Rüstungskontrollregime:
Krisen, Konflikte und Erfolge
von Gregor Hofmann
Zieht man eine Bilanz der Rüstungskontrollregime, muss man unterscheiden zwischen Konflikten, die in den Regimen seit ihrem Bestehen existieren, und akuten Krisen, die zur Erosion eines Regimes führen könnten. Dieser Artikel beleuchtet kurz die Gründe der einflussreichsten Kernkonflikte und Krisen sowie Erfolge der wichtigsten Regime der multilateralen Rüstungskontrolle.1
In der Rüstungskontrolle wird zwischen so genannten Massenvernichtungswaffen (ABC- bzw. atomare, biologische und chemische Waffen) und konventionellen Waffen unterschieden.
Massenvernichtungswaffen
Der nukleare Nichtverbreitungsvertrag (NVV, 190 Mitgliedstaaten) gilt aufgrund seiner nahezu universellen Mitgliedschaft und der Tatsache, dass er bisher – mit Ausnahme von Nordkorea – die Herausbildung neuer Atommächte aus dem Kreis seiner Mitgliedstaaten verhindert hat, weitgehend als Erfolg. Dennoch leidet der NVV an seinem diskriminierenden Charakter: Er unterscheidet zwischen Nuklearwaffenstaaten (NWS), die der Vertrag allerdings gemeinsam mit allen Staaten zu Abrüstungsverhandlungen verpflichtet, und Nicht-Nuklearwaffenstaaten (NNWS), die auf diese Waffenart verzichten und im Gegenzug von den NWS bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie unterstützt werden sollen.
Konflikte ergeben sich einerseits daraus, dass trotz Präsident Obamas Bekenntnis zum Global Zero-Ziel und der weiteren Reduktion der Arsenale Russlands und der USA durch den neuen START-Vertrag die nukleare Abrüstung nur langsam vorankommt. Dies liefert den NNWS ein Argument, Bemühungen des Westens für eine weitere Stärkung der Nichtverbreitung im Regime zu blockieren.2 Viele Entwicklungsländer sehen zudem ihren Status im NVV herabgestuft, da trotz der Nichtverbreitungsnorm einige Nichtmitglieder (Israel, Indien, Pakistan) zu Atommächten aufgestiegen sind und die USA sowie die Nuclear Suppliers Group (ein Zusammenschluss der Lieferländer von Nukleartechnologie und -materialien) dennoch das zivile Atomprogramm Indiens unterstützen.
Am Beispiel Iran wiederum zeigt sich ein weiterer Konflikt: der zwischen dem Recht auf friedliche Nutzung der Kernenergie und der Nichtverbreitung von Atomwaffen. Sollte Iran als zweiter Staat nach Nordkorea aus dem Regime austreten und Atomwaffen entwickeln, würde dies nicht nur die bisherige Nichtverbreitungspolitik und die Wirksamkeit des Sicherungs- und Verifikationssystems der Internationalen Atomenergieorganisation in Frage stellen, sondern dies könnte ein nukleares Wettrüsten im Nahen Osten und damit das Ende des NVV einläuten.
Das Biowaffenübereinkommen (BWÜ, 164 Mitgliedstaaten) und das Chemiewaffenübereinkommen (CWÜ, 188 Mitgliedstaaten) verbieten, anders als der NVV, die jeweiligen Waffengattungen vollständig.
