W&F 1992/3

Künstliche Gehirne für den Krieg?

Zivil-militärische Verflechtungen in der Neuroinformatik

von Markus Jathe • Jürgen Scheffran

In Absprache mit der Bundeswehr in Koblenz und dem französischen Verteidigungsministerium veranstaltete das Deutsch-Französische Forschungsinstitut St. Louis (ISL) am 1. und 2. Juli dieses Jahres einen Workshop über den Einsatz künstlicher Neuronaler Netze in der Wehrtechnik und -forschung.
In möglichst lockerem Rahmen sollten Kontakte zwischen den französischen und deutschen Gruppen und Forschern hergestellt werden, die z.T. an sehr ähnlichen Problemen arbeiten. Das ISL, das seit über 30 Jahren binational auf dem Gebiet der Wehrforschung tätig ist, beschäftigt sich seit Anfang 1992 in einer kleinen Arbeitsgruppe (2-3 Personen) mit der Anwendung Neuronaler Netze auf Probleme der Bildauswertung und -Erkennung. Militärische Zielsetzungen sind dabei inbegriffen. In diesem Beitrag, der auf einer umfangreichen Studie der Autoren basiert1, wird ein Überblick über zivile und militärische Anwendungsfelder Neuronaler Netze gegeben und auf mögliche Folgen hingewiesen. Abschließend folgen einige Ergebnisse des ISL-Workshops.

Was sind Neuronale Netze?

Künstliche Neuronale Netzwerke (Artificial Neural Networks, ANNs) sind den Gehirnstrukturen nachempfundene Informationsverarbeitungssysteme, in denen viele parallel verbundene Einzelprozessoren (Knoten, Neuronen) miteinander wechselwirken. Anhänger der »konnektionistischen Revolution«, die durch Neuronale Netze erwartet wird, machen einen Paradigmenwechsel geltend, der einer grundlegenden Abkehr vom bisherigen Computerprinzip entspricht. Im Unterschied zu den herkömmlichen seriellen von-Neumann-Computern sollen Neurocomputer, nach dem Vorbild des Gehirns, parallel arbeiten, trainierbar, lernfähig und fehlertolerant sein. Maschinen, die sehen, hören, denken, vielleicht sogar fühlen wie Menschen, werden in Aussicht gestellt.

Ein Neuronales Netz ist gekennzeichnet durch seine Verbindungsstruktur (Netztopologie), durch die Festlegung von Netzknoten als Schnittstelle zur Umwelt des Netzes (Ein- und Ausgänge), durch die Art, wie ein Knoten seinen Zustand ändert (Knotendynamik) und den Anpassungsmechanismus von Gewichten und Schwellwerten an Problemstellungen (Lernalgorithmus). Durch Kombination der verschiedenen Unterscheidungskriterien lassen sich eine Vielzahl von Netzwerktypen erzeugen.

Ein beträchtlicher Teil der Anwendungen Neuronaler Netze existierte bislang lediglich als Software-Simulation auf herkömmlichen sequentiellen Rechnern, wobei die Leistungsfähigkeit der Parallelität nicht ausgenutzt wird. In wachsendem Maße wird dazu übergegangen, die biologischen Vorbilder in Form einer Hardware-Implementierung zu nutzen, wobei zwischen digitalen, analogen oder optischen Verfahren unterschieden wird. Dabei müssen verschiedene praktische Schwierigkeiten bewältigt werden, z.B. die von der Struktur des Wissens abhängige möglichst günstige Lernregel, der aufgabenspezifische Grad notwendiger Parallelität, die Kaskadierung von Assoziativspeichern und der Zusammenhang von Netzstruktur und Konvergenz des darin realisierten Lernprozesses.

Darüber hinaus gibt es theoretische Defizite, die zum Teil grundsätzlicher Natur sind. Probleme der Komplexitätstheorie, insbesondere der für einige Optimierungsprobleme exponentiell anwachsende Zeitaufwand, lassen sich auch durch Neuronale Netze nicht lösen. Bei größeren Netzen verlängern sich die Trainingszeiten erheblich. Das Zusammenwirken vieler Neuronen in einem Netz entzieht sich weitgehend einer analytischen Beschreibung. Dies macht ihr Verhalten für Menschen schwer verständlich, prüfbar oder vorhersagbar, besonders bei unvorhergesehenen und unbekannten Eingabemustern, die außerhalb der normalen Spezifikation liegen. Die mangelnde Transparenz Neuronaler Netze macht es schwierig, ein Ergebnis aufgrund der Verarbeitungsschritte zu verifizieren. Die Integration verschiedener menschlicher Intelligenzleistungen (Planen, Begriffs-, Urteils- und Theorienbildung, Abstraktionsvermögen, Intuition, Spontaneität, Kreativität), die den »gesunden Menschenverstand« ausmachen, dürfte auch bei Neuronalen Netzen erhebliche Schwierigkeiten bereiten bzw. nicht realisierbar sein.

Ein breites Anwendungspotential

Verschiedene Motivationen zur Untersuchung und zum Einsatz Neuronaler Netze ergeben sich aus der Grundlagenforschung, den Grenzen herkömmlicher Computer (Softwarekrise) und dem erwarteten breiten Anwendungspotential. Durch den Anspruch, menschliche Sinnes- und Denkprozesse nachzubilden, eröffnen Neuronale Netze ein weites Feld möglicher Anwendungen im zivilen und militärischen Sektor, das von der Mustererkennung, -klassifizierung und -synthese (visuell, akustisch) über die Signalverarbeitung bis zur Robotik, Prozeßkontrolle und der Lösung von Optimierungsproblemen reicht (siehe Kasten 1). Die Anwendbarkeit ergibt sich überall dort, wo die Stärken Neuronaler Netze mit den Schwächen herkömmlicher Systeme korrelieren. Zwar kann die grundlegende Funktionsweise von Neuronalen Netzen bereits auf seriellen von-Neumann-Rechnern simuliert werden, doch bringt die Hardware-Implementation erhebliche Vorteile hinsichtlich des Zeitgewinns.

Während die ersten Anwendungen Neuronaler Netze eher Nischencharakter hatten, ist mit zunehmender Hardwareintegration eine große Zahl von Anwendungsbeispielen zutage getreten. Neben der reinen Hirnforschung gehört der Bereich der Medizin sicherlich zu den ersten Anwendern (Klassifizierung von biologischen Zellen, Herztöne, Atmungsüberwachung, Diagnose und OP-Planung). Weiterhin sind zahlreiche Anwendungen in der Forschung denkbar (Klassifizierung von Mustern und Signalen, Elementarteilchensuche, Automatisierung von Such- und Mustererkennungsprozessen).

