W&F 1993/1

Kriegsverbrechen Vergewaltigung

Beispiel: Bosnien-Herzegowina

von Helga Wullweber

Im Krieg in Bosnien-Herzegowina sind von allen Konfliktparteien Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen an Frauen, Männern und Kindern, begangen worden. Die Frauen des Kriegsgegners wurden von allen kriegführenden Parteien vergewaltigt. Am umfangreichsten aber und systematisch wurden bosnische Frauen, das sind muslimische, kroatische und infolge Eheschließung mit Muslimen »unreine« serbische Frauen, von den Truppen der bosnischen Serben vergewaltigt. Die Vergewaltigungen bezweckten die psychische Zerstörung der bosnischen Frauen und Männer und ihrer Familien. Sie dienten der ethnischen Säuberung in von den Serben beanspruchten Gebiete, waren Kriegstaktik, um Terrain zu erobern. Das unterscheidet die von den Serben in den von ihnen besetzten Gebieten begangenen Vergewaltigungen von anderen Kriegsvergewaltigungen.

Obgleich viele Lager, in denen Frauen vergewaltigt wurden, bekannt waren, blieben das UN-Flüchtlingskommissariat und das Internationale Rote Kreuz lange Zeit untätig. Bei der Anhörung des Bundestagsausschusses für Frauen und Jugend zu den systematischen Vergewaltigungen in Bosnien-Herzegowina beklagte Roman Wieruszewski, persönlicher Referent des jetzigen UN-Menschenrechtsbeauftragten für Jugoslawien Tadeus Mazowiecki, die Hilflosigkeit der UN und die Gleichgültigkeit Europas: „Wir haben keine Mittel, mit dieser Situation fertig zu werden.“ Selbst Lager, zu denen die Vertreter internationaler Organisationen Zutritt haben, könnten nicht aufgelöst werden, weil es nicht genug Angebote aus den europäischen Staaten gibt, die Kriegsopfer unterzubringen (FR v. 9.12.92). Erst die internationale Einmischung von Frauen hat ein Ende der Untätigkeit bewirkt.

Aus der Feststellung, daß die Serben besonders grausam und zielgerichtet mordeten, folterten und vergewaltigten, folgt nicht, daß damit die Serben als für den Bürgerkrieg verantwortlich dingfest gemacht wären. Die Verurteilung der Kriegführung ist von der Beurteilung der Kriegsursachen zu unterscheiden. Das Anprangern der Kriegsverbrechen, das Beharren auf der Einhaltung der für die Zivilbevölkerung existentiellen Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts darf nicht den Blick auf das vielschichtige Konfliktfeld trüben, das dem Bürgerkrieg zugrunde liegt. Handlungsräume, die sich durch das öffentliche Anprangern der Kriegsvergewaltigungen als Kriegsverbrechen eröffnen, könnten durch die Ineinssetzung von Kriegsführung und Kriegsursachen verschüttet werden.

Vergewaltigung – Vergessenes Kriegsverbrechen

Von Frauen, Bürgerinnen und Politikerinnen wurde, um die internationale Staatengemeinschaft aufzurütteln und zum Eingreifen zu veranlassen, gefordert, die Kriegsvergewaltigung völkerrechtlich als Kriegsverbrechen zu ächten. Das ist aber längst geschehen. Seit 1949 ist es geltendes Völkerrecht, daß Vergewaltigungen im Krieg Kriegsverbrechen sind. Es ist bemerkenswert und bezeichnend, daß die Ächtung von Vergewaltigungen im Krieg als Kriegsverbrechen öffentlich nicht bekannt war, obgleich mit dieser Ächtung nach 1945 die Konsequenz aus den den Frauen im Zweiten Weltkrieg angetanen Vergewaltigungen gezogen wurde. Die von den Deutschen und den Japanern begangenen Kriegsvergewaltigungen waren als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des den, den Kriegsverbrecherprozessen zugrundeliegenden Londoner Abkommens vom 8. August 1945 in den alliierten Kriegsverbrecherprozessen nach dem Zweiten Weltkrieg in Nürnberg und in Tokio angeklagt und Grundlage der Verurteilungen. Doch handelten die Kriegsverbrecherprozesse von solchen unsäglichen millionenfachen Greueltaten, daß sich viele sperrten, die Einzelheiten zur Kenntnis zu nehmen. Auch wurden die Kriegsverbrecherprozesse in Deutschland von vielen, erleichtert mit dem Leben davon gekommen zu sein, mit schuldbewußter Apathie als bloße Siegerjustiz wahrgenommen. So wie die tausendfachen Vergewaltigungen, die die deutschen Soldaten den Frauen ihrer Kriegsgegner antaten, und die massenhaften Vergewaltigungen deutscher Frauen insbesondere durch die russischen Soldaten nach Kriegsende öffentlich kein Thema waren, sondern verschwiegen wurden – erst Helke Sander durchbrach 1992 mit ihrem Film »BeFreier und Befreite« das Schweigen –, so war in Vergessenheit geraten, daß die Vereinten Nationen, die in den ersten Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges das humanitäre Völkerrecht mit Elan fortentwickelten, an das den Frauen angetane besondere Leid gedacht und mit der Ächtung von Vergewaltigungen als Kriegsverbrechen reagierten und künftig zu verhindern hofften. Zwar wurden die amerikanischen GI`s, die nach dem Vietnamkrieg wegen des Massakers in My Lai vor amerikanischen Militärgerichten angeklagt waren, auch wegen ihrer Beteiligung an unzähligen Vergewaltigungen verurteilt. Jedoch beförderte die nur vereinzelte Verfolgung von im Vietnamkrieg durch amerikanische GI's begangenen Kriegsverbrechen durch nationale amerikanische Militärgerichte nicht die Erkenntnis,daß die angeklagten Vergewaltigungen und Massaker als Kriegsverbrechen international geächtet sind. Während des 1971/72 neun Monate währenden Bürgerkrieges in Bangladesch, das seine Unabhängigkeit von Pakistan erklärt hatte, verloren Millionen Menschen ihr Leben und wurden Hunderttausende, überwiegend moslemische Frauen von den Pakistanis vergewaltigt. Zum ersten Mal in der Geschichte wurde von Frauen weltweit gegen die Vergewaltigungen im Krieg protestiert und Hilfen für die vergewaltigten und schwangeren Frauen organisiert. Aber Bangladesh zählte zum sozialistischen Lager, auch war der Vietnamkrieg noch nicht zuende – die Anprangerung der Vergewaltigungen als international geächtete Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen hatte keine FürsprecherInnen. Erst 1992 wagte eine Gruppe koreanischer Frauen von der japanischen Regierung Wiedergutmachung zu fordern für 100.000 Frauen, die während des Krieges zwischen Korea und Japan 1930-1940 auf die Pazifischen Inseln in eine lange sexuelle Sklaverei verschleppt wurden. Die Mehrheit der Frauen war zu dem Zeitpunkt zwischen 16 und 18 Jahren alt, sie wurden von ihren Familien gerissen, zu denen sie niemals zurückkehren konnten (zit. nach Lepa Mladjenovic, Universal Soldier, in Scheherezade, Newsletter No.4, Januar 1993). Die Koreanerinnen fordern damit mit Jahrzehnten Verspätung von Japan die Wiedergutmachung ein, zu der jede Kriegspartei verpflichtet ist, deren Soldaten Kriegsverbrechen begangen haben.

