Kriminalisierung sozialer Bewegungen
Runder Tisch Zentralamerika, 31. Januar-2. Februar 2014, Evangelische Akademie Hofgeismar
von María Cárdenas
Die Menschenrechtslage in vielen Ländern Zentralamerikas ist hoch problematisch. So leidet die Bevölkerung Guatemalas beispielsweise nicht nur unter den mexikanischen Drogenkartellen, die sich aufgrund des Drogenkriegs in Mexiko hierhin verlagert haben. Auch lokale kriminelle Netzwerke aus privaten Sicherheitskräften und der alteingesessenen Oligarchie haben zu paramilitärischen bzw. parastaatlichen Strukturen geführt, die den ohnehin defizitären Rechtstaat, der noch immer eine Straflosigkeit von über 70% aufweist, weiter unterhöhlen. In diesem rechtsfreien Raum sorgt das wachsende wirtschaftliche Interesse internationaler Konzerne an so genannten Mega-Projekten für weiteren Zündstoff. Auch in Honduras schränken Minen- und Staudammprojekte die Lebensbedingungen indigener und ländlicher Bevölkerungsgruppen weiter ein: Gemeinden werden vertrieben, und/oder ihre lebensnotwendigen Ressourcen werden für die Großprojekte verwendet.
Wenn sich die Betroffenen organisieren und ihre Rechte einfordern, werden sie häufig nicht nur Opfer von Gewalt aus paramilitärischer Hand oder von »Privaten Sicherheitskräften«. Darüber hinaus werden sie auch Opfer von Diffamierung und Kriminalisierung. Hierbei spielen die Regierungen und die massenmediale Öffentlichkeit eine zentrale Rolle: Die Regierung diffamiert die Gemeinden als terroristisch und rechtfertigt damit den Ausnahmezustand für die betroffenen Regionen, sodass Gemeindemitglieder von der Polizei grundlos schikaniert und inhaftiert werden können. Die Massenmedien hinterfragen diese Diffamierung und Kriminalisierung nicht und übernehmen sie unreflektiert. Hier spielen nicht zuletzt die wirtschaftlichen Interessen der Oligarchien eine zentrale Rolle. Die Diffamierung und Kriminalisierung von Aktivist_innen als Terrorist_innen erleichtert bzw. legitimiert überdies die zukünftige Gewaltanwendung gegen sie in den von Straflosigkeit betroffenen Ländern.
Angesichts der Konfliktträchtigkeit der wirtschaftlichen Interessen internationaler Konzerne in Zentralamerika und der damit verbundenen massiven Gewalt gegenüber Gemeinden, wird die Notwendigkeit deutlich, Frieden nicht allein mit der Abwesenheit von Krieg zu verbinden und bei Menschenrechtsaktivist_innen oder -verteidiger_innen nicht ausschließlich an politische Rechte zu denken. Auch Umweltaktivist_innen und Gemeindefürsprecher_innen setzen sich für die Einhaltung der Rechte in diesen Räumen ein und werden daher sowohl politisch als auch militärisch bekämpft – und zahlen oft mit ihrem Leben.
Vor dem Hintergrund dieser problematischen Lage traf sich im Rahmen der Tagung »Kriminalisierung sozialer Bewegungen – Runder Tisch Zentralamerika« vom 31. Januar bis zum 2. Februar 2014 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar eine Vielzahl von Mitgliedern zivilgesellschaftlicher Organisationen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Aus Zentralamerika waren Pedro Landa (Honduras) von der Coalición Nacional de Redes Ambientales und Anabella Sibrián (Guatemala) von der Internationalen Plattform gegen Straffreiheit vertreten. Inhaltlichen Input gaben darüber hinaus Susanna Daag (Kopenhagener Initiative für Zentralamerika und Mexiko, CIFCA) und Barbara Lochbihler (Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Europäischen Parlaments) aus Brüssel. Auch Mitglieder evangelischer Kirchen aus Deutschland und Guatemala waren vertreten.
