W&F 2021/4

Nahrungsmittel­verschwendung

Systemische Ursachen und global organisierte Unverantwortlichkeit

von Tobias Gumbert

Etwa ein Drittel der global produzierten Nahrungsmittel werden Schätzungen zufolge über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg verschwendet. Das Ausmaß verweist auf immense Distributionsprobleme im globalen Agrar-Ernährungssystem, die nicht selten lokal bestehende Konfliktkonstellationen weiter verschärfen. Die globale Gemeinschaft hat mit verstärkten Kooperationsbemühungen und dem Versuch einer besseren Zuordnung und Zuschreibung von Verantwortlichkeiten unter den beteiligten Akteuren auf die Herausforderungen reagiert. Doch wie mit systemischen Ursachen von Nahrungsmittelverschwendung umzugehen ist, bleibt ein ungelöstes Problem.

Mit zunehmender Dringlichkeit stellt sich die Frage nach der Sicherung des Nahrungsmittelangebots für künftig mehr als neun Mrd. Menschen auf dem Planeten. Die Welternährungsorganisation (FAO) hat in ihrem letzten Bericht die Zahl der Menschen, die schon heute von einem schwerwiegenden Ausmaß an Nahrungsmittelunsicherheit betroffen sind, auf 750 Millionen beziffert; der Trend ist negativ und soll bis zum Jahr 2030 auf 840 Millionen ansteigen (FAO 2020, S. xvi). Diese extremen Formen von Hunger und Unterernährung gefährden ein gesichertes Zusammenleben und die zukünftige Entwicklung ganzer Regionen. Bestehende Konflikte des Zugangs zu Land und sauberem Trinkwasser weltweit, u.a. als Folge großflächiger Landinvestitionen, könnten durch ein sinkendes Nahrungsmittelangebot weiter verschärft werden. Bislang beschrieb der dominante Diskurs technologische Innovationen und Produktivitätssteigerungen als die zentralen Hebel, um die globale Nahrungsmittelsituation an die sich verändernden Rahmenbedingungen anzupassen. Doch spätestens seit die Größe des Problems der globalen »Nahrungsmittelverschwendung« vor gut einem Jahrzehnt zum ersten Mal annäherungsweise beziffert werden konnte (Gustavsson et al. 2011), ist deutlich geworden, dass die politische Adressierung von Verteilungsfragen stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken sollte – nicht nur die Verteilung von Ressourcen, sondern vor allem die Verteilung von Verantwortung.

Globale Ziele

In den letzten 10-15 Jahren ist der Problemkomplex der Nahrungsmittelverschwendung auf der globalen politischen Agenda immer wichtiger geworden. Die Studie »Global Food Losses and Food Waste« (Globale Nahrungsmittelverluste und Nahrungsmittelverschwendung) der FAO stellte den Beginn dieser Entwicklung dar: trotz schlechter Datenlage schätzte die Studie die globale Menge der jährlich nicht dem menschlichen Konsum zugeführten Nahrungsmittel auf 1,3 Mrd. Tonnen – etwa ein Drittel der globalen Erzeugung (Gustavsson et al. 2011). Seitdem hat die FAO eine Reihe verschiedener Foren zur weltweiten Reduzierung von Lebensmittelverlusten und Lebensmittelverschwendung organisiert und geleitet. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) folgte bald darauf mit eigenen Initiativen, um die Eindämmung von Lebensmittelverschwendung als Beitrag zu nachhaltigen Ernährungssystemen zu nutzen.

Diese und weitere Entwicklungen mündeten schließlich darin, dass das Thema Lebensmittelverluste und -verschwendung als spezifisches Ziel innerhalb der »Ziele für Nachhaltige Entwicklung« (SDGs) der Vereinten Nationen aufgenommen wurde. Das Unterziel 12.3 benennt eine weltweite Halbierung der Lebensmittelabfälle pro Kopf im Handel und auf Konsument*innenebene bis 2030 und ist bestrebt, Lebensmittelabfälle entlang der Produktions- und Lieferkette allgemein zu verringern. Kurz nach Verabschiedung des Ziels rief das World Resources Institute die »Champions 12.3«-Koalition von Führungskräften aus Regierungen, Unternehmen sowie weiteren staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen ins Leben, deren Ziel es ist, bei allen Akteuren mehr Bewusstsein für Lebensmittelverschwendung zu schaffen, das wachsende Netzwerk von Akteuren zu erweitern und sie aufzufordern, gemeinsame Politikempfehlungen und Lösungsansätze zu entwickeln.

Globales Mismanagement?

