W&F 2009/2

»Nachgang« zum Georgienkrieg

Chancen einer Status-neutralen Annäherungsstrategie für Abchasien und Südossetien

von Oliver Wolleh

Der Beginn des Krieges in Südossetien im August 2008 und der daraus resultierende georgisch-russische Krieg stellt in vielerlei Hinsicht eine tiefe Zäsur in der Regulierung des georgisch-abchasischen und des georgisch-südossetischen Konfliktes dar. Die Diskussion der georgischen Krise ist bislang stark durch Betonung der geopolitischen Faktoren und Dynamiken geprägt. Dieser Artikel hat zum Ziel, die Diskussion um die Struktur des internationalen Konfliktregulierungs-Systems zu bereichern. Dazu werden einige potenziell positive Anknüpfungspunkte näher betrachtet, die auf der Ebene der (lokalen) Primärakteure liegen. Der Beitrag basiert auf der Annahme, dass eine genuine georgisch-abchasische und georgisch-südossetische Konfliktdynamik existiert.

Die katastrophalen Verluste und Konsequenzen des Georgienkriegs – vor allem für die direkt betroffenen Menschen in Südossetien und Georgien – sollen an dieser Stelle nicht näher ausgeführt werden.1 Obwohl der Bericht der unabhängigen EU-Kommission zum Kriegsverlauf noch aussteht, ist bereits jetzt deutlich dass – mit den Worten der Parlamentarischen Versammlung des Europarats – von „overwhelming evidence“ zu sprechen ist „dahingehend, dass beide, Georgien und Russland, Menschenrechte und Humanitäres Völkerrecht im Laufe des Krieges verletzt haben.“2

Eskalationsdynamiken

Die georgisch-abchasische und die georgisch-südossetische Konfliktdynamik war seit den Kriegen Anfang der 1990er Jahre keineswegs »eingefroren«, sondern durch immer wieder auftretende gewaltsame Eskalationsdynamiken geprägt. An dieser Stelle seien die Ereignisse des Jahres 1998 erwähnt, bei denen die abchasische Armee als Reaktion auf die gewaltsamen Aktivitäten georgischer Paramilitärs in der Gali-Region intervenierte und die bis dahin nach Abchasien zurückgekehrte georgische Bevölkerung erneut zu Vertriebenen und »Internally Displaced Persons« bzw. Flüchtlingen wurden. Im Sommer 2004 kam es zum Beschuss der südossetischen Hauptstadt Zchinwali durch die georgische Armee, nur wenige Monate nach der Amtsübernahme durch Präsident Saakashvili, sowie im Juli 2006 zur Kontrollnahme über das zu Abchasien gehörende Kodori-Tal durch Georgien.

Das Jahr 2006 kann als ein wichtiger Wendepunkt zur Verschlechterung der Beziehungen sowohl im georgisch-südossetischen als auch im georgisch-abchasischen Kontext gesehen werden. Obwohl nach dem gewaltsamen Zwischenfall in Zchinvali (vom Sommer 2004) der georgisch-südossetische Waffenstillstand im August desselben Jahres erneuert wurde, hatten sich die Beziehungen dramatisch verschlechtert. Im Zuge der Parlamentswahlen in Südossetien im Jahr 2006 etablierte Tiflis in dem von ihm kontrollierten Teilregionen Südossetiens eine Georgien-treue Nebenregierung unter Dimitri Sanakojew. Mit der Schaffung dieser parallelen Administration kam auf georgischer Seite die Forderung auf, dass auch diese an den Verhandlungen teilnehmen sollte. Dies wurde von südossetischer Seite abgelehnt, so dass der Verhandlungsprozess bis zum August-Krieg zum Stillstand kam.

