W&F 2011/2

Militärisch-industrieller Komplex im Wandel

von J. Paul Dunne und Elisabeth Sköns

Als erster sprach US-Präsident Eisenhower von einem militärisch-industriellen Komplex (MIK). 1962 zeigte er eine historische Besonderheit auf: den Aufbau eines großen militärischen Establishments und einer wehrtechnischen Industrie, beide auf Dauer miteinander verbunden. Er fand es höchst bedenklich, dass diese gesellschaftlichen Kräfte ohne jede Befugnis enormen Einfluss ausübten. Der folgende Beitrag untersucht, wie sich das Wesen des MIK im Laufe der Jahrzehnte geändert hat und inwieweit es eine Kontinuität der alten Machtstrukturen und des MIK gibt.

Dwight Eisenhower, republikanischer US-Präsident und im Zweiten Weltkrieg Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte in Europa, verweist in seiner Abschiedsrede von 1961 als erster auf die bedenklichen Auswirkungen des „Zusammenspiels eines gewaltigen militärischen Establishment und einer Rüstungs-Großindustrie“, die er als „eine neue Erfahrung für Amerika“ bezeichnete. Er warnte Regierungskreise: „[W]ir müssen uns davor hüten, dass der militärisch-industrielle Komplex unbefugt Einfluss ausübt, ob dies nun beabsichtigt oder unbeabsichtigt geschieht. Das Potential für den katastrophalen Anstieg unangebrachter Macht besteht und wird weiter bestehen.“ (Eisenhower 1961, 162).

Später wurde das Konzept des militärisch-industriellen Komplexes (MIK) von Sozialwissenschaftlern weiter entwickelt und meinte eine Koalition von Staatsapparat und Industrie, deren Entscheidungen im eigenen Interesse liegen und nicht unbedingt im Interesse der nationalen Sicherheit. Im Laufe der Zeit wurden unter dem Begriff überdies nicht mehr ausschließlich die Interessen im militärischen Establishment und in der Rüstungsindustrie subsumiert, sondern auch die von politischen Organen (Dunne, 1995).

In vielen Analysen gilt der MIK als ein markantes und konstantes Merkmal des Kalten Krieges, als Bedrohungen überbetont wurden, um unsinnig hohe Militärausgaben zu begründen. In der Literatur bezeichnet das MIK-Konzept häufig Gruppen in der Gesellschaft, die von Militärausgaben und ihrem Wachstum profitieren, es bleibt aber oft vage oder sogar widersprüchlich, was genau damit gemeint ist (Fine, 1993). Mit dem Ende des Kalten Krieges wandelte sich die Sicherheitslage grundlegend, und dies wirkte sich zunächst tiefgreifend auf den militärischen Sektor aus. Die Militärausgaben wurden gekürzt und die militärischen Anforderungen und Technologien veränderten sich, was zu erheblichen Verschiebungen in der wehrtechnischen Industrie und in der Beziehung zwischen den entsprechenden Unternehmen, dem Militär und der Legislative führte (in letzterer werden die Gelder verteilt) (Chapman und Yudken, 1992).

Der militärisch- industrielle Komplex

Im Kern bezieht sich jede theoretische Betrachtung des MIK auf die Existenz einer starken wehrtechnischen Industrie, mit der sich eigennützige Interessen anderer gesellschaftlicher Gruppen verbinden. Was Smith (1977) als liberalen oder institutionellen Ansatz beschreibt, beruht auf dem Wesen des MIK als Zusammenschluss kollidierender Interessengruppen und institutioneller Verbindungen. Der MIK wird zur sich selbst generierenden Agentur, die die Interessen verschiedener Gruppen in der Gesellschaft verkörpert. Die Stärke der eigennützigen Interessen und ihr Wettbewerb um Ressourcen führt zu Druck von innen, Militärausgaben zu tätigen, wobei zur Begründung die äußeren Bedrohungen oft überbetont werden. Das führt dazu, dass der MIK dem Rest der Gesellschaft unnötige Lasten aufbürdet, mit negativen Auswirkungen auf den zivilen Bereich. Der MIK verdrängt zivile Ressourcen, die beteiligten Unternehmen entwickeln eine Kultur der Ineffektivität und Verschwendung, sie werden immer abhängiger von wehrtechnischen Aufträgen und verlieren auf dem zivilen Markt allmählich ihre Konkurrenzfähigkeit (Melman 1985; Dumas, 1986).