Weitere potentielle Anwender von Neuronalen Netzen im zivilen Bereich sind Industrie (z.B. Atomenergie, Automobilhersteller, Pharmazie), Post, Fluggesellschaften, Touristikunternehmen, Handel, Banken, Versicherungen. Das größte Anwendungsfeld tut sich wohl in der Industrie auf (Bildverarbeitung, Kapazitätsauslastung, Materialauswahl, Mitarbeiterauswahl, Optimierung, Qualitätskontrolle, Robotersteuerung, Sortierung, Steuerungskontrolle). Weiterhin gibt es existierende Einsatzbeispiele im Marketing (Erkennen von Mustern in Dateien, Zielgruppenbestimmung), im Finanzwesen (Bonitätsvorhersage, Buchstaben-, Unterschriftenerkennung, Schätzungen, Verkaufsvorhersage, Wertpapierauswahl), der Künstlichen Intelligenz (KI), der Telekommunikation, und im öffentlichen Dienst (Postleitzahlenidentifizierung, automatische Verarbeitung von Formularen, Aufarbeitung von Datenerhebungen).

Vor dem Einsatz Neuronaler Netze stellen sich Fragen nach dem Sinn, der Machbarkeit und Leistungsfähigkeit sowie der Kosten-Nutzen-Relation verglichen mit Alternativen. In einigen Anwendungsbereichen existieren bereits bewährte Verfahren, etwa aus der Optimierungs- und Kontrolltheorie, der Signalverarbeitung, der Kommunikations- und Informationstheorie, der Künstlichen Intelligenz (KI) und dem neuen Bereich der genetischen Algorithmen. Trotz erstaunlicher Erfolge neuer Konzepte haben sich Neuronale Netze nicht in allen Bereichen bisher als leistungsfähiger erwiesen als alternative Verfahren. Die anfängliche Euphorie über scheinbar unbegrenzte Möglichkeiten ist einer zeitweisen Ernüchterung über den tatsächlichen praktischen Nutzen gewichen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann keine umfassende realistische Einschätzung darüber gegeben werden, welche Anwendungen langfristig erfolgversprechend sind.

Ein wachsender Markt für Neuroinformatik?

Neuronale Netzwerk-Programme laufen bei praktisch allen größeren und auch rüstungsrelevanten Firmen. 1990 waren weltweit etwa 300 Firmen auf dem Neurocomputersektor aktiv, davon 130 in den USA, 100 in Japan und 40 in Europa. In Europa gibt es ferner ca. 200 Universitäten und Forschungszentren, die an Neuronalen Netzen forschen. Nach einer Einschätzung einer vom BMFT eingesetzten Kommission aus dem Jahr 1991 sind weltweit nahezu 10.000 Wissenschaftler auf dem Gebiet der Neuroinformatik tätig. Marvin Minsky, einer der führenden Neuro-Wissenschaftler, schätzt diese Zahl sogar auf 50.000. Allgemein wird damit gerechnet, daß auf dem stark expandierenden Neurocomputer-Markt sehr viel Geld zu verdienen sein wird. Lagen 1987 die Umsätze in den USA noch bei weniger als 5 Millionen Dollar, so wird für das Jahr 2000 mit einer Umsatzsteigerung auf bis zu 1 Mrd. Dollar gerechnet. Das Wechselspiel der Interessen und Triebkräfte wurde wie folgt beschrieben: „Die wesentlichen Triebkräfte dieser Märkte sind kompetente und erfolgreiche Systemhäuser aus den USA, potente und einflußreiche Kunden, eine beachtliche Investitionsbereitschaft in den USA, in Japan und Europa, neue Anwendungspotentiale, enorme Erwartungen an das Marktvolumen und ein verstärkter Wettbewerbsdruck durch den für 1992 angestrebten Binnenmarkt.“ 2

Während in Europa, anders als in den USA, militärische Interessen bei der Entwicklung Neuronaler Netze bislang nicht so deutlich in Erscheinung traten, ist der Zwang zur Kommerzialisierung offensichtlich. Neben dem verschärften Konkurrenzdruck ist aber auch eine Tendenz zur Kooperation zu beobachten (etwa in Form von Joint Ventures), die zum Teil bedingt ist durch wachsende Komplexität und Kosten der Hochtechnologie-Entwicklung.

Auf Grund von Querelen innerhalb der International Neural Network Society (INNS) wurde am 17. Juni 1990 auf einem Initialtreffen die Gründung einer von europäischen Organisatoren getragenen Konferenz unter dem Namen JENNI (Joint European Neural Network Initiative) beschlossen. Die daraus hervorgegangene JENNI-Gesellschaft fungiert zugleich als Holding der European Neural Network Society (ENNS). Ein großer Teil der gemeinschaftlichen Neuroinformatik-Forschung in Europa wird im Rahmen des EG-Programms ESPRIT II (European Strategic Program for Research in Information Technology) betrieben. Zu nennen sind insbesondere die folgenden Projekte:

  • PYGMALION strebt die Entwicklung eines europäischen Standards für Programmierung und Simulation von Neuronalen Netzen an. Anwendungsbereiche umfassen Bildverarbeitung, Sprachverarbeitung und akustische Signalklassifikation. Schließlich ist die Entwicklung eines europäischen parallelen Mehrzweck-Neurocomputers mit eingeschlossen. Das seit Januar 1989 betriebene Programm hatte für die ersten beiden Jahre einen Etat von 10 Mio. DM. Beteiligt sind die Firmen Thomson-CSF, SEL Alcatel, Philipps, Olivetti sowie sechs Universitäten. Das Pygmalion-Nachfolgeprojekt heißt GALATEA.
  • ANNIE (Anwendungen Neuronaler Netze für die Industrie in Europa) soll eine sichere Fertigungs- und Überwachungstechnologie für die Atomindustrie entwickeln. Die Fördersumme beträgt 10,3 Mio. DM, von denen Siemens etwa 1,8 Mio. DM investiert. Beteiligt sind die britische Atomenergiebehörde UKAEA Harwell, Siemens KWU, KPMG Peat Marwick, IBP Pietzsch GmbH, British Aerospace, Artificial Intelligence Ltd., CETIM, Alpha SAI.
  • DEANNA (Data-Base for European Neural Network Activity) ist eine Datenbank, die unter der Federführung von JENNI bis Anfang 1992 alle verfügbaren europäischen Aktivitäten zu Neuronalen Netzen erfaßt hat. Als Partner wurden benannt: IBP Pietzsch (Ettlingen), DIDA EL (Mailand), Software DeBASE (Madrid).3
  • Auch im Mikroelektronik-Programm JESSI (Joint European Submicron Silicon) ist die Untersuchung von Anwendungsmöglichkeiten für Neuronale Netze vorgesehen.