All die dazugehörigen Maßnahmen zur Verbesserung der globalen Datenbasis, der Optimierung technischer Prozesse, der Ausweitung von Kooperationsbemühungen und Partnerschaften entlang der Wertschöpfungskette, oder die Erinnerung an Eigeninitiative verorten das zugrunde liegende Problem beim individuellen Mismanagement der beteiligten Akteure.

Grundlegend kann demnach zwischen zwei Formen der Verschwendung unterschieden werden:

  • In den Phasen Ernte, Lagerung, Transport, Verarbeitung und Verpackung fallen »Nahrungsmittelverluste« an, die als unbeabsichtigtes Ereignis definiert und daher am besten durch technologische Lösungen (Effizienzsteigerung, verbesserte Kühlung, intelligente Verpackungen etc.) adressiert werden können.
  • »Nahrungsmittelverschwendung« wird hingegen als „das Ergebnis einer Fahrlässigkeit oder einer bewussten Entscheidung, Lebensmittel wegzuwerfen“ dargestellt (Lipinski et al. 2013, S. 4). Diese Problematik wird den Ebenen des Konsums und des Einzelhandels zugeschrieben, und könne demnach durch transparentere Informationen und Aufklärungsmaßnahmen gehandhabt werden.

Diese Problemdiagnosen basieren häufig auf der Vorstellung der Linearität von Wertschöpfungsketten. Diese lässt die Idee naheliegend erscheinen, dass Verantwortung individualisiert und unterteilt werden kann, indem Akteure innerhalb spezifischer Sektoren (Produktion, Transport, Fertigung, Verarbeitung, Einzelhandel usw.) bei den Prozessen, die sie überblicken und beeinflussen können, Verluste reduzieren können. Da die Sektoren über die gehandelten Güter wiederum linear miteinander verknüpft sind, scheint es zudem möglich, sich auf das Management von Endpunkten (Konsumebene) zu konzentrieren, um damit die gesamte Wertschöpfungskette zu beeinflussen. Diese Logiken führen zu der Annahme, dass das Agrar-Ernährungssystem durch die Summe vieler individueller, kausal wirksamer und kalkulierbarer Handlungen verantwortungsbewussten Handelns (insbesondere von den »Enden« ausgehend) transformiert werden kann (Gumbert und Fuchs 2022).

Doch neuere Studien, die einen weiteren Anstieg der globalen Nahrungsmittelverschwendung prognostizieren (Boston Consulting Group 2018) und exaktere Messmethoden anführen (UNEP 2021), legen nahe, dass die eingeschlagenen Reduktionspfade noch lange nicht ausreichen, um das Problem an der Wurzel zu packen. Mehr noch: die zu beobachtenden Ansätze scheinen nur Teile des Problems zu adressieren und die eigentlichen Gefahren zu verkennen.

Ausdruck organisierter Unverantwortlichkeit

Auf den ersten Blick erscheinen die politischen Lösungsansätze plausibel. Sie gehen davon aus, dass kein Akteur ein legitimes Interesse an Verlusten oder Verschwendung von Lebensmitteln haben könne. Daher sei es zielführend, Aufklärung zu betreiben, Best Practices zu teilen, die Koordination zu erhöhen, sprich: das Netz notwendiger Verantwortlichkeiten enger zu knüpfen (so dass hier weniger Nahrungsmittel durch das Netz fallen, um im Bild zu bleiben) und verlorene Kontrolle über die ungewollte Verschwendung von Nahrungsmitteln wiederzuerlangen.