Die theoretische Untermauerung dieser Arbeiten lieferte ursprünglich C. Wright Mills mit seiner Analyse der Machteliten, aber es gibt auch Theorien, die dem Weberschen Fokus auf die Rolle der Bürokratie und den Arbeiten von Galbraith zur Koalitionenbildung folgen (Slater und Nardin, 1973). In den USA sind auch die Arbeiten von Veblen zur Relevanz militärischer »Vergeudung« für die ideologische und institutionelle Struktur der US-Wirtschaft zu nennen (Cypher 2008).

Ferner liegen einige marxistische Studien zum MIK vor, deren Argumentationsmuster sich tendenziell durch die Behandlung von Krisen und die Relevanz von Militärausgaben für die Kapitalakkumulation unterscheiden (Dunne und Sköns, 2010; Dunne, 1990). Am bekanntesten ist der Ansatz des Nachfragemangels, den Baran und Sweezy (1966) entwickelten. In ihrer Theorie sind Militärausgaben wichtig zur Verhinderung von Kapitalisierungskrisen, da sie – anders als die sonstigen Staatsausgaben – ohne Lohnerhöhungen die Absorption des volkswirtschaftlichen Überschusses und damit die Aufrechterhaltung der Profitrate ermöglichen. Ein ähnlicher Ansatz, der aber die Tendenz kapitalistischer Ökonomien zur Überproduktion in den Mittelpunkt stellt, zielt auf die permanente Rüstungswirtschaft. In dieser Theorie sind Militärausgaben Verschwendung, und die Bereitstellung von Ressourcen für das Militär verhindert eine Überhitzung. Folglich kann die Ineffizienz des MIK und der wehrtechnischen Industrie als positive Faktoren eingestuft werden, und die Entwicklung des MIK spielt eine positive Rolle für der kapitalistische Entwicklung (Howard und King, 1992).

Das Konzept des MIK ist zwar aus den besonderen historischen Umständen des Kalten Kriegs erwachsen, es scheint aber mehr als deskriptives denn als analytisches Konzept zu taugen (Fine, 1993). Das hat einige Forscher veranlasst, sich auf der empirischen Ebene mit der Dynamik des MIK zu befassen. Smith und Smith (1983) beispielsweise argumentieren, dass der MIK eine Interessenkoalition sei und dass Strukturpaarungen in den Blick genommen werden sollten, die zwischen bestimmten Sektoren der Privatindustrie und bestimmten Teilen des Militärs entstanden sind, wodurch sich unvermeidlich beiderseitige Interessen herausgebildet haben. So betrachtet kann das MIK-Konzept durchaus noch ein sinnvoller Ansatz zum Verständnis der Dynamik des modernen Militärsektors sein.

Gewandelte Sicherheitslage

Das Ende des Kalten Krieges hat zu einem tief greifenden Wandel im internationalen Sicherheitsumfeld geführt. Die globalen Militärausgaben und Rüstungsexporte erreichten Mitte der 1980er Jahre einen Höhepunkt und sanken aufgrund der verbesserten Ost-West-Beziehungen zunächst langsam und mit der Auflösung der Sowjetunion rasch. Während die Militärausgaben in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion (vor allem in Russland) nur noch einen Bruchteil derer der UdSSR ausmachten, fielen die Kürzungen in den USA nicht so radikal aus, was der dominanten Rolle der USA in der Welt nach dem Kalten Krieg entspricht.

