Konversion – ein weites Arbeitsfeld
Das Bonner Konversionsinstitut geht ins dritte Jahr
von Herbert Wulf
Auf Initiative des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen hat die Landesregierung NRW zusammen mit dem Land Brandenburg, der Investitions-Bank NRW und der Landesentwicklungsgesellschaft NRW im April 1994 das Internationale Konversionszentrum Bonn (Bonn International Centre for Conversion – BICC) gegründet. Aus Anlaß des 2jährigen Bestehens sprach Jürgen Nieth mit dem Direktor des BICC, Dr. Herbert Wulf.
W&F: Bei der Gründung des BICC sprach die Landesregierung NRW vom „weltweit ersten Forschungs- und Beratungsinstitut für die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Abrüstung“…
H. Wulf: Ja, nach wie vor ist uns kein Institut bekannt, das den Versuch macht, Konversion umfassend zu untersuchen und weltweit zu bearbeiten. Es gibt eine ganze Reihe von Instituten, mit denen wir auch kooperieren, die sich beispielsweise um die Konversion der Rüstungsindustrie kümmern oder die sich auf eine Region spezialisiert haben. Ich glaube aber, daß der Versuch lohnenswert ist, Konversionsbemühungen und Konversionshindernisse weltweit zu erfassen. Das tun wir.
W&F: Wenn die Landesregierung von einem Institut für die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Abrüstung spricht, heißt das Konversion als Management der Abrüstungsfolgen oder auch mit dem Ziel der Entmilitarisierung der Gesellschaft?
H. Wulf: Wir haben beides als unser Mandat. Man muß aber deutlich sagen, daß natürlich ein solches Institut nur deshalb möglich wurde, weil aufgrund von Abrüstungsvereinbarungen, Kürzungen im Militärhaushalt usw. ein wirtschaftlicher und sozialer Druck entstand und mit ihm ein Interesse an den Ergebnissen eines solchen Institutes.
W&F: In der Praxis scheint sich aber Konversion auf die Abrüstungsfolgenbearbeitung zu reduzieren. Hinzu kommt, daß die einen den Ausweg in verstärkten Rüstungsexporten sehen, die anderen wollen den Eurofighter zur Sicherung der Arbeitsplätze…
H. Wulf: In der Tat gibt es bei vielen den Versuch, Konversion auf die Bearbeitung der Abrüstungsfolgen zu reduzieren. Es gibt sogar einige, die der Meinung sind, Konversion sei überhaupt nicht nötig. Wenn die Rüstungsindustrie in Schwierigkeiten gerate, dann müsse das eben über den Markt geregelt werden. Wir sind aber der Meinung, daß gerade der militärische Sektor, wie kaum ein anderer in unserer Gesellschaft, staatlich kontrolliert ist, ob es die Aufträge für die Industrie sind, die Rüstungsexportkontrollen oder die Soldaten, die in den Streitkräften dienen. Wenn man hier radikale Schnitte vornimmt, hat der Staat auch die Verpflichtung und Aufgabe, sich um die Folgen zu kümmern. Unser Anliegen ist es, die Abrüstung, die politisch gewollt ist, nicht dadurch zu behindern, daß man sagt „aber die Folgen sind so negativ“. Insofern steht bei uns zunächst auch einmal das eher kurzfristige Ziel im Mittelpunkt, nämlich die Folgen der Abrüstung zu bewältigen. Das zweite, weitergesteckte Ziel, bleibt aber, dazu beizutragen, die Gesellschaft zu entmilitarisieren. Deshalb erscheinen auch diese Begriffe in unserem ersten „Jahrbuch Konversion“, das Mitte April veröffentlicht wird, im Titel: Abrüstung, Demilitarisierung und Demobilisierung.
