W&F 2022/1

Kongresse und Tagungen

Zur Notwendigkeit (inklusiver) ziviler Konfliktbearbeitung

Podiumsdiskussion »Für gerechten Frieden sorgen – Chancen und Grenzen ziviler Konfliktbearbeitung«, Evangelische Akademie zu Berlin, 26. Oktober 2021

Es braucht inklusive Strategien der zivilen Konfliktbearbeitung. Diese Einsicht prägte die Abendveranstaltung der Evangelischen Akademie zu Berlin mit dem Titel »Für gerechten Frieden sorgen – Chancen und Grenzen ziviler Konfliktbearbeitung« am 26. Oktober 2021.

Den Auftakt zur Veranstaltung, welche als hybrides Format im Haus der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Berlin sowie online stattfand, machte Thania Paffenholz (Direktorin von »Inclusive Peace«). In ihrem Eröffnungsvortrag zeichnete sie zunächst Veränderungen der internationalen Konfliktlagen der letzten Jahrzehnte nach und stellte dabei insbesondere auf eine Zunahme der Komplexität von Konfliktsituationen ab. Diese zeigt sich beispielsweise an grenzübergreifenden Konflikten oder innerstaatlichen Konflikten mit einer Vielzahl von Konfliktparteien. Zudem betonte sie die Wirkmechanismen von Sozialen Medien in Konfliktlagen. Konfliktakteure nehmen oftmals starken Einfluss auf Diskurse in Sozialen Medien, um ihr jeweiliges Narrativ über den Konflikt zu transportieren. Sie führte zudem aus, dass sich weltweit nach friedlichen Transitionsprozessen in Staaten die erneute Etablierung von autoritären Strukturen zeigen.

Thania Paffenholz stellte die Frage, wie die Akteure der zivilen Konfliktbearbeitung auf die veränderten Konfliktlagen reagieren. Insgesamt zeigen – ihrer Analyse nach – die immer deutlicher zu Tage tretenden Interdependenzen zwischen Konfliktakteuren, dass die bisherigen Mittel der zivilen Konfliktbearbeitung nicht mehr tragfähig genug seien. Es brauche ein aktualisiertes Verständnis von Konflikten und Friedensprozessen, damit ziviles Engagement noch wirksamer sein könne.

Am Beispiel von internationalen Mediationsverfahren argumentierte Thania Paffenholz, dass es innerhalb dieser Verfahren vor dem Hintergrund der veränderten Rahmenbedingungen keine Strategieänderungen gebe. Eine klassische Mediation in entsprechenden internationalen Kontexten finde weiterhin zwischen genau einer Opposition und einer Regierung statt. Einen nationalen Dialog innerhalb der Oppositionsfaktionen anzuregen und zu begleiten, wäre dagegen in einigen Konfliktsituationen gegebenenfalls sinnvoller.

Thania Paffenholz betonte zudem, dass Friedensprozesse nicht linear ablaufen. Sie warb für ein Verständnis von Friedensprozessen im Sinne von sich wiederholenden Phasen der Aushandlung über den „gesellschaftlichen Vertrag“. Ein Waffenstillstand oder ein Friedensvertrag könnten somit kein finales Ziel eines Friedensprozesses sein, sondern stellten nur (bedeutsame) Ereignisse in dynamischen – und nach Möglichkeit inklusiven – Prozessen der gesellschaftlichen Aushandlung dar.

Im Anschluss an den Eröffnungsvortrag wurden Beispiele ziviler Konfliktbearbeitung illustriert. Die Arbeit von »EIRENE – Internationaler Christlicher Friedensdienst« und deren Partnerorganisationen in der Region der Großen Seen auf dem afrikanischen Kontinent wurde durch Augusta Muhimpundu vorgestellt. Die Projektbeispiele aus Burundi, DR Kongo und Uganda machten eindrücklich deutlich, wie die Themen Förderung von sozialer Kohäsion, Ressourcengerechtigkeit und Friedensmedien durch die Partnerorganisationen von EIRENE bearbeitet werden und welche wirkungsvollen Beiträge zum Frieden sie leisten – beispielsweise in der Menschenrechtsaufklärung oder der Schulung in Methoden der gewaltfreien Kommunikation.

