„Kriege enden nicht im Frieden“
von Albert Fuchs
Vor jeder konkreten Bilanzierung mag für PazifistInnen klar sein: „Kriege enden nicht im Frieden“ (D. Bach). Denn Krieg impliziert definitionsgemäß die gesellschaftlich sanktionierte Tötung von Artgenossen. Wenn aber alle Artgenossen im Wesentlichen gleich sind, beinhaltet Kriegführen im Prinzip die Bereitschaft, jeden beliebigen Artgenossen umzubringen. Und wie das widerspruchsfrei in ein Friedenskonzept integriert werden könnte, ist nicht einsichtig.
Wer (noch) über solche oder ähnliche Gewissheiten verfügt, mag die Schwerpunktsetzung des vorliegenden Heftes im Ansatz verfehlt, problematisch oder doch unergiebig finden. Allerdings fallen auch pazifistische Gewissheiten nicht vom Himmel, und es dürfte einen großen Unterschied für die Fundierung einer entsprechenden Gesinnung und für Selbstaktivierung und Mobilisierung machen, ob man beispielsweise den angesprochenen Gleichheitsgrundsatz nur als »Dogma« übernommen oder aber durch Empathie mit konkreten Opfern militärischer Gewalt gewonnen oder wenigstens belebt hat. Auch ist eine konsequenzialistisch bilanzierende Betrachtungsweise Grundlage des Gesprächs mit weniger prinzipiellen Militär- und KriegsgegnerInnen und erst recht Grundlage jeder Auseinandersetzung mit »Militärgläubigen«. Wenn VertreterInnnen der letzten Kategorie überhaupt militär- und kriegskritischen Argumenten zugänglich sein sollten, dann solchen des funktionalen Typs, d.h. Problematisierungen des effektiven Beitrags militärischer Gewalt zu einem »gerechten Frieden«. Nicht zuletzt aber müssen PazifistInnen sich immer auch möglichst nüchtern und ressentimentfrei auf die reale Hinterlassenschaft kriegerischer Gewalt einlassen, wenn sie – entsprechend dem strengen Wortsinn von »pacem facere« – als FriedenstäterInnen vernünftig und verantwortungsvoll handeln wollen.
Mit der wohlbegründeten Überzeugung, dass die bilanzierende Perspektive berechtigt und notwendig ist, sind die Probleme aber nicht gelöst, die diese Perspektive mit sich bringt. Sie werden auch, das vornweg, im vorliegenden Heft nicht gelöst. Wir konnten nicht einmal einen Beitrag akquirieren, in dem der Versuch unternommen worden wäre, sie halbwegs systematisch zu reflektieren. Die aufmerksame LeserIn wird sich aber unweigerlich damit konfrontiert sehen, hie und da womöglich in irritierender Weise. Daher soll an dieser Stelle wenigsten auf einige Problemaspekte hingewiesen werden.
Die Auswahl der »Kriegstheater« seitens der Redaktion ist vor allem durch die psychologische Nähe, aber auch durch die erreichbare Fachkompetenz bestimmt. Klar, dass es demnach nicht primär und schon gar nicht ausschließlich um die »Neuen Kriege« i.S.v. H. Münkler und anderen gehen kann; darum geht es wohl am eindeutigsten in dem Beitrag über Somalia. Im Vordergrund stehen die Schauplätze, in denen stabile westliche Staaten in neu-alter kolonialer bzw. imperialer Manier durch »militärische Machtprojektion« dem ad hoc definierten Feind – und dem Rest der Welt gleich mit – beizubringen suchen, wo es langgehen soll: Irak, Afghanistan, Jugoslawien (Kosovo), Kolumbien; die »Neuen Kriege« sind mehr Vorwand als Anlass für das Durchgreifen der westlichen Kriegsherren. Wir glauben, dass deren Kriege uns in besonderer Weise angehen, da sie ja schließlich »in unserem Namen« – und mit unserer mehr oder weniger freiwilligen materiellen und politisch-moralischen Unterstützung – geführt wurden und werden.
Die Ausarbeitung der Beiträge lag natürlich ganz in der Verantwortung der AutorInnen. Damit war ihnen anheimgestellt, was sie in welcher Breite und Tiefe bei gegebenem Thema berücksichtigen wollten. Vor allem blieb ihnen die Wahl des (normativen) Bezugssystems weitestgehend überlassen, auf das jede Kriegsbilanzierung angewiesen ist – kontrafaktische Spekulationen (über das, was wäre oder gewesen wäre, wenn…) nicht ausgeschlossen. Das bedingt einige erstaunliche »Subjektivitäten«. Statt sich jedoch davon irritieren zu lassen, kann man sie als Gelegenheit sehen, konträre eigene Selbstverständlichkeiten selbstkritisch zu prüfen. Hier muss es bei dieser allgemeinen Einladung zu einer möglichst kritischen und selbstkritischen Lektüre der Beiträge (zum Schwerpunktthema) bleiben. Doch sei daran erinnert, dass, da W&F sich auch als Diskussionsforum versteht, Dissens zu einem Beitrag beispielsweise auch in einem LeserInnen-Brief zur Sprache gebracht werden kann und dass von dieser Möglichkeit mehr Gebrauch gemacht werden könnte.
Mir persönlich ist vor allem der »Teufelskreis«-Charakter des Kriegführens aufgestoßen. Er wird – in der Sache – in verschiedenen Beiträgen herausgearbeitet, besonders eindrucksvoll in dem Artikel über Kolumbien: Wie eh und je schafft (oder vergrößert) militärische Gewalt die Probleme, die sie zu lösen vorgibt.
Albert Fuchs