W&F 2023/3

Medien-Kriegsrhetorik

Essenz und Effekt geopolitischer Covertexte aus zehn Staaten

von Joachim Grzega

Die Sprache bebilderter Zeitschriften-Covertexte aus zehn Ländern zum Thema »Westen-Ukraine-Russland« 2022 steht im Fokus dieses Beitrags. Oft verwenden Redaktionen bekannte Kriegsrhetorik-Techniken, aber es gibt auch eine neue Technik: »Anti-Diplomatie«. Ein Vergleich mit dem Ergebnis einer repräsentativen Meinungsumfrage zeigt interessante Korrelationen zwischen der Anzahl an einschlägigen Texten und den Meinungen der Befragten zu Sanktionen, Waffenlieferungen und militärischem Eingreifen.

Ob ein Zusammenhang zwischen der Meinungshaltung der Bevölkerung eines Landes und der medialen Repräsentation zu einem Thema besteht, ist nicht leicht zu erfassen. Dennoch stellen sich für den öffentlichen Diskurs Fragen nach den Wirkmechanismen, wie öffentliche Meinung entstehen kann. Hierzu können korpuslinguistische Überprüfungen helfen, erste Korrelationen zu verstehen. Ursprünglich wollte ich prüfen, welchen Stellenwert einige prominente Vorschläge zur Deeskalation in der Medienlandschaft bekommen hatten. Allerdings waren Diplomatie-bezogene Titelseiten derart selten, dass sich kein sinnvoller Untersuchungsaufbau gestalten ließ.

Es war aufgrund bisheriger Analysen zu erwarten, dass Konflikt fördernde oder berichtende Titelseiten häufiger zu finden sein würden als Frieden oder Beruhigung fördernde (vgl. z.B. Wolfsfeld 2004, Galtung und Ruge 1965). Dem wird dieser Beitrag durch eine eher allgemeine Untersuchung von Titelseiten auflagenstarker Wochenzeitungen zum Thema Ukraine nachspüren. Ich werde zunächst die Verteilung bestimmter Muster mit Blick auf die Semantik, also die Bedeutungs- bzw. Inhaltsseite, der Titeltexte herausarbeiten. Anschließend werde ich dann sprachbezogene Frequenzen mit Antworten aus einer Ipsos-Meinungsumfrage in Beziehung setzen. Konkret lauten die Forschungsfragen:

(1) Wie viele Cover im Zeitraum behandeln das Thema »Westen-Ukraine-Russland« prominent?
(2.1) Wie verteilt sich die grobe semantische Ausrichtung der Cover-Texte?
(2.2) Welche feineren semantischen Aspekte treten auf und wie verteilen sich diese?
(3) Welche Korrelationen lassen sich zur Ipsos-Umfrage beobachten?

Methodik

Der Beitrag strebt eine deskriptive Bearbeitung der Frage an. Gleichwohl werden zum Ende auch einige das Modell bzw. die Theorie ergänzende Beobachtungen zusammengefasst. Für die grobe semantisch (konnotative) Ausrichtung soll ähnlich verfahren werden wie bei Selimi (2023), wo nach einer Framing-Analyse zwischen pro-russischen, pro-ukrainischen und objektiven Zeitungsüberschriften unterschieden wird. In diesem Beitrag nutze ich erweiternd die Kategorien »pro-russisch/anti-westlich«, »pro-westlich/anti-russisch«, »regierungskritisch« und »objektiv-deskriptiv«. Mit »objektiv-deskriptiv« sei dabei die nüchterne, unemotionale, rein deskriptive Betrachtung eines Ereignisses ohne kämpferische Wortwahl gemeint. Umgekehrt lassen sich die anderen Kategorien unter dem Begriff »emotional« subsumieren (Selimi verwendet den Ausdruck »subjektiv«). Ein musterhaftes Beispiel: Eine Formulierung wie „X-Stadt von Y-Land bombardiert“ ist als deskriptiv-objektiv einzuordnen. Dagegen enthält eine Wendung wie „X-Stadt von Y-Land grausam bombardiert“ ein emotionales Adverb und ist daher als emotional zu sehen, und zwar als regierungskritisch, falls diese Formulierung von einer Y-Zeitschrift gewählt wird, und als anti-Y, wenn diese Formulierung von einer Nicht-Y-Zeitschrift stammt.

