W&F 2022/3

Legitimierung des Illegitimen

Ideologische Sprache und der Genozid an den Rohingya

von Maximilian Wegener

Dass ideologisch geprägte Sprache im Kontext systematischer Massengewalt eine wichtige Rolle spielt, erscheint wenig überraschend. Doch wie genau wird die Anwendung genozidaler Gewalt gegen bestimmte Gruppen diskursiv gerechtfertigt? Durch welche Strategien werden Gräueltaten bis hin zum Völkermord als notwendig, vertretbar und gar wünschenswert dargestellt? Ein Blick auf den Genozid an der Minderheit der Rohingya in Myanmar zeigt, dass politische und symbolische Eliten ideologische Sprache bemühen, um kollektive Gewalt zu rechtfertigen. Welche diskursiven Strategien der Gewaltlegitimierung sie dabei nutzen, soll im Fokus dieses Beitrages stehen.

Ideologien, also übergeordnete, gruppenspezifische und potenziell handlungsleitende Ideen und Weltbilder, können sowohl strukturell als auch instrumentell zur Verübung kollektiver Gewaltverbrechen beitragen. Ob Nationalsozialismus, Stalinismus, Maoismus, Khmer-Nationalismus in Kambodscha oder ethnonationalistische Konstrukte wie »Hutu Power« in Ruanda – eine theoretisch fundierte und analytisch weitsichtige Untersuchung der schlimmsten Menschheitsverbrechen darf ideologische Parameter nicht außer Acht lassen. Längst ist klar, dass Gräueltaten nicht nur auf ideologisch besessene Fanatiker*innen zurückgeführt werden können und Täter*innen keine homogene ideologische Masse bilden (Leader Maynard 2014). Ideologie ist vielmehr ein alltägliches und sozial omnipräsentes Ideensystem, das auf recht subtile Art und Weise beeinflusst, wie Menschen die Welt um sie herum betrachten, interpretieren und bewerten. Ideologische Dispositive prägen nicht nur Wertesysteme, politische Einstellungen und soziale Verhaltensmuster von Einzelpersonen; auf kollektiver Ebene strukturieren sie darüber hinaus maßgeblich die Beziehungen zwischen sozio-politischen Gruppen.

Ideologie lässt sich nur dann adäquat untersuchen, wenn ihre diskursiven Erscheinungs-, Verbreitungs- und Wirkformen berücksichtigt werden. Sprache kreiert, prägt, transportiert und verbreitet Ideologie ebenso wie sich Ideensysteme in Diskursen, Symbolen und Bildern manifestieren, sie beeinflussen und teilweise neu erfinden. In Kontexten kollektiver Gewaltanwendung verleiht ideologische Sprache den Gräueltaten einen ideellen Überbau in Form eines größeren Sinnzusammenhangs. Dabei geht es nicht zuletzt um die ideologisch hergeleitete und diskursiv gerahmte Legitimierung genozidaler Gewalt (aber auch anderer Formen kollektiver Gewalt, diese Feststellung ist nicht auf Genozide beschränkt). Ideologische Sprache porträtiert systematische Massengewalt in den Augen von Täter*innen und Unterstützer*innen oft nicht nur als notwendig und vertretbar, sondern kann sie gar als erstrebenswert und unausweichlich erscheinen lassen. Vereinfachende Narrative entlang der Gegenüberstellung »Wir gegen Die« erzeugen eine gruppenspezifische Abwertung der Anderen bei gleichzeitiger Aufwertung des Eigenen. Diese Gegenüberstellung von Ingroup und Outgroup bildet letztlich den Nährboden für hegemoniale Diskursfiguren, die strategisch darauf ausgerichtet sind, kollektive Gewaltverbrechen bis hin zum Völkermord zu rechtfertigen. Teilweise aufbauend auf einem von Jonathan Leader Maynard und Susan Benesch geprägten Modell zu »gefährlicher Sprache und gefährlicher Ideologie« (2016) lassen sich mehrere diskursiv-ideologische Mechanismen identifizieren, die die Anwendung von Massengewalt als legitim darzustellen helfen. Im Folgenden skizziere ich eine Auswahl dieser Legitimierungsstrategien am Beispiel des Völkermords an den Rohingya in Myanmar.