Da die Kriegsvergewaltigungen Kriegsverbrechen sind, befaßt sich die vom Weltsicherheitsrat eingesetzte Kommission zur Untersuchung von Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien auch mit den Vergewaltigungen. Außerdem hat die diesjährige UN-Generalversammlung dem Völkerrechtsausschuß der Vereinten Nationen (erneut) das Mandat erteilt, die Statuten eines internationalen Strafgerichtshofes auszuarbeiten, damit gegen die Kriegsverbrecher Anklage erhoben werden kann. Keine Delegation wagte gegen den Resolutionsentwurf offen aufzutreten, obgleich es genügend Gewaltherrscher gibt, die damit rechnen müßten, selbst vor einem internationalen Tribunal zu enden (FR v. 15.12.92).

Der völkerrechtlich garantierte humanitäre Standard

Die Ächtung der den Frauen in Bosnien-Herzegowina angetanen Vergewaltigungen als Kriegsverbrechen resultiert aus nachfolgenden, von allen bosnischen Konfliktparteien in einer Vereinbarung vom 22.5.1992 anerkannten Regeln des humanitären Völkerrechts.

„In der Erwägung, daß bei allem Bemühen, Mittel zu suchen, um den Frieden zu sichern und bewaffnete Streitigkeiten zwischen den Völkern zu verhüten, es doch von Wichtigkeit ist, auch den Fall ins Auge zu fassen, wo ein Ruf zu den Waffen durch Ereignisse herbeigeführt wird, die ihre Fürsorge nicht hat abwenden können, von dem Wunsche beseelt, selbst in diesem äußersten Falle den Interessen der Menschlichkeit und den sich immer steigernden Forderungen der Zivilisation zu dienen“, war im IV. Haager Abkommen vom 18.10.1907, betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs, die „meuchlerische Tötung oder Verwundung von Angehörigen des feindlichen Volkes oder Heeres“ verboten (Art.23 Abs.1 b der Anlage zum Abkommen) und der „militärischen Gewalt auf besetztem feindlichen Gebiet“ aufgegeben worden, „die Ehre und die Rechte der Familie, das Leben der Bürger und das Privateigentum sowie die religiösen Überzeugungen zu achten“ (Art.46 der Anlage zum Abkommen). Ein papierenes Versprechen, das in beiden Weltkriegen unbeachtet blieb.

Trotzdem wurde nach dem Zweiten Weltkrieg das völkerrechtliche Kriegsrecht mit den vier »Genfer-Rotkreuzabkommen« vom 12.8.1949 durch humanitäre Regelungen zum Schutz der Verwundeten, Kriegsgefangenen und der Zivilbevölkerung im Falle eines bewaffneten Konflikts aktualisiert, bestimmter gefaßt und die Geltung auch auf Bürgerkriege erstreckt. Die Abkommen betreffen zwar in erster Linie bewaffnete internationale Konflikte. Jedoch wird durch den in allen vier Abkommen gleichlautenden Art.3 der Zivilbevölkerung auch im Falle von nicht-internationalen, d.h. Bürgerkriegen, der Kernbestand des humanitären Völkerrechts garantiert. Art.3 verlangt von den Konfliktparteien u.a., daß sie „die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmenden Personen menschlich behandeln, ohne jede auf Rasse, Farbe, Religion oder Glauben, Geschlecht, Geburt oder Vermögen oder auf irgendeinem anderen ähnlichen Unterscheidungsmerkmal beruhende Benachteiligung“. Dies bedeutet insbesondere das Verbot von grausamer Behandlung, Folterung, Beeinträchtigung der persönlichen Würde und namentlich von erniedrigender und entwürdigender Behandlung. Im 4. Genfer-Rotkreuzabkommen zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten heißt es im Unterschied zum IV. Haager Abkommen zum Schutz der Frauen explizit: „Die Frauen werden besonders vor jedem Angriff auf ihre Ehre und namentlich vor Vergewaltigungen, Nötigung zur gewerbsmäßigen Unzucht und jeder unzüchtigen Handlung geschützt.“ (Art.27 4. Rotkreuzabkommen)

Mittels zweier Zusatzprotokolle vom 10.6.1977 wurde sodann das humanitäre Völkerrecht an die veränderte Kriegstechnik und an die veränderten Formen der Kriegführung im Guerillakrieg angepaßt und der humanitäre Mindeststandard, wie er in dem Art.3 der vier Genfer-Rotkreuzabkommen normiert ist, sowohl für internationale als auch für nicht-internationale Konflikte (d.h. für „interne Feindseligkeiten kollektiven Charakters, an denen organisierte und unter verantwortlichem Kommando stehende bewaffnete Einheiten beteiligt sind, die einen Teil des Staatsgebietes kontrollieren und fortlaufend militärische Operationen durchführen“, Art.1 Ziff.2 des 2. Zusatzprotokolls) fortentwickelt.

