Mazedonien: Internationaler Frieden ohne lokale Entwicklung?
»Globale Kultur« der Konfliktprävention und Transformation
von Tobias Denskus
Wer Mazedonien eine »Erfolgsgeschichte« nennt für Konfliktprävention der »Internationalen Gemeinschaft« auf dem Balkan, der hat prinzipiell Recht – er kommt nur wahrscheinlich nicht aus Mazedonien. Auch gut zwei Jahre nach der gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Armee und UCK-Kämpfern gibt es noch keine Erklärung, warum der Konflikt eskalierte (Vankovska 2003: 11), und wie die Zukunft des Landes, das etwa die Größe Hessens und gut zwei Millionen Einwohner hat, aussehen kann. Auch wenn eine institutionelle Perspektive (Aufnahme bzw. Assoziierung mit NATO und EU) skizziert wird,1 bleibt eine der drängenden Fragen, welche Werteperspektive damit einhergeht, die über das „Imitieren der westlichen Demokratie“ (Vankovska 2003: 9, Nikolovska 2003: 16) hinausgeht. Denn die „Erwartung, Demokratie dämme quasi als Selbstläufer ethnische Konflikte ein [hat sich nicht] bestätigt“ (Schlotter 2002: 1108).
Im Rahmen dieses Artikels sollen zwei konkrete und interdependente Thesen untersucht werden, die schlaglichtartig die Entwicklungen in Mazedonien beleuchten:2
Zum einen die Erfolgsthese: Haben die internationalen Akteure erfolgreich Konfliktprävention umgesetzt und können mögliche Erfolge »vernachhaltigt« werden? Und zum anderen die Globalisierungsthese: Die »Globale Kultur« (Paris 2003), angetrieben vom Ideal der (liberalisierten) Demokratie, formt maßgeblich den Modernisierungs- und Transformationsprozess, ohne jedoch zu einem zukunftsweisenden Gesamtkonzept von Sicherheit, Entwicklung und Frieden für die Mazedonier beitragen zu können. Das Beispiel der »liberalisierten« Wirtschaft macht dies besonders deutlich.
Zur Erfolgsthese
„Alles in allem kann man feststellen, dass in der Mazedonien-Krise der gesamte Katalog aus diplomatischem Druck, militärischen Drohungen, wirtschaftlichen Anreizen und finanziellen Versprechen erfolgreich zur Anwendung kam. Friktionen und Rivalitäten zwischen den Akteuren blieben gering.“ (Kluss 2003: 178). „In fact, it [Macedonia] is an underperforming post-conflict country still very much at risk, unable to tackle – operationally or politically – its security challenges without upsetting an uncertain ethnic balance.“ (ICG 2003: i)
Alleine die Verhinderung eines Bürgerkrieges und einer Militärintervention sind große Erfolge. Dass es den meisten Menschen in Mazedonien heute schlechter geht als vor zehn Jahren (Veljkovic 2003: 1) und zentrale Probleme, die seit der Unabhängigkeit 1991 im Raum stehen, nur ansatzweise gelöst sind (Ackermann/Pala 1996: 84),3 lässt allerdings den Eindruck zu, dass sich die Vertreter der »Internationalen Gemeinschaft« gegenseitig auf die Schultern klopfen, und froh sind, dass die institutionellen Arrangements relativ reibungslos funktioniert haben.
Großen Anteil am vordergründigen Erfolg haben die langfristig ausgerichteten UN- und OSZE-Missionen, die bereitwillig von den mazedonischen Regierungen aufgenommen wurden und eng mit den anderen internationalen »Spielern« (EU, NATO, USA) verbunden waren (Sokalski 2003, Frowick 2003, Troebst 1995). Dass sich dabei »weichere Maßnahmen« (z.B. das diplomatische Engagement der Parlamentarischen Versammlung der NATO und des Europaparlaments (Kluss 2003: 177f.), hoher persönlicher Einsatz – des EU-Beauftragten Javier Solana, des OSZE Hochkommissar für nationale Minderheiten, Max van der Stoel oder des OSZE-Sondergesandten Robert Frowick – und der politische Wille internationaler »Schwergewichte« wie der USA wirkungsvoll ergänzten, kann als großer Erfolg gewertet werden.