Selimis Kategorien »pro-russisch« und »pro-ukrainisch« habe ich angesichts der geopolitischen Lager erweitert und nenne sie »pro-russisch/anti-westlich« und »pro-westlich/anti-russisch«; dabei muss etwa nicht jede pro-russische Äußerung explizit anti-westlich sein, doch sie reiht sich emotional in dieses Lager ein. Bei der Analyse ergab sich außerdem, dass eine Kategorie »regierungskritisch« sinnvoll schien, also eine emotional-kritische Formulierung gegen die eigene Regierung (beispielsweise zur Aufforderung des klaren Bekenntnisses für das eigene Lager).

Für die feineren semantischen Aspekte werden die zehn Kriegsrhetorik-Axiome herangezogen, wie sie erstmals von Ponsonby (1928) für den Ersten Weltkrieg beschrieben und für weitere Kriege von Morelli (2001) bestätigt wurden. Es wird untersucht, inwiefern sich diese in den Texten wiederfinden.

Wie setzt sich unser Korpus zusammen? Ausgewählt wurden die politischen Wochenzeitungen, die in verschiedenen Wikipedia-Versionen als die jeweils auflagenstärksten des Landes mit entsprechenden Quellenverweisen beschrieben sind (siehe Tabelle 1).1 Die Auswahl umfasst zum einen alle europäischen Länder die in der noch zu behandelnden Ipsos-Umfrage berücksichtigt wurden, mit Ausnahme von Spanien und Belgien, die keine politischen Wochenzeitschriften haben, die im ganzen Land gelesen werden. Zusätzlich berücksichtigt wurden die USA (als führender NATO-Staat mit seinen zahlreichen Militärbasen in Europa und Waffenlieferungen in die Ukraine) sowie ergänzend Russland. Im einzelnen handelt es sich somit um folgende Wochenzeitschriften:

  • Deutschland (DE): Der Spiegel
  • Frankreich (FR): Le Point
  • Großbritannien (UK): The Economist
  • Italien (IT): Espresso
  • Niederlande (NL): EW Weekblad
  • Polen (PL): Polityka
  • Russland (RU): Argumenty i Fakty
  • Schweden (SE): Fokus
  • Ungarn (HU): hvg
  • USA (US): Newsweek

Für die Zusammenschau von sprachlichen Daten und politischen Haltungen greife ich auf die erwähnte Ipsos-Umfrage (2023) zurück.2 Sie wurde vom 25.11.2022 bis 09.12.2022 erhoben. Die untersuchten Titelseiten umfassen daher den Zeitraum 24.02.2022 bis 09.12.2022 – 42 Wochen. Berücksichtigt wurden das zentrale Coverbild mit dazugehörigem Text sowie in prominenter Schrift gehaltene und mit Bild versehene kleinere Texte auf dem Cover. Es werden zur Belegangabe Länderabkürzung und Ausgabennummer des Jahres 2022 bzw. – im Falle von UK und FR– das System MMDD (Monat/Tag) verwendet.

Die theoretische Begründung für einen Vergleich von sprachlichen Daten und der Verbreitung von Meinungen liegt darin, dass man in Linguistik und Psychologie (spätestens seit Lippmann 1922) unter dem Begriff »Propaganda« beschrieben hat, wie spezielle sprachliche Techniken das Denken und Fühlen von Menschen beeinflussen können; heute wird die Beeinflussung von Gedanken durch Netzwerke von Wörtern und Sätzen auch als »Framing« bezeichnet, wie es etwa von Tversky und Kahneman (1981) und Chomsky und Herman (1988) illustriert wurde. Für diese Studie wurden die Titelseiten landesweit beliebter politischer Wochenmagazine untersucht, da es sich dabei um Botschaften handelt, die die Menschen eines Landes auch dann wahrnehmen, wenn sie das Produkt nicht kaufen – sie sehen sie zumindest unbewusst im Vorbeigehen, da sie in Läden und Kiosken zu sehen sind. Solche Quellen können durch ihre Verbreitungsstärke und Dominanz als typische Vertreter der nationalen Mediensprache oder des Mediendiskurses betrachtet werden. Dies soll keinesfalls die Existenz von Gegenkulturen leugnen bzw. die Medienvielfalt ungebührlich verkürzen – es soll aber sichtbar machen, welche dominanten Narrative geradezu »unvermeidbar« präsent sind.

