Kräfte bündeln in schwieriger Zeit
von Peter Strutynski
Über 250 Friedensaktivisten aus über 80 Städten und noch mehr Initiativen/Gruppen/Verbänden trafen sich zum »2. Friedenspolitischen Ratschlag« am 9. und 10. Dezember in Kassel. Dabei stand nicht das gegenseitige Kennenlernen im Vordergrund (so wie noch beim 1. Ratschlag im November 1994), sondern der politische Erfahrungs- und Meinungsaustausch. Es ging darum, sich über tragfähige Friedensvisionen zu verständigen und Wege dorthin auszuloten sowie den in den letzten Jahren zum Teil gerissenen Kommunikationsfaden zwischen Friedensbewegung und Friedenswissenschaft neu zu knüpfen.
Die Friedensbewegung ist von den Kriegsereignissen der letzten Jahre tief erschüttert worden. Insbesondere auf die Massaker, Vertreibungen und Vergewaltigungen im ehemaligen Jugoslawien schien es für viele Menschen in unserem Land keine andere Antwort mehr zu geben als das – wenn's sein muß, auch militärische – „Dreinschlagen“, um dem Morden ein Ende zu bereiten. Politiker fast aller Parteien haben dies teils ähnlich gesehen und schließlich für NATO-Bombardierungen und für Bundeswehreinsätze plädiert, teils haben sie diese Stimmung aber auch bewußt genutzt, um ihre keineswegs friedlichen Interessen und Ziele auf dem Balkan durchzusetzen. Und für jene, die mit den realen Entwicklungen in Kroatien und Bosnien nur aus den gängigen Quellen der Massenmedien vertraut sind – die selten so gleichgeschaltet waren wie in dieser Frage – muß auch der Friedensschluß von Dayton und Paris als das Resultat der NATO-Bombardierungen vom August bis Oktober 1995 erscheinen.
Der Bonner Marschbefehl für die Bundeswehr beherrschte natürlich auch die Diskussionen des Kasseler Ratschlags. Bruno Schoch von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung rechtfertigte Militäreinsätze zur Verhinderung von Völkermord und zur Wahrung oder Wiederherstellung der Menschenrechte unter Berufung auf die militärische Befreiung Deutschlands vom Hitler-Faschismus im Jahre 1945 und erntete massiven Widerspruch aus dem Publikum. Wesentlich zurückhaltender argumentierte die Völkerrechtlerin Martina Haedrich (Jena), die dennoch ein Interventionsrecht der UNO als »ultima ratio« zur Durchsetzung des Völkerrechts nicht ausschließen wollte. Auch der dritte Podiumsteilnehmer, Wolfgang Vogt von der Führungsakademie der Bundeswehr Hamburg und gleichzeitig Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK), rief mit seinem Statement zunächst mehr Widerspruch als Zustimmung im Plenum hervor. Vor allem empfahl er, nicht mehr in nationalstaatlichen, sondern in „weltgesellschaftlichen“ Kategorien zu denken. Aus dieser Sicht gebe es auch keine rein „inneren“ Angelegenheiten von Staaten mehr, vor allem dann nicht, wenn z.B. „massenhaft Menschen umgebracht werden“. Vogt kritisierte aber genauso leidenschaftlich das zur Zeit noch gängige Politikmuster, wonach auf solche Situationen mit militärischen Aktionen des „Multisicherheitsmolochs“ NATO reagiert werde. Jegliches Militär müßte abgeschafft und durch eine neue Art internationaler Sicherheitsorganisation (Vogt nennt sie „Politär“) ersetzt werden. Die Hauptaufgabe der internationalen Politik bestehe aber darin präventiv zu wirken, d.h. mögliche Konflikte frühzeitig zu erkennen und darauf mit zivilen, nicht-militärischen Mitteln zu reagieren.
Dieser Gedanke beherrschte nicht nur die Plenumsdiskussion, sondern zog sich auch durch die Beratungen in den zwölf Arbeitsgruppen, in denen jede Menge von dem aufgearbeitet wurde, was der Friedensbewegung an neuen Themen und Herausforderungen seit dem Ende des Ost-West-Konflikts buchstäblich um die Ohren gehauen wird: Die UNO in der neuen Weltordnung, die ökonomische und politische Rolle der Bundesrepublik in der Welt, die Umrüstung der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee, Atomtests und Atomwaffen, Rüstungsproduktion, Konversion und Waffenhandel, die Friedensaussichten für das ehemalige Jugoslawien und die Möglichkeiten humanitärer Hilfe, die Entwicklung ziviler Alternativen zu Krieg und Gewalt (z.B. das Modell eines Zivilen Friedensdienstes), Kriegsursachenforschung und Konzepte vorsorgender Friedenspolitik (z.B. das an Hand des Biosphärenreservats Rhön demonstrierte Konzept einer »Friedensverträglichkeitsprüfung«), die Rolle der Frau in Krieg und Frieden, die generelle Friedensfähigkeit oder -unfähigkeit der Menschen in einer strukturell nicht friedlichen Gesellschaft oder – aus sehr aktuellem Anlaß – die Frage nach einer politischen Lösung im türkisch-kurdischen Konflikt. Alle Themen wurden lebhaft, zum Teil kontrovers, vor allem aber ergebnisorientiert diskutiert.
Unter dem Titel „Kriege beenden, Gewalt verhüten, Frieden gestalten“ verabschiedeten die Teilnehmer des Kongresses eine Erklärung, in der sie sich u.a. einsetzen für
- nichtmilitärische Konfliktlösungsstrategien auf der Basis kollektiver Sicherheitssysteme,
- eine neue europäische Sicherheitsstruktur, für die die OSZE als positiver Ansatz gesehen wird,
- einen alle Staaten umfassenden Atomteststopp,
- das weltweite Verbot chemischer Waffen und die Vernichtung der Bestände,
- das Verbot der Herstellung, Lagerung, des Exports und des Einsatzes von Minen
- ein Verbot des Waffenhandels.
Die Teilnehmer forderten mehr Mittel für die Friedensforschung und einen angemessenen Beitrag der BRD zu einem multinationalen Programm des Wiederaufbaus im ehemaligen Jugoslawien.
Abschließend wurde beschlossen, im kommenden Herbst den „3. Friedenspolitischen Ratschlag“ wieder in Kassel zu veranstalten.
Dr. Peter Strutynski ist wiss. Mitarbeiter an der Universität - GHK Kassel.