Bereits in den 1980er Jahren wies der Soziologe Ulrich Beck darauf hin, dass genau diese Rationalität bei der politischen Bearbeitung von Umweltproblemen einem Trugschluss unterliegt (Beck 1986). Menschliche Kontrollversuche hätten – insbesondere durch ein hohes Vertrauen in das Innovationspotenzial neuer Technologien – den Effekt, dass die eigentlichen Gefahren verkannt, nur Teile des Problems adressiert, oder gänzlich neue, unerwünschte Nebeneffekte produziert würden. Diese Effekte vollzögen und akkumulierten sich sozusagen im Rücken und außerhalb des Sichtfelds der aktiv Handelnden, und könnten daher selten individuellen Akteuren zugeschrieben werden. Die Akkumulation von Plastikmüll in den Meeren ist dafür ein Paradebeispiel: während sich Recycling-Infrastrukturen seit den frühen 1990er Jahren global im Aufbau befinden, ist das Thema der Vermüllung der Meere erst seit wenigen Jahren auf der politischen Agenda und im öffentlichen Bewusstsein angekommen. Trotz Koordination und Kontrolle bleibt so verantwortliches Handeln aus. Beck führt diese Dynamik nicht auf »Nichtwissen«, mangelnde Kompetenz oder fehlende Verantwortlichkeit der Akteure zurück. Er beschreibt in seinem Buch »Risikogesellschaft« (1986), wie Institutionen moderner Gesellschaften Bedrohungen zunehmend als kalkulierbare Risiken erfassen und managen, wodurch sie als standardisierte Operationen von Bürokratien institutionell eingeschrieben werden. Dadurch können Prozesse, welche vorhersehbar und unerwünscht sind, einzelnen Akteursgruppen oder Sektoren kausal zugeschrieben und die Aufgaben für die Behebung bzw. Reduzierung sogenannter „negativer Externalitäten“ übertragen werden. Die Adressierung unerwünschter, aber unvorhersehbarer Entwicklungen bleibt dabei jedoch strategisch unberücksichtigt, oder anders gesagt: gerade weil alle Akteure sich auf ihre individuellen Verantwortlichkeiten konzentrieren, entsteht Unverantwortlichkeit in den Zwischenräumen koordinierten Handelns und wird damit zu einem konstitutiven Merkmal rechtlicher, ökonomischer und politischer Strukturen.

Warum spricht Beck jedoch von organisierter Unverantwortlichkeit, wenn es scheinbar um ungewollte Nebeneffekte geht? Über Zeit werden gesellschaftliche Bearbeitungsstrategien zu einem Bestandteil der – in den Worten Becks – „sozialen Definitionsverhältnisse“, das heißt die vorherrschenden Problemdiagnosen und korrespondierenden Lösungsstrategien (hier: globale Nahrungsmittelverschwendung als Ursache von Mismanagement) werden normalisiert und dadurch legitimiert (Beck 1988, S. 100). Sie konstituieren fortan den „normalen Umgang“ mit Sachfragen und Problemlagen und es wird zunehmend schwieriger, diese Strategien zu hinterfragen. Durch diese Form der Organisation würden, so Beck, sowohl die dynamische Entwicklung von Umweltproblemen als auch deren Bedeutung und Tragweite verkannt. Mehr noch: einzelne Akteure ziehen ihren Nutzen daraus, die sozialen Definitionsverhältnisse ständig zu reproduzieren, wodurch es problematisch wird, hier nur von Nebeneffekten zu sprechen.

Becks Diagnose legt also nahe, dass eine in seinem Sinne systemische, organisierte Unverantwortlichkeit nicht nur parallel zu einer Vielzahl individuell und verantwortlich handelnder Akteure bestehen kann, sondern dadurch gerade gestützt oder sogar hervorgebracht wird. Im nächsten Abschnitt soll näher ausgeführt werden, wie diese recht abstrakten Konzepte dabei helfen können, die Gründe für das Ausmaß der globalen Nahrungsmittelverschwendung näher zu beleuchten.

Verschwendung als strategischer Effekt

Das Ausmaß der globalen Nahrungsmittelverschwendung ist ohne den Fokus auf seine strukturellen Treiber kaum zu verstehen. Diese Treiber sind in erster Linie Prozesse, die ursächlich nicht auf das strategische Handeln Einzelner zurückgeführt werden können und in ihrer Verbreitung globalen Charakter haben. Hier sind Prozesse anzuführen, die weltweit zu einem massiven Überangebot an Lebensmitteln führen, wie etwa die kommerzielle Intensivierung der Nahrungsmittelproduktion oder den wachsenden Einfluss des Einzelhandels entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Diesen Entwicklungen zugrunde liegen wiederum Wachstumszwänge und globaler Wettbewerb, die für konstante Überproduktion sorgen, ohne dass diese der menschlichen Bedürfnisbefriedigung zukommen würde.

Dafür lassen sich viele Anhaltspunkte liefern. Das Management von Nahrungsmittelverschwendung ist mittlerweile zu einem global rasant wachsenden Markt geworden: 36,04 Mrd. US$ Umsatz verzeichnete dieser im Jahr 2020, bei einer jährlichen Wachstumsrate von 5,8 % (Fior Markets 2021). Die in diesem Markt aktiven Unternehmen sind zunehmend auf anhaltende Flüsse von Nahrungsmittelabfällen angewiesen. Das Segment der Biogasproduktion erfährt hier besonders hohe Zuwächse: obwohl Prävention von Verschwendung (z.B. auf EU-Ebene) das präferierte Politikziel ist und Energiegewinnung nur eine nachrangige Stelle in der Liste möglicher Reduktionsmaßnahmen einnimmt, bestehen in vielen EU-Staaten finanzielle Anreize für Unternehmen, Abfälle der Energiegewinnung zuzuführen (Bradshaw 2018). Technologische Pfadabhängigkeiten führen zudem dazu, dass viele Anlagen darauf angewiesen sind, energiereichere Bestandteile zusätzlich zu Abfällen zu vergären, um hochwertigeres Biogas zu produzieren, wodurch der Verbrauch an Nutzpflanzen steigt (Alexander 2016). Werden die Begriffe Nahrungsmittelverluste und -verschwendung weiter gefasst, um auch jene Nahrungsmittel zu berücksichtigen, die nicht dem menschlichen Konsum zugeführt werden und stattdessen z.B. für die Biokraftstoffproduktion genutzt werden, ist das Ausmaß des Problems noch wesentlich größer.

