Nahost-Poker oder Mord als Politik
von Jürgen Nieth
Anfang Januar tötete das US-Militär mit einer Drohne den iranischen General Quasim Soleimani in Bagdad/Irak. Ein Mord auf Befehl von US-Präsident Trump, gesteuert über die US-Drohnenzentrale im rheinland-pfälzischen Ramstein – obwohl „die USA der Bundesregierung in der Vergangenheit zugesichert [hatten], die Basis nicht für rechtswidrige Aktivitäten zu missbrauchen“ (NZZ 7.1.20, S. 10).
Erhöhte Kriegsgefahr?
Für den demokratischen US-Präsidentschaftskandidaten Joe Biden hat Donald Trump damit „eine Stange Dynamit in ein Pulverfass geworfen“ (taz 4.1.20, S. 10). Laut Bruce Ackermann, Professor an der Universität Yale, befinden sich die USA gemäß Völkerrecht „aufgrund der Tötung eines hohen Beamten einer ausländischen Regierung bereits im Kriegszustand mit dem Irak“ (nd 9.1.20, S. 1). Der Machtmissbrauch ist für ihn „so schwerwiegend, dass er als dritter Anklage-Artikel in das Impeachment-Verfahren im Kongress aufgenommen zu werden verdiene“.
Kommentatoren verschiedener anderer Zeitungen gehen nicht ganz so weit, sprechen aber von erhöhter Kriegsgefahr und ziehen Parallelen zum Mord von Sarajewo vor dem Ersten Weltkrieg.
Aus Sicht von K.D. Frankenberger (FAZ 4.1.20, S. 1) „[kann] diese Aktion eine militärische Dynamik in Gang setzen und beteiligte wie unbeteiligte Länder an den Rand eines Krieges bringen – und darüberhinaus“. Matthieu von Rohr (SPIEGEL 11.1.20, S. 6): Trumps „Vorgehen erinnert an eine Mischung aus Drohpolitik des 19. Jahrhunderts und New Yorker Mafiamethoden: Recht hat, wer die größeren Kanonenboote besitzt. Wer auf das Angebot einer Umarmung nicht eingeht, muss mit Mord rechnen.“ Sigmar Gabriel, ehemaliger deutscher Außenminister (Handelsblatt, 6.1.20, S. 48): „Ein 1914-Moment: Niemand will den Krieg und doch kommt es dazu, weil die internationale und regionale Diplomatie versagt und niemand eingreift.“ Josef Joffe (ZEIT 9.1.20, S. 1): „Die beste aller schlechten Nachrichten: Wir befinden uns nicht im Juli 1914 […] Damals wollten alle Mächte den Krieg, heute will ihn niemand.“ Joffe schiebt nach: „Gewiss kann der Iran »asymmetrisch« zuschlagen […] Nur, wer hat hier die »Eskalationsdominanz« – wer kann in der nächsten Runde einen drauflegen? […] Der Iran kann es [Trump] nicht in gleicher Münze heimzahlen; es fehlt die strategische Reichweite. Amerika hat Basen ringsum, der Iran hat keine auf Kuba.“
Selbstverteidigung?
Trump begründete den Mord mit Selbstverteidigung. Der Angriff sei notwendig gewesen, um „»unmittelbar bevorstehende Bedrohungen« für Amerikaner in der Region zu »durchkreuzen«“ (Josef Alkatout in NZZ 7.1.20, S. 10). Dazu Wolfgang Hübner (nd 9.1.20, S. 1): „Nach wie vor bemüht sich Trump um keinerlei Beweise für seine Behauptung, dass der getötete General unmittelbare Anschläge geplant habe. Die Behauptung klingt so wie andere Kriegslügen.“ Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages äußern sich vorsichtiger, berichtet nd (15.1.20, S. 5): „Nach den Einlassungen der US-Administration ist nicht deutlich zu erkennen, warum die Tötung Soleimanis im Irak unbedingt notwendig gewesen sein soll, um eine akute Gefahr für das Leben von US-Amerikanern ultima ratio abzuwehren.“ Der tödliche Drohnenangriff erfülle daher „offensichtlich nicht die Kriterien eines »finalen Rettungsschusses«“, sondern erscheine als Verstoß gegen das im Zivilpakt der Vereinten Nationen festgeschriebene Recht auf Leben. Auch H. Wetzel (SZ 13.1.20, S. 4) bezweifelt die Beweisbarkeit von Trumps Behauptung, kommt aber trotzdem zu der Schlussfolgerung, „dass Soleimani ein legitimes militärisches Ziel war“, aufgrund seiner Verantwortung für Guerillaaktionen.
Kulturgüter zerstören
Trump missachtet auch die 1954 auf Initiative der USA beschlossene »Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten«. So kündigte er an, dass die USA im Fall „iranischer Racheakte“ 52 iranische Ziele, darunter antike Kulturstätten, angreifen würden. Dazu Bahman Nirumand in der taz (11.1.20, S. 3): „Nicht nur das Militär und die Infrastruktur des Landes sollen ins Visier genommen werden, auch die Seele einer ganzen Nation sollte zerstört und deren Wurzeln verbrannt werden. Stellen Persepolis, die Freitagsmoschee in Isfahan oder das Grabmal von Hafis in Schiras so eine Gefahr für die Vereinigten Staaten dar, dass sie vernichtet werden müssen?“
Aussichten
Weit auseinander liegen die Einschätzungen darüber, ob es einen Profiteur nach dem Mord an Soleimani gibt und wer das ist, die USA oder der Iran. Die SZ (13.1.20, S. 4) titelt „Trumps rote Linie“. Für sie diente der Anschlag dazu, einem „rationalen sicherheitspolitischen Prinzip wieder Geltung zu verschaffen: der Abschreckung“. Die taz (4.1.20, S. 10) sieht „Iran im Vorteil“. Auch Sigmar Gabriel (Handelsblatt, s.o.) geht davon aus, dass sich das „Kräftegleichgewicht im Irak […] zuungunsten der USA und zugunsten des Iran verschieben“ wird. Er bezeichnet die Wirtschaftssanktionen gegen den Iran als völkerrechtswidrig und empfiehlt, über die EZB oder Nationalbanken Wirtschaftshilfe zu finanzieren, wenn der Iran zum Atomabkommen zurückkehrt. Ganz anders Josef Joffe (Zeit, s.o.). Für ihn ist es „im europäischen Interesse, dem Regime den Preis verschärfter Sanktionen zu zeigen“.
Während einige Kommentatoren davon ausgehen, dass sich Trump gerne aus dem Nahen Osten zurückziehen würde, sieht das der Nahostexperte Michael Lüders (Freitag 9.1.20, S. 7) ganz anders: „Die USA beanspruchen gemeinsam mit ihren regionalen Verbündeten Israel und Saudi Arabien die Vorherrschaft im Nahen und Mittleren Osten. Iran ist das letzte verbliebene Bollwerk, das es zu schleifen gilt – um gleichzeitig Teherans Verbündete Moskau und Peking auf Distanz zu halten.“ Lüders schlussfolgert: „Und die Europäer? Wären gut damit beraten, nicht nur Teheran zur ‚Mäßigung‘ aufzurufen, sondern sich ebenso deutlich von Washingtons Kriegstreiberei zu distanzieren. Andernfalls droht – kommt es zum großen Knall – der Bündnisfall.“
Zitierte Presseorgane: FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung, Der Freitag, Das Handelsblatt, nd – Neues Deutschland, NZZ – Neue Zürcher Zeitung, DER SPIEGEL, SZ – Süddeutsche Zeitung, taz – die tageszeitung, DIE ZEIT.