksgruppen in Frage gestellt. Die Legitimität des Staates wie auch seiner regierenden Militärjunta ist seit ihrer Ignorierung des Ergebnisses der freien Wahlen vor 5 Jahren weiter in Frage gestellt. Hierzu entwickelten die ASEAN-Staaten sehr langsam und zögerlich eine gemeinsame Haltung.

Noch schwerer fällt es den Regierungen der südostasiatischen Länder, auf Indonesiens Besetzung von West-Papua, Osttimor und den immer wieder erneut aufbrechenden Konflikt in Aceh/Sumatra zu reagieren. Auch wenn sie diese Konflikte als »innere Angelegenheiten« von Indonesien erklären, sind sie dennoch von den Auseinandersetzungen darum betroffen. Einerseits könnten die »internen Probleme« den größten Staat Südostasiens mit unabsehbaren Folgen destabilisieren; andererseits stehen sie unter dem Druck einer internationalen Öffentlichkeit, die die Legitimität des indonesischen Vorgehens in Frage stellt.

Kooperation

Bei der hier nur oberflächlich geschilderten komplizierten »Gemengelage« von verschiedenen Konfliktfeldern muß man fragen, ob und wie diese durch welche Art der multilateralen und bilateralen Kooperation abgebaut werden können.

Die z.T. erzwungene Einbettung in das weltweite Sicherheitssystem während der Blockkonfrontation löst sich auf, und die in der Zeit schon geschaffene regionale Zusammenarbeit muß sich bewähren. ASEAN, erfolgreich nach 3 mißlungenen vorangegangen Versuchen 1967 gegründet, ist das wichtigste regionale Bündnis ohne außerregionale Mitglieder, welches die vorhandenen Konfliktpotentiale mindern und neutralisieren sowie Stabilität und Sicherheit fördern sollte, zugunsten der Entwicklung der einzelnen Länder. Dabei gibt es bisher keinerlei Form der multilateralen militärischen Zusammenarbeit, was nicht bedeutet, daß es keine punktuelle militärische Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Staaten aufgrund von bilateralen Vereinbarungen gibt, insbesondere auf dem Gebiet der Aufstandsbekämpfung. Es bestehen auch keinerlei Absichten eines engeren Zusammenschlusses, wobei die nationalen Souveränitätsrechte an das Bündnis abgegeben würden.

Wirkungsvoll wurde ASEAN als politisches Konsultationinstrument für die Mitgliedsländer angesichts der Niederlage der USA in Kambodscha, Vietnam und Laos. Das schlug sich insbesondere in einer gemeinsamen Haltung gegenüber Vietnam in der Flüchtlingsfrage und der Besetzung Kambodschas nieder. Wirtschaftliche Zusammenarbeit wurde zwar offiziell immer sehr groß geschrieben, hatte aber bisher praktisch kaum Bedeutung für die Volkswirtschaften dieser Länder7. Die eingangs erwähnte Bildung des ARF scheint die Tendenz der Ausrichtung ASEANs zu bestätigen. Aber mit dem rapiden wirtschaftlichen Wachstum einiger ASEAN-Länder gewinnt die Frage der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zunehmend an Bedeutung.

Integration in die kapitalistische Weltwirtschaft

Anders als noch vor 20 Jahren hat die nun vollständige Integration so ziemlich aller Länder in die kapitalistische Weltwirtschaft eine gemeinsame ökonomische Grundlage geschaffen, nämlich den Auf- und Ausbau einer kapitalistischen Wirtschaft mit gleicher Produktionsweise und Konsumstruktur. Ein integraler Bestandteil dieses Systems sind die wirtschaftlichen Außenbeziehungen, nicht zuletzt auch zu den Nachbarländern. Sie werden zu Kunden und Lieferanten, die den eigenen wirtschaftlichen Erfolg sichern helfen, sie werden aber auch zu Konkurrenten auf dem regionalen und Weltmarkt, die den wirtschaftlichen Erfolg bedrohen.

Die ungehemmte wirtschaftliche Expansion erfordert eine Öffnung der Grenzen für Waren, Kapital und Arbeitskräfte. Wenn auch das Volumen des Handels zwischen den ASEAN-Ländern vergleichsweise niedriger ist als der mit den USA, West-Europa und Japan, so wächst es in den letzten Jahren doch stetig. Ebenso investieren Banken und kapitalstarke Unternehmen gegenseitig in den Nachbarländern und bilden sogenannte »joint ventures«.