Trotz des gewaltsamen Aufflammens des Konfliktes im Frühjahr 2001 und anderer Dissonanzen – zum Beispiel der schädlichen Rolle des UN-Embargos (Vankovska 2003: 3f.) oder der Beendigung der UN-Mission durch den Sicherheitsrat, mit dem China offenbar die Anerkennung Taiwans durch die mazedonische Regierung bestrafen wollte – bleibt die Erkenntnis, dass in Mazedonien Vieles richtig angegangen und manch Schlimmeres verhindert werden konnte. Realpolitische Erfolge, die auf dieser Ebene auch einer friedenswissenschaftlichen Analyse standhalten: Internationales Konfliktmanagement bestand nicht nur in Absichtserklärungen oder leeren Drohungen, sondern konnte präventiv einer möglichen humanitäre Katastrophe entgegensteuern.
Zur Globalisierungsthese
„Rapid liberalization remains at the core of the peacekeeping formula, despite mounting evidence that hasty democratization can, in at least some circumstances, work against the goal of establishing a stable peace.“ (Paris 2003: 455)
Mit der wirtschaftlichen und politischen Globalisierung hält eine »Globale Kultur«4 Einzug, die als »Schock-Therapie« ihre Wirkung nicht verfehlt hat: Die industrielle Produktion hatte in 2002 einen Umfang von weniger als 50% der Produktion von 1990, makro-ökonomische Stabilisierungsvorhaben haben zu einem hohen Handelsdefizit geführt und Privatisierungen wurden oft als »Selbstbedienungsladen« für die neue Elite benutzt – eine »economy of the party« (Veljkovic 2003: 1) ist entstanden.
Damit hängen dann ein »jobless growth« (Eftimoski 2003: 8) und eine steigende Zahl von öffentlichen Wohlfahrtsempfängern zusammen – ca. 300.000 Personen im Jahr 2002 (Pecijareski 2003: 6). Qualitative Verbesserungen haben seit 1991 kaum stattgefunden: „From the aspect of human development, as economic growth that generates higher level of employment, ensures security of the population and more equal income distribution […], contributes to sustained human development and supports democracy in the society – we can conclude that economic growth […] does not satisfy essential criteria to be »qualitative«.“ (Eftimoski 2003: 8)
Auch die mazedonischen Analysten sprechen sich nicht gegen wirtschaftliche Reformen aus, sie betonen aber, dass die verordnete Schock-Therapie der internationalen Finanzinstitutionen erhebliche Auswirkungen hatte und haben wird: „The negative effects include the fact that even though stable, the overpriced national monetary value […] led to massive import followed by unbalanced accounts regarding their payments. The fact that our own sources could not cover the consequences of such action, led to a need for loans and dependence upon those very same creditors.“ (Pecijareski 2003: 6)
Notwendige Reformen, zeitlich nicht an die lokalen Bedingungen angepasst, im Zusammenspiel mit fehlenden oder »personalisierten« wirtschaftspolitischen Strategien sind eine zentrale Komponente des internationalen Engagement, das die politisch-ökonomische Facette des Konflikts nicht entschärfen kann. Zusammen mit den Schwierigkeiten der sich entwickelnden Zivilgesellschaft ergibt sich das Bild einer Abwärtsspirale mit paradoxem Ausgang: „Democracy as well as civil society hang around as empty phrases as long as there is no substance i.e. solid economic ground for change and progress.“ (Vankovska 2002: 12)
Internationaler Frieden ohne lokale Entwicklungschancen?
