W&F 1991/1

Menschenrechte sind keine Munition

Golfkonflikt und Menschenrechte – Eine Dokumentation von amnesty international

von amnesty international

Am 17. Januar 1991 begann mit alliierten Luftangriffen auf irakische Stellungen der Golfkrieg. Keine zwei Tage zuvor war das Ultimatum abgelaufen, das der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen der Regierung Iraks gesetzt hatte, um sich aus dem völkerrechtswidrig besetzten Kuwait zurückzuziehen. amnesty international möchte aus Anlaß des Golfkrieges eine Dokumentation veröffentlichen, die belegt, daß sich kein Staat, der in den Konflikt verwickelt ist, zur Rechtfertigung eines militärischen Vorgehens auf die Menschenrechte berufen darf. Nicht nur im irakisch besetzten Kuwait, in der gesamten Region gehören Menschenrechtsverstöße zum Alltag, ohne daß dies in den vergangenen Jahren Anlaß zu einer Neuorientierung der Politik gewesen wäre.

Jeder, der im Nahen Osten am Krieg beteiligt ist, muß wissen, daß er Menschenrechte nicht als Legitimation benutzen darf. Wer etwas für die Menschenrechte in Nahost tun will, muß dies jederzeit und überall tun. Nach der Befreiung der Menschenrechte aus der Umklammerung des Ost-West-Konfliktes sieht die deutsche Sektion von amnesty international nun die Gefahr eines neuen Mißbrauchs: Menschenrechte dürfen nicht für Feindbilder in der sich verschärfenden Nord-Süd-Kontroverse funktionalisiert werden.

Menschenrechte sind keine Munition in Konflikten und Kriegen, ihre Einhaltung und ihr Schutz sind vielmehr der Weg zur Überwindung von Konflikten.

amnesty international nimmt zum eigentlichen Kriegsgeschehen keine Stellung, beklagt aber, daß mehrere Staaten den Einsatz für die Menschenrechte im Falle Iraks offenbar jeweils unterschiedlichen wirtschaftlichen, politischen oder strategischen Zielen unterordnen. Regierungen, die in der Vergangenheit beispielsweise öffentliche Kritik an menschenrechtsverletzenden und völkerrechtswidrig handelnden Regimes abgelehnt haben, schließen sich dieser nun an. Dies stellt kein konsequentes Menschenrechtsengagement dar.

Die völkerrechtswidrige Annexion Kuwaits durch den Irak verleitet zu einer einseitigen Sicht der Menschenrechtslage in der Region, die zwar die schweren Vergehen Iraks anprangert, aber die Menschenrechtsverstöße anderer Staaten außer acht läßt. Die folgende Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen in der Golfregion ist als Aufforderung zu verstehen, nicht die Augen vor den Vergehen der eigenen Verbündeten zu verschließen, sondern die Menschenrechtsverletzungen jederzeit dort wahrzunehmen und zu bekämpfen, wo sie auftreten.

Opfer der Unterdrückungsmethoden, die Irak gegenüber Kuwait jetzt zu Recht vorgeworfen werden, sind seit langem die Menschen in Irak. Jedem, der oppositionell tätig ist, sich regimekritisch äußert oder der kurdischen Minderheit angehört, droht Verfolgung. Wer jetzt auf Menschenrechtsverletzungen des Irak verweist, muß sich fragen lassen, was er vor der Annexion des Emirats getan hat, um die Menschenrechte im Irak zu schützen.

In allen Nahost-Staaten, die im folgenden dokumentiert sind, werden Menschenrechtsverletzungen begangen, die in der Verantwortung der jeweiligen Regierung geschehen. Der Hinweis auf die Menschenrechtsverletzungen des Irak sind somit kein Argument, um die »Gerechtigkeit« eines Krieges zu begründen. Keiner der aufgeführten Staaten hat eine reine Weste in Sachen Menschenrechte, auch die in Nahost engagierten Mächte außerhalb der Region müssen ich vorwerfen lassen, keine an den Menschenrechten orientierte Politik verfolgt zu haben.