Für den Krieg im ehemaligen Jugoslawien sind beide Zusatzprotokolle von Belang, denn dieser Krieg ist beides: Krieg zwischen Staaten, soweit die jugoslawische Bundesarmee unter serbischem Oberkommando in Kroatien und in Bosnien-Herzegowina kämpft, und Bürgerkrieg, soweit Milizen in Kroatien oder in Bosnien-Herzegowina ansässige Serben gegen bosnische oder kroatische Kampftruppen kämpfen.

In beiden Zusatzprotokollen wird zum Schutz der Opfer bewaffneter Konflikte »grundlegend« garantiert, daß folgende Handlungen jederzeit überall verboten sind und bleiben, gleichviel ob sie durch zivile Bedienstete oder durch Militärpersonen begangen werden, gleichviel ob den geschützten Personen die Freiheit entzogen ist oder nicht: Folter jeder Art, gleichviel ob körperlich oder seelisch, Beeinträchtigungen der persönlichen Würde, insbesondere entwürdigende und erniedrigende Behandlung, Vergewaltigung, Nötigung zur Prostitution und unzüchtige Handlungen jeder Art (Art.75, 76 des 1. Zusatzprotokolls, Art.4 des 2. Zusatzprotokolls).

Die den bosnischen Frauen angetanen Vergewaltigungen sind zugleich Foltermaßnahmen, denn unter Folter ist „jede Handlung zu verstehen, durch die jemand vorsätzlich starke körperliche oder geistig-seelische Schmerzen zugefügt werden, sofern dies u.a. in der Absicht, von ihm oder einem Dritten eine Auskunft oder ein Geständnis zu erzwingen, ihn für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihm oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen, ihn oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen oder in irgendeiner auf Diskriminierung beruhenden Absicht geschieht und sofern solche Schmerzen oder Leiden von einem öffentlich Bediensteten oder von einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person bzw. auf deren Veranlassung mit deren Zustimmung oder mit deren stillschweigendem Einverständnis verursacht werden“ (Art.1 der „Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe“ vom 10.12.1984). Wenn auch diese „Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe“ noch nicht in Kraft getreten ist, weil noch nicht zwanzig Staaten die Konvention, die Folter auch außerhalb kriegerischer Konflikte verbietet, ratifizierten, so gibt doch diese Definition nur den allgemeingültigen Begriff von Folter wieder und bestätigt die internationale Gültigkeit des Folterbegriffs. Die Vergewaltigungen, die die serbischen Truppen und Milizen im ehemaligen Jugoslawien begingen, sind Foltermaßnahmen im Sinne dieser Definition. Frauen wurden sowohl vergewaltigt, um sie einzuschüchtern und zu diskriminieren, als auch um von ihnen Auskunft über bosnisch-muslimisch-kroatische Gefechtsstellungen zu erhalten.

Ächtung von Menschen als Kriegsverbrechen

Insbesondere die systematischen, gezielt als Kriegstaktik eingesetzten Vergewaltigungen sind Kriegsverbrechen. Kriegsverbrechen sind die schweren Verstöße gegen die Genfer Rotkreuz- und Zusatzabkommen. Als schwere Verletzung der Rotkreuzabkommen und der Zusatzabkommen gelten u.a.: die vorsätzliche Tötung, die Folterung oder unmenschliche Behandlung, die vorsätzliche Verursachung großer Leiden oder schwerer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Gesundheit, die rechtswidrige Verschleppung oder Verschickung und die rechtswidrige Gefangenhaltung von Zivilpersonen (Art.147 des 4. Rotkreuzabkommens, Art.85 Ziff.3 und 5 und Art. 11 Ziff.4 des 1. Zusatzabkommens). Schwere Verstöße und folglich Kriegsverbrechen sind auch die durch Art.75 des 1. Zusatzprotokolls und Art.4 des 2. Zusatzprotokolls „jederzeit und überall verbotenen“ Vergewaltigungen und die Nötigung zur Prostitution.

Die systematischen Vergewaltigungen der bosnischen Frauen durch die serbischen Truppen sind strafbare Kriegsverbrechen auch aufgrund der »Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords« vom 9.12.1948. In dieser Konvention wird „Völkermord, ob im Frieden oder im Krieg begangen“, als „Verbrechen gegen das internationale Recht“ qualifiziert, zu dessen Verhütung und Bestrafung sich die Vertragsstaaten verpflichten. Als Völkermord werden u.a. definiert die Tötung von Mitgliedern der Gruppe oder die Verursachung von schweren körperlichen oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe, wenn diese Handlungen in der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören. Die zum Zwecke der ethnischen Säuberung begangenen massenhaften Vergewaltigungen zielten auf die psychische Vernichtung und Demoralisierung der bosnischen Frauen und Männer und Kinder. Die Vergewaltigungen wurden also begangen, um sie als Gruppe zu zerstören.