Das gegenwärtige politische System ist also kaum nachhaltig ausgerichtet: „The changes that have occurred in the political system not only reversed the realization of the political goals by creating fundamental doubts about the projected parliamentary democracy, but also questioned the civic and lawful character of the country. (…)The elections were turned into a site of continuous carcinogenic metamorphosis of the already immunosupressed political body. Between democracy on one side and the greed for power on the other, we chose the latter.“ (Pecijareski 2003: 3/4)
Die Entwicklungen in Mazedonien seit seiner Unabhängigkeit haben gezeigt, dass die Prävention von Konflikten möglich ist. Die Verzahnung von (sicherheits-)politischen, militärischen und wirtschaftlichen Aspekten eröffnet viele Möglichkeiten für eine aktive und wirksame Konfliktprävention. Diese Interventionen scheinen aber mit den Zahnrädern einer großen, globalen Maschine verknüpft zu sein, die selten kritisch-reflektiert eingesetzt wird. Bei der Unterstützung von Transformationsländern sollten den Menschen vielmehr Möglichkeiten aufgezeigt werden, die Amyrta Sen als „overall freedoms of people to lead the kind of lives they have reason to value“ (1999: 10) definiert. Die gegenwärtigen Diskurse, die auf schnelle, vermeintlich ent-politisierte Lösungen abzielen, um Nachkriegsgesellschaften auf den »globalen Kurs« der letztlich westlich induzierten nachholenden Entwicklung zu führen, übersehen zum Beispiel die Dimension lokaler Lebenswelten – eine Tendenz der aktuellen Friedens- und Konfliktdebatte, die Hensell generell kritisch sieht.5
Es wäre daher zu einfach, Mazedonien als »Erfolg« auszugeben, genauso, wie es zu einfach ist, die internationalen Friedensbemühungen leichtfertig in Frage zu stellen. Wenn aber selbst gelungenes Konfliktmanagement schon so viele Fragen offen lässt, wie es derzeit in Mazedonien der Fall ist, muss allerdings die Frage erlaubt sein, welcher Erfolg der Friedensagenda der »Internationalen Gemeinschaft« in der Zukunft beschieden sein wird, die in vielen Ländern und Regionen mit mehr »Gegenwind« als in Mazedonien rechnen muss (z.B. im Irak, in Afghanistan oder in der Region der Großen Seen in Ostafrika).
„The initial active enthusiasm about transformation of socialism into capitalism turned into a passive acceptance of the fact that transition was over, and that we were trapped in the problems of the capitalist periphery (the Third World)“
(Nikolovska 2003: 1)
Literatur:
Ackermann, Alice/ Antonia Pala (1996): From Peacekeeping to Preventive Deployment: A Study of the United Nations in the Former Yugoslav Republic of Macedonia, in: European Security, Vol.5, No.1, S .83-97.
Denskus, Tobias (2002): The systems seems always to be less than the sum of its parts – International Post-War Reconstruction and the Role of Peacebuilding. MA Dissertation, University of Bradford.
Eftimoski, Dimitar (2003): Human Development, Inequality and Poverty in Republic of Macedonia in Transition Period, in: Nikolovska, Natalija (ed.) Macedonia On Globalization (forthcoming).
Hensell, Stephan (2002): Modernisierung und Gewalt in Mazedonien. Zur politischen Ökonomie eines Balkankrieges. Forschungsstelle Kriege, Rüstung und Entwicklung, Arbeitspapier 5/2002. Hamburg: Universität Hamburg.
International Crisis Group (2003): Macedonia: No Room for Complacency. ICG Europe Report No.149. Brussels/Skopje: ICG.
Kluss, Heinz (2003): Krisenmanagement in Mazedonien. Ein Lichtstreif am Horizont? In: Österreichische Militärische Zeitung, Nr.2/2003, S. 173-178.
Nikolovska, Natalija (2003): Transition Towards The Third World, in: Nikolovska, Natalija (ed.) Macedonia On Globalization (forthcoming).
Paris, Roland (2003): Peacekeeping and the Constraints of Global Culture, in: European Journal of International Relations, Vol.9, No.3, S. 441-473.
Pecijareski, Ljupco (2003): The Social Implications of the Economical and Political Changes in Macedonia, in: Nikolovska, Natalija (ed.) Macedonia On Globalization (forthcoming).
Schlotter, Peter (2002): Zum Beispiel Mazedonien. Demokratie und ethnische Selbstbestimmung im Konflikt, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr.9/2002, S. 1101-1109.