Während in der Bundesrepublik Deutschland bis zu den frühen achtziger Jahren grundlegende Forschungen zu Neuronalen Netzen lediglich vereinzelt betrieben wurden, ist seit wenigen Jahren eine starke Zunahme von Forschungsprogrammen zu verzeichnen. Ende der achtziger Jahre arbeiteten einige hundert Wissenschaftler an Problemen der Neuroinformatik (mit steigender Tendenz), davon der größte Teil im universitären Bereich. Von den neueren nationalen Projekten und Forschungsgruppen sollen hier nur das DFG-Schwerpunktprogramm „Physiologie und Theorie neuronaler Netzwerke“ sowie 10 Verbundvorhaben des BMFT mit 40 Forschungsgruppen erwähnt werden, darunter das Programm „Informationsverarbeitung in Neuronaler Architektur“ (INA), das in der ersten Phase mehr als 10 Mio. DM erhielt.

Nicht nur Großunternehmen arbeiten an Neuroinformatiksystemen, sondern auch eine Reihe von klein- und mittelständischen Unternehmen, die an ausgewählten Fragestellungen zur Anwendung mitarbeiten. Mehrere Firmen führen größere Programme zu Neuronalen Netzen durch (z.B. Daimler-Benz, Dornier, Krupp-Atlas, SEL, Siemens). Die umfangreichsten Aktivitäten entfaltet die Firma Siemens, die als Systemhaus und Informationstechnik(IT)-Anwender an europäischen Programmen (ANNIE, JESSI) ebenso mitwirkt wie am INA-Projekt des BMFT.

Japan verfährt ähnlich wie beim Programm zur Entwicklung von Computern der fünften Generation, das 1992 ohne die erhofften Ergebnisse ausläuft. Unter dem Kürzel NIPT (New Information Processing Technology) wird ein ehrgeiziges Programm zur Entwicklung der sechsten Computergeneration nach biologischen Vorbildern aufgelegt.

Gesellschaftliche Folgen

Bis etwa Mitte der achtziger Jahre war die Forschung an Neuronalen Netzen überwiegend von der wissenschaftlichen Eigendynamik bestimmt. Theoretisch orientierte Grundlagenforschung und fachliche Fragen hinsichtlich der praktischen Realisierbarkeit verschiedener Modelle standen im Vordergrund. Der finanzielle Umfang der Projekte war dementsprechend gering. Erst seit wenigen Jahren geraten Neuronale Netze zunehmend in das Spannungsfeld wirtschaftlicher, politischer und militärischer Interessen. Entwicklung und Einsatz dieser neuen Technologie sind daher zunehmend ähnlichen Triebkräften und Entscheidungsprozessen unterworfen wie andere Bereiche der gegenwärtigen Hochtechnologie-Entwicklung auch.

Die gesellschaftliche Diskussion über Neuronale Netze ist eng verknüpft mit der Auseinandersetzung über die KI, deren einstmals spektakuläre Ansprüche und Erwartungen bislang nicht erfüllt wurden. Trotz großer Unsicherheiten sollte mit einer Abschätzung der gesellschaftlichen Auswirkungen nicht gewartet werden, bis vollendete Tatsachen geschaffen wurden.4

Problemfelder betreffen die Übertragung der Entscheidungskompetenz vom Menschen auf wenig transparente Neuronale Netze, besonders wenn es sich um risikobehaftete Systeme im militärischen, medizinischen oder industriellen Bereich (Chemiefabriken, Atomkraftwerke) handelt, sowie eine zentrale Überwachung und Steuerung der gesellschaftlichen Informationsflüsse durch Neuronale Netze. Eine weitreichende Auswirkung wäre die tiefgreifende Umgestaltung des Arbeitslebens, besonders der Verlust von Arbeitsplätzen durch Neurocomputer und Neuro-Roboter. Werden künstliche und natürliche Neuronale Netze in einen Topf geworfen, erscheint der Gedanke nicht mehr weit, geistige und sensorische Körperleistungen künstlich zu simulieren, um »Hirndefekte« zu beheben oder geistige Leistungen zu vervollkommnen.

Folgt man den an die Frühphase der KI erinnernden Hoffnungen einiger Neuro-Enthusiasten, bieten sich Neuronale Netze als »Intelligenz-Verstärker« zur Lösung von Menschheitsproblemen geradezu an: „Gerade in der Phase, in der es auf der Erde gefährlich eng, gefährlich schmutzig und lebensgefährlich wird, schafft die Menschheit leistungsfähige Technologien, um komplexe Systeme in den Griff zu bekommen und das eigene Bewußtsein von einer regionalen auf eine globale, oder sogar eine extraterrestrische Perspektive neu anzupassen.“ 5

Als Ausweg zur Lösung der globalen Probleme wird folgerichtig das Bild einer weltumspannenden Neuromaschine entworfen, die lernfähige High-Performance-Computer mit einem Satelliten-System koppelt, um Wettervorhersage, Hydrologie, Ressourcen-Überwachung sowie die Beobachtung von Ozon-Verteilung, Smog-Bildung und Verkehrsströmen betreiben zu können. Als erwünschter Nebeneffekt wird eine erhebliche Akzeptanz-Verbesserung der Computer- und Raumfahrt-Technologien erwartet. Derartig technikzentrierte Ansätze übersehen häufig, daß die Weltentwicklung derzeit weniger an einem Mangel an »künstlicher« Intelligenz krankt als vielmehr an einem Mangel an politischem Willen, um verkrustete Interessensstrukturen aufzubrechen und kooperative Lösungen zu finden. Gerade der Mythos der Wettbewerbsfähigkeit im Konkurrenzkampf der drei westlichen Zentren, der nun auch bei Neuronalen Netzen ins Spiel kommt, dürfte einen beträchtlichen Anteil an den globalen Problemen haben, da er einen schonungslosen Umgang mit den Naturressourcen befördert. In noch stärkerem Maße gilt dies für Rüstung und Krieg.

Militärische Relevanz

Mit dem Anspruch, menschliche Denkleistungen nachzuahmen, eröffnen Neuronale Netze auch im militärischen Sektor ein weites Feld möglicher Anwendungen überall dort, wo von Rüstung »intelligentes« Verhalten erwartet wird. Ein Rüstungsforscher stellt fest: „Jeder Prozeß, der besser von einem menschlichen oder tierischen Gehirn als von einem Computer ausgeführt wird, ist ein potentielles Einsatzfeld für Neuronale Netze“.6 Zwar wird der Mensch bei wichtigen Tätigkeiten und Entscheidungen als unersetzbar angesehen, doch gebe es besonders im militärischen Bereich Umgebungen, in denen Menschen nicht operieren können oder menschliche »Schwächen« wie Ermüdbarkeit und Unachtsamkeit zum Tragen kommen. Für die zunehmende Automatisierung und Computerisierung des Gefechtsfeldes wurden verschiedene Argumente herangezogen, z.B. die sinkende Zahl von Wehrpflichtigen, das begrenzte Budget zur Aufrechterhaltung der Abschreckung, oder die Verantwortungslosigkeit, dem einzelnen Soldaten technologisch veraltete Waffen zu geben. Es sei unmoralisch bzw. unsozial, eine ineffiziente Rüstung zu betreiben, die mehr Mittel als notwendig bindet. Demgegenüber sollen in Zukunft verstärkt Kampfroboter eingesetzt werden, die moralisch gerechtfertigt seien, da sie Menschen auf dem Gefechtsfeld ersetzten.