Die folgende Auflistung beschriebt die Lage der Menschenrechte in einer Reihe von Ländern, die unmittelbar am Konflikt beteiligt sind und in der Nahost-Region liegen oder an sie angrenzen. Die Länder, die in die Dokumentation aufgenommen wurden, sind Irak, Iran, Saudi-Arabien, Syrien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien, die Türkei sowie Kuwait vor und nach der irakischen Besatzung.1 Die Auswahl dieser Länder erfolgte nicht nach deren politischer Orientierung.

Iran

Im Iran sind seit vielen Jahren – sowohl unter dem Schah-Regime als auch seit der Islamischen Revolution von 1979 – Menschenrechtsverstöße gravierendster Art zu beklagen. Die Methoden der Unterdrückung jedweder Opposition reichen von willkürlicher Haft und unfairen Gerichtsverfahren über Folter und Mißhandlung bis hin zu Massenhinrichtungen und staatlichem Mord.

Die Todesstrafe wird in einem kaum vorstellbaren Ausmaß angewandt: Allein in den vergangenen drei Jahren wurden ai über 5.000 Hinrichtungen bekannt; die tatsächliche Zahl könnte noch weitaus höher liegen. Seit Anfang der 80er Jahre überzieht eine regelrechte Hinrichtungswelle das Land, die meist mutmaßliche Oppositionelle trifft. Unter den Tausenden, die zwischen Juli 1988 und Januar 1989 hingerichtet wurden, waren über 2.000 politische Gefangene – viele von ihnen befanden sich bereits seit Jahren zu Unrecht in Haft, manche hatten die gegen sie verhängte Haftstrafe bereits verbüßt, wurden aber weiterhin in Haft gehalten und plötzlich, ohne daß ein Todesurteil verhängt worden wäre, exekutiert. Wahllos wurden Gefangene auf Veranlassung einer sogenannten Todeskommission an den Galgen gebracht, oft nach einer nur wenige Minuten andauernden Anhörung.

Im Jahre 1989 führte das harte Durchgreifen der Regierung gegen den Drogenhandel zu über tausend Hinrichtungen. Die Beschuldigten wurden meist wenige Tage nach ihrer Festnahme exekutiert, ohne daß sie einen Rechtsbeistand in Anspruch nehmen, Entlastungszeugen vorbringen oder Berufung einlegen durften. Exekutionen, grauenhafte Folterungen, Mißhandlungen durch Schläge, Auspeitschungen und Scheinhinrichtungen sind weiterhin an der Tagesordnung.

Erst im Juni 1990 wurden im Zuge einer weiteren Verschärfung der Verfolgung von Regimekritikern mehr als zwanzig prominente Oppositionelle, unter ihnen ehemalige Minister und Abgeordnete, festgenommen. Sie hatten lediglich von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung gebrauch gemacht und in einem Offenen Brief an Präsident Rafsandschani Kritik an der Situation in ihrem Land geübt. Es muß befürchtet werden, daß auch sie im Gefängnis mißhandelt und gefoltert werden, um ihnen ein Geständnis zu entringen. Einer der Festgenommenen wurde bereits dazu gebracht, im Abendprogramm des iranischen Fernsehens seine Verwicklung in konterrevolutionäre Aktivitäten zu »gestehen«.

Irak

Die Menschenrechte werden in Irak seit Jahren mit Füßen getreten. Tausende Menschen befinden sich aus politischen Gründen in Haft, darunter viele, die niemals Gewalt angewandt oder befürwortet haben. Die meisten Gefangenen befinden sich ohne Anklage und Gerichtsverfahren oder nach Prozessen hinter Gittern, die allen international anerkannten Standards Hohn sprechen.

Tausende, die als politisch Mißliebige festgenommen wurden, gelten heute als »verschwunden«, und niemand weiß, ob sie überhaupt noch leben. Zahlreiche Kinder sind unter den Betroffenen. Menschen werden willkürlich inhaftiert und im Gewahrsam der Sicherheitskräfte gefoltert und mißhandelt. Es finden Hinrichtungen und Massenexekutionen im Schnellverfahren statt. Die irakische Bevölkerung muß eine Politik der brutalen Unterdrückung jeglicher oppositioneller Regung erdulden.