Im abchasischen Kontext kann die bereits erwähnte Kontrollnahme über das Kodori-Tal als einer der zentralen Wendenpunkt in der Verschlechterung der georgisch-abchasischer Beziehungen bezeichnet werden, der letztlich maßgeblich zu der Dynamik des August-Krieges beigetragen hat. Ende 2005 waren die georgisch-abchasischen Verhandlungen über ein »Abkommen zur Nicht-Wiederaufnahme von Feindlichkeiten« gescheitert. In den vom Berghof Forschungszentrum ermöglichten informalen Dialogprozessen hatte der georgische Minister für Konfliktlösung und spätere präsidentielle Gesandte Kontakte zur abchasischen Führung gesucht und die Idee einer Gewaltverzichtserklärung erörtert.3 Die Idee wurde im offiziellen VN-Verhandlungsrahmen aufgegriffen und zu unterschriftsreifen Übereinkünften entwickelt. Im Dezember unterschrieben der abchasische De-facto-Außenminister Schamba und der georgische Minister für Konfliktlösung Khaindrava im Beisein der Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs Frau Tagliavini eine Übereinkunft, die Entwürfe den jeweiligen Präsidenten zur Unterschrift vorzulegen. Ein wichtiger Teilschritt zur Verbesserung der Beziehung schien fast abgeschlossen bis die Übereinkunft von Präsident Saakaschvili abgelehnt wurde und Minister Khaindrava schließlich am 21. Juli 2006 – vier Tage vor der Kodori-Operation – zurücktrat.

Die Präsenz georgischer Soldaten und Polizisten in dem strategisch bedeutsamen Tal, das direkt auf die Hauptstadt Abchasiens, Sochumi, zuläuft, wurde auf abchasischer Seite als ernste Sicherheitsbedrohung wahrgenommen.4 Die russischen Peacekeeper, welche laut Mandat den Zugang zu der Schlucht hätten kontrollieren müssen, hatten sich wie auch bei den anderen größeren Gewaltzwischenfällen nicht als effektive Schutzmacht erwiesen, um das georgische Eindringen zu unterbinden.5

Neben diesem militärischen Sicherheitsaspekt wurde die georgische Aktion politisch-symbolisch aufgeladen, da Präsident Saakashvili den Sitz der bis dahin in Tiflis ansässigen abchasischen Exilregierung, die aus nach dem Krieg von 1992/93 geflohenen Georgiern besteht, in das in »Oberabchasien« umbenannte Kodori-Tal verlagerte und die Rückkehr der »legitimen abchasischen Regierung« nach Abchasien proklamierte.

Der Versuch der Führung in Tiflis, die abchasische Exilregierung international als gleichwertigen Akteur neben der Regierung in Sochumi zu etablieren, indem alle internationalen Diplomaten und ausländischen NGO-Vertreter für den Fall ihrer geplanten Reise nach Sochumi erst bei der Exilregierung vorsprechen sollten, schlug fehl, nachdem der abchasische Präsident Bagapsch gedroht hatte, dass Personen, die diesem Prozedere entsprechen würden, nicht mehr nach Abchasien einreisen könnten. Die Forderung des Abzugs der abchasischen Exilregierung wurde anfänglich von Seiten Sochumis erhoben, in den folgenden Jahren jedoch nicht mehr artikuliert, um diesen Akteur nicht politisch aufzuwerten.6

Zudem reagierte die abchasische Führung auf diese Entwicklung mit Stornierung der UN-moderierten Verhandlungen und stellte für deren Fortsetzung zwei Kernforderungen auf. Zum einen die nach Rückzug des georgischen Militärs und der georgischen Polizei aus dem Kodori-Tal, zum anderen die nach Unterzeichnung einer bilateralen Gewaltverzichtserklärung mit Georgien.

Parallel zu diesen Forderungen fing die abchasische Führung ihrerseits an, ein militärisches Vorgehen anzudrohen, wenn sich die (wahrgenommene) militärische Bedrohungssituation nicht zufriedenstellend entschärfen sollte.7 Eine abchasische Kompromissformel, die allen Seiten eine Gesichtswahrung erlaubt hätte, sah im Kern vor, dass die (georgische) polizeiliche Kontrolle des Kodori durch die lokale Bevölkerung (in georgischen Uniformen) und nicht durch aus dem Kernland Georgiens entsandte Kräfte erfolgen sollte. Mit der »Lokalisierung« der Polizeikräfte wäre auch der Demilitarisierung des Kodori Vorschub geleistet und die auf abchasischer Seite wahrgenommene Sicherheitslücke geschlossen worden. Gleichzeitig wäre die Schlucht unter georgischer Kontrolle verblieben und hätte die georgische Position nach »territorialer Integrität« nicht hinterfragt.8 Diese Lösungsformel zur Wiederbelebung des Verhandlungsprozesses wurde jedoch nicht weiter verfolgt, so dass wie im südossetischen Kontext die Verhandlungsblockade bis zum Ausbruch des August-Krieges bestehen blieb.