Strafbarkeit von Kriegsverbrechen

Ein völkerrechtliches Strafrecht, d.h. einen Verbrechenskodex, der Sanktionen für Straftaten normiert, gibt es allerdings noch nicht. Zur Bestrafung der Kriegsverbrecher des 2. Weltkrieges hatten die Siegermächte zwar das Londoner Abkommen vom 8. August 1945 geschlossen, das die wichtigsten Tatbestände des völkerrechtlichen Strafrechts aufzeichnete: 1. Verbrechen gegen den Frieden, 2. Kriegsverbrechen, 3. Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Kriegsverbrechen im engeren Sinn sind alle schweren Verletzungen des Kriegsrechts, z.B. Mißhandlungen oder Deportation von Zivilpersonen in besetzten Gebieten, Mord oder Mißhandlung von Kriegsgefangenen, mutwillige Zerstörungen nichtmilitärischer Anlagen, Plünderung usw.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind schwere Verletzungen der Menschenrechte aus Motiven, die mit der Zugehörigkeit des Opfers zu einem bestimmten Staat, einer Volksgruppe, einer Rasse, Religion oder politischen Überzeugung zusammenhängen. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen bestätigte in einer Resolution vom 11.12.1946 die »Nürnberger Prinzipien« und erteilte der Völkerrechtskommission den Auftrag, diese Prinzipien zu formulieren. Der Entwurf für einen Verbrechenskodex, den die Völkerrechtkommission 1954 vorlegte, fand jedoch nicht die Billigung der Generalversammlung.

Inzwischen wird die Notwendigkeit eines internationalen Verbrechenskodex in Frage gestellt und die Nürnberger Prinzipien als ausreichende völkergewohnheitsrechtliche Grundlage für die Aburteilung von Kriegsverbrechen angesehen, zumal in den Rotkreuzabkommen und in der Völkermordkonvention Verbrechenstatbestände normiert wurden, die die Nürnberger Prinzipien bekräftigten.

Auch die »Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords« vom 9.12.1948, die zu verabschieden der UNO gelungen war, enthält keine eigene Strafnorm, sondern verpflichtet lediglich die Signatarstaaten, Handlungen, die als Völkermord definiert sind, unter Strafe zu stellen (Art.VI der Konvention). Die Bundesrepublik ist 1954 ihrer Verpflichtung aus der Konvention durch die Einfügung des § 220a in das Strafgesetzbuch nachgekommen.

So wie in der »Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes« werden in allen vier Genfer Rotkreuzabkommen die „Maßnahmen gegen Verletzungen des Abkommens“ gleichlautend geregelt. Die Vertragsstaaten sind verpflichtet, „alle notwendigen gesetzgeberischen Maßnahmen zur Festsetzung von angemessenen Strafbestimmungen für solche Personen zu treffen, die eine schwere Verletzung des Abkommens begehen oder zu solch einer Verletzung den Befehl erteilen“ (so z.B.: Art.146 Abs.1 des 4.<|>Rotkreuzabkommens). Dabei ist zu berücksichtigen, daß Art. 87 des 1.<|>Zusatzprotokolls die militärischen Kommandanten dafür verantwortlich macht, daß die ihrem Befehl unterstellten Soldaten oder sonstige Personen keine Verletzungen der Abkommen begehen.

Von der Option der Genfer Abkommen, Kriegsverbrechen unabhängig vom Tatort und der Nationalität des Täters nach nationalem Strafrecht zu ahnden, indem die dafür notwendigen Strafnormen in das nationale Recht aufgenommen werden, hat die Staatengemeinschaft nur vereinzelt und lückenhaft Gebrauch gemacht. Die Bundesrepublik ist auch dieser Verpflichtung nachgekommen. Gemäß § 6 Ziff.9 Strafgesetzbuch, der 1974 nach der Aufnahme der Bundesrepublik in die UNO in das Strafgesetzbuch eingefügt wurde, gilt das deutsche Strafrecht ohne Rücksicht auf den Tatort und unabhängig vom Recht des Tatortes und der Staatsangehörigkeit des Täters und des Opfers (Weltrechtsprinzip) für Taten, die aufgrund eines für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen zwischenstaatlichen Abkommens auch dann zu verfolgen sind, wenn sie im Ausland begangen werden. Durch diese Generalklausel wird der Bundesrepublik im Interesse internationaler Solidarität bei der Verbrechensbekämpfung eine umfassende Verfolgungszuständigkeit eröffnet. Die vier Genfer Rotkreuzabkommen und die beiden Zusatzabkommen sind zwischenstaatliche Abkommen im Sinne von § 6 Ziff.9 Strafgesetzbuch.

Verpflichtung zur Ermittlung, Verfolgung und Ahndung der Kriegsverbrechen durch nationale Gerichte

Die Völkermordkonvention sieht vor, daß Personen, denen Völkermord zur Last gelegt wird, entweder vor ein zuständiges Gericht des Staates, in dessen Gebiet die Handlung begangen worden ist, oder vor das internationale Strafgericht gestellt werden (Art.VI der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes).

Die vier Genfer Rotkreuzabkommen dagegen verpflichten gleichlautend jede Vertragspartei „zur Ermittlung der Personen, die der Begehung oder der Erteilung eines Befehls zur Begehung einer schweren Verletzung beschuldigt sind; sie stellt sie ungeachtet ihrer Nationalität vor ihre eigenen Gerichte; wenn sie es vorzieht, kann sie sie auch gemäß den in ihrem eigenen Recht vorgesehenen Bedingungen, einer anderen an der gerichtlichen Verfolgung interessierten Vertragspartei zur Aburteilung übergeben, sofern diese gegen die erwähnten Personen ein ausreichendes Belastungsmaterial vorbringt.“ (Art.146 des 4. Rotkreuzabkommens)

Das heißt: Jeder Vertragsstaat, auch die Bundesrepublik, ist zur Verfolgung der Personen verpflichtet, die wegen schwerer Verstöße gegen die Rotkreuzabkommen als Kriegsverbrecher beschuldigt werden.

Das Problem, das sich bei dieser Möglichkeit, vor den nationalen Strafgerichten der Vertragsstaaten die Kriegsverbrechen nach den Rotkreuzabkommen anzuklagen, stellt, ist, ob der einzelne Staat über die erforderliche moralische und politische Reputation verfügt, um die Kriegsverbrechen anzuklagen und zu ahnden. Ein Staat, der stellvertretend für die Völkergemeinschaft Kriegsverbrechen verfolgt, sollte nicht wegen eigener Verstöße gegen elementare Menschenrechte angreifbar oder durch seine Geschichte desavouiert sein.