Das CWÜ verfügt über ein erfolgreiches Verifikationssystem. Allerdings wurde die Frist zur Vernichtung der deklarierten Chemiewaffenbestände – zehn plus optional fünf Jahre nach Inkrafttreten des Vertrags im Jahr 1992 – nicht eingehalten: Albanien, Irak und Südkorea sowie Indien, Libyen, Russland und die USA hatten Arsenale deklariert, lediglich die drei erstgenannten haben bislang vollständig abgerüstet.3 Aufgrund der nicht eingehaltenen Abrüstungsversprechen sahen sich wiederum Entwicklungsländer benachteiligt und blockierten, auch unter Einforderung stärkerer internationaler Kooperation bei der friedlichen Nutzung der Chemietechnologie, bei der letzten Überprüfungskonferenz 2008 Versuche des Westens, die Nichtverbreitungskomponente des Verifikationssystems zu stärken.4
Ein weiterer Konflikt könnte ebenfalls destabilisierend wirken: Die vom Westen geforderte stärkere Kontrolle der wachsenden chemischen und biotechnischen Forschung und Produktion in Schwellen- und Entwicklungsländern akzeptieren letztere, unter Verweis auf eine mutmaßliche Begrenzung ihrer Entwicklungschancen, nur begrenzt.5
Im Gegensatz zum CWÜ fehlt dem BWÜ ein Verifikationsmechanismus, was als zentrale Schwäche des Regimes gilt. Die Einführung eines solchen scheiterte 2001 nach siebenjährigen Verhandlungen am Widerstand der USA. Die 2006 eingerichtete Implementation Support Unit beschränkt sich auf das Sammeln von Informationen und organisatorische Hilfestellung. Zwar scheint die Einsicht zuzunehmen, dass die Konflikte zwischen der Angst des Westens vor der Verbreitung waffenfähiger Materialien und einer von Entwicklungsländern wahrgenommenen ungerechten Begrenzung des Zugangs zum technologischen Fortschritt nur kooperativ gelöst werden können.6 Der Ausgang der im Dezember 2011 anstehenden Überprüfungskonferenz des BWÜ ist aber ungewiss.7
Konventionelle Waffen
Mit dem Streit um das US-Raketenabwehrprogramm und der russischen Suspendierung des angepassten Vertrags über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) im Jahr 2007 wurde eine Krise der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa eingeleitet. Vorausgegangen war die Weigerung der NATO-Staaten, den 1999 geänderten KSE-Vertrag, der die Stationierung konventioneller Streitkräfte in Europa reguliert, zu ratifizieren, da Russland keinen Zeitplan für den Abzug seiner Truppen aus Georgien und Moldawien vorgelegt hatte. Der kürzlich angekündigte Ausstieg vieler NATO-Staaten aus der Anwendung des KSE-Vertrags deutet auf eine Erosion des Kernstücks der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa.
Konflikte und Schwächen im Kleinwaffenaktionsprogramm der Vereinten Nationen wirken sich auf die Vorbereitungen der für Juli 2012 angesetzten Konferenz über ein Waffenhandelsabkommen (Arms Trade Treaty) aus. Viele südliche Staaten sehen in einem möglichen Verbot des Handels mit Staaten, die bestimmte Standards bei Menschenrechten oder Exportkontrollen nicht einhalten, die Gefahr der Beschränkung ihrer souveränen Rechte.8 Die USA und einige andere Staaten wollen andererseits den legalen Handel mit nichtstaatlichen Akteuren dem Ermessen des Einzelstaates unterwerfen, was Entwicklungsländer als Einfalltor für die Bewaffnung von Rebellengruppen betrachten. Auch die Einbeziehung von Munition und Technologietransfers in ein Waffenhandelsabkommen ist umstritten.9 Sollte das Waffenhandelsabkommen im Jahr 2012 scheitern, würden die Richtlinien des Aktionsprogramms weiterhin nicht in rechtlich bindende Standards übersetzt.
Bei der 1999 in Kraft getretenen Antipersonenminen-Konvention kann dagegen von einem Erfolg und einer Wirksamkeit über die bisher 157 beigetretenen Staaten hinaus gesprochen werden. Die Produktion und der Einsatzes von Antipersonenminen (APM) sind weltweit geächtet und es halten sich auch viele Staaten, die der Konvention bislang nicht beigetreten sind (wie bspw. die USA), an das APM-Verbot.10 Allerdings lassen sich auch Rückschläge erkennen: Im Jahr 2011 verlegten Israel, Libyen und Burma APM, 2010 war dies nur von Burma bekannt.11 Von den zwölf noch als Landminen-Produzenten gelisteten Staaten stellen aber nur noch drei – Indien, Pakistan und Burma – aktiv APM her. Die Produktion ist damit heute auf dem niedrigsten Niveau seit Verabschiedung der Konvention angelangt.12 Auch die Vernichtung der Lagerbestände sowie die Beseitigung verlegter Minen schreiten voran, auch wenn, ähnlich wie im CWÜ, die vereinbarten Zerstörungsziele und Räumpflichten nicht immer eingehalten werden und bislang weniger als 40% der Staaten die Konvention in nationales Recht umgesetzt haben.13
Die Streumunitions-Konvention, mit aktuell 111 Vertragsparteien, leidet wie die APM-Konvention unter einem Konflikt zwischen Effektivität und universeller Mitgliedschaft. Auch wenn seit Inkrafttreten zweimal Streumunition (cluster munition) in militärischen Konflikten eingesetzt wurde – durch Thailand im Grenzkonflikt mit Kambodscha und in Libyen bei Regierungsangriffen auf die Stadt Misrata –, zeigt das Verbot von Streumunition bereits Wirkung:14 16 ehemals Streumunition produzierende Staaten sind der Konvention beigetreten und haben die Produktion eingestellt. Argentinien hat zudem als Nicht-Mitgliedstaat unilateral die Einstellung der Produktion verkündet. Allerdings behalten sich nach wie vor 17 Staaten das Produktionsrecht vor.15 Die Tatsache, dass Singapur und die USA, die der Konvention nicht beigetreten sind, ein Moratorium für den Export von Streumunition erlassen haben16, deutet darauf hin, dass die Konvention zunehmend auch über die Vertragsparteien hinaus Wirkung zeigt.