Aus derartigen Überlegungen ergibt sich ein möglicher Einsatz für Neuronale Netze. Diese setzen einen Trend fort, der seit Jahrzehnten die rüstungstechnische Entwicklung bestimmt hat: die qualitative, von technologischen Faktoren bestimmte Rüstungsdynamik, die die gesamte hochtechnische Entwicklung einbezieht. Zentrale Bedeutung für praktisch alle rüstungsrelevanten Technologiefelder haben Fortschritte im Bereich der Mikroelektronik und Computertechnik, einschließlich der zugehörigen Software. Mittlerweile ist der Computer zum beherrschenden Element der elektronischen Schlachtfelder geworden, im Golfkrieg wurde der Mikrochip gar als Gewinner des Krieges gepriesen.

Expertensysteme und Künstliche Intelligenz (KI) hatten zu Beginn der achtziger Jahre außerordentliche Konjunktur, werden allerdings bei militärischen Entscheidungsträgern wegen ihrer Undurchschaubarkeit noch mit einer gewissen Skepsis aufgenommen. Sie wurden daher v.a. in den Bereichen eingesetzt, die nicht zeitkritisch sind (z.B. Entwurf und Planung von Systemen, Interpretation und Vorhersage von Ereignissen, für die Überwachung und Kontrolle von Prozessen, zur Entdeckung und Einordnung von Anlagenfehlern (Diagnose)). Im Rahmen der Strategic Computing Initiative (SCI) der USA wurden drei Anwendungsprogramme ausgeschrieben: das fahrerlose Landfahrzeug (Heer), der autonome Pilotenassistent (Luftwaffe) und das seegestützte Kampfführungssystem für Flugzeugträger (Marine). Die dadurch definierten Zielsetzungen wurden auch zum Maßstab für Neuronale Netze, die sich zunehmend als Ergänzung bzw. Alternative der KI im Rüstungsbereich anbieten. Folgende Anwendungsbereiche kommen hier besonders in Frage:

1. Autonome Raketensteuerung und nichtkooperative Zielerkennung in Echtzeit.

2. Gefechtsfeld-Simulation, Training und Prozeßkontrolle.

3. Militärische Expertensysteme zur Entscheidungsunterstützung im Krieg oder in der Krise.

4. Integrierte Sensorsysteme für Aufklärung, Überwachung und Verifikation.

5. Elektronische Kriegsführung.

Im »Critical Technologies Plan«, den das US-Verteidigungsministerium (Department of Defense, DoD) seit 1989 veröffentlicht, werden etwa 20 Technologiefelder auf ihre militärische Relevanz durchleuchtet. Die für Neuronale Netze relevanten Technologien sind nicht in einem einzelnen Feld zusammengefaßt, sondern auf verschiedene Bereiche verteilt (v.a. Parallelcomputer-Architektur, Maschinen-Intelligenz und Robotik, Signalsteuerung, Datenfusion) und mehreren Zielsetzungen für die Anwendung zugeordnet. In erster Linie erhofft sich der Bericht von Neuronalen Netzen einen Durchbruch als Kräftevervielfacher (Force Multiplier) in intelligenten Waffensystemen (smart weapons), Überwachungssystemen, sowie Befehls- und Führungssystemen (C3I: command, control, communication and intelligence). Weitere Anwendungsbereiche betreffen die Entdeckung von U-Booten oder Torpedo-Abschüssen, die Klassifizierung von Sendern in der elektronischen Kriegführung, autonom gelenkte Raketen, die Unterscheidung zwischen wirklichen Zielen und Attrappen, Stimm- und Spracherkennungssysteme zur Entlastung von Kampfpiloten, Entscheidungshilfen in C3I-Systemen. In vielen Anwendungsbereichen ist die Lokalisierung, Identifizierung und Verfolgung mobiler Ziele durch Neuronale Netze bedeutsam.

Am ausführlichsten untersucht wurde das militärische Anwendungspotential Neuronaler Netze in einer 1988 fertiggestellten Studie der Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA), die sich in den USA als treibende Kraft bei der militärischen Nutzung etablierte.7 Unter Beteiligung der meisten in den USA führenden Experten im Bereich Neuronale Netze gibt die als Empfehlung für zukünftige Förderung gedachte Studie einen Überblick über die theoretischen Grundlagen, technischen Voraussetzungen und Anwendungsmöglichkeiten. Der Schwerpunkt militärischer Anwendungen dürfte in der Echtzeit-Mustererkennung für zielgenaue selbstlenkende Flugkörper liegen, die als »intelligente Waffen« im Golfkrieg tödliche Triumphe feierten. Das SDI-Programm der USA zur Entwicklung eines Raketenabwehrsystems wird ebenso als geeignetes Testfeld für Neurocomputer angesehen wie die akustische U-Boot-Erkennung und intelligente Seeminen (siehe Kasten 2). In einer DARPA-Umfrage bezeichneten 45 % (der größte Block) von 40 Neurocomputer-Experten militärische C3I-Systeme als »den vielversprechendsten Sektor für die Neuronalen-Netz-Anwendung in den nächsten 25 Jahren«.

Unter anderem wird in der DARPA-Studie empfohlen, interdisziplinäre Kooperation und Basisforschung anstelle großdimensionierter Demonstrationsprojekte zu fördern, sowie die Entwicklung von verbesserten Lernalgorithmen und theoretischen Arbeiten zu motivieren, besonders im Bereich der visuellen Wahrnehmung, bei der Sprachverarbeitung und der Robotersteuerung. Dabei wird eine massive Parallelität angestrebt, um z. B. zu Verarbeitungsleistungen von 50.000 Wörtern in Echtzeit zu gelangen, wie es beim Menschen der Fall ist.