Die meisten »Verschwundenen«-Fälle registrierte amnesty international während des achtjährigen Golfkrieges zwischen Irak und Iran. Aber auch Tausende irakischer Kurden »verschwanden« – beispielsweise rund 8.000 Angehörige des kurdischen Barzani-Clans, die 1983 von den Sicherheitskräften verschleppt wurden und nie wieder auftauchten. Viele inhaftierte Kurden wurden heimlich getötet, andere wiederum »regulär« hingerichtet, nachdem sie sich im Vertrauen auf erlassene Amnestien der Behörden gestellt hatten.

Zehntausende Kurden flohen im August 1988 aus Irak, um verheerenden Giftgas-Angriffen der irakischen Armee auf kurdische Dörfer im eigenen Land zu entkommen. Allein das Bombardement der Stadt Halabdscha kostete seinerzeit über 5.000 Menschenleben.

Nach wie vor leben schätzungsweise 27.500 Kurden in Flüchtlingslagern im Südosten der Türkei. Ihre rechtliche Situation ist völlig ungeklärt. Seit den nach dem Waffenstillstand zwischen Irak und Iran erlassenen Amnestien nimmt der Druck der türkischen Regierung auf die Flüchtlinge zu, nach Irak zurückzukehren.

Im März 1990 wurde der britische Journalist Farzad Bazoft trotz internationaler Proteste hingerichtet; er war von einem irakischen Revolutionsgericht der Spionage für schuldig befunden worden. Im gleichen Verfahren war die britische Krankenschwester Daphne Parish, ebenfalls unter der Anklage der Spionage, zu 15 Jahren Haft verurteilt worden; sie kam im Juli 1990 frei. Unter Spionage-Vorwurf erfolgte im Juli 1990 auch die Hinrichtung eines Irakers schwedischer Nationalität, trotz wiederholter Appelle Schwedens an Präsident Saddam Hussein, das Urteil umzuwandeln.

Israel und die besetzten Gebiete2

Seit nunmehr über drei Jahren äußert amnesty international Besorgnis über schwerwiegende und weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen in den von Israel besetzten Gebieten. Dazu gehören Inhaftierungen ohne Gerichtsverfahren in großem Ausmaß, die systematische Mißhandlung von Gefangenen und das Töten von Zivilpersonen durch Angehörige der israelischen Streitkräfte. amnesty international bedauert zutiefst, daß solche Menschenrechtsverletzungen, unter denen Tausende zu leiden haben, nach wie vor geschehen, und daß die israelische Regierung bisher nicht gewillt war, dringend notwendige Maßnahmen zu ihrer Unterbindung zu ergreifen.

Seit Dezember 1987 wurden ca. 14.000 Palästinenser ohne Anklage oder Gerichtsverfahren in Verwaltungshaft gehalten, unter ihnen gewaltlose politische Gefangene. Über 4.000 Menschen sind im Jahre 1990 bis zu einem Jahr festgehalten worden, wobei kurzzeitige Haftanordnungen mehrfach verlängert wurden; die weitaus meisten Gefangenen befanden sich im Haftlager Ketziot in Israel, wo Besuche von Familienangehörigen nicht stattfinden können.

Tausende Palästinenser sind von Militärgerichten in den besetzten Gebieten verurteilt worden; den meisten wurde vorgeworfen, Steine oder Benzinbomben geworfen zu haben. Nach ihrer Festnahme können sie bis zu ihrer Vorführung vor einem Richter bis zu 18 Tage lang festgehalten werden. Vielen wird der Zugang zu Rechtsanwälten und Familienangehörigen indessen für viel längere Zeiträume verweigert. In der Zeit der Incomunicado-Haft (ohne Kontakt zur Außenwelt) abgelegte Geständnisse dienen häufig als ausschlaggebender Beweis. Diejenigen, die auf nicht schuldig plädieren, müssen mit Verzögerungen rechnen, was bedeutet, daß Verhandlungen erst Monate und manchmal Jahre später stattfinden. Wenn es zu einer Verurteilung kommt, erhalten sie höhere Strafen als diejenigen, die ein teilweises Schuldeingeständnis abgelegt haben. Nur selten werden Kautionsregelungen genehmigt. Viele Gefangene bekennen sich schuldig, um die Untersuchungshaft so zu verkürzen, daß sie nicht länger dauert als die zu erwartende Haftstrafe.