Aber mit dem Wachstum wächst auch die Konkurrenz, die möglicherweise neue Konflikte auf anderen Ebenen schafft. Eines dieser Konfliktfelder ist der vom Konsumenten gewollte und von den Produzenten gefürchtete Freihandel, damit die Region sich besser auf dem Weltmarkt behaupten kann. Seit 1993 gibt es die ASEAN Freihandelzone (AFTA), die schrittweise den freien Warenverkehr zwischen den ASEAN-Staaten ermöglichen soll. Damit nicht die jetzt bereits wirtschaftlich stärksten innerhalb AFTA am meisten davon profitieren werden, ist dieser Prozeß sehr langwierig und es gibt umfangreiche Listen, in denen die Produkte genannt sind, die die Länder aus dem Freihandel herausnehmen8. Erst im Jahr 2008 sollen für alle Produkte die Zölle innerhalb der ASEAN fallen.

Die Wachstumsregionen

Eine wirtschaftliche Zusammenarbeit findet in den letzten Jahren immer verstärkter zwischen Privatunternehmen und bestimmten, unmittelbar benachbarten Regionen verschiedener Länder statt, die von den jeweiligen Regierungen durch Infrastrukturprojekte gefördert wird. Seit einigen Jahren gibt es eine Reihe von sogenannten »Wachstumsdreiecken« in Südostasien, in denen eine über die jeweiligen Landesgrenzen hinausgehende wirtschaftliche Zusammenarbeit gefördert werden soll.

Das bekannteste und bisher am weitesten entwickelte ist »SiJoRi« (Singapur, Johore, Riau) an der Südspitze der Malaiischen Halbinsel mit Malaysia, Singapur und Indonesien9. Hier soll eine Industrie- und Dienstleistungsregion entstehen, mit Singapur in der Mitte, dessen Expansionsmöglichkeiten durch die Begrenzung von Land und Bevölkerung eingeschränkt werden. Indonesien kann Land, Arbeitskräfte und Rohstoffe liefern, ebenso Malaysia, während Singapur Kapital, Technologie und Marketing Know-how einbringt. An dieser Zusammenarbeit wird wohl auch die politische Intention des kleinen, aber wirtschaftlich so erfolgreichen Stadtstaates deutlich: Um der Gefahr zu entgehen, von den großen Nachbarländern »erdrückt« zu werden, bindet er sie in seine weiteren Entwicklungsplänen und Erfolge mit ein, so daß diese keinerlei Interesse daran haben können, daß Singapur bedroht wird.

Das Modell der Wachtumsdreiecke hat Schule gemacht. Seit einem Jahr wird ein nördliches Wachstumsdreieck bestehend aus der Nordspitze von Sumatra, Nord-Malaysia und Südthailand in Angriff genommen10. Im März dieses Jahres wurde in Davao City auf Mindanao in den Philippinen ein Protokoll zur Bildung einer Ost-ASEAN Wachstumsregion unterzeichnet, welche die philippinische Insel Mindanao, Borneo mit dem indonesischen West- und Ost-Kalimantan, dem malaysischen Sarawak und Sabah und den Öl-Staat Brunei sowie die indonesischen Inseln Sulawesi und Molukken einbezieht11. Thailand projektiert im Nordosten eine Wachstumsregion zusammen mit Laos, Vietnam und Kambodscha, wozu als Voraussetzung der Ausbau des Straßennetzes in Angriff genommen wird. Ähnliches entwickelt sich zwischen Thailand, Burma, China und Laos.

Auffälligerweise befinden sich alle gemeinsamen »Wachstumsregionen« in den Gebieten, in denen z.T. gleich mehrere Konfliktfelder vorhanden sind, so etwa im nördlichen Wachstumsdreieck (Ace, Thai-Muslime) und in der östlichen Wachstumsregion (Moro, Sabah-Frage). Wirtschaftswachstum einhergehend mit einem höheren Lebensstandard auf allen Seiten der Grenzen in Abhängigkeit voneinander soll und könnte bestimmte Konfliktpotentiale zwischen den Nationen mildern oder gar abbauen. Unklar bleibt jedoch, inwiefern die kapitalistische Wirtschaftsform nicht neue soziale Konflikte schafft, wenn der bessere Lebensstandard einige soziale Schichten nicht erreicht. In solch einem Fall würde allerdings die Frontlinie nicht zwischen den Staaten, sondern den sozialen Klassen quer zu den Grenzen liegen. Die Regierungen könnten dann wieder auf ihre langjährige Zusammenarbeit bei der Aufstandsbekämpfung zurückgreifen.