Ambivalenz und Dual-Use

Das Ende des Ost-West-Konflikts und die Verknappung militärischer Ausgaben führen zu einer stärkeren Einbeziehung des zivilen Sektors in militärische Planungen, unter Ausnutzung der zivil-militärischen Doppelverwendbarkeit (Dual-Use) der Technik. Militärische Nutznießer versuchen, sich an die zivile Entwicklung anzuhängen bzw. diese durch geeignete Mittelvergabe und Festlegung von Anforderungsprofilen frühzeitig zu steuern. In der Bundesrepublik Deutschland sorgen Absprachen zwischen dem BMFT, dem Bundesminister für Verteidigung (BMVg) und anderen Ressorts (insbesondere dem Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen im Teilbereich Kommunikationstechnik) dafür, daß die militärischen Anforderungen in Forschungs- und Entwicklungs(F&E)-Programmen Berücksichtigung finden. Im „Zukunftskonzept Informationstechnik“ (ZKI) unter Federführung des BMFT und des Wirtschaftsministeriums wird die Förderungspolitik mit der Orientierung verknüpft, „militärische Forderungen bei zivilen Entwicklungen möglichst frühzeitig mitberücksichtigen zu lassen“, also die Technologieentwicklung so zu beeinflussen, daß der militärische Bedarf effektiver und effizienter (durch Dual-Use-Technologien) gedeckt werden kann. Mehr als jede zweite DM der etwa 1,8 Mrd. DM, die die Bundesregierung 1990 für Informationstechnik-F&E ausgab, war unmittelbar für militärische Zwecke bestimmt.

Da die Neuroinformatik noch im Anfangsstadium ihrer Entwicklung ist und die Ambivalenz in der Grundlagenforschung sehr hoch ist, kann der Entwicklungspfad zivil-militärisch hier nur schwer getrennt werden. Das impliziert, daß zahlreiche theoretische Ergebnisse auch im militärischen Bereich Verwendung finden. Das Schwergewicht lag bislang im zivil-kommerziellen Bereich, auch wenn militärische Fragestellungen häufig wie selbstverständlich involviert sind. Im konkreten Anwendungsstadium ist eine einfache Übertragbarkeit nicht ohne weiteres möglich, da ein Neuronales Netz oft auf eine spezifische Aufgabe hin konzipiert und optimiert wurde. Dies betrifft besonders die Zahl der Ein- und Ausgänge sowie die Verbindungsstruktur in den Schichten, die das Ergebnis eines langwierigen Lernprozesses ist. Generell kann, wie beim Menschen auch, gesagt werden, daß der Grad der zivil-militärischen Ambivalenz umso höher ist, je lernfähiger und flexibler das Neuronale Netz ist.

Sicherheitspolitische Folgen

Viele der genannten militärischen Anwendungen gelten nach der bisherigen Abschreckungsdoktrin als militärisch destabilisierend, da sie die Kriegführungsfähigkeit steigern und die Fähigkeit zum Gegenschlag unterhöhlen. Die Entwicklung kleiner, autonomer und billiger Waffen hat zudem einen anregenden Effekt auf das Wettrüsten und die Verbreitung (Proliferation) in Krisengebiete. Weitere Risiken ergeben sich durch eine Automatisierung der Entscheidungsfindung in der militärischen Kommando- und Kommunikations-Hierarchie durch Neuronale Netze, die für Entscheidungen über Krieg und Frieden wenig geeignet sind, da sie die Gefahr von (computer-bedingten) Fehlentscheidungen mit u. U. katastrophalen Folgen mit sich bringt. Besonders problematisch wäre die Übertragung der Befehlsgewalt an Neuronale Netze für den Fall eines Atomkrieges oder für die Raketenabwehr (SDI), wenn Entscheidungen in Sekunden oder Minuten getroffen werden müssen. Ob Neuronale Netze, in Konkurrenz zu bereits existierenden Verfahren, einen substantiellen Beitrag zur Überprüfung (Verifikation) von Abrüstungabkommen liefern können, ist fraglich. Vorschläge, diese zur Überprüfung eines vollständigen Teststop-Vertrages für Atombombentests einzusetzen, gibt es bereits.

Die meisten der genannten militärischen Anwendungsfelder sind noch Jahre von einer Realisierung entfernt, wenn auch einzelne Prototypen mit geringer Leistungsfähigkeit bereits erprobt werden (z.B. bei der Sonar-Zielerkennung). Von den 78 in der DARPA-Studie für relevant befundenen Anwendungen, die das Erprobungsstadium erreicht haben, arbeiteten alle auf PC's und nutzten keine spezielle Neuronale-Netze-Hardware. Der Zeitraum, bis zu dem autonome Systeme allein auf Grundlage Neuronaler Netze einsatzbereit sein können, wird in der DARPA-Studie auf mehr als 10 Jahre geschätzt. Es kann vermutet werden, daß militärische Entscheidungsträger wie schon bei der KI eine ähnliche Zurückhaltung auch bei der Einführung der Neuronalen Netze hegen werden. Dazu tragen auch die schon angesprochenen grundlegenden Probleme bei, die nur schwer zu beseitigen sind. Da es bewährte Standardverfahren bislang nicht gibt, sind auch die Rüstungsforscher nach wie vor auf Intuition und Einfallsreichtum angewiesen,

Ein Jahr nach der DARPA-Studie hat das US-Verteidigungsministerium die Ansicht geäußert, daß die Forschung zu Neuronalen Netzen „noch in einem sehr frühen Stadium“ sei. Auch bei der DARPA scheinen die ursprünglichen Erwartungen in das Anwendungspotential der Neuronalen Netze etwas gedämpft worden zu sein. Das 1988 mit einem Finanzumfang von etwa 400 Mio. Dollar auf fünf Jahre angelegte Forschungsprogramm wurde erheblich reduziert. Von den für 1990 geplanten 33 Mio. Dollar blieben nach dem Passieren der Bewilligungsausschüsse ganze 12 Mio. Dollar übrig. Dazu paßt, daß einige Akademiker Widerspruch gegen eine massive militärische Förderung von Neuronalen Netzen eingelegt hatten, um dem „guten Ruf der Neuronalen Netze nicht zu schaden“.

Bericht vom ISL-Workshop

Ob der eingangs erwähnte Workshop des deutsch-französischen Forschungsinstituts St. Louis zum Einsatz künstlicher Neuronaler Netze in der Wehrtechnik den guten Ruf verbessern konnte, darf bezweifelt werden. Die französische Dominanz bei dem Workshop war auffällig: 16 französische gegenüber 7 deutschen Gästen und 3 Mitarbeitern vom ISL. Als Schirmherr des Workshops und Verantwortlicher für das ISL fungierte ein hoher Beamter des französischen Verteidigungsministeriums (Herr Rouvillois). Es ist auffällig, daß große französische Rüstungsbetriebe personell vertreten waren (Thomson-CSF, Dassault Aviation, MS2i (ein Forschungszusammenschluß von Matra und SEP), Cap Gemini), und auch von französischen Universitäten Hochschullehrer gekommen waren, während auf deutscher Seite lediglich Prof. vom Stein von der Bundeswehruniversität in Hamburg anwesend war. Die Abwesenheit deutscher Neuroinformatik-Größen wurde denn auch in der Schlußrede von Rouvillois bedauert.