In zwei Workshops führten Pedro Landa und Anabella Sibrián in die Menschenrechtslage und Konfliktträchtigkeit in ihren beiden Ländern ein und thematisierten die Proteste, die von der dort ansässigen Zivilbevölkerung ausgehen: in Guatemala am Beispiel der Mine Marlin und der Mine in La Puya, in Honduras am Beispiel des Staudammprojekts Agua Zarca, unter dem vor allem indigene Lenca-Gemeinden leiden.
Die zentrale Frage, „Wie können wir die von Kriminalisierung betroffenen Menschen und Gemeinden in Zentralamerika unterstützen?“, die in einer Podiumsdiskussion mit Barbara Lochbihler, Susanna Daag und Reiner Focken-Sonneck (Brot für die Welt) besprochen wurde, machte das Dilemma der anwesenden Organisationen in den von Landa und Sibrían genannten Fällen, aber auch andernorts deutlich: Zum einen litten auch internationale Organisationen unter der Kriminalisierung, beispielsweise die Peace Brigades International. Sie seien Diffamierungskampagnen ausgesetzt, die ihnen Neokolonialismus vorwerfen, sie würden inhaftiert und bedroht. Der Vorwurf des Neokolonialismus wiederum bringe die zu unterstützenden Basisgruppen vor Ort oft zusätzlich in Gefahr. Auf der anderen Seite sei es schwer, von Europa aus unterstützend zu agieren, da hier zu wenig Aufmerksamkeit und Problembewusstsein in der Zivilbevölkerung vorhanden sei. Zudem seien die legalen europäischen Instanzen zum Menschenrechtsschutz, wie die diplomatische Vertretung im Land, das europäische Parlament oder EU-Delegationen, häufig schlecht informiert oder ausgestattet. Frau Lochbihler wies allerdings auch auf die im Dezember 2013 verabschiedete EU-Menschenrechtsstrategie und einen hierfür ausgearbeiteten Aktionsplan sowie das »Europäische Instrument für Demokratie und Menschenrechte« hin. Es bleibt abzuwarten, wie diese zukünftig genutzt werden (können).
Eine Strategie, um die Aufmerksamkeit und Sensibilität für die Kriminalisierung in Zentralamerika auch in Deutschland zu stärken, ist die Kunst. Nim Alae, ein guatemaltekischer Rapper mit Wohnsitz in Berlin, erzählte zur Cumbia-Musik des DJ Inti Che in seinen Liedern am Samstagabend von den vielfältigen und intersektionalen Diskriminierungserfahrungen, denen Indigene, Frauen und Jugendliche in Guatemala, aber auch andernorts, noch immer ausgesetzt sind. Er betonte, wie wichtig – aber auch wie schwierig – eine kritische und nicht folklorisierende Selbstbestimmung ist, die selten ohne Widersprüche bleibt. Dies zeigte er auch am HipHop, der einerseits ein Instrument der Emanzipation der »People of Colour« in den USA war, andererseits gleichzeitig auch die Objektifizierung der Frau forciert hat. HipHop wird bis heute häufig noch nicht als Emanzipationsmoment verstanden, sondern zum Anlass genommen, Jugendliche als Kriminelle zu stigmatisieren. Nim Alae sprach in seinen Texten auf kaqchikel und spanisch von der Dekolonisierung des Bewusstseins: Diese sei nötig, um sich von den autoritaristischen Dynamiken in Zentralamerika, die unter anderem in Kriminalisierung mündeten, emanzipieren zu können.
Die Tagung, zu der zwölf zivilgesellschaftliche Organisationen eingeladen hatten (u.a. Peace Brigades International, medico international, FIAN Deutschland und das Ökumenische Büro für Frieden und Gerechtigkeit) hatte also einen starken Praxisbezug, was durch die direkte Betroffenheit vieler Teilnehmer_innen untermauert wurde. Die Tagung profitierte von den vielen praktischen (Lern-) Erfahrungen und dem Austausch der Organisationen untereinander – ein Gewinn, der gegen Ende der Tagung in der Gründung eines »Runden Tisches Zentralamerika« mündete. Dadurch soll die Vernetzung der Organisationen in Sachen Menschenrechte und Kriminalisierung intensiviert werden. Dies soll nicht zuletzt helfen, gemeinsame Strategien gegen Kriminalisierung zu entwickeln und schneller auf zukünftige Menschenrechtsverletzungen reagieren zu können.
María Cárdenas