Im georgischen Verständnis war die Kontrollnahme über das Kodori-Tal ein erneuter Schritt zur Wiederherstellung territorialer Integrität, eine Position, die auch von der US-Administration geteilt wurde. Die europäischen Reaktionen fielen demgegenüber differenzierter aus. Einerseits wurde von Seiten der EU anerkannt und bestätigt, dass man die Wiederherstellung territorialer Integrität Georgiens unterstütze, andererseits wurde kritisiert, dass die Aktion das Moskauer Waffenstillstandsabkommens (von 1994) verletzte. Ebenso missbilligte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen das georgische Vorgehen. Aussagekräftiger über die vorhandenen Dynamiken sind indes die Berichte des UN-Generalsekretärs. In seinem Bericht vom September 2006 werden dreizehn georgische Verletzungen des Moskauer Waffenstillstandsabkommens im Gefolge der „Einführung von Truppen, Militärfahrzeugen und Flugzeugen in die Sicherheitszone“ 9 benannt.

Die europäische Kritik und die Besorgnisse der UNOMIG (United Nation Observer Mission in Georgia) blieben indes in Tiflis ungehört und hatten keine nennenswerten Konsequenzen für die Saakashvili-Regierung. Darüber hinaus gelang es den russischen GUS Peacekeepern sowie der UNOMIG nicht, in den verbleibenden zwei Jahren bis zum August-Krieg, georgische Truppenverlagerungen in das Kodori-Tal zu unterbinden, wie die Berichte des UN Generalsekretärs belegen.

Die Kodori-Ereignisse haben daher die »Anarchisierung« der georgisch-abchasischen, georgisch-südossetischen und georgisch-russischen Konfliktdynamik noch einmal intensiviert. Auf georgischer Seite setzte sich die Überzeugung fest, dass die in zahlreichen UN-Resolutionen erwähnte Wiederherstellung der territorialen Integrität mit allen Mitteln erfolgen kann, ohne weitere politische Konsequenzen nach sich zu ziehen, während auf abchasischer, südossetischer und letztlich russischer Seite die Schlussfolgerung gezogen wurde, dass man bei der nächsten kriegerischen Auseinandersetzung die georgischen Offensivkapazitäten auch im Kernland Georgiens zerstören muss. Diese Schlussfolgerungen sind auch so – zumindest auf abchasischer Seite – kommuniziert worden und es kann als Versagen aller am Verhandlungsprozess beteiligten Akteure gewertet werden, dass es nicht gelungen ist, eine effektive Sicherheitsarchitektur zu schaffen.

Mit dem Ausbruch der Kämpfe in Südossetien kündigten die Abchasen ihren Angriff auf das Kodori-Tal an und nahmen es nun ihrerseits unter Verletzung des Waffenstillstandabkommens von 1994 ein. Bemerkenswert bei diesem Vorgehen ist, dass die abchasische Führung ihren Einmarsch in das Tal in enger Absprache mit georgischen Ministern telefonisch abstimmte, so dass es zu keinen georgischen Verlusten kam und nur zu einem durch Unfall getöteten abchasischen Soldaten.

Der Krieg – mit der Zerstörung der georgischen Offensivkapazitäten und der Verlagerung russischer Truppen nach Abchasien und Südossetien – sowie die russische Besatzung von zuvor nicht umstrittenen georgischen Gebieten haben das Geflecht aus Sicherheits- und Bedrohungsperspektiven nachhaltig verändert. Mehr noch, der Krieg und die ihm folgende rechtliche Anerkennung Abchasiens und Südossetiens durch Russland haben die bis dahin existierenden Verhandlungsformate zerstört. In dem nach dem Krieg erstellten und zurzeit aktuellen Verhandlungsformat, dem »Genfer Prozess«, sind der abchasische und südossetische Konflikt zum ersten Mal zusammengefasst. Auf internationaler Seite sind UN, OSZE und EU gleichermaßen vertreten.