Im Gegensatz dazu haben Nachrichten in sozialen Medien zwar durchaus Auswirkungen auf die Rezipierenden, werden aber von diesen autonomer ausgewählt oder individueller durch Algorithmen angeboten (vgl. z.B. Bucher 2018). Auch TV-Nachrichtensendungen können wie soziale Medien gemieden werden. Mit Blick auf die kulturübergreifende Fragestellung und den Mangel an Daten zu konkreten individuellen Mediengewohnheiten im Zusammenhang mit individuellen politischen Einstellungen sind Zeitschriftencover also methodisch besser geeignet als Nachrichten in den sozialen Medien und im TV.

Für die Zusammenschau der sprachlichen Daten und der Umfrageergebnisse wird der Rangkorrelationskoeffizient herangezogen (vgl. Cohen 1988, Ellis 2010). Dies soll jedoch nicht als strenge statistische Analyse verstanden werden, sondern als Weg, Hinweise auf Zusammenhänge zu erhalten. Schon gar nicht lässt sich so auf Kausalität schließen.

Analysen

Covererwähnungen und erste semantische Klassifizierung

Wenn wir zunächst die Cover mit Haupttiteln und deren Untertiteln sowie die mit Bild versehenen großen Nebentexte zum Themenkomplex »Westen–Ukraine–Russland« zusammenzählen, so ergibt sich die Darstellung in Abbildung 1. Die meisten Texte mit einem thematischen Bezug zum Krieg in der Ukraine sind also in der deutschen Zeitschrift zu finden, die wenigsten in der US-amerikanischen.

Nehmen wir nun jene Länder in die engere Betrachtung, in denen mehr als 20 % der Wochen einschlägige Titelseiten zeigen und klassifizieren diese Titelseiten in objektiv-deskriptive, pro-westliche/anti-russische, pro-russische/anti-westliche und allgemeinere, die eigene Regierung kritisierende Seiten, so ergibt sich die in Abbildung 2 dargestellte Verteilung. Während also die russische Publikation den stärksten objektiv-deskriptiven Stil zeigt (80 %), weisen die Zeitschriften aus Deutschland und Frankreich einen relativ hohen Anteil an emotionalen Covern auf (mindestens zwei Drittel). Die Blätter in Polen, Italien und Großbritannien bieten einen gemischten Anblick: knapp die Hälfte der Titelseiten wird von objektiv-deskriptiven und die andere Hälfte von entsprechend emotionalen Texten (40 % bis 60 %) gebildet. Ein klares geographisches Muster zeigt sich nicht. Nähme man noch die Verteilung der niederländischen und ungarischen Zeitungen hinzu (die knapp unter der 20 %-Marke lagen), ergäbe sich auch kein klareres Bild. Es ist also weder eine publizistische Blockbildung parallel zur politischen Systemkonkurrenz zu beobachten, noch ein Unterschied zwischen größeren und kleineren Staaten noch ein Unterschied zwischen westlichen und östlichen Staaten.