Gemeinsame »think-tanks« zur Analyse und Vorbeugung

Parallel zum wirtschaftlichen Wachstum der letzten Jahre entwickelt sich ein reger Gedanken- und Meinungsaustausch unter exponierten Persönlichkeiten und Experten der verschiedenen Länder auf unterschiedlichen Ebenen. Es werden Foren veranstaltet, auf denen sich hochrangige Politker über die Zukunftsperspektiven der Region auslassen. Asia Society, Singapurs Institute for Policy Studies und Dow Jones & Co., der Herausgeber der Far Eastern Economic Review, veranstalteten in Singapur vom 17.-19. Mai dieses Jahres eine Konferenz zum Thema „Wellen der Zukunft: ASEAN, Vietnam und China“. Dort äußerten sich Pemierminister oder ihre Stellvertreter mit Visionen, Analysen, Reflektionen und Warnungen12. Es gibt Kolloquien, Konferenzen und Seminare auf weniger hochrangiger Ebene, wie etwa in Manila vom 16.-17.1.94 das ASEAN-Colloquium über Menschenrechte, gemeinsam veranstaltet von den verschiedenen – von staatlicher Seite unterstützten – Instituten für Strategische und Internationale Studien aus den ASEAN-Ländern13.

Die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und politischen Persönlichkeiten aus verschiedenen ASEAN-Ländern kann auch Ausdruck bestimmter Denkrichtungen sein, von denen aus Anstöße gegeben werden sollen. So wurde am 7.6.94 gleichzeitig in Bangkok und Kuala Lumpur eine Erklärung mit der Überschrift „Southeast Asia beyond the Year 2000, a Statement of Vision“ veröffentlicht, die Ende Mai 19 Wissenschaftler und Politiker aus Thailand, Malaysia, den Philippinen, China, Indonesien, Burma, Vietnam, Kambodscha, Laos und Singapur in Manila ausgearbeitet hatten14. Die Zusammenarbeit von »think tanks« und Wissenschaftlern im Raum Asien/Pazifik ist in den letzten Jahren ebenfalls entstanden; diese werden von einigen Beobachtern euphorisch als Zusammenarbeit von Nichtregierungsorganisationen (NRO) gesehen15. Sie stellen einen öffentlichen Meinungsbildungsprozeß zu internationalen Fragen dar, der durchaus von offiziellen Regierungsmeinungen und -politik abweichen kann.

Aber nicht nur auf der mehr oder minder »offiziösen« Ebene entwickelt sich ein öffentlicher Gedankenaustausch und eine Zusammenarbeit über die nationalen Grenzen hinweg. Schon seit mehreren Jahren versuchen basisbezogene NROs eine Vernetzung über die nationalen Grenzen hinweg zu organisieren. Häufig sind diese Vernetzungsaktivitäten in internationale oder gesamtasiatische Aktivitäten eingebettet und zum Teil zufällig. Konferenzen sind meist ein isoliertes Ereignis, dem selten kontinuierlicher, institutionalisierter Kontakt und eine Zusammenarbeit folgen. Mangelnde Erfahrungen bei internationaler Zusammenarbeit, Unkenntnisse über die Nachbarländer und unterschiedliche Sprachen und politische Kulturen erschwerten das bisher.

Aber die persönlichen Erfahrungen einer wachsenden Zahl von NRO-Aktivisten in der Begegnung mit sozial und politisch aktiven Menschen aus anderen Ländern führten zu einer zunehmend verbindlicheren Zusammenarbeit verschiedenartiger NROs innerhalb der Region Südostasien sowie Asien/Pazifik. Die UN-Menschenrechtskonferenz in Wien 1993 war z.B. Anlaß für eine verbindlichere und kontinuierliche Vernetzung entsprechender Organisationen aus dem Raum Asien-Pazifik, die nicht nur vor dem Ereignis stattfand, sondern auch weitergeführt worden ist. Ausdruck davon war u.a. auch die Osttimor Konferenz in Manila Ende Mai, welche die indonesische Regierung so erzürnt hat. Ferner veranstalteten anläßlich der oben erwähnten ASEAN-Außenministerkonferenz in Bangkok thailändische Menschenrechtsorganisationen ein »Seminar« unter Beteiligung von Gästen aus dem ASEAN-Ländern mit dem Titel „Southeast Asian NGOs Forum on Human Rights and Development“, wo auch die Themen Osttimor und Burma behandelt wurden.