Es ist praktisch undenkbar, dass Russland der Aufforderung nachkommt, die Anerkennung Abchasiens und Südossetiens zurück zu nehmen. In diesem Sinne hat sich und wird sich die Rolle der UN im Konfliktmanagement verändern, da es in absehbarer Zukunft keine UN-Resolutionen mehr geben wird, welche die territoriale Integrität Georgiens einfordern. Die »Blockade« der UN durch Russland in dieser Frage wird zu einer »Neutralisierung« der UN führen und die Dynamik der Einforderung von territorialer Integrität wird sich in andere institutionelle Zusammenhänge verlagern, voraussichtlich im Kontext der EU und des Europarates.

Annäherungs-Chancen

Dies bedeutet nicht, dass die Rolle der UN in einem zukünftigen Friedensprozess geschwächt werden muss. Gegenstand der momentanen Verhandlungen ist die Verlängerung bzw. Neu-Etablierung einer UN-Mission in Abchasien. Auf abchasischer Seite wird die Position vertreten, dass eine zukünftige UN-Mission umbenannt werden muss und nicht mehr als »Mission in Georgien« firmieren soll. Es gibt keinen Zweifel daran, dass die abchasische Führung ein hohes Interesse an der Beteiligung der UN an der zukünftigen Sicherheitsarchitektur in der Region hat. Ebenso wenig darf bezweifelt werden, dass für die nun erstarkte abchasische Führung Konstruktionen akzeptabel sind, welche das Konzept »territorialer Integrität Georgiens« (symbolisch) manifestieren. Konkret bedeutet dies, dass es entweder zur Etablierung einer Status-neutralen UN-Mission kommt oder dass das UNOMIG-Mandat mit großer Wahrscheinlichkeit ersatzlos auslaufen wird.

Ein Abzug der UN hätte nachhaltige Konsequenzen für die EU, welche mit der EUMM (European Monitoring Mission) dann die einzig verbleibende internationale Mission stellen würde. Zwar ist es der EUMM bislang nicht gelungen, ihr Mandat auf der abchasischen Seite umzusetzen, da ihnen die abchasische Regierung den Zutritt verweigert, gleichzeitig konnte die Mission unter Leitung des deutschen Diplomaten Haber auf georgischer Seite Erfolge verzeichnen, welche erkennbar zur Befriedung im georgisch-abchasischen »Grenzbereich« beitragen.

Die Anerkennung Abchasiens und Südossetiens durch Russland – sieht man von der politisch und wirtschaftlich bedeutungslosen Anerkennung durch Nicaragua einmal ab – stellt in der abchasischen Wahrnehmung mehr noch als in der südossetischen eine zwiespältige Entwicklung dar, geht sie doch mit einer noch stärkeren Anbindung und Abhängigkeit von Russland einher.

Vor allem in der politischen Elite um De-facto-Präsident Bagapsch existierte in der Vergangenheit das Konzept einer »Multi-Vektor-Politik«, welche darauf zielte und zielt, die abchasischen Außenbeziehungen nicht allein auf Russland auszurichten, sondern diese gleichwertig neben eine europäische Perspektive zu stellen.10 In diesem Zusammenhang wurde auch die Vision eines »neutralen Abchasien« formuliert, welches weder russische noch NATO-Truppen beherbergen sollte, freilich unter der Vorraussetzung einer international anerkannten Staatlichkeit.

Es ist eine der großen verpassten Chancen der letzten Jahre, dass die Bedrohungsängste vor dem großen Nachbarn Russland, welche von außen betrachtet eins der stärksten potenziellen Verbindungselemente zwischen Georgiern und Abchasen waren (und im Prinzip immer noch sind), nicht für einen Annäherungsprozess genutzt wurden. Leider verstand es die georgische Regierung nicht, sich durch eine Strategie der Annäherung und Vertrauensbildung gegenüber den Abchasen als verlässlicher Partner zu etablieren oder zumindest als kleinerer Bedrohungsfaktor als der russische. Stattdessen hat sich die georgische Regierung in der Frage der Legitimität einer militärisch erzwungenen Lösung durchgehend ambivalent verhalten. In unzähligen Erklärungen haben Präsident und Minister die Notwendigkeit zu einer friedlichen und politischen Lösung der Konflikte benannt, nur um das Bekenntnis zur Gewaltfreiheit sofort dahingehend zu relativieren, dass auch »andere Mittel« Anwendung finden müssten, wenn die territoriale Integrität nicht zeitnah in den Verhandlungen erzielt werden könne. Derlei Äußerungen wurden i.d.R von georgischen Politikern in internationalen Zusammenhängen als notwendige rhetorische Stilblüten gegenüber der eigenen Bevölkerung dargestellt. Auf abchasischer und südossetischer Seite wurden diese Äußerungen immer als Drohungen interpretiert.