Land

Haupttext +
großer Nebentext

US

4

SE

5

HU

8

NL

8

IT

10

RU

10

UK

11

PL

11

FR

14

DE

18

Abb. 1: Anzahl Coverseiten (ab 20% der Ausgaben leicht gegraut, ab 25% stärker gegraut)

Land

objektiv-
deskriptiv

regierungs-
kritisch

pro-westlich/
anti-russisch

anti-westlich/
pro-russisch

DE

6

3

9

0

PL

6

2

3

0

UK

6

0

5

0

FR

4

1

9

0

RU

8

0

0

2

IT

4

2

4

0

Abb. 2: Grobsemantik der Texte

KRP

US

UK

IT

NL

FR

DE

HU

PL

SE

RU

1

2

+

+

+

+

+

+

+

+

3

(+)

+

+

+

+

+

(+)

+

(+)

4

+

+

+

+

+

+

+

+

5

+

+

+

+

+

+

+

+

6

+

7

+

+

+

+

+

+

+

+

8

+

+

+

9

+

+

+

+

+

10

(+)

(+)

(+)

(+)

Σ1-10

2,5

5,5

3

7

4,5

8,5

4,5

7

4

3

11

+

Σ1-11

2,5

5,5

4

7

4,5

8,5

4,5

7

4

3

Abb. 4: Verteilung der Kriegsrhetorik-Prinzipien; die Klammern sagen, dass dies hier nur in milder Form auftritt und daher mit 0,5 Punkten weniger eingerechnet wird.

Kriegsrhetorische Prinzipien in der Anwendung

In den emotionalen Texten (über alle Kontexte) wurde im folgenden Untersuchungsschritt nach den Techniken der Kriegsrhetorik gemäß Ponsonby (1928) gesucht. Diese zehn kriegsrhetorischen Prinzipien (KRP) sind in Abbildung 3 aufgelistet und mit Beispielen und Anmerkungen versehen. Die genaue geographische Verteilung und Stärke der Anwendung dieser Prinzipien zeigt Abbildung 4.

Es ist erstaunlich, dass es zum Prinzip 1 »Wir wollen den Krieg nicht« keine Beispiele gibt. Vielmehr ist Umgekehrtes zu beobachten: Es werden Waffen, militärische Stärke und ein militärischer Sieg mehr thematisiert und propagiert, als ein schnelles Kriegsende, militärischer Abbau, Diplomatie und Frieden. Letztere werden sogar lächerlich gemacht. Das Wort »Diplomatie« kommt nur ein einziges Mal vor, nämlich in IT-40 – negativ, nach Hinweis auf den „nuklearen Albtraum“: „E la diplomazia spera di centrare l’obiettivo minimo: la trega“ („Und die Diplomatie hofft das Minimalziel zu erreichen: Waffenstillstand“). Somit lässt sich als neues KRP 11, gleichsam als Ergänzung zu Ponsonby, hinzufügen: Diplomatie ist lächerlich (und bestenfalls nicht erwähnenswert).

Insgesamt lässt sich zur Verteilung der KRP Folgendes beobachten (vgl. Abbildung 4): Das regionale Cluster der deutschen, polnischen, ungarischen, niederländischen, britischen und französischen Texte hat auf die Mehrheit der KRP zurückgegriffen. Die Texte aus den USA, Schweden, Russland und Italien griffen auf weniger dieser Strategien zurück. Gleichwohl nutzten alle untersuchten Texte eine oder mehrere der erwähnten Techniken.

Einfluss auf die Meinungsbildung?

Betrachten wir nun die allgemeine Häufigkeit von einschlägigen Covertexten (Abbildung 1) und stellen sie mit einem Rangkorrelationstest in Korrelation zu den Antworten aus der Ipsos-Umfrage (mit Daten für alle untersuchten Länder außer Russland). Einige Korrelationskoeffizienten (r) sind zwischen -0,20 und +0,20, also nahe 0, und sollen daher als vernachlässigbar gesehen werden (Cohen [1988] würde Werte zwischen 0,1 bis 0,3 als geringen Effekt sehen). Bei einigen Aspekten jedoch wird es spannend. So lassen sich folgende leichte bis mittlere Korrelationen ausmachen3:

Je mehr Texte es insgesamt gab,

(1) desto niedriger der Prozentsatz, der für wirtschaftliche Sanktionen ist, selbst wenn dies bedeutet, dass Energie- und Lebensmittelpreise eine Zeit lang höher sind (r = -0,26);

(2) desto niedriger der Prozentsatz, der sagt, dass er die Nachrichten verfolgt hat (r = -0,44)

(3) desto höher der Prozentsatz, der sich für die Beibehaltung diplomatischer Beziehungen mit Russland ausspricht (r = 0,55)

(4) desto höher der Prozentsatz, der sagt, dass die Probleme nicht Sache des eigenen Staates sind und man sich nicht einmischen sollte (r = 0,20).