Zudem gab Lisa Picott (forumZFD) Einblicke in die Arbeit einer Fachkraft im Zivilen Friedensdienst (ZFD) und diskutierte insbesondere die Chancen und Grenzen ziviler Konfliktbearbeitung im Sinne einer Konzeption von Planung, Monitoring und Evaluierung (PM&E). Sie machte unter anderem deutlich, dass die oft fehlende Ressource Zeit sowie das Fehlen eines offenen Austausches zwischen allen Entsendeorganisationen im ZFD generelle Hürden für nachhaltig wirksame Projekten darstellen. Positiv hob sie einen starken Fokus auf den »Do No Harm«-Ansatz sowie die zunehmende Schaffung einer Kultur des Lernens innerhalb von Trägerorganisationen des ZFDs hervor.

In der sich anschließenden Podiumsdiskussion unterstrich zunächst Florence Schimmel (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik) die Notwendigkeit von guten Konfliktanalysen sowie Evaluierung zur Wirkungsmessung von Ansätzen der zivilen Konfliktbearbeitung. Hier leisteten insbesondere zivilgesellschaftliche Organisationen einen entscheidenden Beitrag, indem sie staatliche Akteure auf die Notwendigkeit der Bearbeitung von konkreten Konfliktlagen aufmerksam machten. Zudem warb sie für einen transformativen Anspruch von ziviler Konfliktbearbeitung, der insbesondere in einer langfristigen Wirkungsorientierung sowie in einer inklusiven und prozesshaften gesellschaftlichen Aushandlung für bessere Verhältnisse seinen Ausdruck findet.

Für Martin Vehrenberg (AGIAMONDO – katholischer Personaldienst für internationale Zusammenarbeit und Ko-Sprecher des Konsortiums Ziviler Friedensdienst) war die Etablierung einer Wirkungslogik (im Gegensatz zu einer reinen Output-Logik) im Programm des Zivilen Friedensdienstes ein wichtiger Entwicklungsschritt. Das Handeln im ZFD beruhe mittlerweile auf Konflikt­analysen und Strategien, die gemeinsam mit den weltweit tätigen Partnerorganisationen entwickelt würden. Selbstkritisch merkte er an, dass die Versuchung eines technokratischen Reflexes durch einen Expert*innenansatz immer wieder gegeben ist. Die Akteure im Zivilen Friedensdienst begleiteten die Partnerorganisationen jedoch nicht nur von außen, sondern stünden an deren Seite und müssten sich durch deren leidvolle Erfahrungen immer wieder berühren lassen.

Renke Brahms (Friedensbeauftragter des Rates der EKD, 2008-2021) ging in seinem Impuls zunächst auf den Begriff der Verantwortung ein und warb dafür, diesen nicht auf Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu verengen, sondern zivile Konfliktbearbeitung und Prävention miteinzubeziehen. Finanzielle Ressourcen für zivile Konfliktbearbeitung müssten von staatlicher Seite aus kontinuierlich ausgebaut werden. Die Vielfalt der Wirkungsweisen, der Instrumente und Prozesse der zivilen Konfliktbearbeitung müssten in öffentlichen und politischen Diskursen stärker verbreitet und betont werden. Renke Brahms sah im Einsatz für den friedensethisch gebotenen Vorrang des Zivilen auch eine Verantwortung der Kirchen.

Für Sara Nanni (Mitglied des Deutschen Bundestags für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen) stellte Evaluation (und die nötigen Ressourcen dafür) ein zentrales Thema in der Weiterentwicklung der zivilen Konfliktbearbeitung dar. Sie warb für ein Zusammendenken von zivilen und militärischen Mitteln sowie Perspektiven und sprach sich für eine Fokussierung von Finanzmitteln aus. Den Fokus auf Sicherheits- und Verteidigungspolitik bei der Betrachtung von internationalen Krisen sah auch sie kritisch. Ihrer Auffassung nach müsse die Öffentlichkeitsarbeit für zivile Krisenprävention an sich gestärkt werden.