Die fixen Forschungs- und Entwicklungskosten für Großsysteme steigen nach wie vor, und zwar bei den Plattformen wie bei den Infrastruktursystemen (z. B. Satelliten oder strategische Systeme der Luftwaffe) und Informationssystemen zur Unterstützung der netzzentrierten Kriegsführung, die Teil der so genannten »Revolution in Military Affairs« sind. Angesichts der langen Vorlaufzeiten und der Verpflichtungen, die staatliche Stellen, Forschungsteams und Unternehmen eingegangen sind, bleibt der Druck erhalten, diese Waffensysteme weiterhin zu produzieren und eine Funktion für sie zu finden. Da aber keine Bereitschaft bestand die wehrtechnische Planung im selben Maß zu kürzen wie die Verteidigungshaushalte, ergab sich vor allem in den USA eine Diskrepanz, die Druck für erneute Steigerungen des Militärhaushalts erzeugte.

In den Jahren nach 2000 wurde zunehmend deutlich, dass die USA und die NATO wohl keine Gegner hatten, die zu einer symmetrischen Antwort in der Lage wären, asymmetrische guerilla-ähnliche Konflikte wurden dagegen wahrscheinlicher. Für diese werden aber ganz andere Waffensysteme gebraucht. Da die Gegner im vagen blieben und ein stärkerer Fokus auf »Innere Sicherheit« (bzw. in den USA »Heimatschutz«) gelegt wurde, änderte sich die Nachfrage. Vor allem Kommunikations- und Überwachungstechnologien spielen eine größere Rolle. NATO- und EU-Truppen nehmen überall in der Welt immer häufiger an so genannten Peacekeeping-Missionen teil. Dadurch änderten sich der Charakter und die Struktur der Streitkräfte, und die Nachfrage verlagerte sich auf Hightech-Systeme, die überwiegend im zivilen IT-Sektor entwickelt werden. Während also viele der langfristigen Waffenprogramme aus der Zeit des Kalten Krieges weiterlaufen, kam es gleichzeitig zu einem deutlichen und entscheidenden Wandel bei der Technologie (Brzoska, 2005; Dunne und Sköns, 2010).

Aufgrund der anhaltend rasanten Entwicklung bei vielen zivilen Technologien hat sich das relative Gewicht von militärischen und zivilen Technologien in etlichen Hightech-Bereichen verschoben. Vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis in die 1980er Jahre hatte die Militärtechnologie gegenüber der zivilen die Nase vorn, seit den 1990er Jahren hinkt die Militärtechnologie aber in vielen Bereichen hinter der zivilen her, insbesondere in der Elektronik. Das liegt vor allem an den langen Vorlaufzeiten der militärischen Beschaffungszyklen, die dazu führen, dass eine Technologie häufig schon veraltet ist, bevor die Systeme in Dienst gestellt werden (Smith, 2009).

War in der Vergangenheit der zivile »Spin-off« von Militärtechnologie ein wichtiges Argument für die Wertschöpfung aus militärischer Produktion, gibt es nun eher einen »Spin-in« von zivilen Technologien zum Militär. Viele Technologien, die einst die Domäne von Militär und Sicherheitsdiensten waren, beispielsweise Kryptographie, werden jetzt überwiegend kommerziell eingesetzt, und immer mehr Komponenten, die in große Waffensystemen verbaut werden, kommen »von der Stange« und werden von Unternehmen produziert, die sich nicht unbedingt der Rüstungsindustrie zurechnen würden (Brzoska, 2005). Elektronik- und IT-Unternehmen, die in der Vergangenheit wenig mit Rüstungsproduktion zu tun hatten, gehören nun plötzlich zur wehrtechnischen Industrie und werden gelegentlich auch zum Ziel der Diversifizierungstendenzen der großen Rüstungsunternehmen (Sköns und Dunne, 2008; Dunne, 1995; Dunne et al., 2007).