Nun wollen wir diese Ergebnisse noch etwas unterteilen: Ich fragte mich, ob die Anzahl der Wochen, in denen »emotionale« Cover-Texte zu sehen waren, einen spezifischen Einfluss auf die Haltung am Jahresende hatten und wie es mit den Korrelationen der »objektiv-deskriptiven« Texte aussieht. Man kann dazu auf Analyse 2.1 zurückgreifen und den Korrelationskoeffizienten für die fünf bzw. sieben Staaten (vgl. Abbildung 2, abzüglich Russland) mit den meisten Titelseiten (>20 % der Wochen bzw. knapp darunter) mit Blick auf das Verhältnis von emotionalen und objektiv-deskriptiven Texten berechnen.4 Berücksichtigt man auch dann nur die Aspekte, bei denen alle sechs Berechnungen Koeffzienten (r) außerhalb des Bereichs zwischen -0,20 und +0,20 (nahe Null) ergeben, lässt sich Folgendes sagen:

Je mehr emotionale Texte beziehungsweise je weniger objektiv-deskriptive Texte es gab,

(1) desto weniger Befragte sind für Sanktionen (r-Werte von 0,43 bis 0,89).

(2) desto mehr Befragte sehen den Krieg nicht als Sache ihres Landes (r-Werte von 0,20 bis 0,84).

(3) desto weniger Befragte haben intensiv die Nachrichten verfolgt (r-Werte von 0,57 bis 0,94).

Der Vergleich zeigt also überraschenderweise: Je mehr emotionale Texte beziehungsweise je weniger objektiv-deskriptive Texte es gab, desto weniger Befragte wollen mit dem Krieg in militärischer oder wirtschaftlicher Form zu tun haben. Möglicherweise kann Propaganda also so stark sein, dass sie – zumindest bei vom Konflikt stark betroffenen Ländern – abstoßend wirkt und das Gegenteil bewirkt. Allerdings sollten keine voreiligen Schlüsse gezogen werden, da keine Signifikanzen im statistischen Sinne vorliegen und ja nicht das konkrete Bewegungs- und Leseverhalten und die Ansichten von Individuen verknüpft wurden. Dies müsste in speziellen Experimenten weiter analysiert werden. Hier geht es nur um Hinweise.

KRP

Beispiele und Anmerkungen

1. Wir wollen den Krieg nicht.

[kein Beispiel im Korpus]

2. Der Feind ist allein Kriegsverantwortlicher.

[DE-09] Putins Krieg;

[PL-10] Stalinowska wojna Putina ,Putins stalinischer Krieg‘;

[HU-09] Putin als világrendbontó ,Weltordnungszerleger‘;

negative Symbole für die Kriegsaktivitäten der Gegenseite, etwa im Westen der Buchstabe Z russischer Panzer (z.B. in kreativer Worttrennung im Wort GÁ Z ,Gas‘ in [HU-37]) und im russischen Medium Nazi-Symbole in Verbindung mit dem ukrainischen Asow-Regiment (z.B. [RU-21])

3. Der Führer des Feinds ist der Teufel.

Putin als diabolique ,diabolisch‘ [FR-0602]

oder wie Iwan der Schreckliche, Stalin oder Hitler

D’Ivan le Terrible à Vladimir Poutine ,Von Iwan dem Schrecklichen zu Vladimir Putin‘ [FR-0317],

Leben wie unter Stalin [DE-11],

dictators als Hitler, Saddam en Poetin ,Diktatoren wie Hitler, Saddam und Putin‘ [NL-47]

In milderer Form ist der Feind „Zerstörer“ oder „Täter in einem bösen Spiel“.