Alle Podiumsgäste betonten die Notwendigkeit ziviler Konfliktbearbeitung. In der Diskussion wurde insgesamt deutlich, dass sowohl staatliche wie auch zivilgesellschaftliche Kräfte, inklusive der Kirchen, den Vorrang von ziviler Konfliktbearbeitung (im Verständnis einer Wirkungsorientierung sowie durch inklusive Strategien) weiterhin bekräftigen, sich dafür politisch einsetzen und sich mit dem Einsatz von Mitteln der zivilen Konfliktbearbeitung dennoch immer wieder (selbst-)kritisch auseinandersetzen müssen.

Am Ende der Veranstaltung nahm die Evangelische Akademie zu Berlin das Ende der Amtszeit von Renke Brahms als erstem Friedensbeauftragten des Rates der EKD zum Anlass, um sein friedensethisches und -politisches Engagement ausführlich zu würdigen. Agnes Abuom (Vorsitzende des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen) und Martin Dutzmann (Bevollmächtigter der EKD bei der BRD und der EU) betonten die zahlreichen Verdienste von Renke Brahms und blickten durch sehr wertschätzende und persönliche Worte auf seine 13jährige Friedensbeauftragung zurück.

Das Programm sowie ein Videomitschnitt der Veranstaltung stehen online auf der Homepage der Evangelischen Akademie zu Berlin zur Verfügung (eaberlin.de).

Michael Nann

Friedensforschung, Friedens­bildung und (De)Kolonialität

Workshop, Universitäten Klagenfurt und Augsburg, Online, 27.-29. Oktober 2021

Wie können post- und dekoloniale Theorieperspektiven der Friedens- und Konfliktforschung mit Friedensbildung zusammengedacht und gezielt für Theorie und Praxis übersetzt sowie anwendbar gemacht werden? Wie können Bildungsinstitutionen als Orte formalisierter Wissensvermittlung dekolonialisiert werden?

Diesen Fragestellungen widmete sich ein dreitägiger Workshop, der von Claudia Brunner und Daniela Lehner (beide Universität Klagenfurt, Zentrum für Friedensforschung und Friedensbildung) sowie Christoph Weller und Christina Pauls (beide Lehrstuhl für Politikwissenschaft, Friedens- und Konfliktforschung, Universität Augsburg) im Oktober 2021 veranstaltet und von der Deutschen Stiftung Friedensforschung gefördert wurde. Die Zielsetzung der Initiator*innen bestand darin, einen gemeinsamen „Beitrag zur Dekolonialisierung von (Friedens-)Forschung und (Friedens-)Bildung als Bestandteil von »glokaler« Herrschaftskritik“ zu leisten.

Im Zentrum der Diskussion stand anhand der Konzepte der »epistemischen Gewalt« und der »Kolonialität des Wissens« dementsprechend eine kritische Reflexion theoretischer und erkenntnistheoretischer Grundlagen. Friedensbildung und -forschung wurden in der Diskussion als mit der kolonialen Moderne und daraus hervorgebrachten und reproduzierten Gewalt- und Machtverhältnissen verwoben verstanden.

Der Workshop ging aus gemeinsamen Vorarbeiten, Veranstaltungen und Kooperationen der Initiator*innen im Rahmen des Arbeitskreises »Herrschaftskritische Friedens- und Konfliktforschung« hervor, der 2015 auf der Jahrestagung der AFK gegründet wurde. Inhaltlich schloss er an den ersten Workshop des AK im Jahr 2016 an, der dazu diente, post- und dekoloniale Theorien auch spezifisch für die Friedens- und Konfliktforschung zu rezipieren, anwendbar zu machen sowie verstärkt in den deutschsprachigen Diskurs einzubringen. Zu einer weiteren Vertiefung innerhalb der Friedens- und Konfliktforschung sollte nun dieser Workshop im vergangenen Oktober beitragen, indem er Friedensforschung integrativ mit der Friedensbildung zu einem gemeinsamen herrschaftskritischen und transformativen Feld zusammendachte. Methodisch wurde erneut die Form des »Gegenleseprinzips« angewendet. Die Beiträge wurden dabei nicht von den Autor*innen selbst vorgestellt, sondern von einer anderen teilnehmenden Person. Diese Methode regt einen gemeinschaftlichen Kommunikationsprozess in der Bearbeitung eines Textes an, in dem dieser von den Autor*innen entkoppelt wird.