Mißhandlungen bei Verhören erfolgen weiterhin systematisch und sind weitverbreitet. Palästinenser sind auch gefoltert worden, um Geständnisse oder sonstige Informationen von ihnen zu erpressen. Zu den Methoden gehören Schläge mit Knüppeln und Gewehrkolben auf diverse Körperteile, das Überstülpen schmutziger Säcke, Schlafentzug durch langdauernde Fesselungen in unbequemen Körperstellungen, Haft in kleinen, dunklen Zellen, häufig als »Closets« bezeichnet, Verbrennen mit Zigaretten, Quetschen der Hoden und sexuelle Belästigungen.

Zumindest einige dieser Methoden entsprechen möglicherweise geheimen Richtlinien, die 1987 von einer Kommission zur Untersuchung von Verhörmethoden des Geheimdienstes herausgegeben wurden. Vielen Palästinensern wurden unmittelbar nach ihrer Festnahme durch Schläge bestraft. Seit Dezember 1987 sind Berichten zufolge mindestens 16 Menschen nach solchen Übergriffen gestorben.

Palästinenser kamen ums Leben, nachdem willkürlich Tränengas in geschlossenen Räumen (wo die Wirkung tödlich sein kann) gegen sie eingesetzt worden war. Seit Dezember 1987 sind Berichten zufolge ca. 80 Palästinenser – darunter viele ältere Menschen und Kinder – durch Tränengas getötet worden; ungefähr 40 dieser Todesfälle ereigneten sich, als Behälter mit Tränengas in ihre Häuser oder andere geschlossene Räume geworfen wurden.

Seit Dezember 1987 sind ca. 700 palästinensische Zivilisten, unter ihnen viele Kinder und junge Leute, von den israelischen Streitkräften erschossen worden; dabei wurden sowohl scharfe Munition als auch spezielle Arten von Plastik- oder anderen Geschossen verwandt. In einigen Fällen scheinen die Menschen vorsätzlich getötet worden zu sein, in anderen wurden sie Opfer der Anwendung tödlicher Gewalt unter Umständen, die eine solche Gewaltanwendung als nicht gerechtfertigt erscheinen ließen.

Die gültigen Richtlinien zur Anwendung von Gewalt, die daraus folgenden Übergriffe und die Tatsache der unzureichenden offiziellen Untersuchungen – all dies zusammengenommen führt amnesty international zu der Schlußfolgerung, daß die israelischen Behörden die Ausführung dieser Menschenrechtsverletzungen stillschweigend billigen, wenn nicht gar ermutigen.

amnesty international ist sich bewußt, daß zu den palästinensischen Methoden des Protests in den besetzten Gebieten auch die Gewalt gezählt hat, und daß dadurch eine Anzahl Soldaten und Zivilpersonen ums Leben gekommen sind. Zu den Opfern zählen ca. 300 Palästinenser, die offenbar von anderen Palästinensern getötet wurden, die überwiegende Mehrheit von ihnen unter dem Verdacht der Kollaboration mit den israelischen Behörden. Einige wurden umgebracht, nachdem man sie verhört und gefoltert hatte. amnesty international weist erneut ausdrücklich darauf hin, daß sie die Anwendung der Folter und das Töten von Gefangenen in jedem Fall verurteilt, unabhängig davon, wer solche Taten ausführt.

Kuwait (bis 2. August 1990)

Die Hauptsorge amnesty internationals in Kuwait vor der irakischen Invasion galt der Inhaftierung Oppositioneller, unter ihnen möglicherweise gewaltlose politische Gefangene. Die meisten waren nach unfairen Verfahren vor dem Staatssicherheitsgericht inhaftiert worden. Berichten zufolge kam es im Gewahrsam des Staatssicherheitsdienstes mehrfach zu Folterungen. In Kuwait gibt es eine Todesstrafengesetzgebung; im Jahre 1989 wurde eine Hinrichtung vollstreckt.

Ungefähr 40 Kuwaitis, unter ihnen mindestens 30 Shi'a Muslims, sind zwischen September 1989 und Mai 1990 inhaftiert worden, manche nur für wenige Tage, andere bis zu neun Monate lang. Man warf ihnen vor, die Regierung unterminiert und deren Sturz geplant zu haben. Berichten zufolge sind mehrere von ihnen gefoltert worden, um »Geständnisse« zu erpressen. Bis auf vier Personen wurden alle im März 1990 ohne Anklageerhebung freigelassen. Die vier Männer wurden vor Gericht gestellt, freigesprochen und im Juni 1990 aus der Haft entlassen.