4. Unsere Sache dient allen.

Also auf der einen Seite allen im Westen oder Europa und auf der anderen Seite der gesamten russischen Ethnie, z.B. [RU-09] Чем им можно помочь?, Womit kann man ihnen [Flüchtlingen, wie im Bild] helfen?‘

5. Unsere Sache ist heilig.

Statt heilig auch kulturell/moralisch hochwertig:

(1) symbolische Ereignisse im russischen Medium (Донбасс сердце России | Операция на сердце | Донбасс возвращается домой, Donbass, Russlands Herz | Operation am Herzen | Donbass kehrt nach Hause‘ ([RU-39], nach den Referenden) vs. westliche Texte in oder vor ukrainischen Farben.

(2) Im Westen ist Selenskyjs Kampf heldenhaft, im russischen Medium jener von Putin: z.B. mit Anspielung auf Selenskyjs Schauspielerberuf In de rol van zijn leven ,In der Rolle seines Lebens‘ [NL-13]

6. Die Künstler und Intellektuellen unterstützen uns.

DE-36: Porträt von Gorbatschow als Der Anti-Putin, was jedoch verschweigt, dass gerade in der internationalen Politik Gorbatschow Putin stützte.

7. Der Feind begeht bewusst Grausames, wir höchstens unabsichtlich.

(1) Darstellung der Blutigkeit, z.B. [DE-18] Putins blutige Spur, [IT11] Impero di sangue ,Blutimperium, Blutherrschaft‘.

(2) Krieg und drohender Energieausfall, z.B. [UK0716] Europe’s coming winter peril ,Europas kommendes Winter-Risiko‘.

(3) Spekulation über weitere Kriegsabsichten Putins (z.B. [NL-10] Russenangst terug in Europa ,Russenangst zurück in Europa‘, [HU-42] als Anspielung auf Cyberkrieg www.kiberhabo.ru (wobei kiberháború so getrennt wird, dass ru als russisches Internet-Länderkennzeichen stehen bleibt).

8. Der Feind benutzt unzulässige Waffen.

Im Westen wird die nukleare Bedrohung seitens Putin thematisiert, aber nicht die seitens des Westens ([DE-44], [PL-12], [NL-24]). Nur in [UK-0604] geht es um Atomkriegsgefahr allgemein.

9. Unsere Verluste sind gering, die des Feindes sind riesig.

[DE-09] Putins Desaster, [UK-0428] How rotten is Russia’s army? ,Wie marode ist Russlands Armee?‘

10. Wer uns anzweifelt, ist ein Verräter.

Der Begriff „Verräter“ taucht zwar nicht direkt auf, doch werden einige, die sich nicht oder nicht bedingungslos zur eigenen politischen Härte bekennen, als Unterstützer des Gegners negativ dargestellt.

(1) weitere Unterstützer Putins: DE-11 Er ist das Volk (in Anspielung an den Slogan der DDR-Demos 1989/90 Wir sind das Volk, mit Bezug auf die große Unterstützung in der russischen Bevölkerung), IT-10 Fratelli di Putin ,Brüder von Putin‘ (in Anspielung auf den Titel der italienischen Nationalhymne Fratelli d’Italia, mit Bezug auf Putin-freundliche Personen aus Politik, Finanz, Staat, Medien);

(2) Personen mit differenzierter Sichtweisen, etwa der Papst ([PL-20] Wojna według Franciszka | Wypowiedzi papieża szokują. ,Krieg gemäß Franziskus | Die Aussagen des Papstes sind schockierend.‘). Interessanterweise gibt [NL-40] Putins Sicht auf den Krieg und den Westen in Form eines Zitats wieder, wenngleich es wohl ob seiner Länge lächerlich wirken kann/soll: „Westerse landen zeggen al eeuwen dat ze andere landen vrijheid en democratie brengen. Niets is minder waar. In plaats van democratie te brengen, onderdrukten en exploiteerden zij, en in plaats van vrijheid te geven, maakten zij slaven en onderdrukten. De unipolaire wereld is inherent antidemocratisch en onvrij; ze is door en door vals en hypocriet.“ ,Westliche Länder sagen schon Jahrhunderte, dass sie anderen Ländern Freiheit und Demokratie bringen. Nichts ist weniger wahr. Statt Demokratie zu bringen, unterdrückten und beuteten sie aus, und statt Freiheit zu geben, machten sie Sklaven und unterdrückten. Die unipolare Welt ist inhärent antidemokratisch und unfrei; sie ist durch und durch falsch und heuchlerisch.‘