Das starke Engagment der französischen Seite spiegelte sich auch in den Beiträgen wider. Allein aus den verschiedenen Sparten des Thomson-Konzerns kamen fünf Beiträge. Der in Europa mit sehr hohem finanziellen Aufwand auf dem Sektor der Neuronalen Netze tätige Konzern wurde einerseits mit theoretischen Beiträgen vorgestellt, z.B. zu Auswahlmethoden der Netzparameter, dem Erlernen der Abstandsfunktion durch ein Neuronales Netz oder mit anwendungsorientierten Beiträgen zur Fahrzeugdetektion, -klassifikation und zur Infrarot(IR)-Raumüberwachung. Am zweiten Tag wurden die Arbeiten der Abteilung optronische Anwendungen bei Thomson vorgestellt, die mit einer Personalstärke von 1000 Personen Systeme für die Lufterkennung entwickelt. Dazu gehören die IR-Rundumüberwachung, die Entwicklung von Nachtüberwachungssystemen, Feuerleitung, Lasercodierung, Lenkung von Laserstrahlen und die Entwicklung von Suchköpfen. Eine vorgestellte Konzeption für ein Lufterkennungssystem benutzt einen um 360 Grad schwenkbaren Kopf, der im Wellenlängenbereich von 8-10 Mikrometern operiert und auf Entfernungen von 5-10 km betriebsbereit sein soll, bei einem Datendurchsatz von 300 Megabytes. Es existieren dazu bereits herkömmliche Elemente, wobei das vorgesehene Neuronale Netz diesen Aufgaben sukzessive angepaßt werden muß. Ein weiteres erwähntes Beispiel nutzt die Anpassungsfähigkeit Neuronaler Systeme zur Erkennung an Panzern im Gelände. Es wird ebenfalls versucht, das System für die Erkennung von Flugzeugmodellen einzusetzen.

Patrick Dechamps von MS2i berichtete über deren Forschungsarbeit zur Verarbeitung und Zusammenführung von visuellen Daten. Etwa 30 Ingenieure arbeiten in vierjähriger Forschung u.a. an Problemen der Fotointerpretation, der Unterwasserakustik und der Buchstabenerkennung. Insgesamt wurde die Arbeit mehr dem Bereich der Grundlagenforschung zugeschrieben, aber es besteht auch die Absicht, in die militärische Nutzung der Raumfahrt einzusteigen und die Bildfusion für Anwendungen in Suchköpfen vorzubereiten. Eine intensive Zusammenarbeit gibt es mit Ossay bei der Auswertung von Bildern des Satelliten Spot, der Bestimmung von Flugzeugpositionen, der Buchstabenerkennug und dem Kartenlesen.

Vier typische Anwendungen wurden noch vorgestellt: In Zusammenarbeit mit Marconi Research wird die Fusion von Spot- und Radarbildern erprobt, um bei Nebel die Sicht zu verbessern; Hopfieldnetze sollen dabei die Optimierung vornehmen. Eine zweite Anwendung betrifft die Erkennng von Buchstaben auf Landkarten, die dritte Anwendung ist ein Adressenerkennungssystem für die amerikanische Post, das in Konkurrenz mit vier anderen Firmen entwickelt wird. Die letzte Anwendung betrifft die Erkennung von Flugzeugen; dabei interessiert speziell für den Einsatz in Suchköpfen die Bestimmung des Kippwinkels. Mit synthetischen Bildern von 36 x 36 Pixeln war bereits ein Erfolg von 98 % zu verzeichnen. Verwiesen wurde noch auf die »Intelligente Retina«, die vor 2-3 Jahren auf dem Workshop »Intelligente Zielannäherung« im ISL vorgestellt wurde.

Von der Universität der Bundeswehr in Hamburg kam ein Beitrag zur Untersuchung des Einsatzes Neuronaler Netze bei der Klassifikation von Schiffen anhand von Infrarot-Bildern. Dabei bilden die aus IR-Bildern gewonnene Schiffssilhouette und der als bekannt vorausgesetzte Lagewinkel des Schiffes die Menge aller Informationen. Anhand eines Konturliniendatensatzes bestehend aus 246 Konturlinien von 64 Schiffen konnte gezeigt werden, daß ein und zweilagige Perzeptrons so trainiert werden können, daß sie aus den Histogramm-Matritzen eine Zuweisung zur richtigen Schiffsklasse ermöglichen.

Von dem staatlichen französischen Forschungsinstitut INRIA (Institut National de Recherche en Informatique et en Automatique) kam ein Beitrag zur Bildaufbereitung in einem Netz von gekoppelten Neuro-Oszillatoren. Das Interesse der mit Computervision betrauten Untergruppe PASTIS konzentriert sich u.a. darauf, Satellitenbilder hinsichtlich Eigenschaftsextraktion auf niedrigem Niveau vorzubearbeiten, geologische Formationen zu erkennen, Stereobilder zur Verkehrsüberwachung auszuwerten und Bildklassifikation vorzunehmen. Dabei werden neben dem neuronalen auch verschiedene andere Ansätze verfolgt.

Frau Fogelman-Soulie beschrieb in dem Workshopbericht drei Anwendungen, die bei MIMETICS untersucht werden (Identifikation von Personen, Buchstaben und wechselnden Zeitsignalen) und diskutierte deren militärische Verwendbarkeit. Frau Perron-Gitton von ONERA stellte ein Neuronales Netz zur Zweikanal-Datenfusion in bimodalen Suchköpfen vor. Dabei ist an Anwendungen zur Endphasenlenkung von Flugkörpern gedacht. Bemerkenswert war der Sprachgebrauch: Formulierungen wie „zur Auswahl hochwertiger Ziele wie Straßen und Brücken“ wurden wie selbstverständlich verwandt. Alexandre Wallyn stellte eine Arbeit von Cap Gemini Innovation zur Unterstützung der Spezifizierungsaufgaben von Bordradarsystemen vor. Das zur Prototypenreife gediehene System NEUREX nutzt einen Rochester-Simulator zur Konvergenzsteigerung.

Die lebhaft diskutierten theorieorientierten Vorträge von Prof. Azencott von der Universität Paris Süd und Erol Gelenbe (EHEI) beschäftigten sich einmal mit der Konvergenz themodynamischer Modelle für das künstliche Sehen und dann mit dem neuronalen Lernen, Speichern und Erzeugen von Bildtexturen. Den letzten Vortag hielt Dr. Radons von der Universität Kiel, der sich mit der fraktalen Gleichgewichtsverteilung als Resultat des Lernens in Neuronalen Netzen beschäftigte.