Anders als Kleinwaffen werden große Waffensysteme nur in relativ wenigen Staaten gefertigt. Obwohl Wehrtechnikunternehmen auch auf die heimische Unterstützung, d.h. auf Beschaffungsmaßnahmen und Exporthilfen, angewiesen und deshalb nicht wirklich »transnational« sind, haben sie sich nichtsdestotrotz internationalisiert. So versuchen z.B. große wehrtechnische Unternehmen aus anderen Ländern in den USA Firmen aufzukaufen und so auf diesem großen Wehrtechnikmarkt Fuß zu fassen. Die Unternehmen internationalisieren außerdem ihre Lieferketten. Die Regierungen finden sich damit ab, dass die Kosten von Hightech-Forschung und -Entwicklung durch die sinkenden Verkaufszahlen im Inland nicht mehr gedeckt sind und dass folglich an einer internationalen Zusammenarbeit und industriellen Strukturmaßnahmen kein Weg vorbeiführt. Das war vor ein paar Jahrzehnten noch ganz anders, als die Regierungen Wert auf eine umfassende nationale wehrtechnische Industrie legten (Dunne und Sköns, 2010).

Das zunehmende Outsourcing von Militärdienstleistungen führte zu einer erheblichen Ausweitung von privaten Militärdienstleistern (Singer 2003, Wulf 2005). Diese Entwicklung verstärkte sich durch den Irak-Krieg, für den zahlreiche Militärdienstleister unter Vertrag genommen wurden. Infolgedessen konzentrierten sich mehr Großunternehmen auf Militärdienstleistungen (Perlo-Freeman und Sköns, 2008). Das könnte dazu führen, dass sich nur noch die größten Unternehmen auf den Verteidigungssektor spezialisieren und dass sich der Unternehmensmix auf dem Verteidigungssektor hin zu IT- und Serviceunternehmen verlagert (Dunne, 2006, Dunne und Surry, 2006). Die Zutrittsbarrieren zu diesem Marktsegment bleiben wahrscheinlich hoch, da Militärgüter ganz anders vermarktet werden müssen als kommerzielle Produkte und gute Kontakte wichtiger sind als Werbekampagnen. (Dunne und Sköns, 2010).

Auch wenn es in der industriellen Basis des MIK erhebliche Veränderungen gab, sind die wesentlichen Charakteristika der Unternehmen seit dem Kalten Krieg im Großen und Ganzen gleich geblieben. Es gibt zwar weniger Großunternehmen und diese haben auf neue Sicherheitsprodukte umgestellt, sie sind aber immer noch dominant und verfügen oft über erhebliche Monopolmacht und Einfluss auf die Regierungspolitik. Die Internationalisierung hat ihnen neue Freiheiten verschafft, sie hängen aber nach wie vor vom Inlandsmarkt und der Unterstützung ihrer Regierungen ab. In einigen neuen Bereichen setzten sich auch Newcomer durch, konnten die etablierten Unternehmen aber nicht aus den Schlüsselbereichen der Rüstungsproduktion verdrängen.

Das Verhältnis von Staat und Industrie

Mit dem Ende des Kalten Krieges änderten viele Regierungen ihre Haltung zur Rüstungsindustrie. Aufgrund der Kürzungen der Militärausgaben hinterfragten selbst die großen Ländern ihre Fähigkeit, eine umfassende nationale wehrtechnische Industrie aufrecht zu erhalten. Die veränderte Sicherheitslage machte es schwerer, die frühere Unterstützung für die Industrie zu rechtfertigen, und in einigen Ländern wurden wettbewerbsorientierte Beschaffungsrichtlinien eingeführt, um ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis zu erzielen (Dunne und Macdonald, 2001).

In den USA kam es zu einer erstaunlichen Umorientierung der Industriepolitik. Im Kalten Krieg war das Pentagon für die Industrieplanung zuständig, allerdings ging es dabei nur indirekt um Planung. 1993 teilte der stellvertretende Verteidigungsminister William Perry bei einem Dinner (dem so genannten »letzten Abendmahl«) Führungskräften aus der wehrtechnischen Industrie mit, dass das Verteidigungsministerium in Zukunft Unternehmenszusammenschlüsse bezuschussen werde und sich davon Einsparungen erwarte. Diese Politik wurde aufgegeben, als der Konzentrationsprozess so weit fortgeschritten war, dass er wettbewerbsschädlich wurde und dem Kostentrend zuwider lief, den sich das Pentagon erhofft hatte. Anfang 1997 wurde der Zusammenschluss von Lockheed Martin und Northrop Grumman untersagt (Markusen und Costigan, 1999).