(3) Im Westen werden Putin und Xi, der sich nicht an der westlichen Sanktions- und Waffenpolitik beteiligt, als (Negativ-)Paar dargestellt, z.B. [SE-13] Du och jag, Xi! ,Du und ich, Xi!‘ (in Anspielung auf eine Szene an, in der Astrid Lindgrens Michel aus Lönneberga gegenüber dem Knecht Alfred beider Freundschaft ausdrückt). In Russland wird die EU als Vasall der USA dargestellt in [RU-23]: Scholz, beobachtet von Biden, in einer Sanktionen-Karikatur, mit den Worten Что еще отморозит себе запад назло России,Was wird der Westen noch alles einfrieren [= sich verbieten], um Russland zu ärgern…‘.

Abb. 3: Kriegsrhetorik-Prinzipien mit Beispielen

Zusammenfassung und Ausblick

Die Forschungsfragen lassen sich für die hier angestrebte Untersuchung wie folgt beantworten:

Zu 1) Es gab 99 Cover-Texte, die meisten in Deutschland (18), Frankreich (14), Großbritannien (11), Polen (11), Italien (10) und Russland (10).

Zu 2.1) Bei den Medien, die in mehr als 20 % der Wochen einschlägige Texte zeigten, gilt: Die hier untersuchten Zeitungen aus Deutschland und Frankreich veröffentlichten meist pro-westliche/anti-russische Titeltexte. Das russische Magazin brachte vorwiegend objektiv-deskriptive Überschriften. Die restlichen Medien waren ausgeglichen.

Zu 2.2) Prominente Kriegsrhetorik-Prinzipien nach Ponsonby waren: Der Feind ist allein Kriegsverantwortlicher. Der Führer des Feinds ist der Teufel. Unsere Sache dient allen. Unsere Sache ist heilig. Der Feind begeht bewusst Grausames, wir höchstens unabsichtlich. Darüber hinaus ergab sich als neues (mögliches) Prinzip: Diplomatie ist lächerlich. Die deutschen, polnischen, ungarischen, niederländischen, französischen und britischen Texte haben die Kriegsrhetorik-Prinzipien in ihrer Mehrheit verwendet.

Zu 3) In Bezug gesetzt mit den Ergebnissen der Ipsos-Umfrage ergab sich: (A) Je mehr Texte es insgesamt gab, (1) desto weniger Befragte sprechen sich für Sanktionen aus, (2) desto weniger haben die Nachrichten verfolgt, (3) desto mehr sprechen sich für die Aufrechterhaltung diplomatischer Beziehungen aus, (4) desto mehr sehen den Krieg nicht als Sache ihres Landes an. Zusätzlich gilt: (B) Je mehr emotionale Texte bzw. je weniger objektiv-deskriptive Texte es gab, (1) desto weniger Befragte sind für Sanktionen, (2) desto mehr sind gegen militärisches Eingreifen, (3) desto weniger haben intensiv die Nachrichten verfolgt. Auch wenn man nicht von Signifikanzen im statistischen Sinne sprechen kann, könnte man hier zumindest auf Hinweise von einem adversen Effekt der Propaganda bei stark betroffenen Ländern sprechen.

Sollte sich dieser Hinweis auf einen adversen Effekt von Propaganda in weiteren Untersuchungen bestätigen, wäre dies überraschend, etwa vor dem Hintergrund von Wolfsfelds (2004) dynamischem Modell. Gemäß diesem Modell verstärkten nämlich Massenmedien den Eliten-Konsens in der Bevölkerung.