Notwendigkeit der Öffnung und Zusammenarbeit

Südostasien als wirtschaftliche Wachstumsregion völlig im Einklang mit der bestehenden (kapitalistischen) Weltwirtschaftsordnung wird die bestehenden Konfliktpotentiale unter Kontrolle bekommen müssen, will es nicht seine wirtschaftlichen Erfolge aufs Spiel setzen. Nicht nur die Regelung von Konflikten und Wahrung von Sicherheit und Stabilität machen eine engere Zusammenarbeit untereinander notwendig, sondern vor allem auch das Wirtschaftssystem verlangt eine Öffnung der Grenzen für einen möglichst ungehinderten Waren und Kapitalverkehr. Die Regierungen der Staaten werden stückweise Teile ihrer nationalen Souveränität zu Gunsten einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit abgeben und gleichzeitig versuchen, für sich dabei die möglichst günstigsten Bedingungen herauszuschlagen. Ob diese Zusammenarbeit der breiten Bevölkerung mehr Nutzen als Schaden bringt, ist noch nicht abzusehen.

Steigerung der Rüstungshaushalte 1989-1993
Malaysia + 67%
Indien + 60%
Singapur + 53%
VR China + 49%
Südkorea + 40%
Nordkorea + 39%
Japan + 30%
Vietnam + 25%
zum Vergleich: USA – 21%
Quelle: Asian Defence Journal 6/94, nach: BUKO – Kampagne »Stoppt den Rüstungsexport«: Schattenseiten Südostasiens. Rüstung und Militarisierung der ASEAN-Länder. August 1994. (Auszüge)

Der Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung des Autors übernommen aus »südostasien informationen«, Nr. 3, Jg. 10, September 1994.

Anmerkungen

1) Als Dialogpartner waren die USA, Australien, Kanada, Neuseeland, die Europäische Union (vertreten durch den deutschen Außenminister Kinkel), Südkorea und Japan anwesend. Als Gäste geladen waren die VR China, Rußland, Vietnam, Laos und Papua Neuguinea. Zurück

2) Offizielles Gründungsjahr ist 1967. Zurück

3) Vgl. u.a. Schwerpunktheft Südostasien Informationen Nr. 4/1985 »Regionale Konflikte in Südostasien«. Zurück

4) Vgl. auch R. Kahrs, Waffen für ein Vakuum. Deutsche Rüstungsexportinteressen in Fernost, in: südostasien informationen (SOAI), 4/93, S.4-7. Zurück

5) Vgl. Regina von Reuben, Thailands Elektrizitätswerk rüstet zum Wasserkrieg, in: SOAI , 2/94, S.35-38. Zurück

6) Vgl. u.a. R. Werning, Zwischen Autonomie und Sezession: die Moros in den Südphilippinen, SOAI 4/85, S.50ff. Zurück

7) Vgl. W. Pfennig, ASEAN: Durch regionale Zusammenarbeit zu mehr Sicherheit und besserer Entwicklung? in: R. Dürr/R. Hanisch (Hrsg.), Südostasien – Tradition und Gegenwart, Braunschweig 1986, S.114ff; K.-A. Pretzell, Der Weg der ASEAN, in: Südostasien Aktuell, März 1994, S.159ff. Zurück

8) Vgl. Peter M. Ungprakorn, Barriers must go – yours first, in: Bangkok Post Mid-Year Review 1994, 30.6.94, S. 20. Zurück

9) Vgl. SOAI, Nr. 1/94 S.48ff. Zurück

10) Vgl. SOAI, Nr. 1/94, S.42. Zurück

11) Vgl. Asiaweek (Honkong), 15.6.94, S.41ff. Zurück

12) Vgl. Far Eastern Economic Review (Hongkong), 2.6.94, S.20f. Zurück

13) Bonn ASEAN Committe Newsletter, No. 38, 1994, S.8f. Zurück

14) Vgl. Bangkok Post (weekly oversea edition), 17.6.94. Zurück

15) Vgl. Far Eastern Economic Review (Hongkong), 30.6.1994, S. 29. Zurück

Peter Franke ist Mitarbeiter der Südostasien Informationsstelle und verantwortlicher Redakteur von »südostasien informationen«.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1994/4 Asien, Seite