Genozid an den Rohingya

Der Vielvölkerstaat Myanmar wird politisch dominiert durch die Bamar als zahlenmäßig größte ethnische Gruppe sowie den Theravada-Buddhismus, der als offizielle Staatsreligion gilt. Vor dem Hintergrund jahrzehntelanger Instabilität, Repression, Polarisierung und bewaffneter Konflikte ist auf Basis dieser beiden Identitätsmarker ein ideologisches Umfeld entstanden, in dem Staatsangehörigkeit und nationale Zugehörigkeit keine formal-juristischen Kategorien mehr sind, sondern fast ausschließlich über ethno-religiöse Zuschreibungen definiert werden. Angetrieben durch das Militär, politische Parteien, radikale Prediger sowie andere Eliten aus Wirtschaft, Wissenschaft und den Medien sind birmanischer Ethnonationalismus und buddhistischer Fundamentalismus längst zu einem brandgefährlichen ideologischen Gemisch geworden, das den öffentlichen Diskurs maßgeblich prägt und daher im Folgenden untersucht wird.

Dies hat insbesondere für die mehrheitlich muslimische Minderheit der Rohingya existenzielle Konsequenzen. Historische, religiöse, ethnische und linguistische Besonderheiten der rund 1,4 Mio. Rohingya werden bereits seit den 1960er Jahren instrumentalisiert, um die Gruppe als fremde und andersartige Eindringlinge aus Bangladesch (»Bengalis«) zu porträtieren. Die diskursive Festschreibung dichotomer und exkludierender Kategorien (»einheimisch« vs. »zugewandert«; »legal« vs. »illegal«) schuf die Voraussetzung für die systematische Diskriminierung, Verfolgung, Vertreibung und Gewalt gegen die Rohingya. Im August 2017 kulminierte diese Gewaltkampagne in einer groß angelegten Militäraktion im Norden des Bundesstaates Rakhine. Binnen weniger Wochen töteten nationale Streitkräfte, regionale Milizen sowie Teile der lokalen Bevölkerung mehr als 10.000 Rohingya, Tausende wurden vergewaltigt und gefoltert sowie hunderte Dörfer niedergebrannt und geplündert; bis zum März des darauffolgenden Jahres flohen fast 700.000 Rohingya über die Grenze ins benachbarte Bangladesch (Ware und Laoutides 2019, S. 60f.).

Legitimierungsstrategien

Wie wurden diese kollektiven Gewaltverbrechen möglich (gemacht)? Ein ausführlicher Blick auf den öffentlichen Diskurs der Jahre 2012-2019 zeigt, dass ideologische Sprache den zentralen Rechtfertigungsrahmen für die Verübung von gegen die Rohingya gerichteter Massengewalt bereitstellt. Die Primäranalyse von 150 eigens zusammengetragenen Diskursfragmenten (politische Reden, Parlamentsdebatten, Pressemitteilungen, Propagandamagazine, Medieninhalte, etc.) fördert neun Legitimierungsstrategien zu Tage, die den Diskurs dominieren und Gewalt gegen die Rohingya aus Sicht der birmanisch-buddhistischen Bevölkerungsmehrheit als notwendig und erstrebenswert darstellen. Während sechs dieser Mechanismen Gräueltaten sprachlich explizit fordern oder nahelegen (aktive Legitimierung), rechtfertigen die anderen drei Strategien die Gewaltverbrechen gerade durch das, was bewusst nicht zur Sprache kommt, einseitig dargestellt oder beschönigt wird (passive Legitimierung).

Aktive Legitimierung

Wie in den meisten Kontexten genozidaler Gewalt wird die strategische Gefahrenkonstruktion auch im Völkermord an den Rohingya genutzt, um Gräueltaten eine zwingende Notwendigkeit zuzuschreiben. Politisches Spitzenpersonal wie Aung San Suu Kyi oder Vorgängerpräsident Thein Sein konstruieren die Rohingya als existenzielle Bedrohung für nationale Sicherheit, Stabilität und Wohlstand. Basierend auf historisch tief verwurzelten Narrativen werden die Rohingya nicht nur als gefährliche »Flutwelle« illegaler Eindringlinge aus Bangladesch und Indien stigmatisiert, sondern darüber hinaus als gewaltbereite jihadistische Terrorgruppe, die die Islamisierung Myanmars anstrebt. Falschmeldungen, Gerüchte und gezielte Desinformation über mutmaßliche Waffendepots, Terror-Camps oder auch Zwangskonvertierungen laufen in einer strategischen Umkehrung der Täter-Opfer-Konstellation zusammen: um von der eigenen Gewaltkampagne abzulenken, werfen staatliche Medien und Propagandamagazine der Opfergruppe vor, die birmanisch-buddhistische Bevölkerung unterjochen und ausmerzen zu wollen. Massengewalt gegen die Rohingya gilt damit als notwendiges Übel, Selbstverteidigung und gar Überlebenskampf in den Augen der Ingroup. Vereinzelte Angriffe bewaffneter Rohingya-Milizen greifen Eliten wie Militärführer Min Aung Hlaing dankbar auf, um die Rohingya insgesamt als extremistische Terrorgruppe zu verteufeln, die nur durch staatlich organisierte »Gegenmaßnahmen« aufgehalten werden könne.