Voraussetzung dafür, daß die des Kriegsverbrechens beschuldigte Person vor ein nationales (deutsches, französisches, schwedisches etc.) Strafgericht gestellt werden kann, ist zwar, daß sie sich in der Gewalt des betreffenden Staates befindet, entweder weil die beschuldigte Person auf dessen Hoheitsgebiet gestellt oder weil sie ihm ausgeliefert wurde. Jedoch haben sich die Vertragsstaaten bei der Verfolgung von Kriegsverbrechen zur Zusammenarbeit und zur Rechtshilfe und zur Auslieferung beschuldigter Personen an einen Vertragsstaat, der willens ist, diese vor sein nationales Strafgericht zustellen, verpflichtet (Art.88, 89 des 1. Zusatzprotokolls).

Verfolgung und Ahndung durch ein internationales Strafgericht

Einen Internationalen Strafgerichtshof gibt es noch nicht. Obwohl dem Londoner Abkommen 19 Staaten beitraten, waren doch die aufgrund dieses Abkommens gebildeten »Internationalen Militärtribunale« interalliierte und nicht internationale Gerichte. 1949 hatte das Sekretariat der Vereinten Nationen den Entwurf für ein Statut für einen Internationalen Strafgerichtshof entworfen, mit dem sich 1951 und 1953 ein Sonderausschuß der Vereinten Nationen befaßte. Die Völkerrechtskommission aber, die den Auftrag erhalten hatte, die Nürnberger Prinzipien zu kodifizieren, erklärte, daß die Zeit für die Errichtung eines solchen Gerichtshofes noch nicht reif sei. Es müßte erst einmal ein Verbrechenskodex erarbeitet werden. Dieser Plan wurde 1978 aufgegriffen und beschäftigt seitdem die Generalversammlung und die Völkerrechtskommission – bis heute ohne Ergebnis. 1992 ist nun erneut der Auftrag erteilt worden, die Statuten eines Internationalen Strafgerichtshofes auszuarbeiten.

Wenn auch der Auftrag zur Erarbeitung eines Statuts für ein internationales Strafgericht ohne Gegenstimmen erteilt wurde, so ist die baldige Verabschiedung des Statuts keineswegs gesichert. Nach Auskunft des deutschen Vertreters in der International Law Commission, der Völkerrechtskommission der UNO, Prof. Tomuschat, liegt der Entwurf für das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs bereits vor. Jedoch wird wegen des großen Kreises der erforderlichen Signatarstaaten und der Vorbehalte vieler Staaten gegen einen internationalen Strafgerichtshof, weil sie Anklagen gegen sich befürchten, mit einer schnellen Verabschiedung nicht gerechnet. Weil die Meinung in der Weltöffentlichkeit zu solchen Gerichtsverfahren gespalten ist, bezweifelt auch der Vorsitzende der UN-Kommission zur Untersuchung von Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien, der niederländische Jurist Frits Kalshoven, daß die dort begangenen Morde und Vergewaltigungen jemals vor ein internationales Gericht kommen können (FR v. 28.1.93). Ähnlich skeptisch, so wird (a.a.O.) berichtet, äußerte sich der Sonderbeauftragte der UN-Menschenrechtskommission für das ehemalige Jugoslawien, Tadeusz Mazowiecki, zu dem Vorschlag, Kriegsverbrechertribunale einzurichten. Er sei zwar vom moralischen Nutzen eines Tribunals überzeugt. Es werde jedoch äußerst schwierig sein, den Gedanken einer gerichtlichen Ahndung auch wirklich umzusetzen: „Es ist sicher wünschenswert, daß die Täter bestraft und Gerechtigkeit geübt wird, aber wir leben im 20. und noch nicht im 21. Jahrhundert.“ Zwar hat inzwischen die amerikanische Regierung versprochen, sich für die Schaffung eines internationalen Strafgerichts der Vereinten Nationen einzusetzen. Jedoch ist damit keineswegs sichergestellt, daß die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Statut für das internationale Strafgericht billigt und den Beschluß über dessen Errichtung mehrheitlich verabschiedet.

Den Vorbehalten vieler Staaten gegen ein internationales Strafgericht wird nur durch den Druck der internationalen Öffentlichkeit abzuhelfen sein, die darüber aufklärt, welche Staaten solche Gerichtsverfahren ablehnen. Ein Forum für die nachdrückliche Forderung nach einem internationalen Strafgericht sollte auch die Menschenrechtskonferenz der UNO im Juli 1993 in Wien sein.

Der kodifizierte Menschenrechtsstandard ist inzwischen beträchtlich. Jedoch mangelt es an Handhaben zu dessen Verwirklichung und Durchsetzung. Der Internationale Strafgerichtshof wird deshalb gebraucht. Er ist erforderlich, um Völkermord zu ahnden. Er ist außerdem als international anerkannte Instanz von fragloser Reputation erforderlich, der für die Ahndung von Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen zuständig ist.

Wo KlägerInnen sind, werden auch RichterInnen sein

Es besteht noch keine Veranlassung, sich mit einem europäischen Tribunal in der Art des Russell-Tribunals zu bescheiden.

Einen Ausweg versucht zur Zeit die aus 52 Staaten bestehende KSZE-Staatengemeinschaft zu gehen. Sie hat aus Anlaß der Ereignisse in Bosnien eine Kommission eingesetzt, um einen »ad-hoc-Strafgerichtshof« zur Verfolgung der Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien einzurichten. Vor diesem Strafgerichtshof, auf den die KSZE-Staaten ihre Befugnisse aus den Rotkreuzabkommen delegieren, könnten die Kriegsverbrechen darstellenden Verstöße gegen die Rotkreuzabkommen angeklagt werden.

Mehrere regionale und internationale Kommissionen, u.a. eine vom Sicherheitsrat eingesetzte Expertenkommission in Genf, leisten bereits Ermittlungsarbeit und sichern – auch für nationale Gerichte – Beweise für Kriegsverbrechen im früheren Jugoslawien. Die Sorge, daß es die Ermittler schwer haben werden, da Ex-Jugoslawien im Gegensatz zu Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg nicht von internationalen Streitkräften besetzt ist, erscheint unbegründet.