Im Mai 1990 nahm man zehn Kuwaitis, unter ihnen frühere Minister und Parlamentsmitglieder, fest und hielt sie mehrere Tage lang in Haft. Acht wurden beschuldigt, illegale Treffen abgehalten zu haben, und zwei sollen ohne Genehmigung Flugblätter verteilt haben. Alle zehn wurden gegen Kaution freigelassen und später amnestiert.

Kuwait unter irakischer Besatzung

Seit dem 2. August 1990 – dem Einmarsch Iraks – sind die Einwohner Kuwaits Opfer jener Grausamkeit und Brutalität der irakischen Streitkräfte, unter der die Menschen in Irak bereits seit über einem Jahrzehnt leiden. amnesty international mußte eine Vielzahl von Greueltaten registrieren, die auf das Konto irakischer Soldaten gehen; tausende Kuwaitis wurden Opfer schwerster Menschenrechtsverletzungen. Über 300 frühgeborene Babys kamen beispielsweise qualvoll ums Leben, als plündernde Soldaten die Brutkästen aus Krankenhäusern stahlen.

Mehrere tausend Zivilisten und Angehörige des kuwaitischen Militärs wurden willkürlich festgenommen und ohne Verfahren inhaftiert. Gefangene wurden und werden brutal gefoltert. Von mehreren hundert Festgenommenen weiß man bis heute nicht, was mit ihnen geschah; sie gelten als »verschwunden«.

ai sind insgesamt 38 Foltermethoden bekannt, derer sich irakische Militärs in Kuwait bedienen: sie reichen vom Abschneiden diverser Gliedmaßen wie Zunge und Ohren über Elektroschocks und Schüsse in die Beine bis zu Schlägen und Vergewaltigung.

Wiederholt wurde amnesty international berichtet, daß mutmaßliche Oppositionelle und Soldaten zu ihren Häusern gebracht und dort mit einem Schuß in den Hinterkopf getötet wurden, nachdem Familienangehörige sie identifiziert hatten. Um inhaftiert, gefoltert oder getötet zu werden, reicht bereits der Besitz von Geldmünzen oder -scheinen der abgeschafften kuwaitischen Währung aus, was als Zeichen des Protests gegen die irakische Herrschaft über Kuwait gewertet wird.

Jordanien

50 Jahre lang – von 1939 bis 1989 – konnten die jordanischen Behörden vermeintliche oder tatsächliche Regierungsgegner ohne Anklage und Gerichtsverfahren oder nach Kriegsgerichtsprozessen in Haft halten, wobei die Kriegsgerichte die grundlegenden Rechtsgarantien für faire Gerichtsverfahren völlig außer acht lassen und sich beispielsweise nicht an die normale Strafprozeßordnung und Beweisregelung halten müssen.

Zu den mittlerweile freigelassenen Häftlingen gehören Mitglieder verschiedener Oppositionsgruppen wie der »Organisation der Volksfront« oder der »Jordanischen Kommunistischen Partei« sowie Schriftsteller, Journalisten, Ingenieure, Studenten, Anwälte, Ärzte und Gewerkschafter. Daneben waren aber auch immer wieder Angehörige palästinensischer Gruppierungen wie der al-Fatah, der »Palästinensischen Befreiungsorganisation« (PLO) und der »Volksfront zur Befreiung Palästinas« oder Sympathisanten schiitischer Gruppen wie der »Islamischen Befreiungspartei« verhaftet und im Hauptquartier des berüchtigten jordanischen Geheimdienstes inhaftiert worden.

Aus der Geheimdienstzentrale, aber auch aus dem gefürchteten Swaqa-Gefängnis sind amnesty international schon häufig Berichte über Folterungen zugegangen. Zu den gängigsten Methoden zählten Schläge auf die Fußsohlen, Peitschenhiebe und Schläge mit Kabelstücken. Aus diesen Folterungen resultierten in vielen Fällen schwere Verletzungen wie Lähmungen, Knochenbrüche, Quetschungen oder eine Beeinträchtigung des Nervensystems.