W&F: Von der „Konversion der russischen Rüstungsindustrie“ über die „Umstrukturierung der amerikanischen Stützpunkte“ in der Pfalz bis zur „Demobilisierung am Horn von Afrika“, ich zitiere drei BICC-Reports des letzten Jahres. Wie werden diese Schwerpunkte festgelegt? Wo liegt die Zielstellung?“
H. Wulf: Nun, wir haben uns in den sechs Schwerpunkten unserer Arbeit (siehe »Arbeitsfelder des BICC«) angeschaut, wo die zentralen Brennpunkte für Konversion in der Welt sind. Die russische Rüstungsindustrie ist der Bereich, in dem die größten Probleme existieren, bezogen auf die Zahl der Menschen, die dort arbeiten oder ihren Arbeitsplatz verlieren. Im Bereich der Demobilisierung sind es einige Entwicklungsländer, die aus Kriegssituationen in eine Phase des Aufbruchs und des Friedens gekommen sind, deshalb das „Horn von Afrika“. Die BRD ist von allen Ländern der Welt bezogen auf die Schließung von Kasernen und anderen militärischen Liegenschaften am stärksten betroffen. Das heißt, alle drei zitierten Reports behandeln Probleme, in denen die Konversion einen sehr hohen Stellenwert hat. Das ist im Grunde auch das Auswahlkriterium für unsere Projekte, sich um die Bereiche zu kümmern, in denen Konversionshilfen erforderlich sind.
W&F: An wen richten sich z.B. Untersuchungen über die Veränderungen in der russischen Rüstungsindustrie oder der Umstrukturierung der amerikanischen Stützpunkte?
H. Wulf: Konkret versuchen wir die jeweils betroffenen anzusprechen bzw. diejenigen, von denen wir der Meinung sind, daß sie sich um diese Probleme kümmern sollten. Beispiel Rußland: Wir wollen russischen Ökonomen und Experten für den wirtschaftlichen Umstrukturierungsprozeß eine Analyse liefern. Gleichzeitig wollen wir aber auch diejenigen, die für technische und finanzielle Hilfe in Westeuropa und den USA – bezogen auf Rußland – zuständig sind, mit diesen Berichten ansprechen. Das andere Beispiel, Schließung von amerikanischen Militärbasen in Deutschland. Hier sind ganz konkret Kommunalpolitiker angesprochen. Das Rad muß ja nicht in jedem Einzelfall neu erfunden werden. Bei der Schließung von Militärbasen wurden Erfahrungen gemacht und aus diesen Erfahrungen können Kommunalpolitiker lernen, wenn sie vor Fragen stehen, wie „Was mache ich mit den Altlasten auf diesen Militärbasen? Wie kann ich Investoren für einen stillgelegten Flugplatz oder für Kasernengelände gewinnen?“
W&F: Steht im Mittelpunkt bei den verschiedenen Projekten eine punktuelle Unterstützung oder geht es auch um eine konzeptionelle Projektbegleitung?
H. Wulf: Wir versuchen einen Spagat mit begrenzten Mitteln. Wir wollen möglichst praxisnah einzelnen Projekten Hilfestellung geben. Da ist dann in vielen Fällen auch ein Besuch vor Ort notwendig. Zum Zweiten greifen wir Projekte auf, die in gewisser Weise Modellcharakter haben. Wir dokumentieren sowohl positive wie auch negative Erfahrungen, aus denen andere lernen können. Drittens führen wir Forschungsarbeiten durch, die nicht auf Einzelprojekte bezogen sind, sondern den Versuch beinhalten, ein Gesamtbild Konversion zu vermitteln.
W&F: Wie sieht das in der Praxis aus?
H. Wulf: Nachdem wir eine ganze Reihe von Arbeiten im Bereich der Liegenschaften geleistet haben, führen wir jetzt eine internationale Tagung durch, zu der wir im wesentlichen Bürgermeister aus mittleren und kleineren Städten einladen, die mit der Konversion von Liegenschaften beschäftigt sind und zwar aus den USA, aus Ländern der europäischen Union, einschließlich Deutschland, und aus osteuropäischen Ländern. Ein Erfahrungsaustausch über Hindernisse und Möglichkeiten der Konversion, darüber, welche Förderungsmöglichkeiten es gibt, wie man Investoren gewinnen kann, welche Art von Projekten, vom Freizeitpark bis hin zum Gewerbegebiet, in diesen ehemaligen militärischen Liegenschaften angesiedelt werden können.
W&F: Die Veröffentlichungen des BICC verweisen auf den Beratungscharakter der Arbeit. Wie sieht es aber mit der Forschung aus, die ja oben schon angesprochen wurde?