Es besteht die Möglichkeit, Druck zur Errichtung eines »ad hoc-Strafgerichtshof« zur Verfolgung und Ahndung der Kriegsverbrechen dadurch auszuüben, daß in der Bundesrepublik Anzeige wegen der im Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien begangenen Kriegsverbrechen und Kriegsvergewaltigungen erstattet und die Staatsanwaltschaft zur Einleitung von Ermittlungsverfahren gezwungen wird. Als Beweismaterialien können z.B. der Untersuchungsbericht von Amnesty International oder Berichte anderer Kommissionen, die Menschenrechtsverletzungen ermittelt haben, vorgelegt werden. Die Berliner Kriminalpolizei ermittelt bereits gegen neun serbische Tschetniks, die von Opfern während einer Sat.1-Sendung »Einspruch« im Publikum erkannt wurden (TAZ vom 25.1.93). In dem am 12.2.1993 von Mazowiecki in seiner Eigenschaft als Sonderberichterstatter für die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen veröffentlichten Bericht über die Lage im ehemaligen Jugoslawien wird festgestellt, daß sich die aus den Konfliktgebieten in Kroatien und Bosnien-Herzegowina gemeldeten Kriegsverbrechen als wahr herausgestellt haben.

Außerdem kontrollieren nach Ansicht von Mazowiecki die Führer aller Konfliktparteien wirksam ihre zivilen und militärischen Strukturen. Sie könnten daher nicht ihre Hände in Unschuld waschen, was die von ihren Streitkräften begangenen Greueltaten betrifft, sondern seien mitverantwortlich für die Vergewaltigungen und die anderen Kriegsverbrechen (FR vom 13.2.93). Richtet sich der Anfangsverdacht noch nicht gegen eine bestimmte Person, so würde das Ermittlungsverfahren zunächst gegen Unbekannt geführt werden.

Zwar kann die Staatsanwaltschaft gemäß § 153 c Abs.1 Ziff.1 Strafprozeßordnung aus Gründen der politischen Opportunität von der Verfolgung von Taten, die im Ausland begangen worden sind, absehen. Die Genfer Rotkreuzabkommen zählen jedoch zu den wenigen völkerrechtlichen Verträgen, in denen das sogenannte »Weltrechtsprinzip« statuiert ist, das die Vertragsstaaten ohne Rücksicht auf den Ort des Verbrechens und auf das Recht am Tatort, unabhängig auch von der Nationalität des Opfers und des Täters berechtigt und verpflichtet, Personen, denen Verstöße gegen ein solches Abkommen vorgeworfen werden, zu verfolgen. Es ist daher davon auszugehen, daß der § 153 c Abs.1 Ziff.1 Strafprozeßordnung nicht gilt, weil die Rotkreuzabkommen völkerrechtliche Vereinbarungen im Sinne von Ziff.94 Abs.2 der »Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren« sind, die die Verpflichtung begründen, Verstöße gegen die Rotkreuzabkommen wie Inlandstaten zu behandeln und gemäß dem in § 152 Abs.2 Strafprozeßordnung verankerten Legalitätsprinzip dann zu verfolgen, wenn „zureichende Anhaltspunkte vorliegen“. Auch dann aber, wenn aus Gründen der politischen Opportunität von der Strafverfolgung abgesehen werden könnte, dürfte die Staatsanwaltschaft nicht untätig bleiben, sondern müßte prüfen, ob sie z.B. aus politischen Gründen von einer Verfolgung der Verstöße gegen die Rotkreuzabkommen absieht. Bliebe die Staatsanwaltschaft dennoch untätig, so würden deren BeamtInnen eine strafbare Strafvereitelung (§§ 258, 258 a Strafgesetzbuch) durch Unterlassen von Amtshandlungen begehen, zu deren Vornahme sie wegen des Legalitätsprinzips (§§ 152, 163 Strafprozeßordnung) verpflichtet sind. Innen- oder außenpolitische Gründe, die eine Verneinung des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung der Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien durch die Bundesrepublik begründen könnten, sind nicht ersichtlich. Es dürfte deshalb schwer fallen, eine Ablehnung der Strafverfolgung zu rechtfertigen.

Da andererseits die Bundesrepublik aus historischen Gründen nicht daran interessiert sein kann, die Kriegsverbrecherprozesse durchzuführen, dürfte sie durch solche Ermittlungsverfahren veranlaßt werden, sich intensiv um die Errichtung eines »ad-hoc-Strafgerichts« der KSZE-Staatengemeinschaft zu bemühen. Ebenso könnte in anderen Vertragsstaaten, die wie die Bundesrepublik die rechtlichen Voraussetzungen für die Verfolgung der Kriegsverbrechen nach den Rotkreuzabkommen geschaffen haben, Anzeige erstattet und die Staatsanwaltschaften zur Einleitung von Ermittlungsverfahren veranlaßt werden. Es müßte hierdurch zumindest erreicht werden können, daß die KSZE-Staatengemeinschaft sich darüber verständigt, in welchem Staat die Kriegsverbrecherprozesse stattfinden sollten, um sodann diesen Staat, z.B. Schweden, mit der Durchführung der Prozesse zu beauftragen und die Verfahren gemäß Art.146 des 4. Rotkreuzabkommens an diesen abzugeben. Das beauftragte Strafgericht wäre zwar nach wie vor ein nationales, jedoch international mandatiertes Strafgericht.