Fazit
Konflikte um Abrüstung, friedliche Nutzung und Nichtweiterverbreitung prägen die Konventionen zu Massenvernichtungswaffen. Die Ursachen dieser Konflikte liegen oftmals in einer von einigen Staaten wahrgenommenen (CWÜ, BWÜ) oder im Regime kodifizierten (NVV) Ungleichbehandlung der Vertragsstaaten.17 Diese könnten aber durch die Erfüllung der Abrüstungsversprechen und den Dialog über Sicherungsmaßnahmen und Technologietransfers gelöst werden. Auch im Kleinwaffenaktionsprogramm und in den Verhandlungen zu einem Waffenhandelsabkommen liegen die Konfliktursachen nicht nur in Souveränitätsansprüchen, sondern auch in von einigen Staaten wahrgenommenen Ungerechtigkeiten bei der Regulierung des Waffenhandels.18 Ein Scheitern des Abkommens würde für die anstehende Überprüfungskonferenz des Kleinwaffenaktionsprogramms nichts Gutes verheißen. Der langfristige Erfolg der APM- und Streumunitions-Konventionen hängt entscheidend von einer Auflösung des Widerspruchs zwischen Effektivität und Universalität ab sowie von einer Einbeziehung der Großmächte China, Russland und USA.
Die Bilanz der wichtigsten Rüstungskontrollregime fällt folglich gemischt aus, trotz aller Konflikte haben sie sich aber als relativ krisenfest erwiesen. Nur die Zukunft des KSE-Vertrags ist, angesichts unvereinbarer geostrategischer Interessen Russlands und der NATO, ungewiss.
Anmerkungen
1) Für Anregungen und Kritik danke ich Simone Wisotzki.
2) Vgl. zu A-, B- und C-Waffen: Harald Müller, Una Becker-Jakob, Tabea Seidler-Diekmann (im Erscheinen): Regime Conflicts and Norm Dynamics: Nuclear, Biological and Chemical Weapons. In: Harald Müller/Carmen Wunderlich (Hrsg.): Norm Dynamics in Multilateral Arms Control: Interest, Conflicts, and Justice Claims. Athens/GA: University of Georgia Press.
3) opcw.org/our-work/demilitarisation. Siehe außerdem: Una Becker, Harald Müller, Tabea Seidler-Diekmann (2008): Die Regime zur Kontrolle nuklearer, biologischer und chemischer Waffen. In: Una Becker/Harald Müller (Gast-Hrsg.): Rüstungskontrolle im 21. Jahrhundert. Die Friedens-Warte, Jg. 83, Nr. 2-3, S.61.
4) Oliver Meier (2008): CWC Review Conference Avoids Difficult Issues. In: Arms Control Today, Nr. 38, May 2008.
5) Müller u.a. im Erscheinen.
6) Müller u.a. im Erscheinen.
7) Dieser Artikel wurde vor Ende der Überprüfungskonferenz geschrieben. Dossier 70, das der Frühjahrsausgabe 2012 von W&F beiliegen wird, beschäftigt sich mit den Ergebnissen der BWÜ-Konferenz vom Dezember 2011. [die Redaktion]
8) Vgl. zu Kleinwaffen, APM und Streumunition: Simone Wisotzki (im Erscheinen): The Anti-Personnel Mine Ban Treaty, the Program of Action on Small Arms and Light Weapons and the Convention on Cluster Munition. In: Harald Müller/Carmen Wunderlich (Hrsg.), op.cit.
9) armscontrol.org/factsheets/arms_trade_treaty.
10) Richard Price (1998): Reversing the Gun Sights: Transnational Civil Society Targets Land Mines. In: International Organization, Jg. 52, Nr. 3, S.613-644.
11) Landmine Monitor 2011, S.1; the-monitor. org/lm/2011
12) ebd.
13) Landmine Monitor 2010, S.2; the-monitor. org.
14) Cluster Munitions Monitor 2011, S.1; the-monitor.org.
15) ebd.
16) ebd.
17) Müller u.a., op.cit. (im Erscheinen).
18) Wisotzki, op.cit. (im Erscheinen).
Gregor Hofmann (M.A.) ist wissenschaftliche Hilfskraft bei der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung mit einem Bachelor in Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre sowie einem Master in Politikwissenschaft. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt, neben der deutschen Rüstungskontrollpolitik, auf der »Responsibility to Protect«, zu der er derzeit seine Promotion vorbereitet.