Thematisch wurde die Veranstaltung in drei Schwerpunkte gegliedert: (I) Dekolonisierung von Friedensforschung/-bildung, (II) Dekolonisierung der Friedenspolitiken und (III) Darüber hinaus Denken/Tun/Gehen. Im ersten Teil wurden Beiträge von Cora Bieß (Berghof Foundation), Juliana Krohn (Universität Innsbruck) und Christina Pauls (Universität Augsburg) sowie Cora Bieß und Dagmar Nolden (Berghof Foundation) vorgestellt und diskutiert. Cora Bieß und Dagmar Nolden beleuchteten in ihren Beiträgen Privilegien und Machtungleichgewichte in der Friedensbildung. Sie schlugen auf Basis ihrer eigenen praktischen Arbeit unter Einbezug von Ansätzen des »kritischen Weißseins« und der Intersektionalität einen selbstreflexiven, friedenspädagogischen »Privilegiencheck« für Akteur*innen der Friedensbildung vor. Dadurch sollen in allen Phasen des friedenspädagogischen Prozesses systematisch zu einem Abbau eigener Privilegien, Vorannahmen und Stereotypen beigetragen werden.

Juliana Krohn und Christina Pauls präsentierten theoretisch-konzeptionelle Grundlagen für eine »Friedensbildung otherwise«, die zu einer dekolonialen Friedensbildungspraxis beitragen könnten. Auf Basis ihrer eigenen Lehr- und Lernerfahrungen kritisierten sie die unzureichende wissenschaftliche Fundierung der westlich-liberalen Friedensbildung, die mit Blick auf ihren eigenen Beitrag zu Gewalt- und Herrschaftsverhältnissen analysiert werden solle. Eine dekoloniale Friedensbildung müsse vielmehr das eigene inhärente onto-epistemologische Gewaltpotential zum Ausgangspunkt eines lebenslangen Prozesses des »Verlernens« machen, in dem durch relationale Lernprozesse eigene Deutungshoheiten hinterfragt und stattdessen zu gelebten Solidaritäten führen sollen.

Sonja John (Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin) eröffnete den zweiten Themenschwerpunkt. Ihr Beitrag zur Dekolonialisierung der Polizei thematisierte den Dekolonialisierungsprozess des Department of Public Safety des Oglala Sioux Tribe (OST) in Süddakota. Im Zentrum ihrer Analyse stand das Wirken des Wissens um Praktiken der Lakota als konzeptionelles und epistemisches Fundament einer dekolonialen Polizeiarbeit und Friedensbildung, das dank epistemischen Ungehorsams nicht durch den von den Institutionen der USA verursachten »Epistemizid« (die systematische Vernichtung von Wissen) verloren ging. Samantha Ruppel (HSFK) und Patricia Rinck (Universität Duisburg-Essen) reflektierten in ihrem Beitrag die postkonfliktive Situation in Sierra Leone aus feministischer Perspektive. Auf Basis ihrer eigenen Forschungserfahrungen vor Ort zeigten sie auf, wie soziale Ungleichheiten geschlechterspezifisch wie auch durch (post-)koloniale Machtverhältnisse geprägt sind und eine postkoloniale, feministische Perspektive zur Überwindung des Status Quo beitragen kann. Im Anschluss präsentierte Juliana González Villamizar (Deutsch-Kolumbianisches Friedensinstitut Capaz) anhand des Beispiels der Kolumbianischen Wahrheitskommission mögliche »Schlüsselzugänge, um das transformative Potential von Transitional Justice zu entwickeln«, wie der übersetzte Titel des Impulses lautete.

Der dritte und letzte Teil des Workshops erlaubte es den Teilnehmenden in einer Diskussion zu »Kolonialismus, Kolonialität, Dekolonialisierung – wie (weit) und was (nicht)?«, die Erkenntnisse, Fragestellungen und Erfahrungen zu vertiefen und die Weichen für zukünftige Austauschmöglichkeiten zu stellen. Dabei wurden »Standorte, Standpunkte, Verständigungen« ausgelotet und insbesondere die Möglichkeiten und Grenzen eines durch »weiße« Wissenschaftler*innen angestoßenen Veränderungsprozess bestehender Wissenschaftskulturen diskutiert.