<>Beendigung des Schweigens über die Kriegsvergewaltigungen

So manche, die sich über die Forderung mokieren, die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien vor einem internationalen Strafgericht anzuklagen und zu ahnden, und eine militärische Intervention fordern, um den verbrecherisch kämpfenden Serben das Handwerk zu legen, sind ignorant gegenüber den Erfahrungen, die gerade die Zeitgeschichte bietet, und gegenüber der Konfliktlage. Z.B. handelt die Geschichte des Niedergangs der DDR nicht zuletzt vom Nutzen, den es hat, die Dinge beim Namen zu nennen, Menschenrechtsverletzungen anzuprangern und nicht durch Schweigen zu tolerieren. Die Teilnahme der DDR an der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), in deren Schlußakte sich die Teilnehmerstaaten zur Achtung der Menschenrechte ihrer BürgerInnen verpflichteten, hatte den oppositionellen BürgerInnen der DDR Sprachräume und, aus diesen resultierend, Handlungsräume eröffnet. Mit der KSZE-Schlußakte unter dem Arm klagten DDRlerInnen Menschenrechte ein, waren sie imstande, sich für Frieden und Menschenrechte einzusetzen und nicht mehr um des Friedens willen über Menschenrechtsverletzungen zu schweigen. Die DDR hat deshalb immer versucht, die innenpolitische Bedeutung der KSZE-Schlußakte herunterzuspielen. Zugleich markierte die KSZE-Schlußakte einen Einbruch in das von den sozialistischen Staaten propagierte Verständnis des in Art.2 Ziff.7 der Charta der Vereinten Nationen normierten Interventionsverbotes als Sprechverbot. Gemäß Art.7 Ziff.2 UN-Charta sind die Vereinten Nationen nicht befugt, in Angelegenheiten einzugreifen, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören. Die sozialistischen Staaten haben dieses Einmischungsverbot stets so interpretiert, daß schon Diskussionen über Menschenrechtsverletzungen eine unzulässige Einmischung darstellen.

Wenn auch diese Interpretation von den westlichen Staaten abgelehnt wurde, so folgte aus dem Dissens doch, daß über zahllose Menschenrechtsverletzungen nur verhalten öffentlich gesprochen wurde und schon gar nicht die Rede davon war, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Die internationale Anprangerung der Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien, die nicht länger ohnmachtsgläubige Hinnahme der Kriegsverbrechen und die Forderungen nach Sanktionen für die Verantwortlichen für diese Kriegsverbrechen, für die Ausführenden wie auch vor allem für die Befehlsgeber und Anführer, sind von neuer Qualität.

Das Anprangern und das Verantwortlichmachen wird von den Verantwortlichen als störende Einmischung in das Kriegsgeschehen erlebt. Sie fürchten die Wirkung, die von der Benennung der Schandtaten als Kriegsverbrechen und der Androhung ausgeht, daß die Täter und ihre Anführer, die sich bei ihrem verbrecherischen Tun im Kollektiv sicher wähnten, namhaft gemacht und individuell zur Rechenschaft gezogen werden. In Serbien darf über die Kriegsverbrechen nicht gesprochen werden. Auch Karadzic weiß aber, daß das Schweigen über die Kriegsverbrechen bei den Verhandlungen in Genf mit den Führern der Bürgerkriegsparteien über Waffenstillstände und Grenzverläufe, nicht die Tolerierung der Kriegsverbrechen bedeutet, für die er mitverantwortlich ist.

Die öffentliche Brandmarkung der schrecklichen Kriegsvergewaltigungen als Kriegsverbrechen hat Wirkungen gezeitigt. Seit die Verfolgung der Vergewaltiger und derjenigen, die die Vergewaltigungen anordneten oder zuließen, vehement gefordert wird, werden Hilfen finanziert und die Serben durch die Ermittlungsergebnisse der zur Untersuchung der Vorwürfe eingesetzten internationalen Kommissionen unter Druck gesetzt, die Unterkünfte, in denen Frauen vergewaltigt werden, aufzulösen. Vielleicht wenden die Serben inzwischen deshalb bei den von ihnen fortgesetzten Vertreibungen zum Zwecke der ethnischen Säuberung im Süden von Bosnien-Herzegowina »verfeinerte« Methoden an. Es gebe keine Berichte mehr über Gewalttaten, Todesfälle oder Verletzte, teilte der Sprecher des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) mit (Fr v. 3.2.1993). Die serbischen Militärs teilten mit, daß sie im Tal der Drina »humanitäre Korridore« für die moslemische Zivilbevölkerung der besetzten Gebiete offenhalten, die es dieser ermöglicht über die Frontlinien in die von Moslems gehaltenen Gebiete Bosnien zu gelangen (a.a.O.).

Für die Opfer von Verbrechen kommt die Ahndung der Verbrechen zwar immer zu spät. Die genannten Auswirkungen bedeuten jedoch, daß die nachdrückliche Ankündigung, die Kriegsverbrecher vor einem internationalen Strafgericht zur Rechenschaft zu ziehen, durchaus von präventivem Nutzen und geeignet sein kann, die Frauen in den serbisch besetzten Gebieten Bosnien-Herzegowinas vor weiteren Vergewaltigungen zu bewahren.

Unterscheidung von verbrecherischer Kriegführung und Kriegsursachen

Die dem Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien zugrunde liegenden Probleme werden auf absehbare Zeit nicht gelöst werden können. Um zu verhindern, daß im ehemaligen Jugoslawien weiterhin Kinder, Frauen und Männer gefoltert und gemordet und vergewaltigt werden, ist deshalb die »Zivilisierung« der fortdauernden Auseinandersetzungen zum Schutz der Zivilbevölkerung unerläßlich.

Wer aus humanitären Gründen für eine militärische Intervention plädiert, verfehlt die Realität der verworrenen Konfliktlage im ehemaligen Jugoslawien und übersieht, daß die bisherige nicht-militärische Einmischung der Europäischen Gemeinschaft und der KSZE-Staatengemeinschaft der Illusion verhaftet war, die internationale Anerkennung der bestehenden innerjugoslawischen Grenzen als Staatsgrenzen könne Jugoslawien stabilisieren. Nach der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens war jedoch der status quo in Restjugoslawien nicht mehr aufrechtzuerhalten.