Cloke (2013) betrachtet als techno-­regulatorische Ursachen“ auch Technologien der Lebensmittelkonservierung wie Gefriertrocknung oder Vakuumierung, welche die Möglichkeit für sämtliche Akteure ausweiten, mehr Nahrungsmittel zu produzieren, als tatsächlich benötigt werden. Auch hohe Anforderungen an Lebensmittelsicherheit veranlassen Akteure (bzw. verpflichten sie rechtlich) dazu, weitaus mehr Nahrung zu entsorgen, als tatsächlich nicht mehr genießbar ist. Gleichzeitig bestehen weiterhin entweder rechtliche Hürden für Unternehmen, übriggebliebene Nahrungsmittel an Hilfsorganisationen weiterzugeben, oder zivilgesellschaftliche Organisationen werden dadurch abgeschreckt, dass sie mit den »Resten« von Händlern auch das »Restrisiko« übernehmen und für eventuelle gesundheitliche Folgeerscheinungen haftbar gemacht werden können (Bradshaw 2018).

In diese Kategorie fallen außerdem Abfälle, die durch global agierende Supermärkte und Großhändler anfallen, etwa indem diese ihre riesige Nachfragemacht nutzen. Der Handel schützt sich vor Risiken im Zusammenhang mit Verderblichkeit und Hygienevorschriften, indem er die Verantwortung und die Kosten für Nahrungsmittelabfälle auf die Lieferant*innen und Produzent*innen verlagert; bestellte Lieferungen werden abgelehnt oder Verträge einseitig gekündigt (Gille 2013). Beispielsweise berichteten Landwirt*innen und Exporteur*innen aus Kenia, die mit europäischen Einzelhändler*innen zusammenarbeiten, dass durchschnittlich 30 Prozent der Lebensmittel auf Farmebene abgelehnt werden und 50 Prozent vor dem Export (Feedback 2015, S. 5). Gründe für die Ablehnung sind in der Regel kosmetische Vorgaben, aber ebenso Auftragsstornierungen aufgrund von Last-Minute-Lieferanpassungen, die zu finanziellen Einbußen und einer erhöhten Verschuldung der Landwirt*innen aufgrund fehlender Entschädigungen führen. Darüber hinaus verbieten diese Akteure den Erzeuger*innen in vielen Fällen vertraglich, ihre Produkte auf alternativen Märkten zu verkaufen, was zu noch größeren Mengen verschwendeter Produkte führt (Stuart 2009).

Viele weitere Prozesse könnten an dieser Stelle angeführt werden, die allesamt ein Zeugnis davon wären, dass Nahrungsmittelabfälle entstehen, obwohl sämtliche Akteure im Rahmen der vorgegebenen ökonomischen, politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen agieren. Dieses Ausmaß ist unverantwortlich, und doch organisiert. Für Cloke ist Nahrungsmittelverschwendung in dieser Hinsicht sogar ein gewollter Kernbestandteil des unternehmensdominierten globalen Agrar-Ernährungssystems. Er bezeichnet dieses daher auch als „vastogenic system“ (Cloke 2013, S. 622), als Abfall und Verschwendung hervorbringendes und förderndes System. Verluste und Verschwendung werden nicht nur kalkuliert und eingepreist, sondern sind notwendig, um den beschleunigten Fluss von Gütern über und durch Wertschöpfungsketten anzutreiben. Solange politische Lösungsansätze diese strukturellen Treiber nicht adressieren, wird sich das Problem der globalen Nahrungsmittelverschwendung im Lichte gut sichtbarer und teilweise sogar sehr ambitionierter, individueller Reduktionsbemühungen weiter verschärfen.