Flankiert wird das Narrativ der »gefährlichen Rohingya« durch die Strategie der Entmenschlichung. Basierend auf der ideologischen Dichotomie zwischen buddhistischer Ingroup und muslimischer Outgroup porträtiert dehumanisierende Sprache die Rohingya als nichtmenschlich, untermenschlich und biologisch unterlegen gegenüber der birmanisch-buddhistischen Mehrheitsbevölkerung. Dominante Narrative wie »Blutsauger« und »verachtenswerte Flöhe«, »giftige Pflanzen«, »verrückt gewordene Hunde«, »bedrohliche Wölfe«, »blutrünstige Tiger« und »sich schnell vermehrende Karpfen« skizzieren die Rohingya als abscheuliche Parasiten, lästige Plagen, potenziell gefährliche Krankheitserreger und wilde, unzivilisierte Tiere. Prominente Sprecher*innen im Diskurs (sogenannte »epistemische Autoritäten«) wie der radikale buddhistische Prediger Ashin U Wirathu nutzen derartige Diskursfiguren, um exzessive Gewalt gegen die Rohingya als »Pestprävention«, »Reinigung« und »Parasitenbekämpfung« zu beschönigen. Durch diese Form der moralischen Distanz zwischen Täter*innen und Opfergruppe rechtfertigt dehumanisierende Sprache Massengewalt als angemessen und vertretbar.

Zur ideologisch-diskursiven Legitimierung kollektiver Gewalt gehört neben der Konstruktion zukünftiger Gefahren auch die strategische Schuldzuweisung für vermeintliche Delikte, Konflikte und Gewalt­episoden der Vergangenheit. In Myanmar findet sich diese Strategie insbesondere mit Blick auf zwei Zeitabschnitte wieder. Erstens existieren historisch gewachsene Vorwürfe, wonach muslimische Brüdervölker der Rohingya über die vergangenen vier Jahrhunderte weite, vormals buddhistische Teile Süd- und Südostasiens angegriffen und in muslimische Gesellschaften konvertiert hätten. Insbesondere epistemische Autoritäten wie der radikale Mönch Ashin Sada Ma oder Ashin Tawpaka, Sprecher der fundamentalbuddhistischen Organisation MaBaTha, werfen den Rohingya mithilfe pseudo-historischer Belege und manipulierter Quellen vor, Myanmar wie bereits Indonesien, Bangladesch, Pakistan und Malaysia »schlucken« und islamisieren zu wollen (Foxeus 2019, S. 678). Zweitens nutzen Eliten die jüngere Konfliktgeschichte zwischen den Rohingya und Bamar zur gezielten Aktualisierung kollektiver Traumata. Während die Rohingya im Zweiten Weltkrieg auf Seiten der britischen Kolonialtruppen kämpften, kooperierten die Rakhine und Bamar mehrheitlich mit der japanischen Armee. Zahlreiche Massaker zwischen den Gruppen verstärkten unter der buddhistisch-birmanischen Mehrheit ein »anti-buddhistisches« und »anti-nationales« Bild von den Rohingya (Wolf 2017, S. 7). Die diskursive Instrumentalisierung psychokulturell aufgeladener Gewaltepisoden schafft letztlich eine Atmosphäre gerechter Bestrafung oder gar legitimer Rache – frei nach dem Motto »sie haben es verdient« (Leader Maynard und Benesch 2016, S. 81).