Strikte Unparteilichkeit

Um die Sinnhaftigkeit und die Chancen von nicht-militärischer Einmischung, zu der das fact-finding zu Menschenrechtsverletzungen und die Vorbereitung von Prozessen gegen die für die Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen ebenso zählen wie weitere Verhandlungen, Embargos, aber auch die Inaussichtstellung von Wiederaufbaugeldern, einschätzen zu können, bedarf es der Vergegenwärtigung der dem Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien zugrunde liegenden Konfliktlage. Vor dem Hintergrund des Bürgerkrieges in Jugoslawien wird die Bedeutung der fundamentalen Regel des humanitären Kriegsvölkerrechts, der strikten Unparteilichkeit, erhellt. Gleichlautend enthalten alle vier Genfer Rotkreuzabkommen die Berechtigung der Schutzmächte (das sind die von den am Konflikt beteiligten Parteien mit der Wahrnehmung ihrer Interessen betrauten Staaten und bzw. oder die UNO) und der Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes oder irgendeiner anderen unparteiischen humanitären Organisation, sich an alle Orte zu begeben, wo sich Kriegsgefangene oder hilfsbedürftige Zivilpersonen aufhalten, namentlich an alle Internierungs-, Gefangenhaltungs- und Arbeitsorte. Sie haben das Recht, Hilfssendungen zu verteilen und sich mit den Gefangenen und geschützten Personen ohne Zeugen zu unterhalten. Solche Besuche dürfen nur aus zwingenden militärischen Gründen und nur ausnahmsweise untersagt, Häufigkeit und Dauer der Besuche dürfen nicht begrenzt werden (z.B. Art.4, 8 bis 11 des 1. Rotkreuzabkommens; Art. 9 folgende, Art.142, 143 des 4.<|>Rotkreuzabkommens).

Der Berechtigung der Schutzmächte und humanitären Organisationen entspricht umgekehrt die Verpflichtung der am Konflikt beteiligten Parteien, die Schutz- und Hilfeleistungen zu ermöglichen. Diese (intensiver als bisher zu nutzenden) Möglichkeiten, helfend einzugreifen, etwa durch die Inspektion und Auflösung der Internierungslager oder zumindest deren Unterstellung unter internationale Kontrolle, werden durch militärische Interventionen aufs Spiel gesetzt, die das Konfliktknäuel, das in der Regel Bürgerkriegen zugrunde liegt, nur weiter verwirren.

Von den Vereinten Nationen ist unparteiisch darauf zu insistieren, daß alle Konfliktparteien den völkerrechtlichen Minderheitenschutz beachten und garantieren. Gemäß Art.27 des Internationalen Paktes der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte von 1966, durch den die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 rechtsverbindlich kodifiziert wurde, darf „in Staaten mit ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten… Angehörigen solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden, gemeinsam mit Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben und sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen.

Als Mittel zur Förderung der Identität wird in der Ziff.35 des KSZE-Konferenzdokuments die Einrichtung autonomer Verwaltungen erwähnt, die im Falle kompakter Siedlungsgebiete lokal autonom sind oder andernfalls über Personalautonomie verfügen, z.B. Selbstverwaltungsrechte für die Angehörigen der Minderheit haben. Dieser Minderheitenschutz muß von allen jugoslawischen Nachfolgerepubliken verlangt werden, um weiterer Verfeindung entgegenzuwirken.

Deeskalation

Dann besteht für die Verfolgung und Ahndung der Kriegsverbrechen auch die Chance, von den BürgerInnen im ehemaligen Jugoslawien unterstützt zu werden, indem sie sich von den, der Kriegsverbrechen beschuldigten Personen distanzieren und ihnen keinen Schutz zuteil werden lassen.

Zum Schutz der Frauen und Männer und Kinder in Bosnien-Herzegowina vor weiteren Vergewaltigungen, Folter und Mord kommt es darauf an, zu deeskalieren, indem von allen gleichermaßen der Schutz der Menschen- und Minderheitenrechte eingefordert wird; ferner indem Vertreibungen und Enteignungen nicht anerkannt, sondern Ansprüche auf Rückgabe oder Entschädigung vereinbart werden – um der Zukunftssicherung der Flüchtlinge willen und um der apokalytischen Stimmung, dem Nährboden für Nationalismus, entgegenzuwirken; und schließlich indem die Entpersönlichung der Soldaten und Milizionäre als Teil des militärischen Apparates nicht akzeptiert und Kriegsverbrechen nicht toleriert, sondern die einzelnen Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

Helga Wullweber, Rechtsanwältin in Hamburg, Vorstandsmitglied des Republikanischen RechtsanwältInnenvereins.

Weltmenschenrechtskonferenz

Mit der Resolution 45/155 beschloß die UN-Vollversammlung die Einberufung einer Weltkonferenz über Menschenrechte (WCHR), die vom 14.-25 Juni 1993 in Wien abgehalten werden soll. Diese Konferenz findet in einem entscheidenden historischen Moment statt: Das Ende des Kalten Krieges führte zu bedeutenden Veränderungen; die UN übernimmt eine aktivere Rolle bei internationalen Beziehungen. Die UN-Generalversammlung hat entschieden, daß 25 Jahre nach der ersten WCHR (Teheran 1968) das UN-Menschenrechtsprogramm überarbeitet werden muß, damit eine größere Wirkung und Effektivität bei der Förderung und dem Schutz der Menschenrechte erzielt werden kann. Die Konferenz wird über die Ausrichtung der Menschenrechtsprogramms für das nächste Jahrhundet beschließen.

Parallel zur WCHR findet in Wien ein Forum der NGOs (Nichtregierungsorganisationen) statt, an dem sich möglichst viele Menschenrechtsgruppen beteiligen sollten.

Weitere Informationen und Anmeldung beim Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte, Möllwaldplatz 4, A – 1040 Wien, Tel.: 43-1-5044677, Fax:43-1-50446789

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1993/1 Zivil und militärisch, Seite