In Europa mit seinen deutlich kleineren Märkten führte bei der Umstrukturierung kein Weg an grenzüberschreitenden Fusionen vorbei, mit all den damit verbundenen Problemen. Die großen Akteure in Europa wiesen recht unterschiedliche Eigentumsstrukturen auf, in Frankreich gehört sogar der Staat selbst zu den Unternehmern. Beides machte einen kapitalgetriebenen Fusionsprozess wie in den USA schwieriger. Trotzdem kam es zu einem Konzentrationsprozess, und bis 2005 kam es in Westeuropa in der Luft- und Raumfahrt sowie in der Elektronikindustrie zu grenzüberschreitenden Verflechtungen und Kooperationsabkommen. Die Verflechtungen in der wehrtechnischen Industrie erstreckten sich aber auch über den Atlantik (Dunne und Sköns, 2010).

Allerdings ist der Konzentrationsprozess in der wehrtechnischen Industrie noch nicht so weit fortgeschritten wie in vergleichbaren Hightech-Industrien, was darauf hin weist, dass Beschaffung, Produktion und Verkauf von Waffensystemen noch nicht den Gesetzen des freien Marktes folgen. Das könnte auch mit einer starken Segmentierung der Rüstungsindustrie zusammenhängen, wo der Konzentrationsprozess in der Luft- und Raumfahrt und Elektronik weiter vorangeschritten ist als in anderen Industriezweigen. Auf internationaler Ebene gibt es in Luft- und Raumfahrt und Elektronik oligopolistische Tendenzen, während die Industrie in anderen Bereichen national fragmentiert bleibt (Sköns, 2009; Dunne et al., 2007).

Auch die Privatisierung ehemaliger Staatsunternehmen hatte Auswirkungen auf die Integration der westeuropäischen wehrtechnischen Industrie, da Firmen, die zuvor vom Staat kontrolliert wurden, nun nach den Geschäftsprinzipien von Privatunternehmen operieren mussten. Wie sich der Einfluss und die Kontrolle von Regierungsseite wirklich auswirkten, ist allerdings nicht eindeutig auszumachen, sondern ist von Land zu Land unterschiedlich, je nachdem, welche Politik eine Regierung gegenüber der privaten wehrtechnischen Industrie in ihrem Land verfolgte. Langfristig hat vielleicht die Entwicklung einer Sicherheitsindustrie außerhalb des traditionellen wehrtechnischen Sektors größere Konsequenzen: Die privatisierte Militärindustrie bietet outgesourcte Militärdienstleistungen an, die bislang vom militärischen Establishments erbracht wurde, und die Sicherheitsindustrie bietet Güter und Leistungen für die persönliche Sicherheit zwar primär im privaten Sektor an, aber zunehmend auch für die öffentliche Hand (Sköns, 2009).

Aus historischen Gründen sind wehrtechnische Unternehmen und Einrichtungen über das Land verteilt, und es gibt Gemeinden, die stark von der wehrtechnischen Industrie abhängen. Mit dem Wandel in Industrie und Sicherheit ändert sich auch das geographische Muster. Unternehmensschließungen stellen die Gemeinden vor große Probleme, da sich die Arbeitsplätze oft nicht leicht ersetzen lassen. Es gibt zwar Hinweise dafür, dass die hoch qualifizierten Mitarbeiter relativ rasch neue Arbeitsstellen finden, die sind aber in der Regel an anderem Ort und schlechter bezahlt. Die stärkere Internationalisierung der Lieferketten hat auch Konsequenzen für die geographische Verteilung von Produktion und Beschäftigung, sodass die Großunternehmer keine so große Rolle mehr für die traditionelle örtliche Wirtschaft spielen (Dunne und Sköns, 2010; Dunne, 2006).