Eine gemeinsame Teilnahme an der externen Online-Veranstaltung zu »Erneuerung der palästinensischen Bewegung – transnationale Einheit von unten?« des Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation (VIDC) rundete die Veranstaltung ab. Das Webinar mit Helmut Krieger und den palästinensischen Friedensaktivist*innen Ahmed Abu Artema, Mohamed El-Kurd und Yara Hawari kann auf der Homepage des VIDC nachgesehen und nachgelesen werden: vidc.org

Im kommenden Sommer 2022 soll die Arbeit und der Austausch dieses Workshops fortgesetzt werden. Ein weiterer Workshop will an die Themen und Diskussionen zu Friedensforschung, Friedensbildung und (De)Kolonialität des ersten Workshops anknüpfen und – im geplanten Präsenzformat – auch die Vernetzung unter den Beteiligten fördern. Dieser findet von 6.-8.7.2022 an der Universität Klagenfurt statt. Kontakt: decolonizepeace@aau.at

Melanie Hussak

Praxistransfer in der Lehre

Jahrestagung des AK Curriculum und Didaktik, AFK, Marburg, 18.-20. November 2021

»Praxistransfer in der Lehre der Friedens- und Konfliktforschung« war in 2021 das Thema der Jahrestagung, zu dem wir als Sprecher*innenteam des AK Curriculum und Didaktik der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK) gemeinsam mit dem Marburger Zentrum für Konfliktforschung eingeladen hatten.

Die Tagung wollte einen Raum bieten, um gemeinsam Erfahrungen und Möglichkeiten des Praxistransfers in der Lehre der Friedens- und Konfliktforschung (FKF) zu erkunden und Synergien zu erzeugen. Die verschiedenen Studiengänge, Ausbildungskurse und praktischen Ansätze der Konfliktbearbeitung sollten die Grundlage für den Austausch über die bisherige Umsetzung – sowohl über Fallstricke als auch über Erfolge – und über die Perspektiven und Ideen für die Zukunft bieten.

Dafür waren einerseits Lehrende der Studien- und Ausbildungsgänge der Friedens- und Konfliktforschung (und benachbarter Felder), andererseits auch Praktiker*innen aus der Friedens- und Konfliktarbeit und weitere Interessierte eingeladen. So war auch ein guter Teil der Anwesenden kein reguläres Personal der Hochschulen, sondern über Lehraufträge eingebunden. Viele hatten selbst FKF studiert, Ausbildungen in Friedens- und Konfliktarbeit, Mediation oder Beratung absolviert oder waren auch in der außeruniversitären Bildungsarbeit tätig. Diese Erfahrungsvielfalt war sehr bereichernd für die Diskussionen auf der Tagung.

Die Tagung als gelebter Praxistransfer

Die Programmbeiträge waren allesamt spannend und zugleich sehr unterschiedlich. Der erste Beitrag »Integration of Work-based Learning in Conflict, Peace and Security Studies. A presentation of the INCOPS project« porträtierte das gleichnamige europäische Forschungsprojekt. Die Projektbeteiligten stellten darin verschiedene Perspektiven auf »work-based learning« (»anwendungsbasiertes Lernen«) vor, bei dem im Rahmen von Praktika und anderen außeruniversitären Praxiserfahrungen Kompetenzen entwickelt werden. Dabei wurde herausgestellt, wie wichtig es ist, Praxiserfahrungen zu reflektieren, um sie ins Studium integrieren zu können. Wenn dies gelingt, können die Potentiale dieser Erfahrungen ausgeschöpft und für alle Beteiligten fruchtbar gemacht werden.

Im Anschluss daran präsentierte Christine Buchwald in ihrem Beitrag »Potenziale studentischer Praktika. Wie Transfer aus dem Studium in die Praxis gelingen kann« Erkenntnisse aus einem bereits abgeschlossenen Forschungsprojekt der Career Services der Universitäten Hannover, Düsseldorf und Münster. Das darin entwickelte Modell zur Transferkompetenz dient als Lehr-Lern-Instrument, das sowohl Studierende, als auch Lehrende und Arbeitgeber*innen bei der Umsetzung unterstützen kann. Alle Beteiligten können den Transfer erleichtern, indem sie durch Vorarbeit passende Voraussetzungen dafür schaffen, die Lern- und Transfermotivation fördern, die »Ownership« von Studierenden stärken und die Lerneffekte nach dem Praktikum festigen.