Aus diesem Vergangenheitsbild leitet sich viertens das Narrativ der Alternativ­losigkeit ab, mit dem die Massengewalt gegen die Rohingya als naturgemäß und unausweichlich dargestellt wird. Spirituelle Eliten wie U Parmoukkha werfen den »von Natur aus brutalen« Rohingya vor, die »Ausrottung« des Buddhismus anzustreben (Wade 2019, S. 256). Gräueltaten werden demnach nicht länger als Taten von Subjekten beschrieben, sondern als Produkt unvermeidlicher Rahmenbedingungen und äußerer Zwänge. Höchste politische Würdenträger*innen wie Aung San Suu Kyi relativieren die »Rohingya-Krise« mit dem Verweis auf das während der Diktatur entstandene Misstrauen und negieren damit die individuelle Verantwortung, Entscheidungs- und Handlungsmacht einzelner Täter*innen. Rhetorisch geht diese Strategie mit der vermehrten Verwendung des Passivs einher. Ob Suu Kyi Gewalt gegen die Rohingya als »durch unser Leiden begründet« rechtfertigt oder aber Militärchef Min Aung Hlaing anmerkt, dass die »Rohingya-Problematik« endlich final »gelöst werden« müsse – individuelle Schuld wird ebenso verschleiert wie die Tatsache, dass Genozid nie alternativlos ist.

Dieser Umgang mit Schuld ermöglicht wiederum das strategisch eingesetzte Narrativ der Tugendhaftigkeit, aus dem eine moralische Überlegenheit der In­group gegenüber der Outgroup abgeleitet wird. Während die Rohingya als »böse«, »moralisch verkommen«, »unzivilisiert«, »verräterisch« und »umstürzlerisch« beschrieben werden, rahmt der öffentliche Diskurs die birmanisch-buddhistische Mehrheit als »prinzipientreu«, »mutig« und »patriotisch«. Gewalt gegen die Rohingya gilt in der Folge als tugendhafter, moralisch richtiger und dementsprechend lobenswerter Akt ziviler Wachsamkeit. Fundamentalistische Prediger wie U Wirathu bekunden öffentlich, stolz darauf zu sein, radikaler Buddhist und Nationalist genannt zu werden. Gräueltaten gegen die Rohingya werden verknüpft mit positiv konnotierten Begriffen wie »Liebe zur Heimat«, »religiöser Stolz« und »nationale Sicherheit«. Während Täter*innen als selbstlose, pflichtbewusste, tapfere und heroische Bürger*innen gelten, werden moderatere Stimmen und Unterstützer*innen der Opfer als moralisch schwach, pervers und verräterisch bezeichnet. Vertreter*innen der politischen Elite konstruieren in diesem Kontext immer wieder das Bild von Buddha als »bekennendem Nationalisten« (Foxeus 2019), um nicht-buddhistische Gruppen wie die Rohingya als Schande für die Nation zu brandmarken.

Die sechste aktive Legitimierungsform impliziert ein ideologisch hergeleitetes Belohnungsversprechen. Politische Hardliner und Militärs bemühen das Kosten-Nutzen-Prinzip, um gegenwärtige Gewalt gegen die Rohingya als sich lohnenden Einsatz für zukünftige Prosperität und ethno-religiöse Homogenität zu porträtieren. So fordert mit Aye Maung einer der einflussreichsten Politiker im Bundesstaat Rakhine, die Rohingya zum Wohlergehen des Landes in Drittstaaten zu vertreiben. Radikale Sprecher*innen wie U Wirathu stilisieren den »Kampf« gegen die Rohingya als Schicksalsaufgabe des birmanischen Volkes, mit der nicht nur die nationale Existenz, sondern auch das konkrete Überleben von Kindern und Kindeskindern verknüpft sei. Dafür wird ethnische Pluralität und religiöse Offenheit als Antithese zur von vermeintlicher Souveränität und Stabilität geprägten birmanisch-buddhistischen Utopie konstruiert (Wade 2019, S. 235). Die Gleichzeitigkeit von existenzieller Bedrohungskulisse und utopischem Zukunftsversprechen verstärkt insbesondere bei der Gruppe der Bamar die Antipathien und Gewaltbereitschaft gegenüber den Rohingya (Lall 2018).