Im schon erwähnten Schlußwort konstatierte Rouvillois, daß Neuronale Netze jetzt reif und erwachsen würden, Anwendungen greifbar seien und die operationale Inbetriebnahme, besonders zur Zielerkennung in verrauschter Umgebung, Bildintegration und der Interpretation von Satellitenfotos kurz vor der konkreten Umsetzung stehe. Da solche Projekte mit großer Wahrscheinlichkeit mit internationaler Zielsetzung betrieben werden, empfahl er dem ISL, auf den fahrenden Zug aufzuspringen, um sich einen signifikanten Platz zu sichern. Als wichtigste Bestrebung nannte er die Unabhängigkeit von Japan und den USA. Als Ausblick wurde die Wiederholung eines solchen Workshops in zwei- bis drei-jährlichem Rhythmus in Aussicht gestellt.

Welche Neuroinformatik brauchen wir?

Die Verantwortungsdiskussion konzentriert sich u.a. darauf, wieweit menschliche Intelligenzleistungen mit Neuronalen Netzen »künstlich« nachgebildet werden können und sollen. Besonders offensichtlich ergeben sich ethische Fragen bei der direkten Erforschung des Gehirns und bei Experimenten an Versuchstieren, die oft auf heftige Kritik in der Öffentlichkeit stossen. Auch bei der Übertragung menschlicher Entscheidungskompetenz, der gesellschaftlichen Überwachung, der Freisetzung menschlicher Arbeitskraft und besonders bei der militärischen Anwendung Neuronaler Netze stellt sich die Frage nach der Verantwortung, die versucht, einen Machtmißbrauch zu verhindern und Risiken zu vermeiden. Bei der Wahrnehmung von Verantwortung sind zum einen Vertreter von Wissenschafts- und Ingenieursdisziplinen gefragt, die über den Horizont ihres Faches hinaus auf die gesellschaftlichen Implikationen blicken müssen, um daraus ggf. Schlußfolgerungen für ihr Handeln zu ziehen.

Auch Politik und Öffentlichkeit sind aufgefordert, Maßstäbe dafür zu entwickeln, welche Entwicklungen der Neuroinformatik sinnvoll und welche schädlich sind. In Zukunft sollten Politikziele wie Erhalt von qualifizierten Arbeitsplätzen, Humanisierung des Arbeitslebens, Kriegsvermeidung, Abbau politischer Spannungen, Erhalt der Ökosysteme, Abbau der technologischen Diskrepanzen zwischen westlichen Industrieländern und Entwicklungsländern (bzw. ehemaligen sozialistischen Ländern) ein erheblich höheres Gewicht bekommen, dem die Wettbewerbsfähigkeit in der Rangliste nachgeordnet ist. Dies würde auch implizieren, daß eine Technikfolgenabschätzung sowie eine Förderung der Neuroinformatik weniger an den Interessen der Großindustrie oder des Militärs orientiert werden dürfte, sondern mehr am gesellschaftlichen Nutzen im globalen Maßstab, unter Berücksichtigung von Kosten und Risiken.

Materialien

Zusatz 1:

Hauptanwendungsbereiche Neuronaler Netze

Klassifikation, Mustererkennung

Ein Netzwerk wird so trainiert, daß es die Eingangsdaten in verschiedene Klassen einsortiert.

Selbstorganisation, Kategorienbildung

Eingabedatensätze werden zu Gruppen oder Clustern zusammengefaßt (Vektorquantisierung). Dieses ist eine effiziente Methode der Datenreduktion zur Weiterverarbeitung auf höherer Stufe – besonders geeignet für Sprach- und visuelle Aufgaben.

Assoziative Speicher

Ein assoziatives Gedächtnis liefert die vollständige Speicherinformation über ein Objekt auch dann, wenn nur ein unvollständiges oder bruchstückhaftes Wissen darüber vorhanden ist.

Vorverarbeitung von Sensordaten

Durch die Parallelität der Informationsverarbeitung kann die enorme Datenfülle wie in den peripheren Seh- und Hörzentren in Echtzeit vorverarbeitet und reduziert werden.

Nichtlineare Abbildungen

In der Robotersteuerung oder der nichtlinearen Signalverarbeitung wird ein Vektor aus analogen Eingabewerten über eine nichtlineare Funktion auf entsprechende Ausgabewerte abgebildet.

Multi-Sensor-Automaten

Beispiel: Ein Roboterarm wird so mit Sensoren und Kameras bestückt, daß ein selbstüberwachtes Erlernen eines Arbeitsganges stattfinden kann.

Computerspezifische Probleme

Neuronale Netzwerke können so ausgestaltet werden, daß sie durch nichtlineares analoges Rechnen Probleme lösen können, bei denen den Computern prinzipielle Grenzen gesetzt sind, z.B. bei Optimierungsproblemen wie dem »Problem des Handlungsreisenden«.

Zusatz 2: Anwendungsbeispiele Neuronaler Netze im militärischen Bereich

Gesichtserkennungssysteme

Das Wahrnehmen und Verarbeiten von bewegten Bildern stellt hohe Anforderungen an die verarbeitende Kapazität der beteiligten Systeme. Ein typisches hoch aufgelöstes Bild umfaßt ca. 106 Pixel mit einer Wiederholrate von 100 Bildern pro Sekunde. Dabei ist noch die für die Interpretation wichtige Information (Konturen, Farben, Textur, Größe, Abstand und Relativbewegung) aus der zweidimensionalen Eingabe herauszuholen. Ein automatisches Gesichtserkennungssystem genannt »personal identification card« (PICard), das von einer englischen Firma vertrieben wird, basiert auf einem Neuronalen Netzwerk gekoppelt mit der Signalvorhersage. Es soll eine effektive Zugangskontrolle bieten, mit weitgehenden Anwendungsmöglichkeiten für industrielle und staatliche, darunter auch militärische Zwecke. Das System nimmt das Gesicht einer Person mit einer Videokamera auf und speichert dessen Darstellung auf einer Identitätskarte oder auch einer Datenbank, um bei der Wiedererkennung herangezogen zu werden.

Flugzeugsteuerung

Eine neuronales selbst-reparierendes und rekonfigurierendes System wird von McDonnell Douglas und der NASA entwickelt und getestet. Es zielt darauf ab, einem Flugzeug mit teilweisem Verlust der Tragfläche die Flug- und Einsatzfähigkeit zu erhalten. Das Neuronale Netz soll in einem solchen Fall die veränderten Flugeigenschaften erlernen und dem Piloten die Kontrolle ermöglichen. Dieses Flugkontrollsystem findet auch Anwendungen in anderen Flugsituationen, die ohne unterstützende Systeme instabil wären.