Im Beitrag »Lehre als Dialograum für Konfliktforschung und -praxis« stellten Eva Hörle, Dr. Michaela Zöhrer und Prof. Dr. Christoph Weller ein Kooperationsprojekt der Universität Augsburg mit dem forumZFD vor. Sie erläuterten die Grundlagen der Kooperation, die nunmehr aus einem gemeinsam organisierten Blockseminar, einem gemeinsamen Forschungsprojekt sowie weiteren Aktivitäten rund um den Ansatz der Kommunalen Konfliktberatung (KKB) bestehen. In den meist mehrjährigen Beratungsprozessen der KKB werden Kommunen bei der Gestaltung konstruktiver Konfliktbearbeitung unterstützt. Im Beitrag berichteten die drei auch davon, wie sich eine dialogische Zusammenarbeit von Akteur*innen aus der Praxis der KKB, aus der Hochschullehre und der Forschung mit den Studierenden gestaltet. Darin liegen sowohl Herausforderungen als auch Chancen und erst durch den offenen Dialograum und das verstehende Zuhören können Synergien zwischen Theorie und Praxis entstehen, neues Wissen generiert und – wie in diesem Fall – der Ansatz der KKB weiterentwickelt werden.

Lisa Hartke stellte das Methodenprogramm »Betzavta – Miteinander« vor, welches am Adam-Institut in Jerusalem entwickelt wurde und sich mittlerweile auch in anderen Ländern verbreitet hat. Sie leitete die Übung »Wissenslücken« an und reflektierte diese intensiv mit der Gruppe. Dabei ging es vor allem um die Reflexion von Privilegien, die mit unterschiedlichen Zugängen zu Wissen, Handlungsspielraum und Macht einhergehen – was besonders im universitären Kontext einen zentralen Gegenstand darstellt. Konzeptuell versteht sich Betzavta als Bildungs- und Selbsterfahrungsprogramm, welches (Konflikt-)Themen nie nur zum Gegenstand kognitiver Diskussion macht, sondern immer in das Verhältnis von Erfahrung und Gruppendynamik setzt (Lernansatz mit »Kopf, Herz und Hand«). Eine zentrale Rolle spielen dabei Aktivitäten, in denen die Gruppe exemplarisch mit Konflikten umgehen muss. Betzavta begreift Demokratie nicht nur als Regierungs- und Gesellschaftsform, sondern auch als Lebensform, zu der der konstruktive Umgang mit Konflikten dazugehört. Die Einheit bot die Möglichkeit, die Methode kennenzulernen und die Anwendungsmöglichkeiten – bspw. zur Veranschaulichung von Gruppen- bzw. Machtdynamiken im Rahmen der Hochschullehre der FKF – zu diskutieren. Besonders das Erleben der persönlichen Involviertheit in der Übung regte eine intensive Diskussion bezüglich des Praxistransfers an.

In »Lehre im Kontakt erleben: der A.T.C.C-Ansatz« stand ebenfalls ein erfahrungsorientierter Ansatz der konstruktiven Konfliktbearbeitung im Mittelpunkt. Die Abkürzung A.T.C.C. stammt aus dem Französischen (»approche et transformation constructives des conflits«) und bedeutet: Konflikte wahrnehmen und konstruktiv bearbeiten. Dr. Susan Hoppert-Fläming und Petra Schachner erläuterten die Grundprämissen des A.T.C.C.-Ansatzes, der davon ausgeht, dass Konflikte konstruktiv transformiert werden können, wobei das Konfliktpotential nicht behoben wird, sondern vorhanden bleibt. Sie stellten den »Kulturdiamanten« vor, dessen sechs Ebenen– Kultur, Werte, Rituale, Struktur, Regeln und Person – als Hilfestellung zur Ausdifferenzierung und Betrachtung verschiedener Konfliktebenen dienen. Mit Hilfe einer Reflexionsübung thematisierten sie das Lernen und Lehren als emotionale Prozesse und luden zum Austausch über emotionale Zugänge zu Themen der FKF ein. Dabei wurde viel über Fragen der Authentizität und des Sich-Zeigens als Lehrperson sowie über den Einfluss der eigenen Werte und Haltungen gesprochen, den diese auf die Lehre haben (selbst wenn sie nicht transparent gemacht werden).