Trotz der vorläufigen Aussetzung der Notstandsbestimmungen, die in Jordanien ein halbes Jahrhundert lang in Kraft waren, haben die Behörden noch immer die Möglichkeit, gewaltlose politische Gefangene auf unbestimmte Zeit ohne Gerichtsverfahren in Haft zu halten. Auch wenn nach der Ankündigung rechtlicher Reformen im Dezember 1989 viele frühere gewaltlose politische Gefangene freigelassen wurden, sind weitere Maßnahmen nötig, um willkürliche Inhaftierungen, unfaire Prozesse sowie Folter und Mißhandlungen in der Haft zu verhindern.

Syrien

Die syrische Verfassung garantiert grundlegende Rechte wie Meinungsfreiheit, Redefreiheit und Religionsfreiheit, sie verbietet eindeutig die Folter. Die Realität indessen spricht diesen Garantien und Schutzrechten Hohn. Sie sind seit 1963 durch eine Notstandsgesetzgebung außer Kraft gesetzt.

Die Sicherheitskräfte haben aufgrund des Notstandes weitreichende Vollmachten. Sie dürfen alle jene, die verdächtigt werden, die „öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gefährden“, festnehmen und auf unbestimmte Dauer inhaftieren. Das Resultat sind Tausende willkürlicher Inhaftierungen, Tausende politischer Gefangener, darunter Hunderte, die niemals Gewalt angewandt haben. In den seltensten Fällen liegt eine rechtskräftige Verurteilung vor. Politische Gefangene bekommen in Syrien so gut wie nie die Chance, sich vor einem Gericht zu rechtfertigen, auch wenn sie – wie in einigen Fällen – bereits seit zwei Jahrzehnten oder länger hinter Gittern sitzen.

Jeder, der in den Verdacht gerät, einer verbotenen politischen Partei oder palästinensischen Gruppe anzugehören, läuft Gefahr, inhaftiert zu werden. 1978 begann sich in Syrien Protest zu regen: Juristen, Ärzte und Ingenieure waren es vorwiegend, die auf die Einhaltung der Menschenrechte pochten. Am 31. März 1980 kam es zu einem eintägigen Streik, bei dem die Achtung grundlegender Rechte wie Meinungs- und Gewissensfreiheit, die Verurteilung jeglicher Art von Gewalt, die Abschaffung der Sondergerichte und die Freilassung aller aufgrund der Notstandsgesetze inhaftierten Gefangenen bzw. faire Gerichtsverfahren für sie gefordert wurden.

Die syrischen Behörden reagierten auf diesen Streik mit einer Verhaftungswelle und der Auflösung sämtlicher beteiligter Berufsverbände. Von etwa 100 Beschäftigen des Gesundheitswesens beispielsweise, die wegen ihrer Beteiligung an dem Streik inhaftiert wurden, sind nach Kenntnis von ai nur sieben Personen freigelassen worden. Von vier weiß ai definitiv, daß sie sich seither in Haft befinden. Über die übrigen 86 ai bekannten Namen verweigert die Regierung jede Auskunft; es wird jedoch angenommen, daß die Mehrheit auch fast 11 Jahre nach ihrer Festnahme noch in Haft ist. Das gleiche Schicksal erlitten die an dem Streik beteiligten Ingenieure, von denen ai 68 namentlich bekannt sind.

Zum Vorwurf der Folter und Mißhandlung schweigt die Regierung, obwohl in Syrien weitverbreitet und systematisch unter körperlichen Qualen verhört wird. Die Gefangenen werden mit Elektroschocks, äußerst schmerzhaften Schlägen auf die Fußsohlen, Auspeitschungen und zahlreichen anderen Foltermethoden malträtiert.