Passive Legitimierung

Im Kontrast zu den sechs aktiven Legitimierungsmechanismen wirkt die diskursiv-ideologische Strategie der Nichtbeachtung deutlich subtiler und stiller. Sprecher*innen mit großer medialer Reichweite und Wirkung auf den politischen Diskurs rufen oftmals nicht explizit zu Gräueltaten auf, sondern streiten gezielt etwaige Vorwürfe ab, antworten ausweichend, vermeiden kritische Nachfragen und blenden das Schicksal von Opfergruppen rhetorisch aus. In Myanmar wählte insbesondere Aung San Suu Kyi diese Strategie, als sie als de facto-Regierungschefin mehrfach die Existenz einer Gruppe namens Rohingya abstritt und stattdessen von »Muslimen«, »Bengalis« und »irregulären Migrant*innen« sprach. Die systematische Leugnung der jahrhundertelangen Geschichte der Rohingya als eigenständigem Volk konstruiert diese einerseits als unehrlich und spricht ihnen andererseits ab, als kohärente Gruppe von Gewaltverbrechen betroffen zu sein. Zudem haben Suu Kyi und andere politische Eliten betont, dass Gewalt »von beiden Seiten« ausgehe und man deshalb nicht klar Partei ergreifen könne. Im Kontext massiver ideologischer Polarisierung kommt diese diskursive Nicht-Intervention einer ohrenbetäubenden Stille gleich, die die Rohingya faktisch unsichtbar werden lässt und ein Klima der Straflosigkeit für radikalere Stimmen erzeugt.

Dieses Klima ist geprägt durch die strategische Delegitimierung von Opferaussagen bei gleichzeitiger Legitimierung des Verhaltens der Ingroup. Im Zuge selektiver Klassifizierung ignorieren, diskreditieren und verhöhnen Sprecher*innen die vielen Berichte und Zeugenaussagen zu Gräueltaten, während Täter*innen in Schutz genommen und gegen Kritik, Anklage und Strafverfolgung verteidigt werden. Auch hier sind es insbesondere politische Eliten wie Suu Kyi, die auf Völkermord-Anschuldigungen mit Spott und lautem Lachen reagieren oder aber die Aussagen mutmaßlich vergewaltigter Rohingya-Frauen als Falschmeldung zurückweisen (Wade 2019, S. 20). Gleichzeitig wird das kryptische Narrativ von »globaler muslimischer Macht« etabliert, um die Rohingya mit Terrorgruppen wie Al-Qaida und dem IS in Verbindung zu bringen. Während staatlich eingesetzte Kommissionen das eigene Militär vom Vorwurf des Völkermords freisprechen, behaupten der Armeechef, radikale Prediger sowie an der Gewalt beteiligte Milizen, die Rohingya hätten ihre eigenen Häuser aus Propagandazwecken in Brand gesteckt.

Sowohl die genannten aktiven als auch passiven Legitimierungsstrategien kulminieren in einer diskursiven Harmonisierung, die den ideologischen Gesamtdis­kurs stringenter und mächtiger werden lässt. Da die einzelnen Narrative der Ge­waltrechtfertigung erst durch ihre enge thematische, rhetorische und personelle Verknüpfung einflussreich werden, bedienen birmanisch-buddhistische Sprecher*innen aus Politik, Militär, Religion und Medien nicht nur wiederkehrende Sprachbilder und Diskursfiguren; sie gehen dabei auch gezielt aufeinander ein. Diese stilistische Synchronisierung verleiht dem Rechtfertigungsdiskurs aus Sicht der Ingroup letztlich mehr Kohärenz, Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft. Staatlich kontrollierte Zeitungen wie die »Global New Light of Myanmar« fingen beispielsweise kurz vor der Eskalation der Gewalthandlungen im August 2017 an, die offizielle Linie der Staats- und Militärführung zu übernehmen und die Rohingya als lokale Zelle transnational vernetzter Terrorgruppen darzustellen. Diese diskursive Angleichung führte unweigerlich dazu, dass Gewaltaufrufe gegen die Rohingya semantisch in den in Myanmar konsensfähigen »Globalen Kampf gegen den Terror« eingebettet und gesellschaftlich salonfähig wurden.

Fazit und Implikationen

Der Völkermord an den Rohingya lässt sich nicht adäquat untersuchen, ohne die diskursiv-ideologischen Mechanismen der Gewaltlegitimierung in den Blick zu nehmen. Die neun skizzierten Strategien ideologischer Sprache konstruieren die Rohingya als gefährlich, minderwertig, schuldig, kriminell, fremd, unzivilisiert und subversiv – und damit als fundamentalen und unversöhnlichen Antipol zur birmanisch-buddhistischen Mehrheitsbevölkerung Myanmars. Die diskursive Rahmung von Täter*innen- und Opfergruppen entlang ideologischer Bruchlinien spiegelt sich vor allem in der selektiven Anwendung, Reinterpretation und Instrumentalisierung fundamentaler Konzepte wie Inklusivität, Demokratie, Staatsbürgerschaft und Menschenrechte wider. Der radikale Kurs ideologischer Hardliner wird damit nicht nur ungefiltert in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs übernommen, sondern explizit verteidigt, beworben und als legitimer »Kampf« gerechtfertigt. Genozidale Gewalt gegen die Rohingya gilt in der Folge in weiten Teilen der Ingroup als vertretbar, notwendig, wünschenswert und sogar unausweichlich.