Anwendung in der Raketenabwehr (SDI)

Ein Vorschlag stammt von der Nicolspan Research Corporation, die sich mit der Unterscheidung von Wiedereintrittskörpern (reentry vehicles, RVs) und Attrappen beschäftigt und bislang dazu KI und statistische Mustererkennungstechniken eingesetzt hat. Der neue Ansatz läuft über nichtüberwacht lernende Klassifikationsnetzwerke mit dem »maximum likelyhood« Verfahren zur Informationsfusion und Parameterschätzung. Es wird geschätzt, daß zur Klassifikation von 100.000 Zielen mit 100 Typen und 10 Unterscheidungsmerkmalen Prozessoren mit 10 Mio. Instruktionen pro Sekunde (MIPS) oder 100 Mio. Verbindungen eines Neuronalen Netzes benötigt werden. Bei Hughes Aircraft kommt man zu der Schlußfolgerung, daß „ein großes automatisiertes Unternehmen wie SDI ohne Neuronale Netze nicht bewerkstelligt werden könne.“

Entdeckung von Seeminen

In der Studie von Gorman (Allied Signals) und Sejnowski (John Hopkins University) sind verschiedene Methoden miteinander verglichen worden, um zwei Sonarziele auf sandigem Ozeangrund – einen Metallzylinder und einen Felsen von 1.5 m Länge – zu erkennen. Das Neuronale Netz (dreischichtiges Netzwerk mit »Backpropagation«) erzielte eine korrekte Klassifizierung von annähernd 90 % , wohingegen der Mensch mit 88 % Erfolgsrate abschnitt. Obwohl es keine bahnbrechenden Durchbrüche gegeben hat, sollen Neuronale Netze trotz längerer Trainingszeiten einfacher zu implementieren sein als andere Modelle.

Robotik

Nach James Albus, dem Mitentwickler der Marr-Albus-Theorie des Kleinhirns und Erfinder des CMAC-Netzwerkes, liegt der potentielle Markt für militärische Roboter bei mehreren Mrd. US-Dollar pro Jahr. Ein Beispiel für industrielle militärische Umgebungen ist der Roboter-Gabelstapler von Martin Marietta. Unter die nichtindustrielle militärische Umgebung fallen die Bereiche Kampf, Kampfunterstützung, und Kampfversorgung. Vorzüge werden in der unverminderten Aktionsfähigkeit bei Dunkelheit, Tarnnebel oder chemisch verseuchtem Gebiet gesehen. Beispiele für Anwendungen Neuronaler Netze sind die Zielbekämpfung durch halbautomatische Roboter-Abschußplattformen; ABC-Dekontamination; Lade-Roboter; unbemannte Waffenstationen, Hubschrauber, Panzer, Artilleriewaffen; Täuschroboter, die die Aktivität eines Gefechts simulieren; Roboter zur Gefechtsaufklärung, zur Unterstützung im Minenkampf; Wachroboter.

Zusatz 3: Das deutsch-französische Forschungsinstitut St. Louis (ISL)

Das deutsch-französische Forschungsinstitut Saint Louis (ISL) wurde am 31. März 1958 von beiden Ländern ins Leben gerufen mit den Zielen: Durchführung von Forschungsarbeit, wissenschaftlichen Untersuchungen und grundlegenden Vorentwicklungen auf dem Gebiet der Wehrtechnik mit einem gemeinsamen Forschungsprogramm beider Verteidigungsministerien. Darüberhinaus werden Beziehungen unterhalten zu Wissenschaft und Industrie beider Länder. Das Institut versteht sich als ein Forum zur Politikberatung mit Regierungsstellen.

Die Forschungsgruppe zu Neuronalen Netzen beschäftigt sich im wesentlichen mit der Erkennung von Objekten in Bildern geringer Auflösung und hohem Störpegel. Aus vorgegebenen Bildern werden Objekte extrahiert sowie deren geometrische Merkmale und die Kontur bestimmt. Durch Austausch – auch mit der Bundeswehr-Universität Hamburg – ist die Gruppe über aktuelle Entwicklungen anderer Militärforschungsstellen informiert. Bei der Arbeit von Axel Köneke geht es um die Eigenschaftsextraktion mit einem Neuronalen Netz, wobei ihn besonders die Datenkompression in der Zwischenschicht interessiert. Das eingespeiste Bild war bezeichnenderweise ein Hubschrauber vor stark segmentiertem Hintergrund.

Anmerkungen

1) Markus Jathe, Jürgen Scheffran: Zivile und militärische Anwendungen Neuronaler Netze: Bestandsaufnahme und Ansätze zur Bewertung, Arbeitsbericht, Darmstadt: IANUS 5/1991. Hierin findet sich auch eine ausführliche Literaturliste, so daß hier, mit wenigen Ausnahmen, auf Quellenverweise verzichtet wird. Zurück

2) Manfred Domke, Neurocomputer: Technik, Anwendungen, Risiken, »InfoTech«, Dezember 1989, S. 15 – 24. Zurück

3) Mittlerweile ist die Datenbank mit etwa 440 Einträgen verfügbar. Eine oberflächliche Durchsicht hinsichtlich der Begriffe »military« und »defence« ergab folgende Namen und Institutionen mit augenscheinlichen militärischen Bezügen: RCMS (Cranfield, GB), Royal Military College of Science (GB), D'Electronique Fondamentale, Uni Paris (F), National Defence Research Establishment (Schweden), Aspex Microsystems Ltd. (GB), Syseca DSTR (F), Brighton Poly (GB), Andersen Consulting (Spanien), Thomson Sintra ASM (F), FIM/FGAN Ettlingen (BRD), University of York (GB), SD Scicon (GB), Intelligence Decision Systems (Spanien), TNO/FEL (Niederlande), Logica Defence (GB), LERI (F), University College London (GB), King's College London (GB). Diese Liste hat allenfalls Stichprobencharakter, da indirekte oder nichtangegebene militärische Zusammenhänge nicht berücksichtigt werden konnten. Auch wird nichts darüber ausgesagt, wie hoch der militärische Anteil bei den genannten Projekten ist. Zurück

4) Das gewachsene öffentliche Interesse an der Neuroinformatik dokumentiert sich etwa in der 16-teiligen Serie „Vom Neuron zum Chip“ in der Tageszeitung »Die Welt« im Oktober und November 1991. Zurück

5) So der Düsseldorfer Neuroinformatik-Experte Prof. Eckmiller; siehe: Rolf Eckmiller: Learning neural computers for global problem managment in the 21st century, in: „Proc. of Int. Symp. New Information Processing Technologies '91“, Tokyo, März 1991. Zurück

6) Ronald E. Wright: The Potential Applications of Neural Networks and Neurocomputers in C3I, in: S.E. Johnson, A.H. Levis (Hrsg.): Science of Command and Control, AFCEA International Press, 1989. Zurück

7) DARPA Neural Network Study, Fairfax, VA: AFCEA International Press, 1988. Zurück

Markus Jathe und Jürgen Scheffran sind Physiker und Mitarbeiter der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheitpolitik (IANUS) an der Technischen Hochschule Darmstadt.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1992/3 Zerbrochenes Europa, Seite