H. Wulf: Nun, der Beratungsteil ist der Teil, bei dem wir im Grunde auf Anfragen von außen reagieren. In unseren Forschungsprojekten bestimmen wir selber, welche Schwerpunkte wir setzen. Unser „Jahrbuch Konversion“ ist der zentrale Ausdruck für unsere Forschungsschwerpunkte. Hier werden sämtliche sechs von uns ausgesuchten Konversionsschwerpunkte behandelt, mit einem sehr starken empirischen Teil. In diesem wird dargestellt, was ist in den letzten fünf Jahren im Bereich Abrüstung geschehen, wie hat Konversion in diesen Bereichen stattgefunden oder auch nicht. Man muß ja bedauernd hinzufügen, daß beispielsweise im Bereich der Rüstungsindustrie sehr viel Abbau, aber sehr wenig Konversion stattgefunden hat. Die positiven und negativen Konversionserfahrungen werden (hoffentlich) durch solide Forschungsarbeit in diesem Jahrbuch dokumentiert.
Einem komplexen Verständnis von Konversion folgend, beschäftigt sich das BICC mit den folgenden sechs Arbeitsfeldern:
- Problemen der Umwidmung finanzieller Mittel aus den Verteidigungshaushalten für nicht militärische Zwecke;
- Umorientieruung militärischer Forschung und Entwicklung zur Erfüllung nicht-militärischer Aufgaben;
- Möglichkeiten und Hindernissen bei der Umstellung der Rüstungsindustrie, der Anpassung der vorhandenen Kapazitäten und Verminderung der Abhängigkeit von Rüstungsproduktion;
- Programmen der Demobilisierung militärischen Personals und beim Militär beschäftigten zivilen Personals sowie deren Reintegration in zivile Berufe;
- Fragen der Nutzung militärischer Einrichtungen für zivile Zwecke, einschließlich Boden und Infrastruktur (Schließung von Standorten);
- Möglichkeiten der zivilen Verwendung, des Umbaus, der Entsorgung oder Verschrottung von Waffen und anderer militärischer Geräte.
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W&F: Gibt es in ihrem Forschungsbereich eine Zusammenarbeit mit anderen Universitäten und Instituten?
Dr. Wulf: Ja, wir sind darauf angewiesen, mit Kolleginnen und Kollegen in sehr vielen Ländern zusammenzuarbeiten. Es gibt sehr gute und wichtige Kontakte zu amerikanischen Universitäten und zu den Vereinten Nationen, zu skandinavischen und russischen Instituten. Insbesondere bezogen auf Fragen des Kleinwaffenhandels oder der Demobilisierung von Streitkräften arbeiten wir auch mit vielen Instituten in den Entwicklungsländern zusammen. Dies ist ein Bereich, den wir ausbauen wollen. Bei all dem kommt uns entgegen, daß unser Zentrum ja auch einen internationalen Stab hab. Die auswärtigen Mitarbeiter kommen aus den USA, Großbritannien, Holland, Liberia und Brasilien. Eine russische Mitarbeiterin ist für uns in Moskau tätig. Die Mitarbeiter bringen sehr unterschiedliche Erfahrungen aus ihren jeweiligen Ländern mit und auch ihre Kontakte zu Instituten im Ausland.
W&F: Nordrhein-Westfalen sicherte dem Institut eine Anschubfinanzierung für fünf Jahre. Die Hälfte ist fast um, wie ist die Perspektive?
H. Wulf: Wir haben eine Finanzierungsgarantie für die ersten fünf Jahre bekommen, was angesichts knapper Kassen der öffentlichen Hand eine sehr großzügige Finanzierung war. Die meisten Institute haben ja eher in den letzten Jahren starke Kürzungen hinnehmen müssen. Vereinbart ist mit unseren Gesellschaftern, daß nach vier Jahren Arbeit eine Evaluierung stattfinden wird und auf der Basis dieser Evaluierung werden dann unsere Gesellschafter über die Weiterentwicklung des Institutes zu entscheiden haben. Ich gehe fest davon aus, daß das Engagement der Gesellschafter nicht nach wenigen Jahren erlahmt ist. Man gründet ein solches Zentrum ja nicht, um nach fünf Jahren wieder Schluß zu machen. Vor allen Dingen, die wichtigen Aufgaben liegen noch vor uns, über Mangel an Arbeit können wir uns eigentlich nicht beklagen.
W&F: Und die nächsten Projekte?