Hin zu kollektiven Verantwortlichkeiten

Keine Frage, die globale Aufmerksamkeit, die das Thema der globalen Nahrungsmittelverschwendung in den letzten Jahren erfahren hat, ist wichtig und lange überfällig gewesen. Die gegenwärtig global koordinierten Reduktionsbemühungen weisen in die richtige Richtung, insbesondere, wenn sich nationale Regierungen an den Indikatoren und Lösungsvorschlägen zur Umsetzung des SDG 12.3 beteiligen. Doch der Prozess birgt die Gefahr, an sektorspezifischen Vorgaben und »zumutbaren« Richtwerten Halt zu machen. Wie also ist politisch in Zukunft zu verfahren?

Einflussreichen Akteuren, die bislang von „vastogenic systems“ profitiert haben, sollte eine größere Verantwortung für Schadensminderung zugemutet werden können, selbst wenn kein direkter kausaler Zusammenhang zwischen ihren Handlungen und negativen Auswirkungen hergestellt werden kann. Von Unternehmen, die eine besondere Machtposition innehaben und die die Ressourcen und Fähigkeiten zur Veränderung bestehender systemischer Rahmenbedingungen besitzen, sollte daher öffentlich eine stärkere Verpflichtung zu verantwortungsvolleren Geschäftspraktiken eingefordert werden können, insbesondere unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf die Lebensgrundlagen von Landwirt*innen.

Relevante Governance-Initiativen müssen ökologische und soziale Fürsorge und Vorsorge beinhalten und können durch transparente und partizipative Institutionen gefördert werden. Diese sollten kollektives Handeln (ermöglicht durch wechselseitige Beobachtung, Motivation und ggf. Sanktion der beteiligten Stakeholder) statt der Zuweisung partieller Verantwortlichkeiten betonen und den Umgang mit den hier geschilderten unbeabsichtigten, unabsehbaren Folgen zu einem wichtigen, zusätzlichen Ziel erklären. Ferner sollten nicht nur wirtschaftliche Sektoren und Branchen entlang der Wertschöpfungskette zu kollektivem Handeln verschränkt, sondern ebenso räumliche und zeitliche Fernbeziehungen berücksichtigt werden (bspw. durch die Repräsentation von Produzent*innennetzwerken und Fürsprecher*innen zukünftiger Generationen). Dies könnte konkret zu stärkeren Monitoring-Instrumenten führen, etwa um Missbräuche durch transnationale Unternehmen umfassend aufzuklären oder anonyme Beschwerdeverfahren einzurichten, und so dazu beizutragen, die „organisierte Unverantwortlichkeit“ (Beck 1988) nach und nach abzubauen.

Literatur

Alexander, C. (2016): When Waste Disappears, or More Waste Please! In: Mauch, C. (Hrsg.): Out of Sight, Out of Mind. The Politics and Culture of Waste. RCC Perspectives, Transformations in Environment and Society, S. 31-39.

Beck, U. (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Beck, U. (1988): Gegengifte. Die organisierte Unverantwortlichkeit. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Boston Consulting Group (2018): Tackling the 1.6-Billion-Ton Food Loss and Waste Crisis. The Boston Consulting Group.

Bradshaw, C. (2018): Waste Law and the Value of Food. In: Journal of Environmental Law 30(2) S. 311–331.

Cloke, J. (2013): Empires of Waste and the Food Security Meme. In: Geography Compass 7/9, S. 622-636.

FAO et al. (2020): The State of Food Security and Nutrition in the World 2020. Transforming food systems for affordable healthy diets. Rom: FAO.

Feedback (2015): Food Waste in Kenya. Uncovering Food Waste in the Horticultural Export Supply Chain. London: Feedback.

Fior Markets (2021): Global Food Waste Management Market. Business Marketing Report.

Gille, Z. (2013): From Risk to Waste: Global Food Waste Regimes. In: The Sociological Review 60(S2), S. 27-46.

Gumbert, T.; Fuchs, D. (2022): Moral Geographies of Responsibility in the Global Agrifood System. In: Hansen-Magnusson, H.; Vetterlein A. (Hrsg.): The Routledge Handbook on Responsibility in International Relations. London/New York: Routledge, S. 153-163.

Gustavsson, J. et al. (2011): Global Food Losses and Food Waste. Extent, Causes, And Prevention. Rom: Food and Agriculture Organization of the United Nations.

United Nations Environment Programme (UNEP) (2021): Food Waste Index Report 2021. Nairobi.

Tobias Gumbert ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung der WWU Münster. Er forscht zu Fragen globaler Umweltgovernance und demokratischer Nachhaltigkeitspolitik.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2021/4 Chinas Welt? – Zwischen Konflikt und Kooperation, Seite 47–50