Auch das abchasische Interesse an einer Annäherung an die EU konnte nicht systematisch genutzt und kultiviert werden, weil die georgische Regierung bei ihrer Strategie der Isolation der Sezessionsgebiete blieb. Dabei haben sich die Handlungsspielräume von EU-Institutionen, die abchasische und südossetische Gesellschaft zu erreichen und kooperative Beziehungen aufzubauen, bereits in den Jahren vor dem Krieg erkennbar verengt. Dies wird deutlich, wenn man die Finanzierungsmodalitäten der EU-Kommission für zivilgesellschaftliche Projekte in den Sezessionsgebieten betrachtet. So wurde der »Call for Proposals« im Frühjahr 2008 so ausgeschrieben, dass er explizit auf Georgien verwies, während die vorherigen Ausschreibungen indifferent formuliert worden waren. Die Reaktion auf abchasischer und südossetischer Seite bewirkte, dass sehr viele NGOs sich an diesem Call for Proposals nicht beteiligten, weil sie nicht in Programmen teilnehmen wollen, in denen sie als Teil Georgiens klassifiziert werden.

Eine sehr ähnliche Verengung des Beziehungsaufbaus zwischen der EU und den Sezessionsgebieten hat sich auch im Hinblick auf die Bewegungs- und Reiseprofile von Abchasen und Südosseten ergeben. Die Mehrheit der Abchasen und Südosseten verfügte bereits vor dem Krieg über einen russischen Reisepass. Seit 2002 hatte Russland angefangen, Pässe an die abchasische und südossetische Bevölkerung auszugeben, da die von diesen bis dahin verwendeten sowjetischen Pässe ausliefen. Die russische Strategie der »Passportisierung« wurde sowohl auf georgischer als auch internationaler Seite oft als eine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten kritisiert.

Während in den Folgejahren Abchasen und Südosseten Visa für EU-Länder bei den jeweiligen Landesbotschaften in Moskau erlangen konnten und so eine relativ unkomplizierte Einreise nach Europa möglich war, hat sich in den letzten Jahren die Praxis dahingehend verändert, dass Abchasen und Südosseten nun diese Visa in den Botschaften in Tiflis beantragen müssen. Erneut führte dies zu Verweigerungshaltungen auf Seiten der Abchasen und Südosseten, da dieses Verfahren als eine symbolische Manifestation der Position interpretiert wird, dass Abchasen und Südosseten georgische Staatsbürger seien.

Ausblick

Die angeführten Beispiele machen verschiedene Aspekte deutlich. Zum einen zeigen sie, wie Isolations- und Selbstisolationsmechanismen ineinander greifen und wie Regierungen und Menschen auf Grund ihrer inneren Überzeugungen Kooperation verweigern. Das hier beispielhaft erläuterte Interaktionsmuster galt vor dem August-Krieg und gilt heute nach der Anerkennung Abchasiens und Südossetiens durch Russland umso mehr. Es kann als praktisch ausgeschlossen gelten, dass Abchasen und Südosseten Angebote und Interaktionsmuster akzeptieren werden, welche sie implizit in den Kontext georgischer territorialer Integrität stellen. Will man diese Gebiete erreichen, so ist dies in einer Status-neutralen Interaktionsdynamik möglich.

Die EU könnte nach wie vor sich als eine russische und amerikanische Interessen balancierende Kraft etablieren. Indes bleibt die georgische Regierung bei ihrer Strategie der Isolation der Sezessionsgebiete und hat durch das »Law of Georgia on Occupied Territories« die Kooperation über die Konfliktlinien hinweg noch einmal erschwert.