Sokalski, Henryk J. (2003): An Ounce of Prevention: Macedonia and the UN Experience in Preventive Diplomacy. Washington, DC: United States Institute of Peace Press.
Troebst, Stefan (1995): Präventive Friedenssicherung durch Internationale Beobachtermissionen? Das Beispiel der KSZE-Spilover-Monitormission in Makedonien 1992-1993, in: Seewann, Gerhard (Hrsg.): Minderheiten als Konfliktpotential in Ostmittel und Südosteuropa. München: Oldenburg, S. 282-331.
Vankovska, Biljana (2002): Western Civil-Society Empowerment and the Lessons learned from the Balkans. Prepared for presentation at the DCAF Workshop »Promoting Civil Society in Good Governance«: Lessons for the Security Sector, Prague, 15-16 April.
Vankovska, Biljana (2003): Macedonia Between Globalisation and Fragmentation: Security Aspects, in: Nikolovska, Natalija (ed.) Macedonia On Globalization (forthcoming).
Veljkovic, Dusan (2003): Liberalization of the foreign trade as a factor to the destruction of an economy, in: Nikolovska, Natalija (ed.) Macedonia On Globalization (forthcoming).
Anmerkungen
1) Darüber stimmten der albanische Politiker Ali Ahmeti, Vorsitzender der Demokratischen Union für Integration, der mazedonische Botschafter für die USA, Nikola Dimitrov, sowie der ehemalige Repräsentant des OSZE Chairman-in-Office, Robert Frowick bei einer Diskussion im United States Institute of Peace überein, die am 1. Juli 2003 unter dem Titel Macedonia: Will Peace Hold? stattfand. http://www.usip.org/events/2003/0701_WKSmacedonia.html
2) Durch die vorgegebene Kürze des Artikels können die Diskurse zur Rolle der internationalen Akteure, die Mazedonien seit der Unabhängigkeit 1991 begleiten, zwar teilweise benannt, nicht aber eingehender untersucht werden. Zur Bedeutung von Diskursen und ihrer Analyse im Bereich der Friedensförderung siehe z.B. Denskus (2002) und Ebrahim (2003), der sehr treffend Edwards (1996) zitiert: „A discourse, then, is a way of knowledge, a background of assumptions and agreements about how reality is to be interpreted and expressed, supported by paradigmatic metaphors, techniques, and technologies and potentially embodied in social institutions.“ (Ebrahim, Alnoor (2003): NGOs and Organizational Change. Discourse, Reporting, and Learning. Cambridge, UK: Cambridge University Press, 13)
3) Von den vier Hauptbereichen ist der potentielle »spill-over« des Konfliktes im Kosovo verhindert worden und die Beziehungen zum benachbarten Serbien und Griechenland haben sich verbessert. Angespannte inter-ethnische Beziehungen und eine »düstere« wirtschaftliche Lage machen dem Land nach wie vor zu schaffen.
4) Roland Paris (2003) führt die »world polity« Schüler der Soziologie ins Feld, die „the norms, customs and widely held beliefs – or »culture« – of human societies“ studieren, und „rather than focusing on the culture of a particular national or religious group, these scholars treat the entire world as a single society, and argue that there is a distinct global culture that comprises the formal and informal rules of international social life.“ (442)
5) „Diese Diskussionen [über Diskurse über Krisenprävention und Peacebuilding], in denen »Instrumente«, »Mechanismen« und »Strategien« internationaler Akteure einen großen Raum einnehmen, haben ein Defizit. Sie tendieren zur Fixierung auf institutionelle Arrangements ohne dabei die sozialen Transformationsprozesse und die Konfliktakteure […] ausreichend zu berücksichtigen.“ (Hensell 2002: 2)
Tobias Denskus, MA, ist Mitarbeiter am Institut für Frieden und Demokratie der FernUniversität Hagen und arbeitet in einem Projekt zur Legitimation von Nichtregierungsorganisationen mit dem Schwerpunkt Mazedonien. Der Artikel entstand im Rahmen des Forschungsprojektes »Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in der transnationalen Konfliktprävention und -bearbeitung. Das Problem der demokratischen Legitimation und Verantwortlichkeit«.