Menschenrechtsverstöße wie Willkürhaft und staatlicher Mord sind allerdings nicht nur in Syrien, sondern auch in dem von syrischen Truppen kontrollierten Teil des Libanon zu beobachten. So haben Angehörige der syrischen Truppen Mitte Oktober 1990 schätzungsweise 200 Anhänger des christlichen Generals Aoun in Ost-Beirut festgenommen, wobei es sich bei den meisten Opfern um Militärangehörige handelte. Die meisten wurden offenbar nach Syrien gebracht, wo sie aller Wahrscheinlichkeit nach noch immer im Gefängnis sitzen. ai geht zudem davon aus, daß eine ganze Reihe von Personen jenseits des eigentlichen bewaffneten Konflikts am 13. und 14. Oktober aus politischen Gründen ermordet wurden. Auch hierzu haben sich die syrischen Behörden nicht geäußert.

Saudi-Arabien

Menschenrechte werden in Saudi-Arabien unter König Fahd nicht großgeschrieben. Wer in den Verdacht der politischen Gegnerschaft gerät, dem drohen Haft und Folter.

Von 1983 bis 1989 wurden amnesty international über 700 Fälle bekannt, in denen politische Gegner auf diese Weise behandelt wurden. Bei den Betroffenen handelt es sich überwiegend um Mitglieder oder Sympathisanten schiitischer Oppositionsgruppen. Politische Parteien und Gewerkschaften sind in Saudi-Arabien verboten.

In den ersten Tagen und Wochen nach der Festnahme werden Gefangene in Saudi-Arabien meist ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten; Zugang zu ihren Familienangehörigen und einem Rechtsbeistand wird ihnen verweigert. Gerade in diesen Tagen der Haft werden die Gefangenen fast routinemäßig mißhandelt oder gefoltert, was in einigen Fällen sogar mit dem Tod des Gefolterten endete.

Erschreckende Ausmaße hat diese Vorgehensweise seit Ausbruch der Golfkrise bei der Behandlung jemenitischer Staatsbürger in Saudi-Arabien angenommen. Seit dem 19. September 1990 werden sie systematisch aus dem Land getrieben; Hunderte von ihnen mußten in behelfsmäßig errichteten Haftzentren Mißhandlungen oder Folterungen erdulden, Tausende fielen willkürlichen Festnahmen zum Opfer, ausschließlich wegen ihrer Nationalität.

Auch die Anwendung der Todesstrafe hat in Saudi-Arabien erheblich zugenommen. Während 1988 »nur« 26 Hinrichtungen bekannt wurden, waren es 1989 bereits 111, davon 16 wegen politisch motivierter Straftaten.

Vereinigte Arabische Emirate

Seit Jahren erhält amnesty international immer wieder besorgniserregende Berichte über Menschenrechtsverletzungen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Haft ohne Gerichtsverfahren, Folter und Mißhandlung, die Anwendung der Prügelstrafe nach islamischem Recht, die Verhängung der Todesstrafe sowie die zwangsweise Rückführung von Flüchtlingen in deren Heimatländer, obwohl ihnen dort schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen bis hin zur Todesstrafe drohen, waren für ai wiederholt Anlaß, bei den Behörden der Emirate vorstellig zu werden.

Gerade in den vergangenen Jahren sind der Organisation mehrfach Fälle von Jugendlichen – zum Teil von Ausländern – bekanntgeworden, die beispielsweise wegen Diebstahls zu mehreren hundert Peitschenhieben verurteilt wurden. Ein somalischer Junge im Alter von damals 14 Jahren war von 1987 bis Januar 1990 ohne Gerichtsverfahren in Haft, ohne daß er selbst eine Straftat begangen hätte. Seine Inhaftierung hing vermutlich mit der politischen Betätigung seines im Exil lebenden Vaters zusammen. Während der Haft soll der Junge mit 200 Peitschenhieben bestraft worden sein.

Mehrere Iraker, die seit 1987 vermutlich wegen ihrer politischen Sympathien für schiitische Oppositionsgruppen verhaftet worden waren, berichteten nach ihrer Freilassung von Folterungen durch Elektroschocks, Schlafentzug, Falaqa (Schläge auf die Fußsohlen), Androhung sexuellen Mißbrauchs und andere Zwangsmaßnahmen. Man drohte ihnen auch mit zeitlich unbegrenzter Haft und der Auslieferung nach Irak, wo sie harte Strafen erwartet hätten. Haftbefehle waren ihnen während der mehrere Monate andauernden Haft zu keinem Zeitpunkt vorgelegt worden.