H. Wulf: Wir haben ein Projekt mit amerikanischen Institutionen begonnen, das sich ausschließlich dem Problem widmet, was mit den Überschußwaffen geschieht. Wenn bei Abrüstung Waffen frei werden und diese Waffen in andere Regionen der Welt exportiert werden, dann ist dies ein sehr negatives Ergebnis, da der Abrüstung in einer Region der Welt, die Aufrüstung in einer anderen Region folgt. Ein zweiter Themenbereich, der uns sehr am Herzen liegt, ist die Demobilisierung von Soldaten in Entwicklungsländern. Wir möchten Entwicklungshilfe gebende Organisationen davon überzeugen, daß Demobilisierung nicht nur ein abrüstungs- und friedenspolitisches-, sondern auch entwicklungspolitisches Konzept erfordert. Schließlich noch ein dritter Bereich, den wir für »unterbelichtet« halten. Das ist die Frage, was geschieht mit den Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen, die früher ausschließlich für das Militär gearbeitet haben. Hier gibt es noch zigtausende, wenn nicht gar hunderttausende von Wissenschaftlern und Ingenieuren, die sich eigentlich um zivile Alternativen kümmern müssen. An dieser Stelle hat unsere Arbeit erst begonnen, diesen Bereich möchten wir gerne ausbauen.
W&F: Für Mai plant das BICC eine Konferenz zusammen mit der NATO …
H. Wulf: Wir sind von der NATO, dem Auswärtigem Amt in Deutschland und der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen gebeten worden, eine internationale Konferenz zu organisieren, die sich ausschließlich mit den Folgen der Abrüstung im Bereich der Chemiewaffen und der Nuklearwaffen beschäftigt. Es geht darum, neue Wege zu suchen, wie mit den Materialien umgegangen wird, die aufgrund von Abrüstungsvereinbarungen jetzt das Erbe des Kalten Krieges darstellen, also von Interkontinentalraketen über waffenfähiges Nuklearmaterial bis eben hin zu Chemiewaffen. Hier sollen Experten aus den Ländern der ehemaligen Militärblöcke, Warschauervertragsorganisation und NATO, zusammengebracht werden, um nach neuen Wegen zu suchen, mit diesem schlimmen Erbe des Kalten Krieges fertig zu werden.
W&F: Eine letzte Frage. Wissenschaft, die ihre Ergebnisse direkt verwerten kann und auch soll, gerät leicht in den Verdacht der Indienstnahme, der wirtschaftlichen Abhängigkeit und damit vielleicht auch der politischen Einseitigkeit. Wie geht das BICC mit dieser Frage um, wie verläuft der Meinungsbildungsprozeß im BICC?
H. Wulf: Es gibt eine ganze Reihe von Entscheidungsstufen. Wir existieren als Zentrum in der Form einer gemeinnützigen GmbH, eine ganz ungewöhnliche Konstruktion, also nicht als ein eingetragener Verein, als Stiftung oder als Universitätsinstitut. Diese GmbH hat einen Aufsichtsrat, der über das Arbeitsprogramm und über den Wirtschaftsplan entscheidet. Das ist zunächst einmal die Rahmenbedingung für uns. Ich kann sagen, daß ich als Geschäftsführer dieser GmbH bislang vom Aufsichtsrat die Projekte, die wir vorgeschlagen haben, in jedem konkreten Einzelfall auch genehmigt bekommen habe. Der Meinungsbildungsprozeß im Hause findet so statt, daß Projektvorschläge, die von Mitarbeitern oder von der Geschäftsführung gemacht werden, im Hause diskutiert werden. Letzten Endes hat dann natürlich die Geschäftsleitung gegenüber dem Aufsichtsrat die Verantwortung. Bislang haben wir in der Aufbauphase eigentlich nicht das Problem gehabt, sinnvolle Projekte zu finden, sondern die schwierige Entscheidung gehabt, aus den vielen guten Ansätzen, die auszuwählen, die für uns Priorität haben. Da war sicherlich manchmal die Entscheidung schwierig, ob man sich um das eine oder das andere Projekt kümmern soll, wenn die Finanzmittel nur für ein Projekt vorhanden sind.
W&F: Vielen Dank!
Herbert Wulf ist Direktor des Internationalen Konversionsinstituts Bonn (BICC)