Welche Konsequenzen daraus gezogen werden können, soll offen bleiben. Nur ein Beispiel sei genannt. Die Ergebnisse könnten nützlich sein für Friedensjournalismus nach Galtung (2006). Natürlich sind die Wünsche der ukrainischen Führung und Bevölkerung zu berücksichtigen. So gilt zum Zeitpunkt, da dieser Artikel verfasst wird, nach wie vor Präsident Selenskyjs Dekret, das diplomatische Aktivitäten mit Präsident Putin verbietet. Da in der Regel jedoch in einem Krieg irgendwann die Diplomatie eine entscheidende Rolle spielt, könnten Medienschaffende, sobald sich unter den Eliten die Friedensidee verbreitet, auf Basis der hier entdeckten Hinweise Anregungen holen, um zu schnellerem Waffenstillstand und Frieden beitragen zu können (vgl. auch Grzega 2022). Solche Anregungen könnten lauten „Verzichte bei diesem Krieg in Titeltexten auf Kriegspropaganda-Rhetorik, da ein Zuviel solcher Rhetorik ohnehin einen adversen Effekt haben könnte!“ oder „Vermeide ein Zuviel emotionaler Titeltexte!“

Anmerkungen

1) Die verwendeten Originalquellen und ein entsprechendes Datenverzeichnis können beim Autor angefragt werden.

2) Neben dieser gibt es noch eine ähnlich gelagerte Umfrage von Garton Ash, Krastev und Leonard (2023), auf die zwar in einigen Pressemeldungen referiert wurde, die jedoch unbrauchbar ist, da sie die Einigkeit des Westens so herstellt, dass sie Umfrage-Ergebnisse der ausgewählten EU-Länder zusammenfasst (statt für jedes Land separate Ergebnisse zu liefern); so ist nicht nachvollziehbar, ob die EU-Befragten sich einig sind oder die Bevölkerungen bestimmter Länder ganz anders zur Thematik stehen.

3) Auch diese Berechnungen können beim Autor angefordert werden.

4) Verglichen werden die Umfrageergebnisse sowohl mit den emotionalen Covertexten als auch mit den objektiv-deskriptiven Texten, jeweils in absoluten Zahlen und in prozentualen Zahlen (gemessen an allen einschlägigen Coverseiten).

Literatur

Bucher, T. (2018): If…Then – Algorithmic power and politics. Oxford: Oxford University Press.

Chomsky, N.; Herman, E. (1988): Manufacturing consent. New York: Pantheon.

Cohen, J. (1988): Statistical power analysis for the behavioral sciences. New York: Academic Press.

Ellis, P. (2010): The essential guide to effect sizes. Cambridge: Cambridge University Press.

Galtung, J. (2006): Peace journalism as an ethical challenge. GMJ: Mediterranean Edition 1(2), S. 1-5.

Galtung, J.; Ruge, M. (1965): The structure of foreign news. Journal of Peace Research 2(1), S. 64-91.

Garton Ash, T.; Krastev, I.; Leonard, M. (2023): United west, divided from the rest. Policy Brief 482.

Grzega, J. (2022): Diplomatic solutions through cultural keywords. Journal for EuroLinguistiX 19, S. 8-21.

Ipsos (2023): The world’s response to the war on Ukraine. Paris: Ipsos.

Lippmann, W. (1922): Public opinion. New York: Harcourt, Brace & Co.

Morelli, A. (2001): Principes élémentaires de propagande de guerre. Bruxelles: Aden.

Ponsonby, A. (1928): Falsehood in war-time. London: Allen and Unwin.

Selimi, F. (2023): Monitoring of the daily printed newspapers of the Western Balkans for the coverage of the events in the Russia-Ukraine war with special emphasis on their cover page. Online Journal of Communication and Media Technologies 13(3), e202327.

Tversky, A.; Kahneman, D. (1981): The framing of decisions and the psychology of choice. Science 211, S. 453-458.

Wolfsfeld, G. (2004): Media and the path to peace. Cambridge: Cambridge University Press.

Dr. Joachim Grzega ist Leiter des Bereichs »Innnovative Europäische Sprachlehre (InES)« an der VHS Donauwörth und außerplanmäßiger Professor für Sprachwissenschaft an der Universität Eichstätt-Ingolstadt.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2023/3 Gesellschaft in Konflikt, Seite 51–55