Die Analyse impliziert zwei zentrale Folgen für zukünftige Forschung zur Rolle ideologischer Sprache im Kontext von Massengewalt.

Erstens zeigt der Fall Myanmar, dass nicht nur wichtig ist, worüber gesprochen wird, sondern wer spricht. Vor dem Hintergrund des großen Einflusses mächtiger Sprecher*innen auf die Mehrheitsgesellschaft ist die Untersuchung ideologischer Sprache in erster Linie eine Analyse von Elitendiskursen. Dass einflussreiche Eliten aus Politik, Militär und Religion eine gewisse Deutungshoheit in ideologisch polarisierten Gesellschaften innehaben, erscheint wenig überraschend. Dennoch ist ideologische Sprache keineswegs streng von oben nach unten strukturiert. Von epistemischen Autoritäten geprägte Diskursfiguren entfalten nur dann ihre Wirkung, wenn sie bestehende ideologische Strukturen und Präferenzen auf Graswurzelebene aufgreifen und instrumentalisieren. Wie genau sie das tun und ob es gruppenspezifische Unterschiede in der Rezeption ideologischer Sprache gibt, sind wichtige offene Fragen für zukünftige Forschung.

Zweitens muss die Gewalt- und Genozidforschung das Verhältnis zwischen ideologischer Legitimierung auf der Makro- und individueller Mobilisierung auf der Mikroebene stärker beleuchten. Zwar lässt sich durch Diskursanalysen zeigen, wie ideologisch gerahmte Rechtfertigungsnarrative die Grenzen des Sag-, Denk- und Machbaren in Richtung genozidaler Gewalt verschieben. Allerdings klafft nach wie vor eine große Forschungslücke bei der Frage, wie sich diese übergeordneten Diskursfiguren im Detail auf die individuelle Motivation von Täter*innen auswirken (vgl. für einen ersten Ansatz: Williams 2022). Eine Integration von diskursanalytischen und interviewgestützten Ansätzen erscheint vor diesem Hintergrund sinnvoll, um neben der Mobilisierungskraft gewaltlegitimierender Diskursfragmente auch die Struktur und Wirkung gewalthemmender Sprache zu beleuchten.

Literatur

Foxeus, N. (2019): The Buddha was a devoted nationalist: Buddhist nationalism, ressentiment, and defending Buddhism in Myanmar. In: Religion 49(4), S. 661-690.

Lall, M. (2018): Myanmar’s youth and the question of citizenship. In: South, A.; Lall, M. (Hrsg.): Citizenship in Myanmar: ways of being in and from Burma. Singapur: ISEAS, S. 145-160.

Leader Maynard, J. (2014): Rethinking the role of ideology in mass atrocities. In: Terrorism and Political Violence 26(5), S. 821-841.

Leader Maynard, J.; Benesch, S. (2016): Dangerous speech and dangerous ideology: an integrated model for monitoring and prevention. In: Genocide Studies and Prevention: An International Journal 9(3), S. 70-95.

Wade, F. (2019): Myanmar’s enemy within: Buddhist violence and the making of a Muslim ‘Other’. Croydon: ZED Books.

Ware, A.; Laoutides, C. (2019): Myanmar’s ‘Rohingya’ conflict: misconceptions and complexity. In: Asian Affairs 50(1), S. 60-79.

Wolf, S. (2017): Genocide, exodus and exploitation for Jihad. The urgent need to address the Rohingya crisis. Heidelberg: SADF Working Paper (6).

Williams, Th. (2022): Warum töten sie? Motivationen von Täter*innen im Völkermord. W&F 1/2022, S. 11-13.

Maximilian Wegener ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationale Sicherheitspolitik der Zeppelin Universität Friedrichshafen. In seiner Forschung beschäftigt er sich primär mit der Frage, wie Völkermord möglich (gemacht) wird. Dieser Artikel baut auf seiner Masterarbeit auf, die mit dem Christiane-­Rajewsky-Preis 2022 ausgezeichnet wurde.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2022/3 Krieg gegen die Ukraine, Seite 42–45