Fragen als Ausgangspunkt

Bereits mit der Einladung formulierten wir Fragen, die den Ausgangspunkt der Tagung bildeten. Darüber hinaus trugen die Teilnehmenden zu Beginn der Tagung wichtige Anliegen zusammen, denen wir im Verlauf der Tagung nachgehen wollten: „Wann bzw. wie profitiert Praxis von Wissenschaft?“, „Gibt es Interesse an einem Austausch mit Praktiker*innen?“, „Wie können Praxis und Wissenschaft kombiniert werden?“

Einige Fragen wiesen dabei deutlich auf wahrgenommene Spannungsverhältnisse hin und wurden insbesondere im Nachklang der erfahrungsbasierten Ansätze diskutiert: „Wie viel Praxis darf im Uni-Kontext sein?“, „Wie interaktiv dürfen Vorlesungen sein?“, „Wie steht es mit Selbsterfahrung in die Friedens- und Konfliktforschung?“, „Was ist der Unterschied zwischen politischer Bildung und Praxis in der FKF?“

Nicht zuletzt ging es um Grundsatzfragen und Klärung der zentralen Begriffe: „Was verstehen wir überhaupt unter Praxis?“, „Welche verschiedenen Praxisverständnisse haben wir?“, „Wer transferiert eigentlich was von wo nach wo?“

Es zeigte sich wieder einmal, wie zentral die Klärung des Erkenntnisinteresses nicht nur für die Forschung, sondern auch für den Lernprozess ist.

So vielfältig die Praxis, so vielfältig der Transfer

Bereits durch die Beiträge und die daran anschließenden Gespräche konnten viele Puzzlestücke zu den Fragen zusammengetragen werden. Der letzte Tag bot die Gelegenheit, die Erkenntnisse zu ordnen und besonders die Grundsatzfragen systematisch gemeinsam zu bearbeiten. Die Gruppe trug dabei ein enormes Spektrum von Praxisverständnissen zusammen, das von Alltagspraktiken, über die Praxis von Aktivismus und Berufspraxis in sozialen Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen, professioneller Konfliktbearbeitung oder Politikberatung bis hin zu verschiedenen Formen der Bildungspraxis (Lehrpraxis in der Hochschule, politische Bildung, Friedensbildung) sowie zur Forschungspraxis und Wissenschaft als Praxis reichte. Dabei wurde deutlich, dass sowohl vielfältige Fähigkeiten als auch das Selbstverständnis und die Haltung eine zentrale Rolle für das Gelingen des Transfers spielen.

Anschließend wurde erörtert, wie außer- und inneruniversitäre Praktiken stärker miteinander verzahnt werden können. Mit Blick auf das Studium wurde festgehalten, dass es einerseits um Praxiserfahrungen geht, die Studierende bereits mitbringen und andererseits um solche Erfahrungen, die erst während des Studiums gemacht werden (z.B. in der Lehre, in Praktika oder Projekten). Nach einer Zeit an der Hochschule wird wiederum universitäres Wissen in andere Praxisfelder eingebracht und auch während eines Forschungsprozesses kann es Praxistransfer in beide Richtungen geben, wenn der Prozess dialogisch, partizipativ oder transdisziplinär angelegt wird.

So vielfältig die Praxisverständnisse und Transferrichtungen bereits waren, so lässt sich doch eine Ebene abschließend hinzufügen: die der Tagung selbst. Da eine Tagung im besten Falle auch eine Bildungspraxis darstellt, entsteht die Frage, inwiefern Erkenntnisse, Fähigkeiten und Methoden aus der Didaktik auf die Gestaltung einer Tagung übertragen werden können. Gerade an Hochschuldidaktik interessierte Lehrende können durch den Transfer von Lehrpraxiswissen sicherlich dazu beitragen, dass Tagungsdidaktik – in allen Bereichen – zukünftig noch stärker auf den Praxistransfer ausgerichtet ist.

Dr. Daniela Pastoors, M.A. Miriam Tekath, M.A. M.Sc. Lisa Hartke

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2022/1 Täter*innen, Seite 48–51