All dies veränderte das Verhältnis von Staat und Industrie im Vergleich mit dem MIK der Kalte-Krieg-Zeit, die nationalen Regierungen spielen aber immer noch eine dominante Rolle, und es besteht weiterhin ein enges Verhältnis zwischen Regierung, Industrie und Militär. In Europa sind durch die Privatisierungswelle die direkten Beziehungen zum Staat loser geworden, die indirekten sind aber weiterhin wirkmächtig, wenn auch in mancher Hinsicht weniger sichtbar als in den USA. Das Gefüge eigennütziger Interessen hat sich gewandelt und ausgeweitet, als Lobbygruppe bleibt der MIK aber in allen Ländern einflussreich.

Kontinuität und Wandel

Die Theorien zum militärisch-industriellen Komplexes unterliegen einem Wandel, sie sind aber hilfreich, um zu verstehen, wie es das militärische Establishment in den USA und anderen entwickelten Industrieländern im Kalten Krieg schaffte, die Regierung zu beispiellosen Mittelzuweisungen zu bewegen. Auch die Militärausgaben und die Rüstungsproduktion nach dem Ende des Kalten Krieges lassen sich mit dem MIK gut erklären. Inzwischen hat sich der MIK gewandelt, nicht aber die Dynamik und der Einfluss eigennütziger Interessen.

Auf internationaler Ebene wächst die Dominanz der USA, die Verflechtungen zwischen den USA und Europa nehmen zu, und die Lieferketten dehnen sich geographisch aus. Die alten Rüstungsproduzenten bleiben dominant, obwohl auch sie sich umstrukturieren mussten und zu Systemintegratoren wurden, Unteraufträge an Unternehmen außerhalb der Rüstungsindustrie und in anderen Ländern vergeben werden und an die Stelle des militärischen Spin-offs der Spin-in getreten ist. Zahlreiche neue Unternehmen mischen auf dem neuen Sicherheitsmarkt mit, manchmal ohne selbst zu realisieren, dass sie in die Rüstungsproduktion verwickelt sind, weil ihre zivilen Produkte in Waffensysteme integriert werden. Wichtige neue Akteure sind auf den Plan getreten, und die alten Platzhirsche haben viele Firmen aufgekauft, um Expertise in neuen Bereichen zu erwerben.

In Europa hat sich der Markt gewandelt, aufgrund von Privatisierung und EU-Gesetzgebung aber auch das Verhältnis zwischen Staat und Industrie, das manchmal bedenklich eng und undurchsichtig ist. Ob sich daraus ein europäischer MIK entwickelt, wird sich weisen, dagegen sprechen eventuell die engen transatlantischen Beziehungen zwischen den USA und Großbritannien.

Bei allen Veränderungen zeichnet sich der MIK mit seinem Eigennutz und seinem Einfluss weiterhin durch eine beträchtliche Kontinuität aus. Im Grunde genommen wird der internationale Rüstungsmarkt nicht von einer ökonomischen sondern von einer politischen Logik gesteuert. Durch die Restrukturierung ist der MIK nicht weniger beherrschend und mächtig, wohl aber weniger sichtbar, unkontrollierbarer und internationaler geworden, was erhebliche Governance-Probleme aufwirft. Jeder Versuch, diesen Sektor zu kontrollieren und zu managen, bedarf in Zukunft eines internationalen Ansatzes.

Literatur

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J. Paul Dunne ist Professor für Wirtschaftswissenschaft an der University of the West of England in Bristol und an der University of Cape Town. Elisabeth Sköns ist Geschäftsführerin des Programms zu Militärausgaben und Waffenproduktion beim Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI). Übersetzt von Rüdiger Zimmermann und Regina Hagen

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2011/2 Kriegsgeschäfte, Seite 14–18