W&F 2022/1

Mehr Abrüstung wagen!

von Sabina Galic

Die neue Bundesregierung hat sich für die nächsten Jahre viel vorgenommen. Im Koalitionsvertrag finden sich unter dem selbsterklärten Ziel »mehr Fortschritt wagen«, notwendige Impulse u.a. zum Klimaschutz, einer feministischen Außenpolitik und allem voran Ziele zur Stärkung internationaler Abrüstungsinitiativen.

Die Ankündigung der Bundesregierung, an der ersten Staatenkonferenz zum UN-Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) in Wien als Beobachterin teilzunehmen, ist gewiss ein wichtiger Schritt für zukünftige Abrüstungsbemühungen. Der Vertrag zum Verbot von Atomwaffen ist im Januar 2021 in Kraft getreten und 59 Staaten sind bereits beigetreten, 86 haben unterzeichnet.

Deutschland wird nach Norwegen der zweite NATO-Staat und das erste Land sein, in dem Atomwaffen stationiert sind, das die Staatenkonferenz beobachtet. Zudem haben die NATO-Partnerstaaten Finnland, Schweiz und Schweden ebenfalls ihren Beobachtungsstatus bei der Konferenz angekündigt. Der Widerstand gegen den AVV sinkt innerhalb der NATO bereits spürbar.

Dies ist auch ein Erfolg für den UN-Atomwaffenverbotsvertrag sowie für die Staaten, die sich bereits entschlossen für Abrüstung einsetzen. Auf der Konferenz wird es nun konkreter um die Umsetzung des Vertrages gehen. Außerdem werden Vertragsstaaten über nationale Maßnahmen beraten, sowie Schritte bezüglich der Anerkennung von Opfern der Atomwaffentests und -einsätze, Umwelthilfe und der internationalen Kooperation beschließen. Insgesamt bietet der AVV somit einen völkerrechtlichen Rahmen für eine vollständige nukleare Abrüstung. Deutschland hat mit seinem Beobachtungsstatus die Chance, das Verfahren zu verfolgen, Stellungnahmen abzugeben und somit auch Unterstützung für den Vertrag zu signalisieren.

Nichtsdestotrotz scheint die neue Bundesregierung hinsichtlich ihrer Abrüstungsbemühungen in ihrem eigenen Widerspruch gefangen zu sein. Laut Koalitionsvertrag will sie sich zwar einerseits für eine atomwaffenfreie Welt einsetzen, andererseits weiterhin an der nuklearen Abschreckung sowie an der nuklearen Teilhabe festhalten. Obwohl der Beobachtungsstatus bei der Staatenkonferenz eine willkommene Annäherung an das Verbot von Atomwaffen signalisiert, verkündete Verteidigungsministerin Lambrecht gleichzeitig die Beschaffung eines Nachfolgesystems für atomwaffenfähige Tornadoflugzeuge.

Des Weiteren bekennt sich die neue Bundesregierung insbesondere zu einer Aufrechterhaltung eines »glaubwürdigen Abschreckungspotentials«. Die Stationierung von neuen US-Atomwaffen in Büchel ist dafür bereits vorgesehen. Jedoch sind diese laut Expert*innenmeinung militärisch kaum nutzbar und daher auch nicht glaubwürdig. Zudem erfordert die Modernisierung und Instandhaltung dieser Waffensysteme Milliarden­investitionen, jedoch bieten sie gegen die Bedrohungen des 21. Jahrhunderts wie etwa Cyberangriffe, Klimakrise und Pandemien überhaupt keine Sicherheit. Diese nukleare Aufrüstung passt auch nicht mit Deutschlands Ziel zusammen, eine atomwaffenfreie Welt zu erreichen. Bei der UN-Vollversammlung stimmte Deutschland 2021 zudem erneut gegen den UN-Atomwaffenverbotsvertrag. Ein weiterer (Fort-)Schritt der Bundesregierung sollte somit auch darin liegen, bei dieser jährlichen Abstimmung in Zukunft eine andere Position einzunehmen, da der Atomwaffenverbotsvertrag momentan die einzige echte Abrüstungsinitiative darstellt.

In Anbetracht der Tatsache, dass internationale Rüstungskontrollverträge bereits gekündigt wurden und weitere Gespräche über die Abrüstung von Atomwaffen durch die Spannungen zwischen Russland und der NATO ohnehin immer schwieriger werden, sollte auch keine zusätzliche nukleare Aufrüstung erfolgen, die die Konflikte nur weiter befeuern.

Die Bundesregierung sollte vielmehr Deutschlands Rolle in der nuklearen Teilhabe der NATO dringend überdenken, denn der sogenannte nukleare Schutzschirm bietet keinen Schutz. Der Atomwaffenverbotsvertrag bietet hingegen einen Weg zur Abschaffung aller Atomwaffen – und nur dadurch können wir uns selbst und die Welt vor einem Atomkrieg schützen. Deswegen sollte die Bundesregierung dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten, die Beschaffung neuer Atomwaffen-Trägerflugzeuge stoppen und sich für den Abzug aller US-Atombomben aus Deutschland einsetzen.

Die neue Bundesregierung lässt im Koalitionsvertrag insgesamt Spielraum für einen Paradigmenwechsel in der künftigen Außen- und Sicherheitspolitik, auch wenn einige Stellen sich bisher widersprechen oder vage bleiben. Die Frage ist nur: Wie viel Fortschritt wird sie darin wagen?

Sabina Galic ist Vorstandsmitglied bei ICAN Deutschland und Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdientsgegnerInnen

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2022/1 Täter*innen, Seite 5