Anders als in der Kosovo-Frage ist sich die EU in der Ablehnung der abchasischen und südossetischen Eigenstaatlichkeit einig. In der Frage, wie und unter welchen Bedingungen man versuchen soll, die Sezessionsgebiete zu erreichen, ist die Haltung der EU-Mitgliedsstaaten jedoch weniger einheitlich. Verallgemeinernd kann man zwischen jenen unterscheiden, die einer Strategie des »Wandels durch Annäherung« offen gegenüber stehen, und jenen, welchen die Betonung der territorialen Integrität Georgiens wichtiger erscheint und für die Kooperation nur unter diesem Vorzeichen erfolgen soll. So wird es der EU sehr schwer fallen, zu einer den Status ausklammernden Annäherungs-Strategie zu kommen. Gebunden durch ihre völkerrechtliche Position und die Isolationsbestrebungen der georgischen Regierung, wird sie ähnlich wie im Zypern-Kontext nur sehr bedingt ihr Entwicklungs-, Wirtschafts- und rechtspolitischen Instrumente anwenden können. Dennoch ist ein Status-neutraler Ansatz, in dem Entwicklung und Vertrauensbildung verbunden werden könnten, nach wie vor möglich. Letztlich muss auch jede georgische Regierung zu der Verantwortung gegenüber jenen Menschen stehen, von denen sie behauptet, sie seien Staatsbürger Georgiens.

Anmerkungen

1) Vgl. Human Rights Watch (2009): Up in Flames – Humanitarian Law Violations and Civilian Victims in the Conflict over South Ossetia, URL: http://www.hrw.org; Luchterhand, O. (2008): Völkerrechtliche Aspekte des Georgien-Krieges. FES-Analyse. URL: http://library.fes.de/pdf-files/bueros/moskau/05939.pdf.

2) Parliamentary Assembly / Council of Europe (PACE) (2009): Resolution 1647, Art. 8.4, URL: http://assembly.coe.int/Main.asp?link=/Documents/AdoptedText/ta09/ERES1647.htm.

3) Wolleh, O. (2006): Difficult encounter – The informal Georgian-Abkhaz dialogue workshop, Berghof Report No. 12, Berghof Research Center for Constructive Conflict Management, Berlin; Pressemitteilung Workshop 14 (April 2005), URL: http://www.berghof-center.org/std_page.php?LANG=d&id=51&parent=3.

4) Der georgische Parlamentarier Givi Targamadze formulierte die Bedeutung des Kodori wie folgt: „Das ist ein strategisches Gebiet, von dem aus ein Flug mit dem Hubschrauber nach Sochumi nur fünf Minuten dauert.“ Civil Georgia, 26 July 2006, „Most of Kodori Under Control as Rebels Remain Besieged“.

5) Wolleh, O.: Interview mit dem Sicherheitsberater von De-facto-Präsident Bagapsch, November 2006, Sochumi.

6) Wolleh, O.: Interview mit einer Mitarbeiterin im abchasischen Außenministerium, November 2007, Sochumi; Wolleh, O.: Interview mit einem Mitglied des Abchasischen Nationalen Sicherheitsrates, November 2006, Sochumi.

7) Wolleh, O.: Interview mit dem Sicherheitsberater von De-facto-Präsident Bagapsch, November 2006, Sochumi.

8) Wolleh, O.: Interview mit einem Mitarbeiter im abchasischen Außenministerium, November 2007, Sochumi.

9) United Nations (2006): Report of the Secretary-General on the situation in Abkhazia, Georgia, 28. September 2006, S.3, URL: http://www.un.org/Docs/sc/sgrep06.htm .

10) The Proposal of Abkhaz side on the comprehensive Settlement of the Georgian-Abkhaz conflict – Key to the Future, 2005.

Dr. Oliver Wolleh ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Berghof Forschungszentrum und koordiniert seit 2003 den georgisch-abchasischen Dialogprozess. Er ist Dozent an der Alice-Salomon Fachhochschule (Berlin) und der Tbilisi State University.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2009/2 Ressourcen: Ausbeutung, Krieg, Elend, Seite