Todesurteile können in den Vereinigten Arabischen Emiraten wegen einer Vielzahl von Delikten – darunter auch Ehebruch – verhängt werden. 1984 wurden beispielsweise ein Inder und eine schwangere Srilankerin wegen Ehebruchs zur Steinigung bis zum Tode verurteilt. Erst nach internationalen Protesten wurden die Todesurteile umgewandelt in Haftstrafen und Peitschenhiebe verbunden mit der Abschiebung.

Türkei

Mehrere tausend Menschen sitzen im NATO-Land Türkei aus politischen Gründen, darunter Hunderte von gewaltlosen politischen Gefangenen. Politische Verfahren vor türkischen Militär- und Staatssicherheitsgerichten entsprechen nicht im entferntesten den international anerkannten Standards für ein faires Gerichtsverfahren. Landesweit wird beim Verhör und in der Haft gefoltert, und dies so rückhaltlos, daß bereits mehrere Personen an den Folgen der körperlichen Tortur gestorben sind. amnesty international liegen zahlreiche Berichte Gefolterter vor, die von ärztlichen Attesten untermauert werden und beweisen, daß Folter in der Türkei systematisch angewandt wird.

Besonders gravierende Menschenrechtsverstöße registriert ai seit Jahrzehnten in den kurdischen Gebieten. In der Türkei, vornehmlich im Südosten des Landes, wo acht Provinzen unter Notstand stehen, lebt eine etwa zehn Millionen Menschen zählende kurdische Minderheit, die keine Anerkennung findet. Das Recht auf eine kulturelle Identität haben ihnen aufeinanderfolgende Regierungen versagt; in der Öffentlichkeit ist es verboten, Kurdisch zu sprechen. Immer wieder werden aus den kurdischen Gebieten Folterungen und Mißhandlungen in Haft gemeldet, die sich seit dem Militärputsch im Jahre 1980 gemehrt haben. Seit kurdische Untergrundkämpfer, Mitglieder der »Kurdischen Arbeiterpartei« (PKK), im August 1984 zum bewaffneten Kampf übergegangen sind, dringt aus den Provinzen im Osten und Südosten der Türkei eine alarmierende Zahl von Meldungen über die Mißhandlung von Gefangenen an die Öffentlichkeit. Verantwortlich für diese Menschenrechtsverletzungen sind die Sicherheitskräfte.

Ankara zog sich im August 1990 offiziell von den Artikeln 5,6,8,11 und 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention zurück, die den Bürgerinnen und Bürgern der Unterzeichnerstaaten ein Recht auf Freiheit und Sicherheit, einen Anspruch auf rechtliches Gehör, die Achtung von Familie, Heim und Briefverkehr sowie Versammlungsfreiheit garantieren. Die Türkei hat die Europäische Antifolterkonvention am 25. Februar 1988 ratifiziert. Am 2. August 1988 ratifizierte sie außerdem das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die Folter. Gegen beide Konventionen wird in der Türkei tagtäglich verstoßen.

Sorge bereitet ai auch die Todesstrafengesetzgebung in dem Land. Im November 1990 belief sich die Zahl der zum Tode verurteilten Personen, die alle Rechtsmittel ausgeschöpft haben, auf 315. Die Todesurteile liegen dem türkischen Parlament zur Bestätigung vor. Einige der Gefangenen befinden sich bereits seit über zehn Jahren in Haft. Die Mehrzahl von ihnen wurde wegen politisch motivierter Vergehen verurteilt. Seit 1984 wurde in der Türkei keine Hinrichtung mehr vollstreckt, doch wurden gerade in jüngster Zeit wieder Stimmen laut, die eine Diskussion über die Frage der Vollstreckung von Todesurteilen neu entfachten. Das Leben der Menschen, deren Todesurteile dem Parlament zur Annahme vorliegen, ist erst dann gesichert, wenn ihre Urteile in Haftstrafen umgewandelt werden.

Anmerkungen

1) Wir haben dieser Liste den Abschnitt über Israel hinzugefügt, dabei aber nur auf ai-Statements zurückgegriffen. s.u. Zurück

2) Mündliche Stellungnahme von amnesty international vor der 47. Sitzung der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen in Genf am 29. Januar 1991 Zurück

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1991/1 Nach dem Golfkrieg, Seite